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Teil II: Fluoreszierende Nucleotid-Prodrugs für Zellaufnahmestudien

6 Kenntnisstand

6.5 Nucleosiddi- und -triphosphat-Prodrugs

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Abb. 68: cycloSal-Prodrugs der zweiten und dritten Generation und deren Zellaufnahme und Metabolisierung (bearbeitet nach [109]).

Da cycloSal-Prodrugs drei unterschiedliche Substituenten am Phosphoratom aufweisen, sind sie chirale Moleküle und liegen bei der üblichen Synthese als Gemisch zweier Diastereomere vor. Diese weisen jedoch signifikante Unterschiede in ihrer Hydrolyse-geschwindigkeit und antiviralen Aktivität auf. Somit wurden stereoselektive Syntheserouten mit Auxiliaren entwickelt und dadurch auch diastereomerenreine Prodrugs zugänglich gemacht.[111,112]

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NDP- und NTP-Prodrugs aufgrund der instabilen Phosphoranhydridbindungen deutlich komplexer. Phosphoranhydridbindungen sind nur durch die negativen Ladungen kinetisch stabilisiert, da dadurch ein nucleophiler Angriff am Phosphoratom erschwert wird. Wenn die Ladungen allerdings lipophil maskiert werden, was das Grundprinzip der meisten NMP-Prodrugkonzepte ist, wird die Bindung deutlich labiler und dadurch die selektive Freisetzung des gewünschten Metaboliten unwahrscheinlicher. Aus diesem Grund wurde bei allen bis jetzt publizierten Ansätzen für NDP- und NTP-Prodrugs nur die endständige Phosphatgruppe maskiert, um eine gewisse Stabilität der Anhydridbindung durch die verbliebenen negativen Ladungen zu erreichen.

Die meisten NDP- und NTP-Prodrugkonzepte wurden für AZT 69 entwickelt, da die Eigenschaften des bereits in Abschnitt 6.1 vorgestellten Nucleosidanalogons intensiv untersucht worden sind und bekannt ist, dass der zweite Phosphorylierungsschritt zum Zidovudindiphosphat geschwindigkeitsbestimmend ist. Dies führt zu einer intrazellulären Akkumulation des AZTMPs, was für einige Nebenwirkungen von Zidovudin 69 verantwortlich gemacht wird.

In Abb. 69 sind drei ausgewählte Ansätze für NDP- und NTP-Prodrugs zusammengefasst.

Abb. 69: Ansätze für NDP- und NTP-Prodrugs.

Ein Ansatz ist die Nutzung von Acyl- und Alkylglycerideinheiten zur Maskierung der endständigen Phosphateinheit. NDP-Diglyceride setzen jedoch intrazellulär nur das Nucleosidmonophosphat frei, da die Spaltung der Pyrophosphatbindung schneller abläuft als die Metabolisierung der Maskeneinheit durch Enzyme, die zur Freisetzung des Diphosphats führen würde.[113,114] Auch AZTTP-Diglyceride wurden erfolgreich synthetisiert, jedoch wurden auch hier nur AZT 69 und AZTMP in Enzymassays freigesetzt.[115]

Der zweite dargestellte Ansatz beruht auf der Verwendung von lipophilen Acylketten am β- bzw. γ-Phosphat. Der lipophile Acylrest sollte die notwendige Membrangängigkeit des negativ geladenen Nucleotids gewährleisten. Zudem wurde angenommen, dass die Hydrolyse des gemischten Carboxylphosphoranhydrids schneller ablaufen sollte als die Spaltung der Phosphoranhydridbindung. Dies konnte in Puffer und Kulturmedium erfolgreich bestätigt werden. Es wurde aus dem AZTDP-Prodrug bzw. dem AZTTP-Prodrug selektiv das AZT-Diphosphat bzw. das AZT-Triphosphat freigesetzt. Jedoch konnte keine gesteigerte antivirale Aktivität der Prodrugs im Vergleich zu AZT 69 festgestellt werden. Es wird davon

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ausgegangen, dass aufgrund der Labilität der Verbindungen kein effektiver Transport in den intrazellulären Raum stattfindet, da der Hauptteil bereits extrazellulär zersetzt wird.[116]

Das bereits in Abschnitt 6.4.1 vorgestellte cycloSal-Konzept wurde auch als Ansatz für Nucleosiddiphosphat-Prodrugs verwendet. Jedoch wird bei der Hydrolyse von 3-Methyl-cycloSal-AZTDP in Phosphatpuffer aufgrund der labileren Phosphoranhydridbindung im Vergleich zur Benzylesterbindung hauptsächlich das Zidovudinmonophosphat und nur in untergeordnetem Maße das Zidovudindiphosphat freigesetzt.[117]

Das erste NDP-Prodrugkonzept, das eine erfolgreiche intrazelluläre Freisetzung des Nucleosiddiphosphats realisieren konnte, war das DiPPro-Konzept, welches auch erfolgreich auf Nucleosidtriphosphate übertragen werden konnte. Dieses TriPPPro-Konzept war ebenfalls das erste Konzept, was eine erfolgreiche intrazelluläre Freisetzung des Nucleosidtriphosphats erreichen konnte.

6.5.1 DiPPro- und TriPPPro-Verbindungen

Die DiPPro-Verbindungen (Diphosphat-Prodrugs) wurden erstmal von JESSEN und MEIER

2008 publiziert[118] und von SCHULZ und GOLLNEST auf Triphosphate (TriPPPro) übertragen.[119-121] Das Konzept beruht auf den von THOMSON entwickelten BisAB-Prodrugs (Abschnitt 6.4), die die enzymatisch aktivierbaren 4-Acyloxybenzylgruppen zur Maskierung der Phosphatgruppe nutzen.[105] Bei den DiPPro- und TriPPPro-Verbindungen erfolgt die Maskierung der negativen Ladungen am β- bzw. γ-Phosphat ebenfalls durch zwei 4-Acyloxybenzylgruppen. Die negativen Ladungen der weiteren Phosphatgruppen bleiben unmaskiert, da die Phosphorsäureanhydrid-Bindung damit stabilisiert wird. Durch die Wahl der enzymatisch aktivierbaren Masken, gegenüber der chemisch aktivierbaren, bleibt die Phosphoranhydridbindung bei der Abspaltung vollständig unbeteiligt, so dass eine hohe chemische Stabilität der Prodrugs erreicht werden kann. Eine selektive intrazelluläre Freisetzung wird durch die Nutzung von Esterasen bei der Aktivierung der Masken aufgrund ihrer hohen intrazellulären Konzentration erreicht.[117,118]

Der Abspaltungsmechanismus der 4-Acyloxybenzylgruppen ist in Abb. 70 dargestellt. Die Initiierung der Freisetzung der Maskeneinheiten erfolgt, wie bereits erwähnt, durch Hydrolyse des phenolischen Acylesters durch Esterasen. Die daraus resultierende Umwandlung des Akzeptor- in einen Donorsubstituenten hat eine Destabilisierung der Benzylphosphatester-bindung zur Folge. Dies führt zu einem spontanen Zerfall des Intermediats über eine 1,6-Eliminierung in 4-Hydroxybenzylalkohol und ein monomaskiertes NMP, NDP bzw. NTP. Die Abspaltung der zweiten Maske findet auf dem gleichen Weg statt, so dass es anschließend zur Freisetzung des entsprechenden Nucleotids kommt.[105,118]

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Abb. 70: Enzymatischer Spaltungsmechanismus der 4-Acyloxybenzyl-Maskierungseinheiten.

Die chemische Stabilität der DiPPro- und TriPPPro-Verbindungen korreliert mit der Acylkettenlänge. Je länger der Alkylrest ist, desto stabiler ist das Prodrug. Jedoch nimmt mit steigender Kettenlänge auch der Anteil des gebildeten Monophosphats bzw. Diphosphats zu, das durch Spaltung der Phosphoranhydridbindung entsteht. Somit lässt sich mit der Wahl des Acylrests nicht nur die Lipophilie, sondern auch die Stabilität der Prodrugs und deren Metabolisierung steuern. Bei der chemischen Hydrolyse des monomaskierten Intermediats in Phosphatpuffer (pH 7.3) entsteht selektiv das Nucleosiddiphosphat bzw. -triphosphat, da die zusätzliche negative Ladung am endständigen Phosphat den nucleophilen Angriff auf das Phosphoratom erschwert.[121-123]

Die Abspaltung der zweiten Maske verläuft deutlich langsamer als die der ersten Maske, da die Abspaltung der zweiten Maske über einen anderen Mechanismus abläuft als die Hydrolyse der ersten Maske. Die unterschiedlichen Hydrolysewege sind in Abb. 71 dargestellt. Die chemischen Hydrolysemechanismen wurden mit TriPPPro-Verbindungen aufgeklärt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Ergebnisse ihre Gültigkeit auch für die Diphosphat-Prodrugs behalten.[121,123]

Abb. 71: Chemische Hydrolyse der DiPPro- und TriPPPro-Verbindungen.

Die Hydrolyse der ersten Maske erfolgt durch nucleophile Substitution am Benzylkohlenstoffatom (Weg A). Diese Reaktion läuft schneller ab, als die Spaltung des

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Acylesters. Als unerwünschte Nebenreaktion wird auch die Phosphoranhydridbindung gespalten (Weg B). Diese beiden Wege sind bei der Hydrolyse der zweiten Maske, aufgrund der gebildeten negativen Ladung an der endständigen Phosphatgruppe, nicht mehr möglich.

Stattdessen wird der Acylester gespalten und das Diphosphat bzw. das Triphosphat selektiv freigesetzt (Weg C).[121,123]

Die enzymatische Hydrolyse der Prodrugs wurde in T-Lymphozyt-CEM-Zellextrakt evaluiert.

Hierbei konnte die erfolgreiche Freisetzung des Nucleosiddiphosphats bzw. -triphosphats aus den Prodrugs bestätigt werden. Die Hydrolysehalbwertszeiten der Prodrugs lagen dabei deutlich unter denen der chemischen Hydrolyse, was die postulierte enzymatische Aktivierung bestätigt. Bei den Studien wurde zudem die gleiche Korrelation zwischen Acylkettenlänge und Stabilität wie bei den chemischen Hydrolysen festgestellt.

Zudem wurde eine antivirale Evaluation durchgeführt. DiPPro-d4TDP- und TriPPPro-d4TTP-Verbindungen mit unterschiedlichen Acylresten wurden auf ihre anti-HIV-Aktivität in Wildtyp CEM/0-Zellen und mutierten Thymidinkinase-defizienten CEM/TK--Zellen untersucht. Durch die Messung der antiviralen Aktivität in Thymidinkinase-defizienten Zellen können Rückschlüsse auf die Membranpermeabilität der Prodrugs geschlossen werden. In den Wildtyp-Zellen zeigen die meisten Prodrugs eine vergleichbare Aktivität gegen HIV wie das Nucleosidanalogon d4T 74. Bei den Assays mit TK--defizienten Zellen zeigen die Verbindungen mit kürzeren Ketten einen Verlust ihrer Aktivität. Dieser Aktivitätsverlust ist auf eine geringe Stabilität im RPMI-1640/FCS-Inkubationsmedium und auf eine geringere Membranpermeabilität zurückzuführen. Bei den Verbindungen mit langen Acylketten bleibt jedoch die antivirale Aktivität vollständig erhalten. Diese Ergebnisse belegen, dass eine Diffusion der Prodrugs durch die Zellmembran gegeben ist und phosphorylierte d4T-Metabolite intrazellulär freigesetzt werden.[117,121]

Trotz der erfolgreichen Evaluation des Konzeptes, sollte die unerwünschte Nebenreaktion der Spaltung der Pyrophosphatbindung durch Weiterentwicklung der Prodrugs weiter minimiert werden. Der Anteil an freigesetztem Monophosphat aus den DiPPro-Verbindungen korreliert mit der chemischen Stabilität der Prodrugs, die wiederum von der Acylkettenlänge abhängt. Je länger die Acylkette ist, desto stabiler ist das Prodrug gegenüber chemischer und enzymatischer Hydrolyse. Mit der Stabilität der DiPPro-Verbindungen steigt jedoch auch der Anteil an freigesetztem Monophosphat bei der Hydrolyse in Phosphatpuffer und Zellextrakt. Die Spaltung der Phosphoranhydridbindung wurde jedoch nur bei dem ersten Schritt der Hydrolyse der DiPPro-Verbindungen beobachtet. Aus dem monomaskierten Intermediat wurde selektiv das gewünschte Diphosphat gebildet. Somit wurden von WEINSCHENK nicht-symmetrische DiPPro-Verbindungen mit zwei unterschiedlichen Maskeneinheiten entwickelt.[124] Hierbei wurde für die erste Maske eine kurze Alkylkette als Acylrest verwendet. Diese wird schnell chemisch oder enzymatisch abgespalten, sodass

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schnell eine negative Ladung an der endständigen Phosphatgruppe entsteht. Hierdurch wird die Stabilität der Phosphoranhydridbindung erhöht. Die zweite Maske trägt als Rest eine lange Alkylkette, die für eine ausreichende Lipophilie und Stabilität des Prodrugs sorgt.

Durch diesen Ansatz konnte die unerwünschte Nebenreaktion verringert und eine selektivere Freisetzung des Nucleosiddiphosphats aus den DiPPro-Verbindungen erreicht werden.[124]

Es wurde ebenfalls eine nicht-symmetrische TriPPPro-Verbindung von GOLLNEST publiziert, die auch vielversprechende Ergebnisse in Bezug auf ihre Hydrolyseeigenschaften in Zellextrakt und ihre antivirale Aktivität gezeigt hat.[123]

Die bisherigen Ergebnisse sprechen für den Erfolg der DiPPro- und TriPPPro-Konzepte.

Jedoch bietet der Nachweis der Zellaufnahme, über die antivirale Aktivität in Thymidinkinase-defizienten Zellen, nur einen indirekten Beweis für die erfolgreiche Diffusion der Prodrugs durch die Zellmembran. Auf die von GOLLNEST durchgeführten Zellaufnahmestudien[120] wird in Abschnitt 6.6.1 eingegangen. Somit ist dies alleine kein ausreichender Beweis für die Membranpermeabilität der Verbindungen. Zudem lassen die antiviralen Daten nur geringe Rückschlüsse auf die Metabolisierung der Prodrugs zu. Es kann damit nicht eindeutig gesagt werden, ob auch wirklich intrazellulär das Nucleosiddi- bzw. -triphosphat freigesetzt wird. Es ist somit ein weiterer Ansatz zur Validierung der Eigenschaften der Verbindungen zwingend erforderlich.