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Bibliothekarischer Alltag

Universitätsbibliothek Graz 1938 bis 1945 Bibliotheksgeschichte und Provenienzforschung

4. Bibliothekarischer Alltag

Die bibliothekarische Praxis während der NS-Herrschaft stellte sich in der UB Graz »gemäßigt« dar. Wie Benndorf 1946 feststellte, »dürften die gene-rellen Terrormaßnahmen vielleicht eher unter dem Ausmaß des sonst Übli-chen geblieben sein«.19 »Auch die Säuberung der Bibliothek von jüdischen Autoren etc. scheint weniger streng als an anderen Bibliotheken durchgeführt worden zu sein.«20 Das verbotene und unerwünschte Schrifttum wurde zwar geflissentlich in einer zu diesem Zweck im Magazin eingerichteten versperr-baren Abteilung sekretiert. Die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums 1938« und deren Ergänzungen21 wurden wie vorgesehen nur dem Bibliotheksdirektor Gosch zugesandt, der diese unter besonderem Verschluss hielt. »Die Vorstände der Institutsbibliotheken bekommen aus verständlichen Gründen die Listen des verbotenen Schrifttums nicht zugestellt. Ja sie wissen meist gar nicht, dass es solche gibt.«22 Aus diesem Grund konnte an den Institutsbibliotheken der Universität die verbotene Literatur von jedem Insti-tutsmitglied ohne Einschränkung benützt werden.

Haft sprechen würden.« Archiv der Universitätsbibliothek Graz, Personalakten, Schachtel 127, Zl. 147/46, Schreiben von Wolfgang Benndorf an den Landesbera-tungsausschuß bei der Landeshauptmannschaft Steiermark, 7.6.1946.

17 Archiv der Universitätsbibliothek Graz, Personalakten, Schachtel 127, Geschäfts-zeichen: LAD Kom G 17/3-1946, Erkenntnis der Landeshauptmannschaft für Stei-ermark, Dr. Franz Gosch – Enthaftung, 8.10.1946.

18 Archiv der Universitätsbibliothek Graz, Akten über die 1943–1945 ausgelagerten Bestände der UB und die Verluste im Jahr 1945, Schachtel 123, Schreiben von Wolfgang Benndorf an die Allied Commission for Austria (British Element), Edu-cation Branch, Books Selection, 16.10.1945.

19 Archiv der Universitätsbibliothek Graz, Haupt-, und Verwaltungsakten, Schachtel 118, Schreiben von Wolfgang Benndorf an das BMU, 23.4.1946.

20 Ebd.

21 Von diesen sind im Archiv der UB Graz erhalten geblieben: »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums«, Stand vom 31.12.1938. Leipzig: Ernst Hedrich Nachf. und die »Jahresliste 1939 des schädlichen und unerwünschten Schrift-tums«, Leipzig: Ernst Hedrich Nachf.

22 Archiv der Universitätsbibliothek Graz, Haupt- und Verwaltungsakten, Schachtel 119, Schreiben von Anton Kern an den Sicherheitsdienst des Reichsführer-SS, SD-Abschnitt Graz, 12.6.1942.

Auch versuchte man, generell alle Werke jüdischer Autoren der Benüt-zung zu entziehen – dieses Vorhaben scheiterte allerdings an Mangel von Arbeitskräften. Dennoch waren gewisse »Freiräume« in der Handhabung der Vorschriften von oberster Stelle bemerkbar. Als etwa eine Anweisung des SD vom 10. Juni 1942 dazu anhielt, sämtliche Entlehner der sekretierten Literatur ohne deren Wissen beim SD zu melden, umging man diese:

[…] doch scheint es praktisch zu einer so infamen Bespitzelung der Bi-bliotheksbenützer durch die Bibliothek nie gekommen sein, da Rückfra-gen beim SD praktisch nur im Einverständnis mit dem Antragsteller ge-macht wurden. Die meisten Antragsteller verzichteten auf die Benützung verbotener Werke, wenn ihnen die Notwendigkeit einer Rückfrage beim SD eröffnet wurde.23

Im Unterschied zu den meisten (Universitäts-)Bibliotheken des Deutschen Reichs, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft starke Etateinbußen von 20 bis zu 50 Prozent zu verkraften hatten,24 konnte die UB Graz durch die Verlegung der SS-ärztlichen Akademie von Berlin nach Graz im Septem-ber 1940 erhöhte Dotationen verzeichnen. Waren es im Studienjahr 1938 lediglich 28.159,– RM, steigerte sich die Dotation 1942 auf 48.400,–, bis sie schließlich die einmalige Summe von 80.000,– RM im Studienjahr 1943 zugesprochen bekam. Diese Einnahmen wurden vor allem für die Anschaf-fung von »Nazi-Literatur aller Tendenzgrade«25 verwendet; für die häufig gebrauchte politische NS-Literatur wurde in der Handbibliothek des Lese-saales sogar eine eigene Abteilung eingerichtet.

Insgesamt erweiterte die UB Graz ihren Bestand zwischen 1938 und 1945 um 33.300 Druckwerke, von denen ein Großteil aus den in dieser Zeit erwor-benen Nachlässen stammte. Zwischen 1940 und 1945 gelang es der UB Graz, ihren Bestand durch drei größere Nachlässe von Universitätsprofessoren mit

»wertvoller wissenschaftlicher Literatur«26 zu vergrößern, wobei der Nach-lass des Grazer Universitätsprofessors und ehemaligen Dekans der theologi-schen Fakultät (1926/27) Karl Prinz der interessanteste ist: Die UB Graz war für diese 10.000 Bände umfassende Hinterlassenschaft während des Krieges Bergungsort. Bis heute war es nicht sicher, ob der Gesamtbestand oder Teile davon in der UB verblieben sind. Die von der Autorin begonnene

23 Schreiben von Wolfgang Benndorf an die Allied Commission for Austria (British Element) (Anm. 18), 16.10.1945.

24 Vgl. Manfred Komorowski: Die wissenschaftlichen Bibliotheken während des Nationalsozialismus. In: Bibliotheken während des Nationalsozialismus. Hg. von Peter Vodosek und Manfred Komorowski. Teil 1. Wiesbaden: Harrassowitz 1989 (= Wolfenbüttler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 16), S. 1–23, hier S.

19.

25 Schreiben von Wolfgang Benndorf an die Allied Commission for Austria (British Element) (Anm. 18), 16.10.1945.

26 Ebd.

autopsie hat ergeben, dass sich einige Bücher von K. Prinz im Bestand befin-den, die nach 1945 inventarisiert worden sind. Die bei den Inventarnummern angeführten Preise lassen darauf schließen, dass zumindest Teile des Bestan-des angekauft wurden.

Vom Ausland war die Bibliothek in den Kriegsjahren weitgehend abge-schnitten; zahlreiche ausländische Zeitschriften- und Fortsetzungswerke konnten auf Grund des Krieges nicht mehr erworben werden. Um den akuten Mangel an naturwissenschaftlichen und technischen Zeitschriften auszuglei-chen, sandte das »Beschaffungsamt der Deutschen Bibliotheken« ab 1943 regelmäßig Kopien an die wissenschaftlichen Großbibliotheken des deut-schen Reiches. Der UB Wien kam dabei die Aufgabe zu, bei Bedarf Abzüge an die UB Graz und die UB Innsbruck weiterzuleiten.27

Ein eigenes Kapitel in der Erwerbungspolitik stellen die Handschriften dar. Da die UB Graz über die zweitgrößte Handschriftensammlung der

»Ostmark« verfügte (2.017 Handschriften im Jahr 1941), deren Bestand hauptsächlich aus der Zeit der Klosteraufhebungen unter Kaiser Josef II. am Ende des 18. Jahrhunderts basiert, bemühte sie sich bis 1945 fortwährend, Handschriften aus diversen durch die Nationalsozialisten aufgehobenen stei-rischen Klöstern für ihr Inventar zu gewinnen. Dies brachte sie in starke Konkurrenz mit der Steiermärkischen Landesbibliothek. Wenngleich die UB Graz immer wieder die Argumente des geschulten Fachpersonals (Anton Kern) und des umfangreichen und kostspieligen wissenschaftlichen Apparats betonte, unterlag sie bei diesen Streitigkeiten. Hauptargument für die Lan-desbibliothek seitens der Steiermärkischen Landesregierung war stets die Befürchtung, dass bei einer Überweisung diverser Handschriften an die UB Graz als eine dem Reich unterstehende Anstalt diese von Berlin angefordert werden und auf diese Weise alte Kulturgüter dem Gau Steiermark verloren gehen könnten.

Das Kapitel der Provenienzforschung als Teilbereich der Erwerbungs- bzw. Bestandspolitik sei hier insofern angesprochen, als bis heute im Bestand der UB Graz (noch) keinerlei Bücher oder Sammlungen aufgefunden wurden, die unrechtmäßig erworben worden waren. Erste Spuren führen zur Biblio-thek der SS-ärztlichen Akademie,28 die nach 1945 der Republik Österreich verfallen war und die diese der UB Graz per Erlass vom 28. Februar 1952 mit Verfügungsrecht übertrug.

27 Vgl. Archiv der Universitätsbibliothek Graz, Haupt- und Verwaltungsakten, Schachtel 119, Z. 54/1-1942/43, Schreiben des Beschaffungsamtes der Deutschen Bibliotheken Berlin an den Direktor der UB Graz, 25.1.1943.

28 Die im Jahre 1937 in Berlin gegründete SS-Ärztliche Akademie wurde im Sep-tember 1940 nach Graz verlegt, wo sie bis zum Zusammenbruch des Dritten Reichs bestand. Die Angehörigen dieser Akademie waren ausgebildete Offiziere der SS, die an der Universität studierten und eine eigene Bibliothek nutzten.

Ein weiterer, deutlicher Hinweis auf das etwaige Vorhandensein unrecht-mäßig erworbener Bücher stellt eine in den Akten gefundene Rechnung dar, wonach der Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen Graz und Leoben, Ernst Waidmann, der UB Graz am 12. Mai 1941 150,– RM zukommen ließ, die für den Ankauf von Büchern bestimmt waren, welche aus beschlagnahm-tem jüdischen Eigentum durch einen Grazer Rechtsanwalt zum Verkauf ge-langten.

Ebenso hat die UB Graz laut eines Schreibens der Preußischen Staatsbi-bliothek in Berlin vom August 1938 eine Sendung beschlagnahmter Literatur bekommen; diese Druckschriften hatte die Preußische Staatsbibliothek von beschlagnahmenden Behörden erhalten und verteilte sie an wissenschaftliche Bibliotheken. Es handelte sich hierbei um Literatur, die bei Verlagen, Leih-büchereien etc., wo viele Exemplare eines Titels lagerten, beschlagnahmt worden war. Die UB reagierte auf diese Zusendung allerdings folgenderma-ßen ablehnend:

Wir beehren uns den Empfang Ihrer Zuschrift V.A./38.285 und der darin angekündigten Sendung zu bestätigen. Mit Rücksicht auf den Raum- und Personalmangel bitten wir von weiteren derartigen Sendungen in Hin-kunft freundlichst absehen zu wollen.29

Da die Provenienzforschung der UB allerdings noch nicht abgeschlossen ist, kann an dieser Stelle lediglich auf diese Spuren verwiesen werden.