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1. EINLEITUNG

1.1 Begriffsbestimmungen

1.1.2 informed consent

Wenn auch gerne so getan wird, als sei die Achtung der Patientenautonomie etwas ganz Neues, das erst mit der Etablierung der Medizinethik Ende der 1960er den Eingang in die Arzt-Patienten-Beziehung gefunden habe, so ist dies sicherlich nicht ganz richtig. Die Idee der Freiheit des Menschen hat eine lange Tradition und reicht bis in die Antike zurück ([2]

[9]). Daher ist nicht anzunehmen, Ärzte hätten vor der Neuzeit immer nur paternalistisch gehandelt - tatsächlich musste schon in der Antike der Patient der Behandlung auch zustimmen [13]. Neu ist allerdings einerseits das Individuum in den Mittelpunkt zu stellen und die zunehmende Bedeutung der Selbstbestimmung des Patienten, sowie andererseits die rasante Entwicklung der Möglichkeiten der Medizin, die einen Strukturwandel hin zu

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Spezialisierung, Technisierung, Verrechtlichung, Ökonomisierung usw. nach sich gezogen hat [9]. Da dadurch die Medizin für den Patienten noch weniger durchschaubar geworden ist und er damit auch immer machtloser wurde, bedurfte es einer Einschränkung dieser Machtinstitution Medizin. Verfolgt man die rechtsgeschichtliche Entwicklung so hat die heute gültige Verankerung der Zustimmung des Patienten ihren Ursprung in den Nürnberger Ärzteprozessen 1946/47, deren Aufdeckung grausamer Menschenversuche zu einem Ärztekodex führte. Darin wurde die Zustimmung des Patienten bzw. Probanden zu medizinischer Therapie bzw. Forschung verankert. Durch Gerichtsurteile in den 70er Jahren gewann dann der „informed consent“ Rechtsgültigkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika und ist mittlerweile auch Europa ethischer und rechtlicher Standard [14]. Das Informierte Einverständnis, wie eine Übersetzung von informed consent lautet, geht von einem selbstbestimmten einwilligungsfähigen Patienten aus, der zu jedem medizinischen Eingriff, ob diagnostisch oder therapeutisch, seine Zustimmung geben muss, ansonsten ist dieser Eingriff rechtswidrig [15]. Als Voraussetzung für die Zustimmung muss eine Aufklärung erfolgen, die den Patienten in die Lage versetze soll, eine vernünftige Entscheidung zu treffen, also müssen Notwendigkeit, Tragweite, Folgen, Dringlichkeit usw.

darin enthalten sein. Der Umfang und Inhalt der Aufklärung sollte aber dem Gebot der Menschlichkeit unterliegen, sodass bei schwerwiegenden Diagnosen und Prognosen, durch die eine Selbstgefährdung des Patienten zu befürchten ist, schonend bzw. gar nicht aufgeklärt werden kann. Die Aufklärung muss von dem Patienten verstanden worden sein, dessen sich der Arzt zu versichern hat. Die Zustimmung schließlich soll freiwillig von einem entscheidungskompetenten Patienten nach einer angemessen Bedenkzeit erfolgen. Prinzipiell hebeln Notfallsituationen, in denen nicht genügend Zeit für eine Aufklärung vorhanden ist oder der Patient z.B. wegen Bewusstlosigkeit nicht zustimmungsfähig ist, dieses Konzept aus.

Dann soll nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten gehandelt werden. Bevor wir uns dem Spezialfall des Informierten Einverständnisses in der Psychiatrie zuwenden, soll noch grundsätzliche Kritik Dörners unter Berufung auf Reich erörtert werden ([16] S. 24). So sei der informed consent „Verrat an der Fürsorge“, da mit der Patientenautonomie als höchstes Gut die Verantwortung von den Schultern der Ärzte auf die Schultern der Patienten geladen worden sei. Im Hinblick auf die Geschehnisse im Nationalsozialismus seien diese ja trotzdem im Kern kriminell geblieben, auch wenn die Beteiligten zugestimmt hätten. Eigentlich sei es ein „Verrat an der Verantwortung zur Fürsorge“ gewesen und erst in zweiter Linie ein Verrat an der Selbstbestimmung des Patienten. Schlussfolgernd birgt Patientenautonomie ohne die Verbindung mit der Fürsorge des Arztes weiterhin die Gefahr von moralischem Unrecht (vgl.

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auch [9]). Dies dürfte gerade dann der Fall sein, wenn sich der Arzt allein auf die rechtlichte Bedeutungsebene (vgl. [14]), also den rein formalen Charakter, des Informierten Einverständnisses konzentriert.

Kommen wir nun zur psychiatrischen Praxis, so ist auch hier die Aufklärung und Einwilligung des Patienten für die Achtung seiner Selbstbestimmung und Würde selbstverständlich und notwendig. Dieses Thema erfährt jedoch eine besondere Wichtigkeit in der Psychiatrie, „da viele psychische Krankheitszustände die Einwilligungsfähigkeit und die innere wie äußere Freiheit des Kranken beeinträchtigen können.“ [17] Dies ist kein zu vernachlässigendes Problem und hat angesichts relativer vieler nicht Einwilligungsfähiger eine alltägliche Relevanz ([18] [19]). Nun stellt sich allerdings die Frage, wie denn die Einwilligungsfähigkeit zu überprüfen ist, nicht zuletzt da als praktische Konsequenz bei nicht Zustimmungsfähigen die Diagnostik und Therapie zwar ohne explizite Zustimmung, aber gemäß dem Willen, den der Patient als Gesunder hätte, durchzuführen oder zu unterlassen sind. Eine Antwort mag die objektive Erfassung von verschiedenen Dimensionen der Einwilligungsfähigkeit durch Testinstrumente sein, eine andere die Erforschung der Beziehung zwischen Psychopathologie und Fähigkeit zur Einwilligung [20]. Diese Forschungsansätze in ihrer Gesamtheit können so gedeutet werden es mit einem sehr komplexen Kontinuum zu tun zu haben, in dem nicht von einer absoluten Beantwortung der Frage „Zustimmungsfähig Ja oder Nein“ ausgegangen werden kann, sondern vielmehr nur die Zustimmung zu manchen Entscheidungen eingefordert werden kann, zu anderen nicht. Der Verzicht auf eine feste Schwelle der Zustimmungsfähigkeit, sondern vielmehr die Anpassung an den Nutzen und das Risiko des Eingriffs wird auch als relationales Modell bezeichnete [19].2 Diese Vorstellung erfordert aber eine beständige Analyse der Situation des Patienten und eine Abwägung zwischen Selbstbestimmungsrecht des Patienten und Fürsorge zum Wohl des Patienten. So sieht sich der Psychiater also tagtäglich vor ethischen Dilemmata, die wohl nicht ohne erhebliche Ausbildung in der Analyse ethischer Entscheidungsprozesse zu bewältigen ist [22]. Angesichts der Komplexität dieser Entscheidungsprozesse, dem Einwirken verschiedenster „Mitspieler“ wie Rechtsprechung, Angehörige usw. und dem Widerstreit verschiedener ethischer Prinzipien geht der Ruf nach weiterer empirischer Forschung und Leitlinien durch die Fachgesellschaften ([17] [23]). Diese Arbeit kann vielleicht dazu beitragen, sich verschiede Problematiken noch einmal zu verdeutlichen, indem ein Bereich der Psychiatrie beleuchtet wird, in dem der Widerstreit zwischen Arztethos und

2 Auch wenn dieses Modell auch wegen der Verquickung von Autonomie und Fürsorge favorisiert wird, so soll nicht verschwiegen werden, dass es gerade deswegen auch kritisiert wird (siehe [21]).

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Interessen der Allgemeinbevölkerung gegen das Selbstbestimmungsrecht der Patienten noch deutlicher wird. Die Forensische Psychiatrie ist nämlich von ihrem Auftrag her nicht nur der Therapie (oder im Fachjargon „Besserung“) verpflichtet, sondern auch der Sicherung. Vor diesem Sicherungsgedanken erfährt die Debatte um die Zustimmungsfähigkeit eine Verschärfung hin zur Notwendigkeit der Zustimmung durch den jeweiligen betroffenen Patienten. Denn Patienten, die aus welchem Grund auch immer nicht therapiert sind und von denen deswegen weiterhin erhebliche Straftaten zu erwarten sind, dürfen nicht entlassen werden.

Im Dokument 3. ERGEBNISSE FORENSISCHE PSYCHIATRIE (Seite 16-19)