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I. VORBEDINGUNGEN ZUR GRÜNDUNG DER EKHN

3. M ARTIN N IEMÖLLER

3.2 Niemöller als Theologe

115 sind, gerne und ganz dafür einsetzen, dass wir wieder den Weg unter die Füße bekommen. Das ist freilich der Wunsch und das Gebet meines Herzens, weil ich nicht glauben kann, dass es ein anderer und nicht der Heilige Geist gewesen ist, der uns damals vor 12 Jahren in seinen Dienst nahm und zum Werke rief.“397

Niemöller war davon überzeugt, dass es seine persönliche Aufgabe war, sich für die Neuordnung der Kirche einzusetzen. Es ist kaum vorstellbar, dass er selbst es für möglich gehalten hätte, „still beiseite zu treten“ und „zuzusehen“. Sein Wunsch, das Nötige anzupacken, erwies sich als ungebrochen.

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als wenn er still und zurückgezogen nur einen Hof bewirtschaftet hätte, wie er sich das gedacht hatte.400 Und plötzlich habe er gewusst, dass er „in diesen Monaten ein anderer geworden war, dass (…) Volk und Heimat mir wieder nahe gerückt waren.“401

So beschloss er mit 27 Jahren, Pfarrer zu werden, wenn er auch eine Berufung für diesen Beruf zuvor wohl noch nie gespürt hatte. („Ich hatte doch seit meinem fünften Lebensjahr niemals etwas anderes als Seefahrt gewollt und hing an meinem Beruf mit ganzem Herzen.“402)

Als er seinem Vater seine Ängste eingestand, dass er künftig nicht mehr vor einer Gruppe von Marinesoldaten reden, sondern vor einer ganzen Gemeinde würde predigen müssen, habe sein Vater, Heinrich Niemöller, gesagt: „Ach, das lernst du schon“ und den möglicherweise entscheidenden Satz hinzugefügt: „Mein Junge, der freieste Beruf auf der ganzen Welt ist heute der eines evangelischen Pfarrers.“403 So schrieb Niemöller sich an der Universität Münster ein, im Januar 1920 zog Familie Niemöller in diese Stadt.

Im Jahr 1922 nahm er an einer „theologischen Woche“ in Bethel teil, wo er unter anderem Paul Althaus hörte, dessen Theologie sich in vielerlei Hinsicht mit den Anschauungen Hitlers vertrug und Niemöller stark beeindruckte. Althaus vertrat ebenfalls „völkische“ und nationalistische Ansichten und setzte sich später für die Einführung des Arierparagraphen ein.

An der Münsterer Universität hörte Niemöller Reformationsgeschichte bei Georg Grützmacher, Neues Testament bei Otto Schmitz und Altes Testament bei Gustav Rothstein. Die für einen Pastor erforderlichen praktischen Kenntnisse und Fertigkeiten erlernte Niemöller im von Julius Smend404 geleiteten akademischen Kirchenchor, und in Smends Seminaren eignete er sich die Kunst des Predigens an. Um diese zu üben, bat er seinen Vater um Gelegenheiten in dessen Elberfelder Gemeinde. Die Erlaubnis wurde gerne erteilt.

400 Vgl.M. Niemöller: Vom U-Boot zur Kanzel, S. 163f.

401 Ebd., S. 164.

402 Niemöller, zitiert in Bentley: Martin Niemöller, S. 24.

403 Ebd., S. 35.

404 Dekan der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Münster, Bruder des Theologen Rudolph Smend, sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Praktische Theologie wurde Wilhelm Stählin.

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Trotz aller Schwierigkeiten brachte Niemöller auch seine Doktorarbeit „über die religionspsychologische Methode“ zu Ende.405 Die Doktorprüfung absolvierte er im Mai 1924, die Ordination folgte Ende Juni 1924. Zwar schloss Niemöller sein wissenschaftliches Studium somit erfolgreich ab. Aber er betonte stets, auch in seinen Studienjahren, „das meiste von evangelischen Geistlichen in Münster, von persönlichen Freunden und Bekannten unter den Christen seiner Heimat Westfalen, von seinem Hauswirt Pastor Kähler und vom Bischof von Westfalen, Wilhelm Zöllner“ 406 gelernt zu haben. Kähler und Zöllner hatte er seine ersten Pfarrstellen zu verdanken: Im April 1923 wurde Niemöller Vikar in der Gemeinde seines Hauswirts, Freundes und Mentors Kähler, setzte sein Studium aber fort.

Für Niemöller hörten die Sorgen um den Lebensunterhalt seiner Familie nicht auf.

So nahm er an, als der Superintendent Dr. Zöllner ihm noch vor seiner Ordination eine feste Anstellung als Geschäftsführer der einst von Johann Hinrich Wichern gegründeten Inneren Mission Westfalens anbot. Sein Herzenswunsch aber blieb es, als Pfarrer eine Gemeinde zu übernehmen, denn in der Arbeit in der Gemeinde sah er den Auftrag Jesu Christi, den Glauben zu leben: Die Gemeinde habe eine Aufgabe. Diese Aufgabe vollende sich wiederum in der Gemeinde. Nicht der Einzelne sei aufgerufen, in seiner Privatexistenz die Botschaft Gottes anzunehmen. Sondern jeder Gläubige solle Teil der Gemeinde werden und in dieser Gemeinschaft Gott erfahren.407 So beschloss er sieben Jahre zu bleiben:

„Jakob diente sieben Jahre für seine Rahel. Ich werde diese Arbeit sieben Jahre lang machen, keinen Tag länger.“408 Niemöller bestand darauf, von der Inneren Mission nur den Differenzbetrag zwischen seiner Offizierspension und dem für ihn vorgesehenen Gehalt ausgezahlt zu bekommen. „Ich wollte den Menschen dienen, nicht einer Organisation“, erklärte er.409 So war die finanzielle Zukunft zunächst gesichert. Und als die Innere Mission ein Haus mit Amtsräumen errichtete, bezog Familie Niemöller darin eine geräumige Wohnung.

405 Vgl. Bentley: Martin Niemöller, S. 45.

406 Vgl. ebd., S. 43.

407 Niemöller setzt fort: „Mit diesem Auftrag, der der Kirche gegeben ist, steht und fällt alles, was wir Christentum nennen. Von diesem Auftrag kann die Kirche sind nicht frei machen.

Keine Macht der Welt kann sie davon dispensieren. Führt sie ihren Auftrag nicht mehr aus, so ist sie nicht mehr die Kirche Jesu Christi.“ In: M. Niemöller/ O. Dibelius: Wir rufen Deutschland zu Gott, S. 82f.

408 Bentley: Martin Niemöller, S. 46.

409 A.a.O.

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Zu Niemöllers Aufgaben gehörte es, die in Westfalen im Sinne der Inneren Mission arbeitenden 49 Organisationen zu koordinieren. Bischof Zöllner teilte Wicherns Vision, dass die Aufgabe der Kirche nicht in der Betreuung von Kranken und Verwundeten bestehe, sondern dass die Kirche auch als das Salz der Erde und als das Licht der Welt dienen müsse. „Zöllner betrachtete die Innere Mission als innerkirchliche Reformbewegung und sah somit in ihr „eine Einlösung der sozialen Verheißungen des Evangeliums und der sozialen Aufgabe der Kirche“.410 Niemöller beschrieb die Innere Mission 1937, indem er erklärte, dass die Verkündigung des Evangeliums an die jeweiligen Zuhörer und ihre Lebensumstände angepasst werden müsse. Es müsse den Gläubigen möglich sein, das Evangelium, das ihnen gepredigt wird, auch zu leben. Dies sei nicht der Fall, wenn man in Gegenden, die von Armut geprägt sind, von Jesus Christus und seiner Botschaft erzählt, anschließend aber in seine eigene Lebenswelt zurückkehrt und die Gläubigen unversorgt zurücklässt. Diese Überlegung veranschaulichte er mit dem Beispiel von „Stöckers Schrippenkirche“: Sie „ging aus der einfachen Erwägung hervor, dass die Arbeitslosen und Obdachlosen erst einmal etwas im Magen haben müssen, wenn man ihnen eine christliche Predigt halten will.“411

Frömmigkeit, die sich aus einer kindlichen Verehrung für Jesus nährte, war für Martin Niemöller etwas ganz Natürliches. Diese in vieler Hinsicht schlichte Frömmigkeit hat er sich sein Leben lang bewahrt. „Theologen und sogenannte Wissenschaftler“, sagte er einmal, „sind nur dazu da, unverständlich zu machen, was jedes Kind begreift.“ Und mit einer Gebärde in Richtung der Bücherregale in seinem Arbeitszimmer fügte er hinzu: „Ich gebe keinen Heller für all diese Schinken.“412 Seinem Biographen James Bentley erklärte er: „Ich habe für Theologen nie viel übrig gehabt. Nehmen Sie Karl Barth, meinen liebsten Freund.

Alle seine Bücher stehen hier. Ich habe nicht ein einziges davon gelesen. Ich habe nie eine einzige Vorlesung von ihm gehört.“413 Auch die komplexe Denkweise Barths lag ihm nicht.

410 Bentley: Martin Niemöller, S. 48.

411 M. Niemöller/ O. Dibelius: Wir rufen Deutschland zu Gott, S. 83f.

412 Bentley: Martin Niemöller, S. 12.

413 A.a.O.

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Dennoch entwickelte sich sein Glaube, wenn er Niemöller auch grundsätzlich in die Wiege gelegt worden war, unter dem Einfluss Karl Barths weiter. Unter anderem schärfte Barth sein Bewusstsein für die feinen Unterschiede zwischen den verschiedenen protestantischen Bekenntnissen, wenn Niemöller diese Unter-schiede auch nie für wirklich bedeutsam hielt und einmal sogar erwähnte, er habe in den frühen Jahren ihrer Zusammenarbeit nicht gewusst, dass er selbst Lutheraner, Barth aber Calvinist war.414

Karl Barth erzählte am 60. Geburtstag Niemöllers, wie Gespräche zwischen den beiden Freunden verliefen:

„Barth: „Martin, ich wundere mich, dass du trotz der wenig systematischen Theologie, die du getrieben hast, doch fast immer das Richtige triffst!‟ Niemöller:

„Karl, ich wundere mich, dass du trotz der vielen systematischen Theologie, die du getrieben hast, fast immer das Richtige triffst!‟“415

Vor allem während der auf die Barmer Synode folgenden Geschehnisse vertraute Niemöller zunehmend dem Urteil Karl Barths. Zwar sei er nie „ein intimer theologischer Gesprächspartner für ihn“ gewesen, „aber er brachte mich und hielt mich auf dem richtigen Weg.“416

Vermutlich von ihm übernommen hat Niemöller seine ablehnende Haltung gegenüber dem Gedanken, dass es neben dem Christentum, das sich aus der Heiligen Schrift ergibt, noch eine Quelle göttlicher Wahrheit geben könnte, die das Christentum mitbestimmt, z.B. die Geschehnisse des „deutschen Volkes“ oder seiner „historischen Stunde“.

Nachdem Niemöller sieben Jahre lang bei der Inneren Mission gearbeitet hatte, erfüllte sich sein damaliger Herzenswunsch und er konnte am 1. Juli 1931 eine Stelle als einer von drei Pfarrern des Berliner Gemeindebezirks Dahlem antreten.

Dort war seine mittlerweile achtköpfige Familie sehr freundlich aufgenommen worden. Seine beiden Pfarrerkollegen waren Eberhard Röhricht und Friedrich Gerhard. Dahlem war Niemöllers erste und einzige Pfarrei. Die Gemeinde des vornehmen Villenvorortes umfasste sehr reiche und kultivierte Mitglieder, aber auch für diese tätige Arbeiter und Angestellte der herrschaftlichen Häuser. Jedes einzelne seiner Gemeindemitglieder wollte Niemöller besuchen und wandte sich mit großem Engagement der Gemeindearbeit zu. Formell war er seinen beiden

414 Vgl. ebd., S. 289.

415 K. Barth zitiert a.a.O.

416 Ebd., S. 132.

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Pfarrerkollegen untergeordnet, aber man wechselte sich bei der Erfüllung der Aufgaben turnusmäßig ab. Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich Niemöller allgemein anerkannt zum führenden Kopf der Gruppe und zog Anfang 1932 in das Pfarrhaus nahe der St.-Annen-Kirche ein.