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3 Grundlagen und Stand der Technik

3.4 Standards und Definitionen der Fehlerklassifizierung und des

3.4.1 Normen und Definitionen von Fehlern

Ein Fehler ist in der DIN EN ISO 9000 als eine Nichterfüllung einer festgelegten Anforderung definiert. Die Anforderung kann ein vorausgesetztes Erfordernis oder eine Erwartung an ein Produkt sein. Hierzu zählen festgelegte Abweichungen einer messbaren Anforderungsspezifikation, ein Nutzungsausfall, die Nichteinhaltung von Vorschriften, Verpflichtungen oder branchenspezifischen Verfahren. Allgemein sind aus einem Fehler resultierende Fehlerkosten abzuleiten. Diese Grundlage bietet eine Motivation zur näheren Auseinandersetzung mit Fehlern. Es werden die Ziele einer Fehlerbeseitigung und einer künftigen Fehlervermeidung verfolgt. Die Verpflichtung zu ständigen Verbesserungen ist in der DIN EN ISO 9001 formuliert.[51]

Das Fundament für die Klassifikation von Fehlern besteht aus unterschiedlichen Definitionen für Fehler und Klassifizierungen. Bei der Definition von Fehlern und Fehlerklassifizierungen wird in der digitalen Umwelt zwischen mindestens sechs Normen, Standardisierungen oder Richtlinien unterschieden. Diese unterschiedlichen Formulierungen für Regeln, Leitlinien bzw. Merkmale und Definitionen werden im nachfolgenden Abschnitt vorgestellt und dienen weiterhin als Leitfaden.

1) DIN 66271 Informationstechnik: Software-Fehler und ihre Beurteilung durch Lieferanten und Kunden[52]

Ein Fehler ist die Nichterfüllung einer festgelegten Forderung bzw. die Abweichung von einem erwarteten Merkmalswert und führt zu Differenzen zwischen Vertragsparteien.

Die Fehlerklassifizierung ist an der Bewertung der Fehlerfolgen ausgerichtet. Es wird zwischen drei Stufen für die Beeinträchtigung des Einsatzes und das Schadensrisiko unterschieden: a) hoch, b) mittel, c) niedrig. Die Priorität und der Behebungsaufwand teilen sich ebenfalls in drei Stufen.

2) EN ISO 9000:2005 Qualitätsmanagementsystem[52]

Ein Fehler ist die Nichterfüllung einer angegebenen Forderung, eines Erfordernisses oder einer Erwartung. Diese können üblicherweise vorausgesetzt oder vorgeschrieben werden. Ein Mangel ist die Nichterfüllung einer Forderung hinsichtlich des beabsichtigten oder festgelegten Gebrauchs. Mängel haben rechtliche Folgen und unterliegen einer Produkthaftung. Die Fehlerklassifizierung ist nicht definiert.

3) DIN 55350 Teil 31, Begriffe zu Qualitätsmanagement und Statistik[52]

Ein Fehler ist die Nichterfüllung vorgegebener Forderungen durch einen Merkmalswert.

Demnach sind Fehler Merkmalswerte, die außerhalb eines vorgegebenen Toleranzbereiches liegen. Die Verwendbarkeit eines Produktes muss nicht durch die Nichterfüllung der vorgegebenen Forderung beeinträchtigt sein. Die Fehlerklassifizierung und deren Bewertung sind ausgerichtet an den Fehlerfolgen. Es wird zwischen den drei folgenden Stufen unterschieden:

• Kritischer Fehler: Es werden gefährliche und kritische Situationen mit einem Nutzungsausfall erzeugt.

• Hauptfehler: Die Ausfallwahrscheinlichkeit ist wesentlich erhöht oder die Wahrscheinlichkeit der Nutzbarkeit wird herabgesetzt.

• Nebenfehler: Die Brauchbarkeit oder Betriebsbeeinträchtigung ist nur geringfügig beeinflusst.

4) IEEE 1044-1993 – Standard Classification for Software Anomalies

Ein Fehler ist jegliche Abweichung von Bedingungen, unter anderem von Anforderungsspezifikationen, Designdokumenten, Benutzerdokumenten und Standards, bezüglich der Erwartungen oder Erfahrungen. Die Fehlerklassifizierung wird indirekt über den aus einem Fehler resultierenden Produktstatus definiert. Es wird zwischen vier Statusmeldungen unterschieden: unbrauchbar, degradiert, beeinträchtigt, nicht beeinträchtigt.

Bei der Statusmeldung ‚beeinträchtigt‘ existiert eine provisorische Fehlerumgehung. Die provisorische Fehlerumgehung wird als Work-Around bezeichnet.

5) Telecom Standard TL9000, Quality Management System for the Telecommunications Industry[52]

Die branchenspezifische Norm ist eine Erweiterung der ISO 9000 und wird von den meisten bedeutenden Telekommunikations-Herstellern und -Netzbetreibern unterstützt sowie angewendet. Ein Fehler ist nicht explizit definiert. Es wird ausschließlich zwischen einem technischen Fehlverhalten, verursacht unter anderem von Hardware- oder Softwarekomponenten bei Dokumentation, Auslieferung, Service oder Rechnungsstellung, und Handhabungsproblemen bzw. Bedienerfehlern unterschieden.

Handhabungsprobleme entstehen bspw. aus inkorrekten Systemeingaben, fehlerhaften Installationsschritten oder bei Nichtbefolgen der Arbeitsweise entsprechend der Benutzerdokumentation.

Hinsichtlich der Fehlerklassifizierung wird zwischen drei Fehlerklassen unterschieden.

Diese Fehlerklassen werden stichpunktartig definiert:

• critical (kritisch): Die Beeinträchtigung der Hauptfunktionalität eines Produktes und die geschäftlichen Auswirkungen für den Kunden werden als kritisch eingestuft. Es werden sofortige Korrekturmaßnahmen unabhängig von der Tageszeit oder dem Wochentag erfordert, wie bei:

a) der Funktionsunfähigkeit des Produktes, vollständigem oder teilweisem Ausfall

b) der Verringerung der Kapazitäten, d. h. der Fähigkeit zur Verarbeitung von Daten/Datenverkehr sowie der Unfähigkeit, erwartete Lasten zu bewältigen c) dem Verlust der Notfallfähigkeit, beispielsweise von Notrufen

d) dem Sicherheitsrisiko oder Risiko zur Nichterfüllung von Sicherheitsmaßnahmen

• major (bedeutend): Die Hauptfunktionen eines Produkts erfahren keine Beeinträchtigung. Die Leistungsfähigkeit und die Produktivität im Betrieb werden allerdings bezüglich der vordefinierten Bearbeitungszeiten bedeutend belastet. Der Kunde hat dadurch ökonomische Beeinträchtigung zu beklagen.

a) Reduzierung der Produktkapazität; erwartete Belastung können bewältigt werden

b) Verlust der Verwaltungs- oder Wartungssichtbarkeit des Produkts und/oder der Diagnosefähigkeit

c) Wiederholter Abbau von essenziellen Komponenten oder Funktionen

d) Verschlechterung der Produktfähigkeit, um erforderliche Benachrichtigungen über Fehlfunktionen zu erhalten

• minor (gering): Es werden keine Beeinträchtigungen der Hauptfunktionalität eines Produkts und der Leistungsfähigkeitsindikatoren im Betrieb erwartet. Die Funktion des Systems wird geringfügig bis gar nicht beeinträchtigt.

6) Nach Six Sigma – Qualitätsziel und Managementmethode[52]

Ein Fehler ist ein unerwartetes Verhalten; er wird nicht in der Entstehungsphase identifiziert, sondern während der anschließenden Entwicklungsphase entdeckt. Die Abweichungen werden gemäß der Six-Sigma-Definition nach Freigabe zu Defekten erklärt. Ein Defekt ist ein unerwartetes Verhalten, das über das Produkt bis ins Feld, während der Nutzungsphase beim Kunden oder Endverbraucher, übertragen wird. Die Fehlerklassifizierung unterscheidet nach Six Sigma zwischen zwei Klassen:

• A-Fehler sind fehlerhafte oder fehlende Anforderung und nicht entdeckte Kundenerwartungen oder -bedürfnisse;

• B-Fehler sind fehlerhafte Implementierungen von definierten Anforderungen. Diese Fehler sind beispielsweise eine nicht vollständige Umsetzung von Spezifikationen oder Software-Fehler, wie inkorrekte Implementierungen oder Software-Abstürze.

In den wissenschaftlichen Literaturen werden Begriffe wie Abweichung, Defizit oder Störung verwendet; diese beziehen sich immer auf auftretende Fehler.

Definition Fehler dieser Arbeit: Ein Fehler ist die Nichterfüllung von verfügbaren funktionalen Produktmerkmalen sowie die Abweichung von Kundenerwartungen.

Nach den vorgestellten Normen, Richtlinien und Standardisierungen kann keine einheitliche Fehlerklassifizierung formuliert werden, denn jede Norm, Richtlinie oder Standardisierung betrachtet die Fehlerklassifizierung auf einer anderen Ebene. Die

unterschiedlichen Definitionen für Fehler und Fehlerklassifizierungen dienen als Grundlage für die konzeptionelle Erstellung einer Fehlerklassifizierung für die digitalen Dienste in der Automobilindustrie. Es wird nicht zwischen richtig und falsch selektiert;

vielmehr wird die Übertragbarkeit von einzelnen Elementen zur Erstellung der branchenspezifischen Fehlerklassifizierung bewertet. Das Ziel ist die Erstellung einer Fehlerklassifizierung basierend auf den vorgestellten Normen, Richtlinien und Standards.

Die Fehlererfassung und -dokumentation spielt für das reaktive Fehlermanagement eine entscheidende Rolle. Ohne eine standardisierte Erfassung und Dokumentation der Fehler, die während der Entwicklung bspw. durch Tests und während des Betriebes bspw. durch Kundenreklamationen auftreten, sind eine anschließende Fehleranalyse, Klassifizierung und Fehlerbehebung kaum möglich. Somit muss die Relevanz dieses Teils des Fehlermanagements deutlich betont werden. Da die Fehlererfassung und Dokumentation stark von dem angebotenen Produkt abhängig sind, wird hier nicht näher darauf eingegangen. Im Anhang 1 befindet sich eine Liste von Fragen, die im Zuge der Dokumentation von Software-Fehlern bedeutsam sind.

Ein grundlegendes Werkzeug für ein effektives und effizientes Fehlermanagement sind Fehlerklassifizierungen. Sie bilden die Grundlage für standardisierte Verfahren zur Fehlerbehandlung und unterstützen zudem eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung im Rahmen des Qualitätsmanagements. Eine Fehlerklassifikation muss immer unternehmensspezifisch an das entsprechende Portfolio angepasst werden. Zentrales Ziel von Fehlerklassifikationen ist es, eine möglichst unternehmensweite einheitliche Entscheidungshilfe für den Umgang mit Fehlern zu geben. Diese sollte sowohl während der Entwicklung und des Testens als auch während des Betriebes einheitlich und standardisiert sein. In Kapitel 7.4 wird detailliert darauf eingegangen.