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Patientenangaben zum Themenkomplex „Freiheit“ sowie zu den Themen

Im Dokument 3. ERGEBNISSE FORENSISCHE PSYCHIATRIE (Seite 178-182)

4. ERGEBNISSE SUCHTPSYCHIATRIE

5.3 Freiheit

5.3.1 Patientenangaben zum Themenkomplex „Freiheit“ sowie zu den Themen

Aus Gründen der Übersichtlichkeit sollen zunächst die Items des Themenkomplex „Freiheit“

behandelt werden bevor wir uns den Themen Schweigepflicht, Lügen und Abhängigkeit zuwenden.

Die Angaben unserer beiden Populationen sind zu einem größeren Teil nicht gleich, auch wenn sich in machen Fällen nur ein Trend verstärkt. Dies kann ein grundsätzlicher Unterschied zwischen forensischer und nicht-forensischer Psychiatrie sein, nicht zuletzt da auch innerhalb der Forensikpopulation bei diesem Thema nicht nach den Merkmalen

„Rechtsgrundlage“ und „Erkrankung“ unterschieden werden kann. In medias res gegangen halten wir fest, dass sich beide Patientenstichproben darin gleichen, dass sie sich eher weniger Freiheiten gegen den Willen des Teams nehmen, dass ca. der Hälfte der Patienten zum Selbstschutz Freiheiten vorenthalten werden, dass sie eher nicht lügen, um in Freiheit zu gelangen und dass Entscheidungen zu freiheitsbeschränkenden Maßnahmen einigermaßen gut nachvollziehbar sind. Paternalistische Begründungen im eigentlichen Sinne zum Freiheitsentzug finden also bei ca. der Hälfte der Patienten Anwendung, womit jedoch nicht geklärt ist, inwieweit generell und wenn mit welcher Begründungen Freiheiten beschnitten werden. Für einen großen Teil der Patienten sind die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen jedoch gut nachvollziehbar, wobei nicht vergessen werden darf, dass 12 bis 20 % der Patienten hierbei die Einschicht fehlt. Doch wie auch immer die Bewertung durch die Patienten aussieht, offenen Widerstand und Lügen sehen die Patienten nicht bewusst als Mittel des „Freiheitskampfes“ an. Wie wir jedoch durch die Bewertung der Therapeuten zumindest des Lügens gesehen haben, sind diese Einschätzungen nicht unbedingt glaubhaft.

Nicht unbedingt weil den Patienten Eitelkeit hinsichtlich der Beantwortung der Fragen zu unterstellen ist (das hofften wir durch die Anonymisierung ausgeschaltet zu haben), sondern weil ihre Selbstwahrnehmung hinsichtlich dieses Verhaltens auch krankheitsbedingt gestört sein mag. So findet sich bei antisozial Persönlichkeitsgestörten, bei denen fast immer auch delinquentes Verhalten zu beobachten ist, auch sehr oft pathologisches Lügen. [58]

Zur Vollständigkeit sollten noch die signifikanten Unterschiede zwischen den Untergruppen der Merkmale miteinbezogen werden. Patienten in Lockerungsstufe 0, also während einer

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Gewöhnungsphase ohne große Freiheiten, nehmen sich verstärkt Freiheiten nehmen, die ihnen nicht zugestanden wurden, vermutlich eben weil sie nicht viel Freiheiten genießen und das Gefühl haben sich so welche beschaffen zu müssen. Für die Interpretation der Unterschiede beim Merkmal „Delikt“ fehlt ein allgemeines Konzept, dass die in dieser Arbeit zuhauf gefundenen Unterschiede erklären würde, während an Persönlichkeitsklassifikationen für einzelne Delikte kein Mangel herrscht.

Betrachten wir nun die Items bei denen sich die beiden Populationen unterscheiden. Während die Forensik-Patienten es ablehnen Freiheitsverluste wegen Regelverstöße hinzunehmen, finden dies Suchtpsychiatriepatienten zumeist richtig. Der Umgang mit Rückschlägen beim Stufenplan berührt die innere Haltung zum Umgang mit eigenen Fehlern. So kann man entweder das eigene Irren eingestehen und daraus für die Zukunft lernen, oder man wehrt die Verantwortung ab und gibt anderen die Schuld für die Situation. Die Zuordenbarkeit einer Tat, und damit auch derer Konsequenzen, zu einer Person ist als Verantwortlichkeit die Voraussetzung für die Haftung für eine Tat. Der Mangel an Verantwortlichkeit stellt bei den Maßregelvollzugspatienten nun aber den Grund für ihre Unterbringung dar. Ist also die Ablehnung der Verantwortlichkeit durch die Forensik-Patienten nun einfach konsequent, da sie ihr Problem einfach anerkennen und sozusagen in den zu bestrafenden Situationen nicht anders konnten, oder suchen sich diese Patienten diese Rolle einfach aus, um Bestrafungen zu entgehen, was gemeinhin als unreif angesehen würde? Oder kurz und prägnant: „Bad or mad?“ Dies zu unterscheiden und dementsprechend zu entscheiden ist wohl die tägliche Herausforderung für die forensischen Therapeuten, während die Suchtpsychiatrietherapeuten wohl mit einer höheren Anerkennung ihres Tuns rechnen dürfen.

Für die Population der Forensikpatienten sind an dieser Stelle noch die signifikanten Unterschiede zwischen den Untergruppen der Merkmale zu behandeln. So sehen Patienten, die vorher bereits im Maßregelvollzug Bestrafungen eher ein, als solche die es nicht waren, was auf einen gewissen erzieherischen Effekt der Forensik hinweisen mag und das beständige Einüben von Tat und Konsequenz das Gefühl der Verantwortlichkeit zu stärken in der Lage sein könnte. Der Umstand, dass Patienten ohne Wissen um die weitere Unterbringungsdauer, die Einsicht für Strafen eher fehlt, als solchen, die wissen wie lange sie noch untergebracht sein werden, wobei der Zeitraum von einem Jahr wohl die Stimmungsscheide darstellt, erklärt sich vielleicht dadurch, dass für Patienten, die nicht wissen wie lange sie eine Situation noch zu erdulden haben, eine Strafe umso schlimmer und ungerechter wirken wird. Die Bestrafung von Sisyphos, um einmal ein literarisches Beispiel zu wählen, erfährt ihre absolute Verschärfung ja auch dadurch, dass sie in Ewigkeit andauert.

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Als weiterer und anderer Aspekt ist Freiheitsgewinn als einzige Therapiemotivation für Maßregelvollzugspatienten eher nicht ausschlaggebend, wobei sich bei den Suchtpsychiatriepatienten diese Tendenz deutlich verstärkt. Dieses Ergebnis ist für sich stehend überraschend und wirft einige Fragen auf, vor allem da unfreiwillige Einweisungen sogar zu einer Verbesserung der Therapiemotivation führen [59]. Wenn also nicht der Freiheitsgewinn bei unfreiwilligen Einweisungen die Therapiemotivation begründet, so müssen innere Gründe, womöglich auch der Gewinn innerer Freiheit, verantwortlich sein.

Betrachtungen dazu müssen aber spekulativ bleiben und bedürfeneiner weiteren Erforschung.

Schließlich als letzter Aspekt ist für Forensikpatienten klar, dass zu viel Einfluss auf ihren Tagesablauf genommen wird, während Suchtpsychiatriepatienten hierbei eher geteilter Meinung sind. Dies mag in anderen organisatorischen Strukturen begründet sein, denn im Maßregelvollzug als eigenständiger Klinik muss eine Vielzahl eigener Therapieangebote koordiniert werden, was eine verlässliche Strukturierung verlangt, während in der Suchtpsychiatrie, vor allem das Personal der einen Station die Angebote begleitet und damit zeitlich flexibler ist.

Die oben behandelten Items greifen wohl zu kurz, um daraus eine Variable „Freiheit“ zu bilden, was angesichts der Komplexität der Materie eigentlich nicht verwundert. Dennoch mag es für unsere Diskussion hilfreich sein angesichts dieser pragmatischen Vereinfachung für eine weitere Untersuchung, mit einem solideren geistigen Unterbau, zumindest Trends aufzuzeigen. So fühlen sich Patienten mit Abitur oder mittlerer Reife, BtmG-Delinquenten und Patienten ohne Wissen um die weitere Unterbringungsdauer weniger frei als andere Patienten ihrer Gruppe. Da die Wahrnehmung von Freiheit auch erst in der Reflexion geschehen kann (vgl. [2] S.3), ist es nicht verwunderlich, dass besser gebildete Patienten durch ihr besseres Reflexionsvermögen die Einschränkungen auch stärker wahrnehmen.

Wenn das Ende der Freiheitseinschränkung nicht in Sicht ist, so erscheint es offensichtlich plausibel, dass die Unfreiheit als stärker empfunden wird. Die Unterscheidung anhand der Straftaten entzieht sich mir einer unmittelbar einsehbaren Begründung, doch sei, zusammenfassend, im Sinne eines allgemeinen Konzept, darauf hingewiesen, dass BtmG-Delinquenten häufiger um Rat fragen, sich weniger frei fühlen, sich gleichzeitig weniger Freiheiten nehmen und Bestrafungen besser tolerieren. Handelt es sich hierbei um Musterpatienten, die sich aber aufgrund ihrer Angepasstheit unfreier fühlen?

Fahren wir nun mit dem Thema Abhängigkeit fort, so ist zunächst Kritik zu üben. Lediglich danach zu fragen, ob der Therapeut möglichst oft um Rat gefragt wird, hält als Maßstab für

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die Abhängigkeit schon etwas genauerem Nachdenken nicht stand. Denn Patienten können aus verschiedenen Motiven heraus ihren Therapeuten um Rat fragen, z.B. einfach um einen Vorwand zu haben dessen Aufmerksamkeit zu erlangen. Erst wenn die betreffenden Patienten auch wirklich alles tun, was sie aktiv beständig erfragt haben, kommt man in den Bereich der Abhängigkeit. Auf der anderen Seite ist das möglichst häufige um Rat fragen schon eine Voraussetzung für die Abhängigkeit, weshalb dessen Fehlen gegen eine Abhängigkeit spräche. Die Suchtpsychiatrie zeigt ein geteiltes Bild mit Extremen auf beiden Seiten, was angesichts des methodischen Fehlers keine sinnvolle Einordnung zulässt. Forensikpatienten dagegen fragen tendenziell häufig um Rat. Beziehen wir die Therapeutenmeinung mit ein, so hat dieses Verhalten eher nichts mit Abhängigkeit zu tun. Wahrscheinlicher besteht Klärungsbedarf bezüglich des Erlaubten im Stufenprogramm, damit wirkungsvoll Bestrafungen entgangen werden kann. Hinweise für große innere Unfreiheit lassen sich also nicht ableiten.

Eine echte Ausnahme bietet uns das Item zum Thema Lügen (Item 37), denn zu lügen verneinen übereinstimmend beide Populationen, wie übrigens auch schon bei Item 23. Die Therapeuten gehen jedoch sehr wohl davon aus belogen zu werden (siehe unten), weshalb der bekannte Hang zum Selbstbetrug psychiatrischer Patienten verantwortlich sein könnte.

O’Mahony sieht in diesem Selbstbetrug einen natürlichen Prozess der Verarbeitung psychischer Erkrankung [60]. Moore fand heraus, dass Schizophrene dann verstärkt depressive Symptome zeigen, wenn sie Selbstbetrug vermissen lassen [61]. So gesehen dient Lügen im Bezug auf einen selbst zu einem selbst dem Selbstschutz psychisch Kranker. Wer aber sich selbst belügt kann auch nicht ehrlich zu anderen sein, sonst würde er ja mitbekommen, dass er sich belügt. Denn „Wie kann ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?“ wie E. M. Foster in „Wiedersehen in Howards End“ fragen lässt. Der nächste konsequente Schritt ist, auch darüber zu lügen, dass man lügt, sonst müsste man sich damit auseinandersetzen worüber man lügt. Diese Argumentation soll lediglich deutlich machen, dass Patienten wenn sie nicht zum Erreichen äußerer Freiheit lügen, dies möglicherweise wegen einer inneren Unfreiheit tun. Nicht umsonst sieht Renshaw in seiner Klassifikation von Lügnern Patienten mit Psychosen oder organischen Hirnsyndromen als eigene Kategorie vor [62].

Das Thema Schweigepflicht hat sich insgesamt als wenig strittig herausgestellt, denn die Patienten fürchten (zu Recht) eher in Einzelfällen eine Verletzung.

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Schließlich ist noch zu behandeln, ob die Patienten durch die Therapie ihren eigenen Willen besser verstehen, was als Teil der Willensfreiheit anzusehen ist, denn so hängt die Freiheit des Willens von der freien Bildung desselbigen ab, was als Prozess zu verstehen ist. Hierbei können innere Zwänge, Süchte, starke Affekte usw. stören (vgl. [57] S. 3. ff.). Das hoch komplexe Thema der Willensfreiheit wird nicht anhand eines Items zu erfassen sein, doch kann es als Indikator dienen. Die Patienten haben mehrheitlich das Gefühl, ihren Willen durch die Therapie besser zu verstehen. Unter den Maßregelvollzugspatienten geben Patienten in Stufe C und solche mit mehr als 4 Jahren Unterbringungsdauer signifikant weniger dieses Gefühl an. Dies zeigt vermutlich, dass diese Art der Selbsterfahrung in ihrem zeitlichen Umfang auch ihre Grenzen hat und eher zu Beginn der Therapie stattfindet. Dennoch kann man wohl mit der Therapie unter diesem Aspekt zufrieden sein. Ich denke sogar man kann dies als Hinweis sehen, dass durch die Therapie die innere Freiheit der Patienten begünstigt wird.

5.3.2 Therapeutenangaben zu den Themen Schweigepflicht, Intuition, Lügen und

Im Dokument 3. ERGEBNISSE FORENSISCHE PSYCHIATRIE (Seite 178-182)