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Ein Beitrag der Provenienzforschung an der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln

»Nächstes Mal mehr davon«.1 Vor fast genau 70 Jahren, am 10. März 1938, beendet Elise Richter mit diesen Worten ihre Vorlesung an der Univer-sität Wien. Es sollte die letzte Vorlesung der 73jährigen Dozentin sein. Zwei Tage später erfolgt der »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich. Die Vereinigung war gründlich vorbereitet. Alle bereits im Deutschen Reich vollzogenen Maßnahmen wurden umgehend in Österreich durchgeführt. So galt auch das Lehrverbot für Juden aufgrund der Nürnberger Gesetze2 augen-blicklich.

Elise Richter, die erste in Österreich promovierte Dozentin, kehrte nicht mehr an die Universität zurück, wo sie 31 Jahre lang gelehrt hatte. Die Schü-lerin des Gründers der Wiener Romanistik, Adolf Mussafia (1835–1905),3

1 Christa Bittermann-Wille: Elise Richter, Leben und Werdegang.

URL: http://www.onb.ac.at/ariadne/elisbio.htm (Stand: 29.2.2008).

2 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. In: Reichsgesetzblatt. Teil 1. Nr. 34 vom 7. April 1933.

3 Neben seinen Sprach- und Dante-Studien ist sein wohl populärstes wissenschaftli-ches Werk die Italienische Sprachlehre. Noch heute publiziert sein Wiener Verlag Braumüller ein Lehr- und Übungsbuch der italienischen Umgangssprache unter dem Titel: Der neue Mussafia. Adolfo Mussafia, der sich später Adolf nannte, wurde am 15. Februar 1835 im damals zu Österreich-Ungarn gehörenden Spalato, heute Split in Kroatien, als Sohn des Rabbiners Johann Amadeus Mussafia gebo-ren. 1852 ging er nach Wien und begann dort zunächst ein Medizinstudium. Nach einigen Semestern wechselte er zum Studium der romanischen Philologie. Später bildete er an der Universität Wien zukünftige Italienischlehrer für die Gymnasien des Reiches aus. Am 9. November 1860 erfolgte die Ernennung zum außerordent-lichen Professor der romanischen Philologie an der Universität Wien. Er gilt als der Gründer der Wiener Romanistik, weil durch seine Berufung der erste romani-stische Lehrstuhl in Österreich besetzt wurde. Obwohl Mussafia keinen akademi-schen Studienabschluss vorweisen konnte, wurde er 1866 als korrespondierendes Mitglied in die philosophisch-historische Klasse der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien gewählt. Zuvor war er zum katholischen Glauben

konver-dessen Büste die Nationalsozialisten 1938 aus dem Arkadenhof der Universi-tät entfernten, hatte neben den romanischen Fächern auch allgemeine Sprachwissenschaft und Phonetik gelehrt. Trotz der langen Lehrtätigkeit blieb eine Anstellung als ordentliche Professorin im Beamtenstatus für Elise Richter unerreichbar. Aufgrund der Verordnung zur Neuordnung des öster-reichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938verweigerte ihr die Uni-versität am Ende sogar die Zahlung eines Ruhegeldes.

In den letzten Jahren wurde auf mannigfaltige Art das Andenken an Elise Richter erneuert. In Veranstaltungen, Ausstellungen, Publikationen und der Einrichtung von Internetseiten sind viele Aspekte ihres Lebens dargestellt worden. Die Universität Wien gedenkt ihrer in eindrucksvoller Weise. So trägt ein Hörsaal heute den Namen »Elise-Richter-Saal«. Im Institut für Ro-manistik der Universität Wien wurde 2005 ein wissenschaftsgeschichtlicher Arbeitskreis mit Schwerpunkt Elise und Helene Richter gegründet, dessen Ergebnisse in einem Weblog publiziert wurden.4 Im Institut selbst erinnert eine Büste an sie, die 1985 errichtet wurde.

Im gleichen Jahr fand in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek (heute Wienbibliothek im Rathaus) ein Abend für Elise Richter statt. Seit 2006 gibt es ein Elise-Richter-Programm des FWF5 zur Förderung etablierter Wissen-schafterinnen. Bemerkenswert ist außerdem der Vorschlag, der dem Senat der Universität Wien auf Initiative seitens österreichischer Studenten und Studentinnen, unterbreitet wurde, den Dr.-Karl-Lueger-Ring in »Elise-Richter-Ring« umzubenennen.6

tiert. Ehe 1867 seine Ernennung zum ordentlichen Professor der Universität Wien erfolgte, arbeite er fast zehn Jahre lang an der Wiener Hofbibliothek. 1869 verlieh die Universität Mussafia ehrenhalber den Doktortitel. 1901 berief man ihn zum Mitglied des Herrenhauses. Diese Ehre wurde neben dem Adel und der hohen Geistlichkeit nur Männern zuteil, die sich in Wissenschaft oder Kunst um das Reich verdient gemacht hatten. Seine Schülerin Elise Richter widmete ihm und Wilhelm Meyer-Lübke 1904 ihre Habilitationsschrift Ab im Romanischen. Anläss-lich seines siebzigsten Geburtstags folgten weitere Auszeichnungen, wie das Ös-terreichische Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft und der preußische Orden

»pour le mérite«, sowie eine umfangreiche Festschrift: Bausteine zur romanischen Philologie, zu der Elise Richter die Bibliographie erarbeitete. Vier Monate später, am 7. Juli 1905, starb Adolf Mussafia in Florenz. Vgl. die biographischen Anga-ben zu Adolf Mussafia bei Thierry Elsen: Adolf Mussafia: Zur 100. Wiederkehr seines Todestages. In: Elise und Helene Richter: Wissenschaftlerinnen, Jüdinnen, Wienerinnen. URL: http://richter.twoday.net (Stand: 29.2.2008); Elise Richter:

Summe des Lebens. Hg. vom Verband der Akademikerinnen Österreichs. Wien:

WUV 1997.

4 http://richter.twoday.net (Stand: 29.2.2008).

5 Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) – Österreichs zentrale Einrichtung zur Förderung der Grundlagenforschung.

6 http://richter.twoday.net/stories/589300/ (Stand: 29.2.2008).

Auch in Deutschland wird die Erinnerung an die Wissenschaftlerin ge-pflegt. Der Deutsche Romanistenverband initiierte und vergibt alle zwei Jahre einen »Elise-Richter-Preis«. Zu nennen sind auch die vielen Dokumen-te zu Leben und Werk der Wissenschaftlerin, die in der »Galerie der Romani-stinnen« angeboten werden, einem umfassenden Webangebot des Instituts für Romanische Philologie der Philipps-Universität Marburg. Die Aufzählung könnte sicherlich noch fortgeführt werden.

Abb. 21: Elise Richter

Biographisches

Elise Richter wurde am 2. März 1865 in Wien geboren. Wenn man unter dem Aspekt der NS-Provenienzforschung über Elise Richter spricht, muss die Aufmerksamkeit in gleichem Maße auch ihrer Schwester Helene gelten, mit der sie ihr Leben lang zusammen wohnte.

Helene hat sich als Autodidaktin mit anglistischen und theaterwissen-schaftlichen Studien einen Namen gemacht. Überdies war sie die Theaterre-ferentin des Burgtheaters ihrer Zeit. Ihre wissenschaftlichen Arbeiten zur englischen Romantik und ihre Shakespeare-Studien wurden im Jahr 1931, anlässlich ihres siebzigsten Geburtstags, durch die Verleihung der Ehrendok-torwürde der Universitäten Heidelberg und Erlangen gewürdigt.

Von Kind an erhielt Elise gemeinsam mit ihrer Schwester im Hause ihres Vaters, des Sanitätsarztes Maximilian Richter, Privatunterricht. Die Ausbil-dung der Mädchen aus gutbürgerlichem Haus war nahezu umfassend. Den Unterricht erteilte eine preußische Gouvernante. Der von beiden ersehnte Besuch eines Gymnasiums war zur damaligen Zeit für Mädchen noch völlig ausgeschlossen; an ein Studium gar nicht zu denken.7

Nach dem Tod der Eltern – die Mutter starb 1889, der Vater im Jahr dar-auf – finanziell unabhängig, widmen sich beide ihren wissenschaftlichen Studien. So nutzen sie ab 1890 die Gelegenheit, dass einige Professoren sie als Gasthörerinnen zulassen. Die Chance, das von Elise ersehnte Studium zu absolvieren, ergibt sich jedoch erst einige Jahre später. Endlich wurde es Mädchen gestattet, zur Matura anzutreten. Elise, mittlerweile 32 Jahre alt, nützt die Möglichkeit und maturiert am 15. Juli 1897 als Externe am Akade-mischen Gymnasium in Wien. Noch im gleichen Sommer schreibt sie sich an der Philosophischen Fakultät der Universität ein. Ihre Studienfächer sind Romanistik, Germanistik, Indogermanistik, allgemeine Sprachwissenschaft und klassische Philologie. Jetzt stehen ihr auch die Vorlesungen des väterli-chen Freundes Mussafia offen. Er, aber vor allem Wilhelm Meyer-Lübke, werden ihre Lehrer. Die Beziehung zu Adolf Mussafia bleibt eng; eine Zeit-lang wohnen die Schwestern sogar im gleichen Haus wie er.

Vier Jahre später promoviert Elise bei Meyer-Lübke. 1904 habilitiert sie sich und wird im darauf folgenden Jahr die erste Privatdozentin Österreichs.

Auch in Deutschland gibt es zu dieser Zeit noch keine Frau als Dozentin an einer Universität. Die Bestätigung der Lehrerlaubnis aus dem Ministerium lässt allerdings Jahre auf sich warten. So darf Elise Richter erst 1907 ihre erste Vorlesung halten. Erst 1921 wird sie außerordentliche Professorin. 1927 erhält sie einen Lehrauftrag für Sprachwissenschaft und Phonetik und damit

7 Die Gründung der ersten Mädchengymnasien erfolgte in Österreich 1892, in Deutschland im Jahr 1893.

erstmals eine Bezahlung ihrer Lehrtätigkeit seitens der Universität. Der Lehr-auftrag umfasst allerdings nur zwei Wochenstunden.8

Der Titel der ersten im Jahr 1980 erschienenen Biographie über Elise Richter lautet Frau und »Jüdin« an der Universität.9 Dieser Titel, in dem das Wort Jüdin in Anführungszeichen steht, trägt dem Besonderen, aber auch dem ideologisch letztlich nicht zu Überwindenden an Elise Richters Position als »unbeamteter Titularprofessor«10 ohne Bezüge Rechnung.11

Das formale Defizit verhindert allerdings nicht, dass sie mit den Jahren zur anerkannten Wissenschaftlerin avanciert. Für den Bereich der Phonetik darf man sie als Pionierin bezeichnen.

Privat engagiert sie sich in sozialen Projekten wie der Einrichtung von Kinderhorten und gemeinsam mit Helene in der neugegründeten Volkshoch-schule: »Mit Begeisterung vernahmen wir den Ruf und übernahmen die Auf-gabe, Bildung ins Volk zu tragen.«12

Insbesondere die Mädchenförderung liegt ihr am Herzen. Sie gründet die österreichische Sektion der »International Federation of University Women«, den »Verband der Akademischen Frauen«. Aber sie distanziert sich von der Frauenbewegung: »Als Frauenrechtlerin konnte ich meinen Weg in der Uni-versität nicht machen, ich musste nicht nur meine ganze Kraft auf die Arbeit richten, sondern auch den Schein des Frauenrechtlertums vermeiden.«13

Dennoch ist sie in den 1920er Jahren politisch aktiv. Ihre Unterstützung gilt der »Bürgerlich-demokratischen Arbeiterpartei« des 1918 als Außenmi-nister zurückgetretenen Grafen Ottokar Czernin. Sie wird in den Parteivor-stand berufen und erarbeitet ein neues Schulgesetz.14 Mit Czernin stellt die Partei allerdings nur einen einzigen Abgeordneten im Nationalrat. In der Summe des Lebens urteilt sie über diese Zeit wie folgt: »War meine politische Tätigkeit in ihrer Wirkung nach außen auch gleich Null, so war der innere Gewinn nicht gering anzuschlagen.«

Zum privaten Bereich gehört auch das im Laufe vieler Jahre entwickelte gemeinsame Netzwerk von Wissenschaftlern, Künstlern, Schriftstellern, Politikern und Fachkollegen.

8 Bittermann-Wille: Elise Richter (Anm. 1).

9 Hans Helmut Christmann: Frau und »Jüdin« an der Universität: die Romanistin Elise Richter. Mainz: Akademie der Wissenschaften und der Literatur 1980 (=

Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse / Akademie der Wissenschaften und der Literatur 1980, 2).

10 Richter: Summe des Lebens (Anm. 3), S. 115.

11 Erst durch den im August 1927 verliehenen Lehrauftrag im Ausmaß von zwei Stunden stehen ihr Bezüge zu. Siehe dazu auch Bittermann-Wille: Elise Richter (Anm. 1).

12 Richter: Summe des Lebens (Anm. 3), S. 166.

13 Ebd., S. 210.

14 Ebd., S. 197.

1895 waren Elise und Helene in ihr selbst entworfenes Haus in der Wei-marer Straße 83 im 19. Wiener Gemeindebezirk eingezogen. Dort begann 1906 der montägliche »jour fixe«. Der in Wien geborene Romanist und Schü-ler von Elise, Leo Spitzer, der bis zu seiner Entlassung durch die Nationalso-zialisten im Jahr 1935 Ordinarius des Romanischen Seminars der Universität Köln war, beschreibt den von den Schwestern geführten Salon:

Bei dem allwöchentlichen »jour« traf sich die bürgerliche Aristokratie der Stadt, alles was Namen hatte in Kunst, Wissenschaft und Staatsver-waltung; es gab keine Ausstellung, kein Konzert, keine Theaterauffüh-rung von Bedeutung, denen die gelehrten Schwestern nicht beigewohnt, kein epochemachendes Buch, das sie in ihrem Kreise undiskutiert gelas-sen hatten.15

Auch ehemalige Studenten und Schüler waren gern gesehene Gäste.

Daneben zeugt die umfangreiche Korrespondenz der Schwestern von ihrem gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Austausch.

Abb. 22: Helene Richter

15 Leo Spitzer: In Memoriam Elise Richter. In: Romance Philology 1 (1948), S. 329–

341, hier S. 331.

1938–1943

Mit dem Jahr 1938 beginnt für Elise Richter und ihre Schwester Helene eine Zeit grausamster Härte. Auf das Lehrverbot folgt das Bibliotheksverbot.

Die den Juden aufgebürdete Steuerlast führt zu massiven finanziellen Pro-blemen. Die alten Damen leben in der ständigen Angst, ihr Heim zu verlieren und deportiert zu werden.

Alle ihre Befürchtungen treffen ein. Im Frühjahr 1942 müssen sie ihr Haus verlassen und werden in ein jüdisches Altersheim gebracht. Dies ist aber nur eine Zwischenstation; ein paar Monate später, im Oktober, werden beide mit einem der letzten Wiener Transporte in das Konzentrationslager Theresien-stadt deportiert. Die 82jährige Helene überlebt die Strapazen nur vier Wo-chen. Sie stirbt am 8. November. Elise überlebt neun Monate im Konzentra-tionslager. Sie stirbt am 21. Juni 1943 im Alter von 78 Jahren.

Der Nachlass von Elise Richter befindet sich heute in drei Bibliotheken.

Ihre Tagebücher und privaten Dokumente sind im Besitz der Wienbibliothek.

Es handelt sich dabei um die 1941 von Elise Richter an die Bibliothekarin Christine Rohr von Denta übergebenen Dokumente, die diese 1947 den Städ-tischen Sammlungen Wien überantwortete, als sicher war, dass keine der Schwestern überlebt hatte. Christine Rohr von Denta war Bibliothekarin der Österreichischen Nationalbibliothek und hatte bei Elise Richter Romanische Philologie und Vergleichende Sprachwissenschaften studiert. Auch sie gehör-te zum Kreis der ehemaligen Studentinnen und Studengehör-ten, die der Dozentin über das Studium hinaus verbunden blieben.

Die Österreichische Nationalbibliothek ist im Besitz der Theatersammlung von Helene sowie der Autographensammlung von Elise Richter. Außerdem fanden sich einige Bücher der gemeinsamen Bibliothek der Schwestern. In der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln befindet sich der größte Teil der einst beachtlichen Büchersammlung.

Die finanzielle Notlage, in welche die Schwestern nach 1938 gerieten, führte zwangsläufig auch zum Verlust ihrer umfangreichen Privatbibliothek.

Bereits 1938/39 verkauft Elise hundert ihrer wertvollsten Bücher. Sie be-schreibt den Vorgang mit den Worten: »Es war der erste ›Leichenwagen‹, der sie fortführte. 1.700 Bände von Helenes englischer Bibliothek folgen.«16 Als sich die Gelegenheit bot, die verbliebene Bibliothek zu veräußern, blieb ne-ben der finanziellen Perspektive, die ein Überlene-ben ermöglichen sollte, wohl nur der tröstliche Aspekt, dass die über Jahrzehnte gewachsene wertvolle Sammlung weiterhin der Wissenschaft dienen würde.

So kommt 1941 der Kontakt zur Universitäts- und Stadtbibliothek (USB) Köln zustande, der schließlich zum Verkauf des größten Teils ihrer

16 Richter: Summe des Lebens (Anm. 3), S. 220.

thek führt.17 Die USB Köln erwirbt ca. 2.700 Bände romanistischer und an-glistischer Bücher. Die Autographen- und Theatersammlung der Schwestern erwarb die Kölner Bibliothek für die Nationalbibliothek Wien. Der damalige Kaufpreis beläuft sich auf insgesamt 6.000 Reichsmark. Was aus der »ver-tragsmässig [sic] nicht nach Köln zu liefernden Bibliothek geworden ist« – es handelt sich um »rund 2.000 Bände«18 – ist bislang nicht bekannt.

Die Bibliothek Richter heute

Seit 2005 sind die noch in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln vor-handenen Bücher der Richter-Bibliothek ermittelt worden. Grundlage der Recherche waren die von Elise für die USB Köln erstellten Bücherlisten, die allerdings nicht (mehr) vollständig erhalten sind. Im günstigsten Fall fand sich ein Exemplar, das das Exlibris der Schwestern zierte. Dieses auffällige Besitzkennzeichen der Bücher ist ein vom Wiener Graphiker Alfred Coss-mann geschaffenes Exlibris mit dem Lebensmotto der Schwestern Richter:

der »Gaya Scienzia« – der fröhlichen Wissenschaft.

Die Arbeiten konnten Ende 2007 abgeschlossen werden. Alle ermittelten Bücher wurden aus dem Büchermagazin herausgenommen, auf einem Son-derstandort zusammengestellt und in einem eigenen Online-Katalog erfasst.

Die Suche nach den Fragmenten der Bibliothek Richter ist von Beginn an online dokumentiert worden. Der nun vollständige Katalog und die Doku-mentation sind in das Internetportal »Virtuelle Bibliothek Elise und Helene Richter« implementiert worden.19

Als Ergebnis der Rekonstruktion der Richterschen Bibliothek ist festzu-halten, dass von den 2.235 Titeln der Bücherlisten nur noch 534 Titel aus dem Richterbesitz nachweisbar sind. Das bedeutet, drei Viertel der erworbe-nen Bücher wurden nicht in den Bestand der USB Köln aufgenommen und gelten heute als vermisst.

Elise Richter war auch in der Kölner Bibliothek nie völlig vergessen. So wurde ihre Büchersammlung in einigen Publikationen der USB erwähnt.20

17 Ausführlich zur Erwerbungsgeschichte der Richterbibliothek: Christiane Hoffrath:

Die Bibliothek der Geschwister Elise und Helene Richter in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln. In: NS-Raubgut in Bibliotheken. Suche, Ergebnisse, Per-spektiven. Drittes Hannoversches Symposium. Hg. von Regine Dehnel. Frank-furt/M.: Klostermann 2008 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderband 94), S. 127–138.

18 Universitätsarchiv Köln, Akte Richter, Auszug aus einem Brief von Elise Richter an den Ersten Direktor der Nationalbibliothek Robert Teichl, 15.6.1942.

19 http://richterbibliothek.ub.uni-koeln.de (Stand: 29.2.2008).

20 Vgl. Isolde Burr: Fritz Schalk (1902–1980). In: Kölner Sammler und ihre Bücher-kollektionen in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln. Gelehrte, Diplomaten, Unternehmer. Red. Gernot U. Gabel. Köln: Univ.- und Stadtbibliothek Köln 2003 (= Schriften der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln 13), S. 197–209; Gunther

Eine Thematisierung der damaligen Erwerbung im Sinne von NS-Raubgut fand damals allerdings nicht statt.

Auch wenn letztlich nur ein Viertel der ursprünglichen Bibliothek in der USB Köln erhalten geblieben ist, so hat der Bestand, der weiterhin im Sinne Elise Richters der Wissenschaft dient und für alle Bibliotheksbenutzer zur Verfügung steht, eine besondere Behandlung erfahren. Die gefundenen Bü-cher wurden aus dem Magazin herausgenommen und zunächst auf einen Sonderstandort gestellt. Sofern sich ein begründeter Restitutionsanspruch seitens Erben der Geschwister ergibt, ist die USB Köln selbstverständlich bereit zu restituieren. Sollten sich keine Erben finden lassen, werden die Bücher zukünftig geschlossen aufgestellt. Eine neue Signaturengruppe

»Richter« würde die Geschichte der Bücher verdeutlichen und vor dem er-neuten Vergessen bewahren. Des Weiteren wird es in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln im Januar und Februar 2009 eine Ausstellung zum Thema »Elise und Helene Richter: die Geschichte einer Gelehrtenbibliothek im ›Dritten Reich‹« geben. Ende 2008 wird ein Buch über Elise und Helene Richter und die Geschichte ihrer Bibliothek erscheinen.

Widmungsexemplare

Ein interessanter Aspekt der Richter-Bibliothek ergab sich durch die Widmungen in den Büchern, denn selbst die Reste der Büchersammlung erlauben durch die vorhandenen Provenienzeinträge einen Einblick in das Netzwerk der Schwestern. Den Spuren dieses Netzwerkes zu folgen, geht womöglich über die Aufgabe der reinen NS-Provenienzforschung hinaus, doch stellen die persönlichen Grüße, Gedichte und Besitzvermerke wichtige Quellen dar, die uns ein Fenster in die »Welt von Gestern« öffnen.

Quarg: Vom Kettenbuch zur Collage. Bucheinbände des 15. bis 20. Jahrhunderts aus den Sammlungen der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln. Köln: Univ.- und Stadtbibliothek Köln 2002 (= Schriften der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln 12), S. 150.

Abb. 23: Büste von Adolf Mussafia im Arkadenhof der Universität Wien

Adolf Mussafia

Der Name, der am häufigsten in den noch vorhandenen Büchern eingetra-gen ist, lautet Adolf Mussafia. Insgesamt handelt es sich um zehn Bücher mit Besitzeinträgen oder Widmungen von diesem bereits erwähnten Mentor Elise Richters.

Professor Mussafia lernte Elise und Helene 1891 im steirischen Aussee kennen. Zwar verweigerte er den Schwestern zunächst, in seine Vorlesungen kommen zu dürfen, förderte aber insbesondere Elise, die ab 1897 als offiziel-le Studentin nun auch seine Hörerin wird.

Es lassen sich drei verschiedene Zugangsarten von Mussafia-Büchern in die Bibliothek Richter nachweisen. Drei Bücher weisen eine handschriftliche Widmung von ihm an die Schwestern auf. Diese Werke stammen aus den Jahren 1886, 1893 und 1895. Daneben finden sich fünf Bände mit Widmun-gen an Mussafia.

Einige Bücher überließ er Elise Richter unter der Bedingung, »den ihm unnützen Kram nie wieder zu bringen«.21 Weitere Bücher erwarb Elise aus dem Nachlass des Romanisten.22 Wo sich der Rest seiner umfangreichen Bibliothek, deren Signatur in zwei Bänden erhalten blieb, heute befindet, ist unbekannt. Bemerkenswert ist, dass die meisten nun gefundenen Bücher nicht in den Richter-Listen aufgeführt wurden. Nur durch eine systematische Überprüfung aller in der USB Köln vorhandenen Werke von Adolf Mussafia konnten so die insgesamt 14 Bücher aus dem Besitz von Elise Richter gefun-den wergefun-den.

Stefan Zweig, Romain Rolland und Henri Barbusse

Anhand eines Buches soll auf einen Teil des politischen Netzwerkes von Elise Richter aufmerksam gemacht werden. Das Buch führt zu weiteren Bän-den ihrer Bibliothek, die alle unter einem bestimmten Aspekt miteinander in Verbindung stehen. Gemeinsam bieten sie einen Einblick in eine literarische und politische Episode aus dem Jahr 1920.

Durch den Fund des recht unscheinbaren Büchleins fällt Licht auf eine

Durch den Fund des recht unscheinbaren Büchleins fällt Licht auf eine