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Angaben der Patienten

Im Dokument 3. ERGEBNISSE FORENSISCHE PSYCHIATRIE (Seite 164-169)

4. ERGEBNISSE SUCHTPSYCHIATRIE

5.2 Beziehungsstile nach Emanuel und Emanuel

5.2.2 Angaben der Patienten

Nach allgemeinen Betrachtungen ist nun zu untersuchen, wie sich die Patienten letztlich zu den Beziehungen zu ihren Psychotherapeuten und Ärzten äußerten. Zunächst ist anzumerken, dass nur zwischen 11,1(Su) und 22,2(Fo)% der Patienten ihren Therapeuten wechseln wollten, wobei wohl in der Hälfte der Fälle die Beziehung zum Therapeuten der Grund dafür war. Aus diesen Zahlen ist einerseits abzuleiten, dass die Mehrzahl der Patienten mit ihren Therapeuten auszukommen scheint, wenn dies jedoch nicht der Fall ist, dann ist die Beziehung verantwortlich zu machen.

Da sich die Angaben von beiden Patientenpopulationen im Bezug auf beide Berufsgruppen in ihrer Tendenz entsprechen, kann die Diskussion über diesen Aspekt gemeinsam erfolgen. So wird der paternalistische Stil generell abgelehnt und herrscht aber auch nicht deutlich vor,

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wenngleich bei diesem als einzigem ein Überschuss in der Realität gegenüber dem Wunsch beobachtet wird. Die anderen Beziehungsstile können nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden (siehe oben), so werden diese gemeinsam bevorzugt und herrschen vor, obgleich trotzdem ein Mangel wahrgenommen wird. Besonders Augenmerk verdient, die Feststellung, dass nahezu immer alle Extremwerte vertreten sind, dass sich also immer Patienten finden, die einen Stil voll oder gar nicht verwirklicht sehen bzw. sich ganz oder gar nicht wünschen. Die Einschätzungen von und Wünsche zu den Beziehungen zu den Psychotherapeuten sind also so individuell wie die Patienten selbst. Geht man nun nur von den Wünschen der Patienten aus stellen sich also die verschiedensten und extremsten Anforderungen an die Therapeuten. Wie Kottje-Birnbacher und Birnbacher beschreiben sei es eben nicht die Aufgabe des Therapeuten gerade in der Beziehungsgestaltung alleine auf den Wunsch des Patienten einzugehen, da hierbei die Gefahr bestehe durch den Patienten missbraucht zu werden. Dies sei dann der Fall, wenn der Patient im Grunde an seiner Situation nichts ändern wolle, sondern lediglich durch den Therapeuten stabilisiert werden wolle. Indem der Therapeut vor Konfrontationen zurückschrecke, bekomme der Patient zu wenig von dem was er brauche, sodass sich auch keine Änderung bei diesem einstellen könne ([10] S. 48). Ein Hinweis darauf, dass die Therapeuten auch entsprechend agieren, geben die Diskrepanzwerte. Im Mittel fallen diese zwar nicht extrem aus, jedoch zeigen sich auch hier in Einzelfällen Extremwerte, als Ausdruck der maximalen Abweichung von Wunsch und Realität. Auch hier gilt wieder, dass es sich die Beziehungsgestaltung insgesamt um ein Abwägen im Einzelfall handelt, bzw.

„eine Sensibilisierung für moralische Konfliktsituationen“ ([10] S. 49). Wurde soeben nur die Situation psychotherapeutischen Beziehung diskutiert müssen auch noch Überlegungen zur Arzt-Patienten-Beziehung angestellt werden, wo sich auch alle Extremwerte finden. Kann auch bei dieser Beziehung die Fürsorge für die Weiterentwicklung des Patienten über dem Patientenwunsch zur Beziehungsgestaltung stehen? Zunächst steht in der betrachteten Population die Psychotherapie im Vordergrund und der konsultierte Arzt muss entscheiden, ob die Patientenbeschwerden somatischen Ursprungs sind oder vorgeschoben werden, um die Klinik verlassen zu dürfen (siehe auch 2.1.4). In letzteren Situationen wäre der Arzt angehalten - als ärztlicher Psychotherapeut agierend - , die Konfrontation zu suchen und dem Patienten in der Beziehung zu geben, was er braucht, nicht was er wünscht. Dies erfordert ein hohes Maß an Sensibilität für die Bedürfnisse, Wünsche und Psycho-Pathomechanismen des Patienten und den daraus erwachsenden ethischen Verpflichtungen für den Arzt. Diese Situationen kann der Arzt aber nur dann erfolgreich meistern, wenn ihm dabei nicht unzureichendes psychotherapeutisches Fachwissen oder persönlichkeitsbedingte

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Unzulänglichkeiten im Wege stehen (vgl. [10] S. 47). Um die Frage, ob Fürsorge über Autonomie stehen kann, umfassend zu klären, müssen auch die Situationen betrachtet werden, in denen eine psychotherapeutisch motivierte Intervention nicht indiziert ist, sondern lediglich eine somatische Intervention ansteht. Dörner würde dies befürworten, denn er lehnt den Rückzug des Arztes auf eine rein Informations-vermittelnde Rolle ab und fordert eine Sorge-Ethik, die der „Verantwortung zur Fürsorge“ des Arztes Sorge trägt erwachsend aus der Asymmetrie des Arzt-Patienten-Verhältnis und der Verletzbarkeit des hilflosen Kranken, die der Letztverantwortung des Arztes gerecht wird und das Patientenwohl anstatt die absolute Selbstbestimmung des Patienten in den Vordergrund stellt. ([16] S. 24ff u. S. 246) In welcher Rolle der Arzt auch agieren mag, ob als Psychotherapeut oder klassisch ärztlich, die Gestaltung der Beziehung zum Patienten kommt nicht ohne die Reflexion über das Menschsein des Patienten aus und trägt eine größere Verpflichtung in sich als die Weitergabe von Information und Vorbereitung von therapeutischen Maßnahmen [45].

Nach den allgemeinen Betrachtungen über die Beziehungsstile in beiden Psychiatrie-Populationen verlangen noch die ermittelten Unterschiede zwischen den Untergruppen der Forensik-Population unsere Aufmerksamkeit.

Den Therapeuten als Freund (deliberativer Beziehungsstil) nehmen besonders Patienten ohne Bildungsabschluss und solche ohne Wissen um die weitere Unterbringungsdauer wahr.

Besonders stark solch einen Therapeuten wünschen sich D-Stufen-Patienten, ganz im Gegensatz zu 0-Stufen-Patienten und Patienten die vorher bereits im Maßregelvollzug untergebracht waren. Einen noch größeren deliberativen Mangel sieht man bei Hauptschulabsolventen, Patienten ohne Wissen um die weitere Unterbringungsdauer und bei Gewalttätern. Patienten ohne Sicherheit bezüglich der Dauer ihres Aufenthalts fordern den freundschaftlichen Umgang besonders ein, möglicherweise, um wenigstens in einer Hinsicht etwas Vertrautes zu gewinnen. Dies gilt evtl. auch für die D-Stufen-Patienten, die sich zwar nicht mehr reinreden lassen wollen (siehe paternalistischer Stil unten), jedoch angesichts des neuen Lebensabschnitts mit Entlassung und Wiedereintritt in die Gesellschaft, dennoch eine gewisse Zuwendung wollen. 0-Stufen-Patienten dagegen befinden sich womöglich in einer noch sehr starken Phase der Ablehnung ihrer Bezugspersonen, die ja ihren „einzigen“ Kontakt zu Nicht-Leidensgenossen darstellen. Patienten, die vorher bereits Forensik-Erfahrung gesammelt haben wissen vielleicht eher, dass ein freundschaftliches Verhältnis nicht erstrebenswert ist, da dies von Seiten der Therapeuten nicht auf Gegenliebe stößt (siehe auch 5.2.1 und 5.2.3). Was nun den Einfluss der Bildung betrifft so ist denkbar, dass die Ungebildetesten Patienten noch am ehesten freundschaftlichen Umgang genießen, da sie

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durch ein gewisse Verständnislosigkeit für die Vorgänge um sich herum dies bei den Therapeuten provozieren, oder aber einfach mangels Intelligenz die Beziehung fehl interpretieren.

Einen paternalistischen Therapeuten nehmen besonders D-Stufen-Patienten und solche mit weniger als 1 Jahr Forensik vor sich wahr. Besonders stark lehnen Suchtpatienten und D-Stufen-Patienten den Paternalismus ab, im Gegensatz zu Sexualstraftätern, Patienten mit mehr als 4 Jahren Verweildauer und Patienten, die vorher nie in der Forensik waren. Einen größeren Überschuss nehmen bisher 1 bis 2 Jahre untergebrachte Patienten, Patienten ohne Wissen um die weitere Unterbringungsdauer, aber auch solche mit weniger als einem Jahr vor sich, D-Stufen-Patienten, Suchtpatienten, Patienten, die vorher bereits in der Forensik waren wahr, ganz im Gegensatz zu Vermögensdelinquenten, die den geringsten Überschuss ihrer Gruppe sehen. Augenscheinlich hängt die Wahrnehmung von und Einstellung zum Paternalismus von Vorerfahrungen mit der Forensik und der Zukunftsperspektive ab.

Patienten am Ende ihrer Unterbringung sehen erst durch die Lockerungen und den damit verbundenen Aufenthalten in Freiheit, was ihnen vorenthalten wird und nehmen dadurch erst eine Bevormundung wahr. Möglicherweise können auch Patienten, die früher bereits einmal untergebracht waren durch den Vergleich dieser Erlebnisse besser abschätzen, inwieweit die Therapeuten paternalistisch handeln. Interessanterweise legt sich dieses Gefühl an Bevormundung mit der Dauer des Aufenthalts anscheinend wieder, wobei die ersten beiden Jahre der Unterbringung der Paternalismus als sehr stark empfunden wird. Suchtpatienten fühlen sich evtl. so bevormundet, da sie in der Forensik entzogen wurden und damit ihr Denken klar ist, während sie das Verlangen nach dem Suchtstoff in dem stark reglementierten Setting beständig an Grenzen stoßen lässt. Rätselhaft erscheint, dass Sexualstraftäter den Paternalismus so signifikant weniger stark ablehnen. Möglicherweise überträgt sich hierbei ein Beziehungsmuster, das dieser Art Täter zueigen ist, auf die psychotherapeutische Beziehung, was auch in einer eigens entwickelten Studie zu klären wäre. Ähnliches gilt für die augenscheinlich in Hinsicht auf Paternalismus relativ zufriedenen Vermögensdelinquenten.

Den Therapeuten als reinen Experten (informativer Stil) sehen besonders nach § 64 StGB untergebrachte Patienten, Vermögensdelinquenten, Realschulabsolventen und die ohne Wissen um die weitere Unterbringungsdauer, im Gegensatz zu Patienten mit bisher 3 bis 4 Jahre Unterbringungsdauer. Stärker einen Experten wünschen sich Vermögensdelinquenten, D-Stufen-Patienten, über 40jährige und Patienten mit weniger als einem Jahr vor sich, im Gegensatz zu Patienten mit 3 bis 4 Jahre bisheriger Aufenthaltsdauer. Einen größeren Mangel

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sehen Patienten mit weniger als einem Jahr vor sich, D-Stufen-Patienten, Patienten hoher Bildung und Gewaltdelinquenten. Patienten höherer Bildung provozieren möglicherweise dadurch beim Therapeuten einen Umgang mit Schwerpunkt Informationsvermittlung, dass sie mit diesen Patienten auch jemanden vor sich haben, der diese Informationen zu schätzen weiß. Die Patienten sind aber in dieser Hinsicht noch wissbegieriger, während die Therapeuten sich vielleicht eher auf Beziehungsarbeit verlegen. Wie schon einmal angeführt hat bei Patienten kurz vor der Entlassung auch die Informationsvermittlung die Funktion die gewisse Unsicherheit zu kompensieren, die mit dieser neuen Lebensphase verbunden ist. Bei den Patienten, die schon länger in der Forensik untergebracht sind, scheint dagegen nicht mehr die Information die große Rolle zu spielen, da nach so einer langen Zeit es nicht mehr viel Neues zu wissen gibt. Dies könnte auch der Ausdruck eines gewissen Stillstands der Therapie sein. Inwieweit hier wiederum die Deliktarten eine Rolle spielen, ist nicht unmittelbar einsichtig, jedoch sind anscheinend Beziehungstypen nach der Deliktart unterscheidbar.

Den Berater-Therapeuten (interpretativer Stil) bemerken besonders B-Stufen-Patienten, nach

§ 64 Untergebrachte, Vermögens- und Gewaltverbrecher sowie Patienten mit mehr als einem Jahr vor sich. Besonders Realschulabsolventen und unter 40jährige wünschen sich diesen Stil.

Einen größeren Mangel bemerken Hauptschulabsolventen, Patienten ohne Wissen um die weitere Unterbringungsdauer, unter 40jährige und D-Stufen-Patienten. Der Unterschied zwischen 64er und 63er Patienten hinsichtlich dem Berater-Therapeuten, aber im Übrigen auch dem reinen Experten, ergibt sich evtl. durch die räumliche und personelle Trennung dieser verschiedenen Forensik-Typen. Möglicherweise ergeben sich die stärker informativ und interpretativ wahrgenommenen Beziehungen durch ein anderes Arbeitsumfeld für die Therapeuten, die ja im 64er-Bereich vor allem mit Suchtkranken und einem schneller zu durchlaufenden Stufenprogramm zu tun haben. Auch hier zeigt sich wieder der Zusammenhang zwischen der bevorstehenden Entlassung und dem damit verbundenen Suchen nach Zuwendung. Evtl. ist das Hervorstechen des Berater-Therapeuten in Stufe B im Rahmen einer gewissen Annäherung im Laufe eines Beziehungsprozesses zu sehen. Da eine Beraterfunktion auch eine gewisse Einsichtsfähigkeit beim Beratenen erfordert haben besonders besser gebildete Patienten den Wunsch nach Beratung. Die jüngeren Patienten haben evtl. aufgrund geringerer Lebenserfahrung als ihre älteren Mitpatienten einen besonderen Bedarf an Beratung.

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Anhand dieser Daten lassen sich Mutmaßungen über den Verlauf der Beziehungen zwischen Patienten und Therapeuten parallel zum Verlauf des Aufenthalts anstellen. Während zu Beginn die Wahrnehmung von paternalistischer Bevormundung steht kommt es im Verlauf der Zeit zu einer stärkeren Akzeptanz der Autorität der Therapeuten, die aber durch das Neuerfahren von Freiheit in den Entlassungsstufen wieder abnimmt. Gleichzeitig besteht aber in der Schlussphase ein starker Wunsch nach Freundschaft, Information und Beratung, da nach einer langen Zeit in so einem geschützten Setting das ersehnte Draußen auch etwas Bedrohliches an sich hat. Das ganze unterliegt aber auch verschiedenen Einflussgrößen, wie z.B. der Grunderkrankung, wo die Suchtkranken eine besondere Rolle spielen. Hier hat evtl.

das relativ kürzere Stufenprogramm einen Einfluss, welches die Gewöhnungsphase nicht so sehr zulässt, sondern das Streben nach Freiheit in den Vordergrund stellt. Es ergeben sich Hinweise für ein nach Deliktarten unterschiedliches Beziehungsverhalten, was kriminalpsychologisch zu erforschen wäre.

Letztlich bleibt das Beziehungsgeschehen eine höchst individuelle Angelegenheit, der von Seiten der Therapeuten auch individuell basierend auf einer gewissen Grundhaltung begegnet werden muss.

Im Dokument 3. ERGEBNISSE FORENSISCHE PSYCHIATRIE (Seite 164-169)