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Parlamentarische Vorstösse

Im Dokument AHV / Renten Gerichtsentscheide (Seite 149-162)

Einfache Anfrage Muheim vom 11. Dezember 1975 betreffend die Europäische Sozialcharta

Nationalrat Muheim hat folgende Einfache Anfrage eingereicht:

«Der Nationalrat und der Ständerat haben im Jahre 1971 je ein gleichlautendes Postulat angenommen, worin der Bundesrat ersucht wurde, in einem Bericht dar-zulegen, welche Voraussetzungen gegeben sind oder noch geschaffen werden müss-ten, damit die Schweiz die Sozialcharta des Europarates unterzeichnen könnte.

Der Bundesrat hat in der Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 3. Oktober 1973 aus-geführt, dass er in nächster Zeit eine Botschaft an die eidgenössischen Räte richten werde zum Zwecke der Ratifizierung des Europäischen Kodexes für soziale Sicher-heit und der Konvention Nr. 102 der Internationalen Arbeitsorganisation. In dieser Botschaft werde er Aufschluss über den Stand der Arbeiten betreffend die Sozial-charta geben.

Der vom Bundesrat in Aussicht gestellte Bericht ist bis heute nicht erschienen. Der Bundesrat wird daher ersucht, folgende Fragen zu beantworten:

Warum ist die Botschaft für die Ratifikation des Europäischen Kodexes für soziale Sicherheit und der Konvention Nr. 102 bis heute nicht herausgekommen?

Bis wann kann mit der Vorlage dieser Botschaft gerechnet werden?

Kann er nicht gleichzeitig auch den Beitritt zur Europäischen Sozialcharta be-antragen?

Ist der Bundesrat bereit, unverzüglich, nötigenfalls in einem besonderen Bericht, die Bedingungen für die Ratifikation der Sozialcharta darzustellen?'

Der Bundesrat hat die Anfrage am 28. April 1976 wie folgt beantwortet

«ad 1: Bei den auf die gleichzeitige Ratifizierung des Europäischen Kodexes für soziale Sicherheit, der Konvention Nr. 102 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über die Mindestbedingungen der sozialen Sicherheit sowie der lAO-Konvention Nr. 128 betreffend Leistungen an Invaliditäts-, Alters- und Hinterbliobenenversicherte abzielenden Vorstudien haben sich Auslegungsschwierigkeiten im Zusammenhang mit spezifischen völkerrechtlichen Bestimmungen ergeben. Es hat sich insbesondere als nötig erwiesen, das internationale Arbeitsamt zu konsultieren, um die schwei-zerischen Verhältnisse mit verschiedenen vorgeschriebenen Kontrollmethoden in be-zug auf das Leistungsniveau in Einklang zu bringen.

Daraufhin mussten die bereits unternommenen mathematischen und statistischen Arbeiten unterbrochen werden, während die zuständigen Dienste des Bundesamtes für Sozialversicherung den Berechnungen zur finanziellen Sicherstellung der Zweiten Säule der Sozialversicherung Vorrang einräumen mussten.

Die Abklärungen im Hinblick auf die gleichzeitige Ratifikation der drei vorerwähnten zwischenstaatlichen Rechtsinstrumente befinden sich in einem sehr fortgeschrittenen Stadium.

Die Botschaft betreffend die gleichzeitige Ratifizierung des Europäischen Ko-dexes für soziale Sicherheit und der Konventionen Nr. 102 und 128 wird noch Im Laufe der nächsten Monate (jedenfalls vor Ende des Jahres) den Räten vorgelegt werden. In diesem Zusammenhang darf daran erinnert werden, dass der Beitritt zur Konvention Nr. 102 der IAO in gewissem Sinne eine Vorbedingung zur Ratifikation der Europäischen Sozialcharta bildet.

Die Europäische Sozialcharta wird als das Hauptelement des vom Europarat ausgearbeiteten Vertragswerks auf sozialem Gebiet angesehen; die Tragweite und der Anwendungsbereich dieses Übereinkommens überragen bei weitem den engeren Rahmen der sozialen Sicherheit, auf welche sich der Europäische Kodex der sozialen Sicherheit sowie die bereits genannten lAO-Konventionen beziehen.

Was die Sozialcharta anbetrifft, sind die Arbeiten mit dem Ziel, die Ansichten der verschiedenen interessierten Bundesstellen in Einklang zu bringen, soweit gediehen, dass dem Bundesrat ein Bericht vorgelegt werden konnte, aufgrund dessen die Re-gierung beschlossen hat, dieses Übereinkommen zu unterzeichnen.

Der Bundesrat wird demnächst in der Lage sein, die Ratifizierung der drei unter Punkt 1 und 2 aufgeführten, der sozialen Sicherheit dienenden Abkommen vorzu-schlagen. Zwecks Ratifizierung der Sozialcharta muss, nach deren Unterzeichnung, noch eine entsprechende Botschaft an die Räte ausgearbeitet werden; dieses Ver-fahren wird eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Wollte man in beiden Bereichen gleichzeitig handeln, so würde sich daraus eine Verzögerung der Ratifizierung des Europäischen Kodexes für soziale Sicherheit und der beiden IAO-Konventionen um mehrere Monate ergeben.

Die Bedingungen, die es zu erfüllen gilt, damit die Schweiz die Sozialcharta ratifizieren kann, werden aus der diesbezüglichen Botschaft hervorgehen, die der Bundesrat so bald als möglich an die eidgenössischen Räte richten wird.'

Motion Oehen vom 15. März 1976

betreffend Finanzierung der AHV durch eine Energiesteuer

Der Nationalrat hat am 23. September die Motion Oehen (ZAK 1976, S. 175) abge-lehnt.

Postulat Knüsel vom 24. Juni 1976

betreffend Übernahme von Operations- und Hellungskosten durch die IV

Der Ständerat hat am 5. Oktober das Postulat Knüsel (ZAK 1976, S. 305) stillschwei-gend angenommen und an den Bundesrat überwiesen,

Berufliche Vorsorge (Zweite Säule)

Das Eidgenössische Departement des Innern hat folgende Pressemitteilung erlassen:

Die nationalrätliche Kommission zur Vorberatung des Entwurfs zu einem Bundes-gesetz über die berufliche AHI-Vorsorge (Zweite Säule) setzte ihre Beratungen am 2. und 3. September in Bern unter dem Vorsitz von Nationalrat A. Muheim, Luzern, fort.

Sie hat sich zunächst mit dem Abschnitt über die freiwillige Versicherung der Selb-ständigerwerbenden und der Arbeitnehmer befasst. Die Kommission stimmte den Vorschlägen des Bundesrates zu, räumte aber den aus der obligatorischen Versiche-rung ausscheidenden Arbeitnehmern allgemein die Möglichkeit ein, ihre VersicheVersiche-rung im bisherigen Umfang auf unbegrenzte Zeit weiterzuführen.

Anschliessend behandelte die Kommission die Vorschriften über die Organisation der Vorsorgeeinrichtungen und pflichtete insbesondere einer möglichst weitgehenden Selbständigkeit der Kassen und deren paritätischen Verwaltung bei. Das Eidgenössi-sche Departement des Innern wird noch einen Bericht über die Auswirkungen des Gesetzesentwurfes auf die bestehenden Vorsorgeeinrichtungen erstatten.

Die Kommission hat der Schaffung von zwei von den Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gründenden paritätischen Stiftungen zugestimmt, die einerseits als Auffangkasse dienen und anderseits den gesamtschweizerischen Lastenausgleich durchführen sollen.

Die Möglichkeit, dass Vorsorgeeinrichtungen unter bestimmten Voraussetzungen von der Mitwirkung am Lastenausgleich für die Eintrittsgeneration und für die Teuerung befreit werden, hat die Kommission fallenlassen.

Die bundesrätlichen Vorschläge hinsichtlich Kontrolle und behördlicher Aufsicht der Vorsorgeeinrichtungen hat die Kommission gutgeheissen, wobei die genaue Ab-grenzung der Aufgaben nochmals überprüft wird.

Den Verhandlungen der Kommission wohnten Bundesrat H. Hürlimann, der Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung, A. Schuler, und der Berater für mathema-tische Fragen der Sozialversicherung, Professor E. Kaiser, bei. Die Kommission wird ihre Beratungen im November weiterführen.

Als Kommissions-Berichterstatter sind Nationalrat A. Muheim, Luzern, und Nationalrat F. Corbet, Collonge-Bellerive, bestimmt worden.

Bundesvertreter in gemeinnützigen Institutionen

Der Bundesrat hat vom Ausscheiden von Adolf Brunner, Herisau, als Bundesvertreter im Direktionskomitee der Stiftung Pro Senectute und von Dr. Arnold Sauter, Bern, als Bundesvertreter in der Stiftungskommission von Pro Juventute unter Verdankung der geleisteten Dienste Kenntnis genommen. Als Bundesvertreter für die Amtsdauer 1977/1980 wurden ernannt (* = neu):

Direktionskomitee der Stiftung Pro Senectute Nationalrat Laurent Butty, Präfekt, Freiburg;

- Dr. Hugo Güpfert, a. Sektionschef, Spiegel bei Bern;

- Adeirich Schuier, Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung.

Zentralvorstand der Vereinigung Pro Infirmis

- Nationalrat Georg Brosi, Klosters;

- Dr. Albert Granacher, stellvertretender Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung, Bern.

Stiftungsrat und Stiftungskommission der Stiftung Pro Juventute

- * Dr. Adolf Lüchinger, Bundesrichter, Lausanne.

Personelles

Eidgenössisches Versicherungsgericht

Die eidgenössischen Räte traten am 6. Oktober zur Vereinigten Bundesversammlung zusammen, um anstelle des verstorbenen Versicherungsrichters Anton Heil (ZAK 1976, S. 390) ein neues Mitglied des EVG zu ernennen. Zum Nachfolger des Ver-storbenen wurde Ständerat Dr. iur. E d u a rd A m St a d Beckenried NW, gewählt.

Gerichtsentscheide

AHV / Beiträge

Urteil des EVG vom 24. März 1976 i. Sa. Gemeinde L.

(Übersetzung aus dem Französischen)

Art. 7 Bst. c und Art. 8 Bst. c AHVV. Zuwendungen, die der Arbeitgeber dem Arbeit-nehmer nach 25, 35 und 40 Dienstjahren gewährt, sind keine Dienstaltersgeschenke, sondern Treueprämien. (Bestätigung der Praxis)

Die Gemeinde L. gewährte ihrem Personal seit 1963 eine Zuwendung im Betrag eines Monatsgehaltes nach 25 und 40 Dienstjahren. Von 1968 an wurde die zweite Zuwendung bereits nach 35 statt 40 Dienstjahren ausgerichtet. Im Jahre 1973 wurde eine dritte Zuwendung nach 40 Dienstjahren eingeführt. Diese Zuwendungen wurden, solange sie höchstens zweimal gewährt werden konnten, als Dienstalters-geschenke betrachtet, von denen keine Beiträge zu entrichten waren. Nach Ein-führung der dritten Zuwendung betrachtete die Ausgleichskasse sie nicht mehr als solche Geschenke und verlangte mit Verfügung vom 6. November 1974 die Bezahlung von Lohnbeiträger, von den im Jahre 1973 ausgerichteten Zuwendungen. Die Ge-meinde L. erhob Beschwerde und machte geltend, durch die Gewährung einer dritten Zuwendung habe die Eigenschaft als Dienstaltersgeschenk keine Änderung erfahren.

Den abweisenden Entscheid der kantonalen Instanz zog sie an das EVG weiter.

Dieses wies die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus folgenden Erwägungen ab:

1. Gemäss Art. 5 Abs. 1 und Art. 13 AHVG werden vom Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit, massgebender Lohn genannt, Lohnbeiträge erhoben. Nach Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt als massgebender Lohn jedes Entgelt für In unselbständiger Stel-lung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit. Er umfasst auch Teue-rungs- und andere Lohnzulagen, Provisionen, Gratifikationen, Naturalleistungen, Ferien- und Feiertagsentschädigungen und ähnliche Bezüge, ferner Trinkgelder, so-weit diese einen wesentlichen Bestandteil des Arbeitsentgeltes darstellen. Absatz 4 des gleichen Artikels bestimmt jedoch, dass der Bundesrat Sozialleistungen sowie anlässlich besonderer Ereignisse erfolgende Zuwendungen eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer vom Einbezug in den massgebenden Lohn ausnehmen kann.

Der Bundesrat hat einerseits in Art. 7 AHVV ein nicht abschliessendes Verzeichnis jener Bezüge aufgestellt, die zum massgebenden Lohn im Sinn von Art. 5 Abs. 2 AHVG gehören. Er hat anderseits in Art. 8 AHVV jene Leistungen genannt, die auf-grund von Art. 5 Abs. 4 AHVG vom massgebenden Lohn ausgenommen sind.

Streitig ist die Frage, ob die Zuwendungen, die dem Personal der Gemeinde L.

nach 25, 35 und 40 Dienstjahren ausgerichtet werden,

a. Treueprämien darstellen, die zum massgebenden Lohn gehören und gemäss Art. 7 Bst. c AHVV der Beitragserhebung unterliegen, oder aber

b. Dienstaltersgeschenke, die gemäss Art. 8 Bst. c AHVV von diesem Lohn ausge-nommen sind.

Die Verwaltungsweisungen (Wegleitung des BSV über den massgebenden Lohn, gültig ab 1. Januar 1974, Rz 52a und 91a), welche die von der Rechtsprechung auf-gestellten Grundsätze übernehmen (EVGE 1965, S. 5, ZAK 1965, S. 232; EVGE 1969, S. 33, ZAK 1969, S. 436), geben folgende Begriffsumschreibungen:

Treueprämien sind Vergütungen, die vom Arbeitgeber - als Belohnung für ge-leistete Dienste und als Anreiz für das Verbleiben am Arbeitsplatz - nach einer gewissen Anzahl von Dienstjahren und hernach periodisch wiederholt gewährt werden. ... Die vom Arbeitgeber verwendete Bezeichnung - vielfach wird der Ausdruck Dienstaltersgeschenk gebraucht - ist ohne Bedeutung.

Dienstaltersgeschenke sind ihrer Natur nach einmalige Leistungen, die in Geld oder in natura zur Feier eines Dienstjubiläums gewährt werden. Als Dienstalters-geschenke gelten Leistungen dieser Art nur, wenn sie frühestens nach 25 Dienst-jahren gewährt werden. Indessen kann noch eine zweite Leistung dieser Art, die mindestens 10 Jahre auf die erste folgt, ebenfalls als Dienstaltersgeschenk ge-wertet werden.

2. Im vorliegenden Fall ist es klar, dass nach den obenerwähnten Regeln die Zu-wendungen für Dienstjahre, welche die Gemeinde L. ihrem Personal ausrichtet, vom 1. Januar 1973 an nicht mehr als Dienstaltersgeschenk betrachtet werden können, weil sie im Verlauf einer dienstlichen Laufbahn dreimal ausbezahlt werden.

Die Beschwerdeführerin beruft sich auf eine gewisse Entwicklung in der Lohnpolitik und hebt hervor, dass zahlreiche Unternehmungen drei Dienstaltersgeschenke wäh-rend einer Berufslaufbahn zu kennen scheinen. Die Entwicklung ist sicher unleugbar, und die Richtung scheint auf eine Vermehrung der Zuwendungen zu gehen; so richtet die Eidgenossenschaft ihren Beamten vom 20. Dienstjahr an alle fünf Jahre ein Dienst-altersgeschenk aus (Art. 49 des Bundesgesetzes über das Dienstverhältnis der Bun-desbeamten). Soll daraus die Schlussfolgerung gezogen werden, dass es nötig ist, die Praxis zu «erweitern» und die Grenze auf drei mögliche Dienstaltersgeschenke während einer Laufbahn festzusetzen, wie es die Beschwerdeführerin verlangt? Es ist nicht einzusehen, warum man sich eher auf drei als auf vier oder sogar fünf Zu-wendungen beschränken sollte. Die festgestellte Entwicklung, welche die Grenzen zwischen Dienstaltersgeschenk und Treueprämie verwischt, könnte ebensogut zum Schluss führen, dass die Dienstaltersgeschenke nicht mehr in den Art. 8 Bst. c AHVV gehören und dass ihre Befreiung ihre Berechtigung verloren hat (die Botschaft des Bundesrates vom 7. Februar 1968 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über das Dienstverhältnis der Bundesbeamten, BBI 1968 1 299 f., ist in dieser Hinsicht auf-schlussreich: sie verwirft den Gedanken der Treueprämie und schlägt die Ver-mehrung der Dienstaltersgeschenke vor .... die nach dem AHV-Recht keine solchen mehr sind).

Die Beschwerdeführerin macht auch geltend, die Gewährung eines dritten Dienst-altersgeschenkes bleibe ein Ausnahmefall, dessen Zweck keineswegs sei, den Arbeit-nehmer zum Festhalten an seiner Anstellung aufzumuntern, sondern ihm für die ge-leisteten Dienste zu danken. Die Tatsache, dass Arbeitnehmer, die 40 Dienstjahre erreichen und in den Genuss eines dritten Geschenkes gelangen, selten sind, ist jedoch nicht entscheidend. Wenn dessen Zweck auch hauptsächlich im Dank für die geleisteten Dienste besteht, so liegt er doch auch darin - wie aus dem Antrag an den Gemeinderat für die Gewährung des Geschenkes hervorgeht -‚ diese Arbeit-nehmer im Dienst zu behalten.

Schliesslich hat die Feierlichkeit bei der Oberreichung des Geschenkes, die mit einem Empfang in der Sitzung des Gemeinderates verbunden ist, keine entscheidende Be-deutung für das Wesen des Geschenkes.

Aus diesen Erwägungen kann also gefolgert werden, dass einerseits kein genügender Grund vorhanden ist, die durch Praxis und Rechtsprechung aufgestellten Vorschriften zu erweitern, und dass anderseits die hier gegebenen Besonderheiten nicht erlauben, im vorliegenden Fall von diesen Vorschriften abzuweichen.

AHV / Renten

Urteil des EVG vom 28. Juni 1976 i. Sa. F. M.

Art. 32 Abs. 3 AHVG. Diese Bestimmung kommt nur dann zur Anwendung, wenn die Ehefrau bis zum Entstehen des Anspruchs auf die Ehepaar-Altersrente eine aufgrund ihrer eigenen Erwerbseinkommen und Beitragsjahre berechnete ordentliche einfache Altersrente bezogen hat.

Mit Verfügung vom 27. April 1971 wurde der am 29. August 1904 geborenen, in der Schweiz heimatberechtigten Versicherten, welche sich mit ihrem Ehemann während knapp 40 Jahren bis anfangs Juni 1969 in Deutschland aufgehalten hatte und der freiwilligen AHV für Auslandschweizer nicht beigetreten war, gestützt auf Art. 42 Abs. 2 Bst. c AHVG mit Wirkung ab 1. Juni 1969 eine ausserordentliche einfache Altersrente zugesprochen, die sich 1975 auf 500 Franken belief.

Am 25. Oktober 1975 vollendete ihr aus Deutschland stammender Ehemann, der seit Juni 1969 regelmässig AHV-Beiträge entrichtet hatte, das 65. Altersjahr. Durch Ver-fügung vom 21. Oktober 1975 sprach ihm die Ausgleichskasse eine ab 1. November 1975 laufende Ehepaar-Altersrente von monatlich 218 Franken zu (Rentenskala 10);

massgebend für die Berechnung dieser Rente war ein durchschnittliches Jahresein-kommen von 14 400 Franken aus fünf Jahren und fünf Monaten.

Demzufolge fiel die ausserordentliche Altersrente für die Ehefrau auf Ende Oktober 1975 weg.

Beschwerdeweise beantragte der Ehemann, die Verfügung vom 21. Oktober 1975 sei aufzuheben und die seiner Ehefrau bisher ausgerichtete einfache ausserordentliche Altersrente sei als Ehepaar-Altersrente weiter zu gewähren. Er machte geltend, es sei ungerecht und stossend, dass die Versicherung im Zeitpunkt seines Eintrittes ins AHV-Rentenalter ihm und seiner Ehefrau zusammen weniger bezahle als vorher an die Ehefrau allein. Diese Konsequenz widerspreche ganz bestimmt dem Willen des Gesetzgebers, weshalb eine Gesetzeslücke angenommen werden müsse. Aus gesundheitlichen Gründen sei er gezwungen, die seit der Rückkehr in die Schweiz geführte Pension aufzugeben; er sei daher auf die Leistungen der AHV angewiesen, obschon er von der deutschen Landesversicherungsanstalt eine monatliche Rente von 831 D-Mark beziehe.

Die kantonale Rekursbehörde hiess durch Entscheid vom 5. Dezember 1975 die schwerde gut, hob die angefochtene Kassenverfügung auf und sprach dem Be-schwerdeführer eine Altersrente in der Höhe von 500 Franken monatlich zu. Das Ge-richt stellte fest, es liege eine Gesetzeslücke vor, die in analoger Anwendung von Art. 32 Abs. 3 AHVG auszufüllen sei. Dem Versicherten sei somit zu seiner Ehepaar-Altersrente ein Zuschlag bis zum Betrag der früheren ausserordentlichen Ehepaar-Altersrente der Ehefrau zu gewähren.

Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt das BSV den Antrag, der kantonale Ent-scheid sei aufzuheben. Das EVG hat die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus folgen-den Grünfolgen-den gutgeheissen:

1. Eine von keiner gesetzlichen Einkommensgrenze abhängige ausserordentliche Rente erhalten laut Art. 42 Abs. 2 Bst. c AHVG die im Inland wohnenden verheirateten Schweizerinnen, «solange der Ehemann keine Ehepaar-Altersrente beanspruchen kann«.

Diese Vergünstigung geniessen nur die Frauen, deren Ehemann das 65. Altersjahr noch nicht zurückgelegt hat (Art. 21 Abs. 1 Bst. a AHVG), nach der Vollendung aber voraussichtlich eine Ehepaar-Altersrente zu beanspruchen haben wird. Art. 42 Abs. 2 Bst. c AHVG soll in den Ausnahmefällen, da der Ehemann das für den Bezug einer Rente erforderliche Alter noch nicht erreicht hat, eine Lücke schliessen, indem der Frau vom erreichten Rentenalter an (Art. 21 Abs. 1 Bst. b AHVG) bis zur Fälligkeit der Ehepaar-Altersrente eine von keiner Einkommensgrenze abhängige ausserordent-liche einfache Altersrente zugesprochen wird (EVGE 1959, S. 256, ZAK 1960, S. 351).

Die Vorinstanz verkennt dies nicht, glaubt jedoch, dass in einem solchen Fall Art. 32 Abs. 3 AHVG analog anzuwenden sei. Laut dieser, anlässlich der achten AHV-Revision mit Wirkung ab 1. Januar 1973 neu Ins Gesetz aufgenommenen Bestimmung wird zur Ehepaar-Altersrente ein Zuschlag bis zum Betrag der einfachenAltersrente der Ehefrau gewährt, wenn ihre ausschliesslich aufgrund ihrer eigenen Erwerbseinkommen und Beitragsjahre berechnete einfache Altersrente höher wäre als die Ehepaar-Alters-rente. Dieser Zuschlag wird allerdings nach dem klaren Wortlaut von Art. 32 Abs. 3 AHVG nur gewährt, wenn die Ehefrau bis zum Entstehen des Anspruchs auf die Ehepaar-Altersrente eine o rd e n t II c h e einfache Altersrente beanspruchen konnte.

Nach Meinung der Vorinstanz darf indessen in einem Fall wie dem vorliegenden nicht allein auf den Gesetzeswortlaut abgestellt werden: es könne nicht der Sinn des Gesetzes sein, einem Ehepaar eine Rente auszurichten, welche nicht einmal die Hälfte der von der Ehefrau früher allein bezogenen ausserordentlichen Rente aus-macht. Unter diesen Umständen müsse angenommen werden, bei der achten AHV-Revision habe man nur an den in Art. 32 Abs. 3 AHVG normierten Fall gedacht, den hier zu beurteilenden, an sich gleich gelagerten jedoch nicht beachtet. Es liege so-mit eine echte Gesetzeslücke vor, die in dem Sinne zu füllen sei, dass in analoger Anwendung von Art. 32 Abs. 3 AHVG dem versicherten Ehepaar der dort erwähnte Zuschlag bis zum Betrag der ausserordentlichen Altersrente der Ehefrau zu gewähren sei. Dieser Auffassung kann indessen - wie das BSV in der Verwaltungsgerichts-beschwerde zu Recht darlegt - nicht beigepflichtet werden.

2a. Nach der Rechtsprechung konnte der Ehemann bis zur achten AHV-Revision auf die als Teilrente niedrigere Ehepaar-Altersrente zugunsten der weiteren Ausrichtung der von der Ehefrau bezogenen höheren ordentlichen einfachen Altersrente verzichten (EVGE 1962, S. 298, ZAK 1963, S. 282; EVGE 1969, S. 211, ZAK 1970, S. 471).

Ferner bestand bis Ende 1972 laut Art. 30bis AHVG in Verbindung mit Art. 54 AHVV die Möglichkeit der ersatzweisen Anrechnung von Beitragsjahren und Erwerbsein-kommen der Ehefrau bei unvollständiger Beitragsdauer des Ehemannes. Sowohl der Verzicht auf die niedrigere Ehepaar-Altersrente als auch die erwähnte Sonderregelung setzten jedoch voraus, dass die Ehefrau eine ordentliche Rente beanspruchen konnte. Die auf den 1. Januar 1973 in Kraft getretene neue Berechnungsregel für die Ehepaar-Altersrente fasste diese beiden Ordnungen in «systemkonformer Weise«

zusammen (Botschaft des Bundesrates betreffend die 8. AHV-Revision vom 11. Oktober 1971, BBI 1971 111127/1128).

In EVGE 1964, S. 229, Erwägung 2 (ZAK 1965, S. 279) erklärte das EVG, es er-scheine als zweifelhaft, ob ein Verzicht auf den Bezug der Ehepaar-Altersrente zur Weitergewährung der (höheren) ausserordentlichen Altersrente an die Ehefrau führen könne, weil das im Spiele stehende Interesse kaum in etwas anderem bestehen dürfte als in der Umgehung der Einkommensgrenzen. Immerhin liess das Gericht diese Frage offen, denn ein Verzicht auf die Realisierung des Ehepaar-Rentenanspruches vermöge auf jeden Fall nichts daran zu ändern, dass das Privileg der Ehefrau, die ausser-ordentliche Rente unabhängig von der Einkommensgrenze zu beziehen, mit der Er-reichung des AHV-Rentenalters durch den Ehemann dahinfalle. Daran ist festzu-halten. Wie das BSV zudem mit Recht ausführt, würde die Anwendung von Art. 32 Abs. 3 AHVG bei Ablösung der ausserordentlichen einfachen Altersrente der Ehefrau

In EVGE 1964, S. 229, Erwägung 2 (ZAK 1965, S. 279) erklärte das EVG, es er-scheine als zweifelhaft, ob ein Verzicht auf den Bezug der Ehepaar-Altersrente zur Weitergewährung der (höheren) ausserordentlichen Altersrente an die Ehefrau führen könne, weil das im Spiele stehende Interesse kaum in etwas anderem bestehen dürfte als in der Umgehung der Einkommensgrenzen. Immerhin liess das Gericht diese Frage offen, denn ein Verzicht auf die Realisierung des Ehepaar-Rentenanspruches vermöge auf jeden Fall nichts daran zu ändern, dass das Privileg der Ehefrau, die ausser-ordentliche Rente unabhängig von der Einkommensgrenze zu beziehen, mit der Er-reichung des AHV-Rentenalters durch den Ehemann dahinfalle. Daran ist festzu-halten. Wie das BSV zudem mit Recht ausführt, würde die Anwendung von Art. 32 Abs. 3 AHVG bei Ablösung der ausserordentlichen einfachen Altersrente der Ehefrau

Im Dokument AHV / Renten Gerichtsentscheide (Seite 149-162)