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Demographische und finanzielle Perspektiven der AHV

Im Dokument AHV / Renten Gerichtsentscheide (Seite 162-169)

Einleitung

In jüngster Zeit häufen sich Bedenken, die die Weiterentwicklung unseres grössten Sozialwerkes der AHV aus finanziellen Gründen gefährdet sehen. Angesprochen werden dabei die Entwicklungstendenzen der Wohn-bevölkerung und der Wirtschaft: Rückläufige Geburtenziffern und ständig wachsende Lebenserwartung führen zu gegenläufigen Auswirkungen in den Bestandeszahlen der Erwerbstätigen und der Rentenbezüger und damit zu einem sich fortlaufend ungünstig entwickelnden Rentnerverhältnis. Die Arbeitsmarktlage und die rezessiven Erscheinungen werden als wirtschaft-lich ungünstig beurteilt für die nach dem Umlageverfahren finanzierte AHV.

Aber auch der seit Bestehen der AHV erstmals defizitäre Rechnungsab-schluss im Jahre 1975, verbunden mit den Schwierigkeiten des Bundes, seine Beitragsleistungen aufrechtzuerhalten, sowie die in kurzen Abständen von zwei bis drei Jahren sich folgenden Erhöhungen der Beitragssätze zählen zu den Motiven, auf denen die eingangs erwähnten Bedenken fussen.

Letzteres sind jedoch eher Einzelfragen, die vor allem mit momentanen Ge-gebenheiten verknüpft sind, während Aspekte des Rentnerverhältnisses, der wirtschaftlichen Einflüsse und des finanziellen Gleichgewichtes langfristiger und tendenzieller Natur sind. Deshalb stehen sie auch im Vordergrund der Diskussion.

1. Die Entwicklung des Rentnerverhältnisses

Der Geburtenrückgang der letzten Jahre in der Schweiz darf wohl wegen seines Ausmasses als aussergewöhnlich bezeichnet werden. Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass dem Rückgang ein ebenso ausserordent-licher Anstieg vorangegangen war, wie folgenden Angaben entnommen werden kann:

Jahr Lebendgeborene In der Schweiz

insgesamt nur Schweizer

1953 83029 79633

1964 112890 85720

1974 84507 57953

1975 78464 55297

Lebendgeborene in der Schweiz in Tausend

\nßesarnt

Schweizer 120

100

80

60

40

20

Werden die jährlichen Geburtenhäufigkeiten seit 1900 aufgezeichnet (Gra-phik), tritt der in der Zeit 1953-1975 entstandene «Geburtenbuckel» augen-fällig hervor.

Was bedeutet dieser Geburtenbuckel für die AHV? Halten wir vorerst auch die Entwicklung des Rentnerverhältnisses in der Schweiz für die Periode 1948-2000 auszugsweise fest:

Jahr Rentnerverhältnis Anzahl Aktive

in Prozent auf 1 Rentner

1948 10,5 9,5

1960 22,7 4,4

1970 24,4 4,1

1975 27,9 3,6

1980 27,7 3,6

1990 27,9 3,6

2000 30,8 3,2

Die Übersicht zeigt, dass sich das Rentnerverhältnis seit Einführung der AHV dauernd verschlechtert hat, wobei die überaus starke Veränderung im ersten Jahrzehnt teilweise der Anlaufzeit zuzuschreiben ist. Die generelle Ursache dieser Verschlechterung seit 1948 ist in der anhaltenden Zunahme der Le-benserwartung zu suchen. Diesbezüglich sind keine Anzeichen einer Trend-änderung vorhanden, so dass auch weiterhin mit einem Ansteigen der Le-benserwartung gerechnet werden muss.

Für die nahe Zukunft, d. h. die nächsten 20 Jahre, können aufgrund der bis heute Geborenen annehmbare Schätzungen über den Bestand der Er-werbstätigen und der Rentenberechtigten gemacht werden. Den vorstehend aufgeführten Zahlen kann entnommen werden, dass das Rentnerverhältnis in den nächsten anderthalb Jahrzehnten annähernd konstant bleiben dürfte.

Diese günstige Voraussage ist einfach zu erklären: Die Zunahme des Rent-nerbestandes infolge weiterer Lebensverlängerung wird in diesem Zeitraum durch die aus dem Geburtenbuckel der Sechzigerjahre zu erwartende Zahl der Erwerbstätigen weitgehend wettgemacht. Der Blick in die nahe Zukunft fällt daher recht beruhigend aus.

Die Jahrgänge des Geburtenbuckels werden aber später auch einmal ren-tenberechtigt. Soll das Rentnerverhältnis für jene Zeit abgeschätzt werden, müssen - da die entsprechenden Geburtenhäufigkeiten noch nicht bekannt sind - Annahmen getroffen werden. Es wäre wohl unglaubwürdig, aus heutiger Sicht mit jährlichen Geburtenhäufigkeiten von 100 000 und mehr zu rechnen. So muss eine deutliche Verschlechterung des Rentnerverhältnis-ses erwartet werden: DieRentnerverhältnis-ses steigt - je nach den Annahmen über die Ge-

burtenhäufigkeiten auf 35, 40 oder 50 Prozent, d. h. einem Rentner stehen dann noch 3, 2,5 oder gar nur 2 Erwerbstätige gegenüber. Diese Prognose in die ferne Zukunft - darunter sei die Zeit nach 2020 verstanden - kün-digt allerdings mannigfache Probleme an.

Ein wesentlicher Aspekt wurde noch nicht erwähnt, der die AHV-Rechnung um die Jahrhundertwende spürbar beeinflussen wird, nämlich die Ansprüche der Gastarbeiter. Diese bezahlen ebenfalls Beiträge und haben damit An-spruch auf Leistungen entsprechend der Zeit ihrer Beitragsleistung. Die Gastarbeiterbestände der sechziger und siebziger Jahre werden für die Alters-renten grösstenteils gegen die Jahrtausendwende hin leistungsberechtigt. Da-durch entsteht eine vermehrte Belastung. Diese Frage ist aber vor allem finanzieller Natur, weshalb später darauf zurückzukommen sein wird.

2. Die wirtschaftlichen Einflüsse

Während demographische Einflüsse sich erst langfristig auswirken, treten wirtschaftliche kurzfristig in Erscheinung. Wirtschaftliche Rückschläge - wie Beschäftigungsausfall, Saläreinbussen - treffen die Einnahmenseite der umlagemässig finanzierten AHV direkt, so dass der Finanzhaushalt leicht gestört werden kann.

Das Umlageverfahren will ein finanzielles Gleichgewicht herstellen, indem die jährlichen Ausgaben durch die jährlichen Einnahmen gedeckt werden.

Die Einnahmen kommen heute - ohne Berücksichtigung der Zinserträg-nisse - zu rund 80 Prozent aus den Lohnprozenten und zu 20 Prozent von der öffentlichen Hand. Die im Rahmen der Sparmassnahmen 1975 be-schlossene Kürzung des Bundesbeitrages an die AHV wird betragsmässig durch die Anhebung der Lohnprozente um 6 Promille ausgeglichen. Wäh-rend aber die Kürzung des Bundesbeitrages das ganze Jahr betraf, galt der höhere Beitragssatz erst ab 1. Juli 1975. Dem 12 Monate wirkenden Ausfall stand somit lediglich eine 6 Monate dauernde Kompensation gegenüber, was notwendigerweise zum defizitären Rechnungsergebnis 1975 führen musste. Bei voller Kompensation wäre in diesem Jahr trotz rezessiven Aus-wirkungen noch kein Defizit eingetreten.

Die Beitragserhöhung 1975 war einzig durch die Verschiebung zwischen den Einnahmenkomponenten Lohnprozente - Beitrag öffentliche Hand bedingt.

Das Anheben der Beitragssätze für die Al-IV von 4 Prozent auf 8,4 Prozent im Zeitraum 1968 bis 1975 ermöglichte dagegen Leistungsverbesserungen um über 100 Prozent und diente dem Zweck, die Grundlage existenzsichern-der Leistungen zu erreichen.

Es darf daher festgestellt werden, dass noch keine Beitragserhöhung not-wendig war, um das sich ungünstig entwickelnde Rentnerverhältnis aufzu-

fangen. Die von Anfang an weitsichtig angelegte Konzeption, verbunden mit der günstigen wirtschaftlichen Entwicklung der sechziger Jahre, ver-mochte die ungünstigen demographischen Verhältnisse aufzufangen.

Die AHV-Finanzierung hat das Rezessionsjahr 1975 recht gut überstanden:

Die veränderten Verhältnisse haben die Jahresteuerung auf 3,2 Prozent ab-geschwächt, was einen Aufschub in der Teuerungsanpassung der Leistungen erlaubte. Der Zusammenhang zwischen Einkommensentwicklung und An-passung der Leistungen der Sozialversicherung blieb gewahrt. Die Beitrags-ausfälle hielten sich infolge Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit in einem für die Versicherung tragbaren Rahmen. Von einer Gefährdung des Umlage-verfahrens kann nicht gesprochen werden. Wenn auch eine gewisse Empfind-lichkeit des Systems gegenüber rezessiven Erscheinungen besteht, muss nicht gleich das ganze System in Frage gestellt werden, insbesondere dann nicht, wenn noch zusätzliche Massnahmen getroffen sind, wie im folgenden gezeigt wird.

3. Finanzierungsfragen

Das Umlageverfahren wird gelegentlich als System hingestellt, das nur bei wirtschaftlicher Expansion oder konjunkturellem Aufschwung spielen könne.

Grundsätzlich kann dazu gesagt werden, dass das Ausgabenumlageverfahren ein ebenso anerkanntes Finanzierungsprinzip ist wie das Deckungskapital-verfahren oder die Rentenwertumlage. Pro und Kontra der Ausgabenumlage sind analysiert. Aber auch die Empfindlichkeiten der anderen Finanzierungs-verfahren gegenüber den verschiedenen Einflüssen sind bekannt. Und zwei-fellos wird jeder wirtschaftliche Einbruch bei irgendeiner Finanzierungs-methode automatisch zur Vorsicht mahnen.

Vor allem gilt es aber zu beachten, dass die AHV nicht das reine Umlage-verfahren anwendet, sondern in der Finanzierung zwei zusätzliche Mass-nahmen vorgesehen hat:

- Der Beitrag der öffentlichen Hand

Neben den Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer leistet auch die öffentliche Hand einen Beitrag an die AI-IV. Dieser wird entsprechend den jährlichen Ausgaben festgelegt, ist also ausgabenabhängig, im Ge-gensatz zu den salärabhängigen Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeit-nehmer. So ist der Beitrag der öffentlichen Hand eine Art Grundstock, der negative wirtschaftliche Einflüsse mildert. Vielfach wird diese Funk-tion des Beitrages der öffentlichen Hand übersehen und nur der rein finanzielle Aspekt beachtet. Gerade unsere Zeit lässt aber die Aufgabe des Beitrages der öffentlichen Hand als Stabilisator erkennen. Eine Kür-zung des Beitrages der öffentlichen Hand, verbunden mit einer Korn-

pensation durch die lohnabhängigen Beiträge, bedeutet, dass die Finan-zierung der AHV noch vermehrt wirtschaftlichen Schwankungen aus-gesetzt wird.

- Der A usgleichsfonds

Die umlagemässige Finanzierung wird ergänzt durch den Ausgleichs-fonds, dem eine doppelte Ausgleichsfunktion zukommt:

- - Einerseits soll er die jährlichen Betriebsergebnisse ausgleichen;

er wird durch Rechnungsüberschüsse gespiesen oder zur Deckung von Fehlbeträgen herangezogen. Er ist also Mittel für den kurz-fristigen, jährlichen Ausgleich, der vor allem Leistungen und Beiträge über längere Zeit aufrechterhalten will, d. h. wirtschaft-lich ungünstige Entwicklungen sollen überbrückt werden können.

Die Äufnung des Fonds hat zudem einen willkommenen finan-ziellen Aspekt, indem durch die Zinserträge der Versicherung zusätzliche Mittel zugute kommen.

- - Anderseits soll der Fonds einen langfristigen Ausgleich schaffen zwischen der zeitlichen Verlagerung von Leistungsansprüchen der Versicherten gegenüber ihren in jüngeren Jahren geleisteten Bei-trägen. Je nach der Bevölkerungsentwicklung entsteht ein be-achtlicher Einfluss auf den Finanzhaushalt der Versicherung, den es ebenfalls auszugleichen gilt.

Diese Ausgleichsfunktion ist weitgesteckt und lässt den Fonds zu einem Eckpfeiler der AHV-Finanzierung werden. Sie wirft aber auch sofort die berechtigte Frage auf, ob sie tatsächlich erfüllt werden könnte.

Erwähnenswert ist, dass infolge günstiger Wirtschaftslage Fondsmittel ge-äufnet werden konnten. Es ist also durchwegs funktionsgerecht, wenn in Zeiten eines wirtschaftlichen Einbruchs der Fonds vorübergehend zur Fi-nanzierung der Leistungen herangezogen werden muss. Das Umlageverfahren ist dadurch in keiner Weise gefährdet.

Weit schwieriger ist der langfristige demographische Ausgleich durch den Fonds zu steuern. Das ist nur möglich, wenn deckungskapitalmässig gedacht wird. Natürlich kann es sich nicht darum handeln, für die Gastarbeiter die Deckungskapitalmethode anzuwenden. Im Sinne einer Globalabschätzung kann jedoch gesagt werden, dass im heutigen Zeitpunkt die Fondsmittel die Deckung der Gastarbeiteransprüche ermöglichen würden.

Diese Hinweise zeigen, dass der Fonds seinen Funktionen weitgehend ge-recht werden kann. Es verbleibt nur, im gleichen Sinne weiterzufahren.

Es ist ohne weiteres denkbar, dass infolge des konstanten Rentnerverhältnis-ses in den nächsten Jahren bei normaler Wirtschaftslage vermehrte Beiträge

eingehen. Wenn diese sorgsam geäufnet werden und für die Finanzierung der Leistungen an die Geburtenbuckeljahrgänge bereitgestellt werden, kann die Finanzierung für die ferne Zukunft doch mindestens erleichtert werden.

Um das zu erreichen, müssten folgende Punkte beachtet werden:

- Der Fonds soll der Ausgleichsfunktion gerecht werden; er darf nicht zur Finanzierung von Leistungsverbesserungen benützt werden und auch nicht zur Erleichterung von Beitragsleistungen.

- Zur Handhabung des Fonds sind deckungskapitalmässige Überlegungen angezeigt.

- Ein weiteres Anwachsen des Fonds muss hingenommen werden, solange sich die demographischen Perspektiven nicht ändern.

- Die Fondsmittel müssen dann aber auch im geeigneten Moment zur Finanzierung des langfristigen Ausgleichs eingesetzt werden.

4. Zusammenfassung

Allen Prognosen haftet Unsicherheit an. Auch kann es niemals eine volle Absicherung gegen die zukünftigen Entwicklungstendenzen geben. Im Be-reich der Sozialversicherung können lediglich Vorkehrungen getroffen wer-den, die erlauben, Schwankungen kurz- bis mittelfristig aufzufangen und zu überbrücken, und im Falle von langdauernden, einschneidenden ungünstigen Entwicklungen die Fortführung eines Systems solange zu gewährleisten, bis die gesetzlichen Massnahmen für ein neues Gleichgewicht realisiert werden können. Diesen Ansprüchen wird das AHV-System ohne Zweifel gerecht.

In der AHV zeigen die langfristigen Perspektiven im demographischen Be-reich einen nicht gerade erfreulichen Trend auf. Das war aber auch in der Vergangenheit schon so, ohne dass deshalb Schwierigkeiten entstanden wä-ren. Ferner muss auch bedacht werden, dass die Prognose sich auf 30 bis 50 Jahre erstreckt und sich in der Zwischenzeit wohl vieles ändern dürfte - und vielleicht nicht nur im ungünstigen Sinne.

Die nächsten Jahre aber künden sich recht günstig an, hat doch die Ver-gangenheit der AHV noch nie eine Periode eines fast konstanten Rentner-verhältnisses gekannt. Gerade diese Situation ermöglicht es, die weitere Entwicklung abzuwarten und allfällige günstige Trendperioden zu nutzen, um für die Zukunft bestmögliche Vorkehrungen in die Wege zu leiten.

Mitwirkung der AHV beim Beitragsbezug

Im Dokument AHV / Renten Gerichtsentscheide (Seite 162-169)