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Kirchenordnungen als Vorgänger-Ordnungen von 1922 auf dem Gebiet der heutigen

I. VORBEDINGUNGEN ZUR GRÜNDUNG DER EKHN

1. K IRCHENORDNUNG UND K IRCHENVERFASSUNG

1.3 Kirchenordnungen als Vorgänger-Ordnungen von 1922 auf dem Gebiet der heutigen

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1.3 Kirchenordnungen als Vorgänger-Ordnungen von 1922 auf dem Gebiet

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In der neuen Verfassung, die die Evangelische Landeskirche in Hessen am 1.6.1922 erhielt, wurde der Landeskirchentag in folgender Zusammensetzung festgelegt: Zu 18 geistlichen und 36 weltlichen Mitgliedern kamen 6 von der Kirchenregierung berufene Abgeordnete, so dass der Landeskirchentag 60 Mitglieder umfasste. Er sollte für 6 Jahre im Amt bleiben und für die Kirchenregierung als Vorsitzenden einen Geistlichen mit dem Titel „Prälat“ sowie dessen Stellvertreter, einen weltlichen Beamten, wählen. Zur Leitung gehörten außerdem der Landeskirchenausschuss und fünf weitere Mitglieder der Landessynode.

Die oberste Verwaltungsbehörde war das Landeskirchenamt. Es setzte sich aus dem Prälaten und seinem Stellvertreter und den Superintendenten und verschiedenen Räten zusammen.

Die geistliche Verantwortung lag beim „Kollegium der Superintendenten“, welchem der Prälat vorstand.56 Die Superintendenten waren als die geistlichen Leiter ihres Sprengels auf Lebenszeit ernannt.

Die Rolle des Prälaten ermöglichte eine recht persönliche Ausgestaltung. Zwar wurden seine Aufgaben benannt, aber für ihre Ausführung ließ man ihm alle Freiheiten.57

1.3.2 Nassau

Die am 10.5.1922 gebildete Verfassungskommission der Evangelischen Landeskirche in Nassau, die ihren Sitz in Wiesbaden hatte, konnte nach 41 Sitzungstagen einen Verfassungsentwurf vorlegen, der vom 21.11.-5.12.1922 beraten und am 6.12.1922 vom Verfassunggebenden Landeskirchentag angenommen wurde. Die Inkraftsetzung der neuen Verfassung erfolgte abschnittsweise bis 1925, zu Änderungen kam es bis 1928.

Der Landeskirchentag hatte seine Verfassung mithilfe verschiedener Entwürfe ausgearbeitet: Neben allen kirchenpolitischen Gruppen hatten auch mehrere Theologen und Kirchenmitarbeiter konkrete Vorschläge vorgelegt und erläutert.58

56 Vgl. ebd., S. 461.

57 Vgl. ebd., S. 462: „Bei einer so allgemein gehaltenen Beschreibung des Amtes musste alles von der Persönlichkeit abhängen, die an die Spitze der Landeskirche gestellt wird.“

58 Vgl. ebd., S. 479.

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Ein Streitpunkt war die Rolle des Landesbischofs: Während die kirchliche Linke versuchte, „den Charakter der Volkskirche verfassungsmäßig zu verankern, das Recht der Kirchengemeinde zu erweitern und episkopalen Neigungen entgegen zu wirken“59, bemühte sich die kirchliche Rechte, die Stellung des Landesbischofs besonders herauszuheben. Auch in dieser Landeskirche war man bestrebt, die Kirche von der Gemeinde her zu gestalten.

Ferner musste die Bekenntnisfrage besprochen werden. Auf der Vollversammlung des Verfassunggebenden Landeskirchentages, auf dem die Verfassungs-kommission gebildet wurde, wurde in einer „Kundgebung“ u.a. formuliert:

„Wir vertrauen auf die bewährte Anhänglichkeit und tätige Mitarbeit ihrer getreuen Mitglieder und hoffen, dass die neue Glaubenssehnsucht vieler in ihr als Volkskirche heimisch werden möge gemäß der Verheißung: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen!‟ In dem Bewusstsein: „Mit unserer Macht ist nichts getan!‟, bekennen wir uns erneut zu Jesus Christus dem Herrn und seinem Evangelium, wie es in der Heiligen Schrift niedergelegt und durch die Reformation neu erschlossen ist.“60

Einige Abgeordnete verlangten, dass das Bekenntnis zum „Evangelium von Jesus Christus, dem für uns gekreuzigten, auferstandenen und wiederkommenden Heiland, dem Herrn der Kirche“61 in die Präambel der Verfassung Aufnahme finde. Dies wurde schließlich abgelehnt, da die Landeskirche „alle umfassen“ und

„nicht jeden Einzelnen erst einer Glaubensprüfung unterziehen“62 wolle, diese Bekenntnisformulierung damit nicht in die Verfassung gehöre.

In Nassau entwickelte es sich zu einer Eigenart dieser Landeskirche, dass eine Vielzahl verschiedenster kirchenpolitischer Gruppierungen, Gemeinschaftskreise und unterschiedlich gegliederter Gesellschaftsschichten unter einem Dach zusammengehalten werden mussten.

Laut § 97 der Verfassung war der „oberste Träger der der Landeskirche innewohnenden Kirchengewalt“63– ähnlich wie in Hessen-Darmstadt – der Landeskirchentag. In ihn wurden 60 gewählte Abgeordnete entsandt: ein Drittel Pfarrer, ein Drittel weltliche Mitarbeiter der Kirche und ein Drittel weltliche Interessierte aus den Gemeinden. Hinzu kamen acht Abgeordnete mit beratender Stimme. Es wurde explizit formuliert, dass die Abgeordneten nach eigener

59 Steitz: ebd., S. 480.

60 Steitz: ebd., S. 479.

61 Steitz: ebd., S. 480

62 Steitz: a.a.O., S. 480.

63 Vgl. ebd., S. 483.

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Entscheidung urteilen sollten: Sie seien Vertreter der Landeskirche und damit „an Aufträge und Weisungen ihrer Wähler nicht gebunden, vielmehr verpflichtet, ihre Stimme nach eigener Überzeugung abzugeben“64.

Ein Großteil der Verwaltungsaufgaben und die laufenden Geschäfte der Kirche wurden vom Landeskirchenamt in Wiesbaden bearbeitet, den Vorsitz führte hier ein Jurist.

Die Regierung der Landeskirche lag bei zwei kollegialen Behörden: dem Vorstand des Landeskirchentages und jeweils zwei vom Landeskirchentag und vom Landeskirchenamt abgeordneten Vertretern. Ihnen stand in der Regierung der Landeskirche der Landesbischof vor. Während die geistliche Leitung der Kirche Aufgabe der Landeskirchenregierung war, oblag die juristische Leitung dem Landeskirchenamt unter dem Vorsitz seines Präsidenten, Hans Theinert.

Der Landesbischof war dem Präsidenten des Landeskirchenamtes nebengeordnet und hatte keinen persönlichen Vorgesetzten. Von äußeren Verwaltungsaufgaben sollte er frei bleiben, um die geistliche Leitung der Kirche mit allen seelsorgerlichen Aufgaben ausüben zu können. Hierzu sollte er sich durch regen Austausch detaillierte Kenntnisse des geistlichen Lebens innerhalb der einzelnen Gemeinden verschaffen.

In diese Funktion wurde am 19.3.1925 einstimmig August Kortheuer gewählt.

1.3.3 Frankfurt

In der evangelischen Landeskirche Frankfurt wurde die Verfassung am 13.12.1922 von der Verfassunggebenden Kirchenversammlung angenommen und nach einigen Änderungen des Wortlautes durch den Landeskirchenrat im Juni 1929 neu verkündet. Weitere Änderungen wurden zum 11.11.1930 und 11.12.1931 berücksichtigt.65

Auf der gemeinsamen Grundannahme, dass Kirche die Versammlung aller Gläubigen ist und somit die Kirchengemeinde Kirche ist, entstanden zwei sehr unterschiedlich konzipierte Entwürfe. Laut den meisten Anhängern der kirchlichen Rechten mussten nur einige Aspekte der Verfassung von 1899

64 Vgl. § 106 der Verfassung der Evangelischen Landeskirche in Nassau, zitiert ebd., S. 484.

65 Vgl. ebd., S. 498.

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zeitgemäß überarbeitet werden. Andere Kirchenmitglieder, vor allem der Jurist Friedrich Giese und der Theologe Johannes Kübel, orientierten sich an den Verfassungen anderer deutscher Landeskirchen und untersuchten das kirchliche Leben in Frankfurt, denn aus diesem heraus müsse sich die Verfassung entwickeln. Ihr Entwurf fand so große Anerkennung, dass er als Grundlage für die Beratungen diente.66 In diesem Entwurf der Liberalen erhielt die Kirchen-gemeinde zentrale Bedeutung: Alles Handeln der Landeskirche hatte ihr zu dienen, ihre Einrichtungen sollten für die Gemeinde hilfreich sein, ihre Aufgaben wahrzunehmen67. Unter anderem wurden die Pfarrer von nicht-theologischen Arbeiten entlastet, so dass sie wieder wissenschaftlich arbeiten konnten. Die Folge hiervon war ein hohes Ansehen der Frankfurter Pfarrer in der Wissenschaft wie in der Bevölkerung. Bei dem Christentum Fernstehenden dagegen wurde diese theologisch anspruchsvolle Tätigkeit als Abwendung von den praktischen Aufgaben eines Pfarrers betrachtet, was Neid und Missgunst evozierte und zu Aktionen wie Karikaturen bis hin zu Hetzkampagnen führte.68

Obwohl das Gebiet dieser Kirche nicht einmal vollständig das Gebiet einer Stadt umfasste, bezeichnete man sich auch hier als „Landeskirche“, um sich von den Freikirchen abzugrenzen, die weniger Rechte und Pflichten durch den Staat hatten.69

Die Verfassung von 1920 erhielt einen Vorspruch: Wie auch in Nassau war die Bekenntnisfrage Gegenstand von Diskussionen. Man war der Ansicht, dass eine Feststellung über den geschichtlich gewachsenen Bekenntnisstand dieser Landeskirche nicht Teil einer Kirchenordnung oder -verfassung sein könne. Aber man lehnte sie deswegen nicht gänzlich ab, zumal sich alle evangelischen Gemeinden in ihrem „Bekennen“ zum Evangelium einig waren, sondern man entschied sich dafür, sie der Verfassung als „Vorspruch“ voranzustellen. Inhalt war nicht der Bekenntnisstand der Landeskirche, sondern der der Kirchengemeinden. Die Stadt Frankfurt war seit ehedem lutherisch, aber 1899 war es zu einer Vereinigung mit den beiden reformierten Gemeinden der Stadt zur

„evangelischen Kirche“ gekommen.

66 Vgl. ebd., S. 513.

67 Vgl. a.a.O.

68 Vgl. ebd., S. 515.

69 Vgl. ebd., S. 500.

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In der Verfassunggebenden Kirchenversammlung vom 16.3.1922 hatte man die Einführung einer Union beraten, dies war aber von den reformierten Gemeinden abgelehnt worden. Im April 1929 kam es zu einem Zusammenschluss der lutherischen Gemeinden mit einem unierten Gebiet.

Nachdem der Landesherr nicht mehr Inhaber der Kirchengewalt war, übte seine Rechte zunächst der „evangelische Kirchenausschuss“ aus, bis zur Bildung der verfassungsmäßigen Organe am 11.2.1925.

Die Landeskirchenversammlung war mit ihrem Recht der Gesetzgebung das oberste Organ, von ihr gingen sämtliche Amtsvollmachten aus. Die Amtsdauer betrug jeweils 6 Jahre. In diese Versammlung entsandte jede Gemeinde einen weltlichen Vertreter. In gleicher Zahl wählte die Landeskirchenversammlung geistliche Abgeordnete. Zusammen mit dem Vorstand der Landeskirchen-versammlung berief sie außerdem sechs geistliche oder weltliche Abgeordnete.

Auf diese Weise sollte u.a. eine angemessene Vertretung der Religionslehrer in der obersten Instanz sichergestellt werden.

Wie in den Landeskirchen von Hessen und Nassau ergab sich auch in Frankfurt eine Zahl von 60 Abgeordneten, davon zwei Drittel weltlich und ein Drittel geistlich. Kam eine neue Gemeinde hinzu, nahm die Zahl um zwei bis drei zu. Als 1929 der Kirchenkreis Bockenheim von Hessen-Kassel kommend angeschlossen wurde, wuchs die Zahl der Abgeordneten auf 96, was angesichts der Größe der Landeskirche sehr viel war. Aus diesem Grunde war eine Neuordnung geplant, diese wurde jedoch „durch die Ereignisse von 1933 überholt.“70

Auch in der Frankfurter Verfassung wurde ausdrücklich erklärt, dass die Abgeordneten niemandem außer ihrem Gewissen verpflichtet seien, also keine Beauftragten ihrer Wähler waren71. Nicht ausgeschlossen war die Bildung kirchenpolitischer Interessengruppen und damit ein gewisser Fraktionszwang.

Der Vorstand der Landeskirchenversammlung bestand aus Personen, die aus den eigenen Reihen gewählt waren: einem Präsidenten, seinem geistlichen und weltlichen Stellvertreter und geistlichen und weltlichen Beisitzern. Der erste

70 Ebd., S. 508.

71 Vgl. Verfassung der Evangelischen Landeskirche Frankfurt am Main vom 12.1.1923.

Kirchliches Amtsblatt für den Amtsbezirk des Evangelischen Konsistoriums zu Frankfurt am Main. 1919-1924, § 82. Siehe auch Steitz: Geschichte der EKHN, S. 508.

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Präsident der Landeskirchenversammlung war der Theologe Wilhelm Bornemann72, ab 192573 mit Richard Schulin ein Jurist.

In einigen Bereichen wurden die Beschlüsse nach Bekenntnis getrennt gefasst und galten nur in den entsprechenden Bekenntnisgemeinden. Nicht getrennt erfolgte die Beschlussfassung z.B. des Gesangbuches, welches eine große Anerkennung in Deutschland fand.74

Den von der Landeskirchenversammlung erlassenen Gesetzen folgend leitete der Landeskirchenrat die Kirche. Durch diesen nur aus lutherischen Mitgliedern bestehenden Rat wurde das gesamte Kirchenwesen geleitet.75 Es war eine kollegial strukturierte Behörde, bestehend aus ihrem Präsidenten und Kirchenräten. Ob der Präsident theologisch oder weltlich ausgebildet sein sollte, war nicht festgelegt, die Persönlichkeit des einzelnen Kandidaten war entscheidend. Da er keiner Instanz unterstand, wäre es ihm möglich gewesen, sich absolutistische Macht anzueignen oder seine Macht anderweitig zu missbrauchen.

Aus diesem Grunde erwog man, die Möglichkeit eines Misstrauensvotums in die Verfassung fest aufzunehmen oder die Amtsdauer eindeutig zu begrenzen. Man hielt letzteres für das geeignetere Mittel: Der Präsident wurde – wie auch die Kirchenräte – für eine Amtszeit von 12 Jahren gewählt und seine Amtszeit verlängerte sich automatisch um weitere 12 Jahre, wenn nicht mindestens ein Drittel der Mitglieder einen Antrag auf Neuwahl stellte.76 Ein Stellvertreter wurde nicht extra benannt, man betrachtete in stiller Übereinkunft das dienstälteste Kollegiumsmitglied als solchen, zu diesem Zeitpunkt den Pfarrer Johannes Kübel.

Jedes Mitglied der Frankfurter Landeskirche konnte bei Streitigkeiten bezüglich der Auslegung verfassungsmäßiger Bestimmungen das „Landeskirchengericht“

einberufen, das nur in diesem Fall zusammentrat. Alle Mitglieder waren von der Landeskirchenversammlung gewählt. Vorsitzender und Stellvertreter waren Juristen, unter den Beisitzern waren mindestens zwei Pfarrer.

72 30.11.1924.

73 11.2.1925.

74 Vgl. Steitz: Geschichte der EKHN, S. 508f.

75 Vgl. ebd., S. 509.

76 Vgl. Verfassung der Evangelischen Landeskirche Frankfurt am Main vom 12.1.1923.

Kirchliches Amtsblatt für den Amtsbezirk des Evangelischen Konsistoriums zu Frankfurt am Main. 1919-1924, § 100. Vgl. auch Steitz: Geschichte der EKHN, S. 510.

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Die Frankfurter Landeskirche arbeitete also mit drei Gewalten: Die

„Landeskirchenversammlung“ war die legislative, der „Landeskirchenrat“ die exekutive und das „Landeskirchengericht“ eine appellative Instanz.

In zweiwöchigem Rhythmus trafen sich die maßgeblichen Kräfte, liberale Theologen, zu einem Gedankenaustausch, unter ihnen Wilhelm Bornemann und Johannes Kübel.

1.3.4 Kirchengemeinschaft

Alle drei Landeskirchen gehörten dem 1922 gegründeten Kirchenbund an (s. o.), in vielen Bereichen des Predigens sowie des kirchlichen Lebens war man sich einig. In allen drei Landeskirchen wurde aufmerksam die Frage diskutiert, was zu predigen sei. Alles Leben, das kirchliche wie das weltliche, war im Wandel, die Pfarrerschaft arbeitete an der Frage, wie die Botschaft am besten vermittelt werde.

Es gab sehr ambitionierte Erweckungspredigten und theologisch anspruchsvoll recherchierte und sorgfältig ausgearbeitete Predigten, die Gottesdienste waren gut besucht.

Dies stieß natürlich nicht überall auf Gegenliebe77: Wie in Frankfurt wurden Pfarrer karikiert, Hetzkampagnen gegen die Kirche und ihre Amtsträger angezettelt, auch inhaltlich wurden Angriffe durchgeführt. So wurde z.B. erklärt, der biblische Schöpfungsbericht sei überholt. Die Angriffe wurden berechenbar und damit die Verteidigung entsprechend gut vorzubereiten – „die Herausgeforderten rüsteten zum Gegenangriff“78. Viele Ausdrücke aus der Militärsprache hielten Einzug in den Duktus der Kirchenmänner.79

Ein weiteres Problem stellten die wirtschaftlichen Krisen des Deutschen Reiches dar, die auch an den Kirchen nicht spurlos vorüber gingen. Trotz großer Einbrüche der Einnahmen mussten die Pfarrer versorgt werden. Dies wurde zunehmend schwieriger. Da die Kirche einen festen Platz in der Gesellschaft hatte und die Pfarrer hohes Ansehen genossen, stieg die Zahl der Theologie Studierenden an.

77 S. auch Kap. 1.3 c).

78 Steitz: Geschichte der EKHN, S. 516.

79 Vgl. ebd., S. 517.

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Beides führte dazu, dass 1926 in Marburg anlässlich der Feier des 400. Jubiläums der Homberger Synode, mit der in Hessen die Reformation begonnen hatte, Vertreter der Evangelischen Landeskirchen in Kurhessen-Waldeck, Hessen, Nassau und Frankfurt erstmals über die Bildung einer Kirchengemeinschaft verhandelten. Frankfurt hatte keine ländlichen Gebiete im Umfeld, Kurhessen-Waldeck, Hessen und Nassau hatten Grundbesitz, der Frankfurt fehlte. Die Gebiete konnten sich in mehreren Bereichen ergänzen. Man stellte fest, dass die drei Verfassungen von Hessen-Darmstadt, Nassau und Frankfurt, die nach 1918 erarbeitet worden waren, so viele Gemeinsamkeiten aufwiesen, dass man von einer einheitlichen Rechtsgrundlage ausgehen konnte. Die einheitliche Lehrgrundlage war bereits im Jahrhundert der Reformation bekannt und ist bis heute nicht so modifiziert worden, dass sich trennende Elemente ergeben hätten.80 Johannes Kübel berichtete, 1929 sei während der Marburger Konferenz ein offizielles Organ zur Verbindung der drei Landeskirchen geschaffen worden. Die Mitglieder seien „lauter Männer von Format“ gewesen, „aber einer, der die Führung hätte an sich reißen können, befand sich nicht unter uns.“81 Bis zum Frühjahr 1932 wurde durch Frankfurter Pfarrer und einige Vertreter der Synoden ein detaillierter Plan für die Bildung einer „großhessisch“ oder „südwestdeutsch“

genannten evangelischen Kirche von Hessen und Nassau fertiggestellt.

Gleichzeitig wurden jedoch in Kassel und Wiesbaden Verhandlungen mit Berlin geführt und ein Anschluss an die Altpreußische Union betrieben.82 Trotzdem stand nach wie vor die Möglichkeit eines föderativen Zusammenschlusses offen.

Daher wurde auf der Marburger Konferenz am 18. Februar 1933 der von Johannes Kübel formulierte Antrag angenommen, „Richtlinien für einen föderativen Zusammenschluss auszuarbeiten und hierüber gemeinsam in Verhandlungen mit dem preußischen und dem hessischen Staat einzutreten“83.

Allerdings wurde wenig später der Zusammenschluss aller deutschen Landeskirchen zu einer Reichskirche eingeleitet. Nachdem am 11. Juli 1933 die Verfassung der „Deutschen Evangelischen Kirche“ erlassen wurde84, wurden am 24. Juni 1933 durch den nationalsozialistischen Gauleiter für Hessen-Süd die

80 Vgl. auch ebd., S. 515.

81 Vgl. Johannes Kübel, zitiert in: EKHN: 50 Jahre EKHN, S. 34.

82 Vgl. ebd., S. 35.

83 Vgl. a.a.O.

84 s. Kap. II. 1.

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Kirchen von Hessen, Nassau und Frankfurt zur evangelischen Kirche Nassau-Hessen vereinigt.85 Die NSDAP versuchte, in der Kirche „gefügige Stützen zu gewinnen“86 und manipulierte die Kirchenwahlen vom Juli 1933. Dies beschleunigte den seit Jahren geplanten Zusammenschluss, so dass bereits am 12.

September die Verfassung der „Evangelischen Landeskirche Nassau-Hessen“

beschlossen werden und am 15. September in Kraft treten konnte. Kur-Hessen, die Kirche des Gaus Hessen-Nord, blieb für sich, ebenso Waldeck, das nicht mehr an einer Verbindung interessiert war.

Im November gab es eine erste gemeinsame Synode der „Evangelischen Landeskirche Nassau-Hessen (ELKNH), die zwei Bischofskandidaten nominierte.87

85 Vgl. Steitz: Geschichte der EKHN, S. 520.

86 Vgl. EKHN: 50 Jahre EKHN, S. 11.

87 Dennoch wurde im Februar der DC-Mann Dietrich zum Landesbischof gewählt, s. auch Kap.

II. 1.1.

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