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Besondere Erfahrungen der BK: Konsequenzen für eine neue Landeskirche

II. CHRONOLOGIE DER EREIGNISSE AB 1945

2.1 Besondere Erfahrungen der BK: Konsequenzen für eine neue Landeskirche

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Phänomen nicht unbekannt war, wurde das Misstrauen in dieser Hinsicht zu einem Grundprinzip der Kirchenordnung der EKHN.

Bezüglich der Organisation der neuen Landeskirche merkte Martin Niemöller während seiner Rede auf der Kirchenversammlung in Treysa im August 1945 an, die BK sei eine Behördenkirche gewesen, die sie nicht wieder werden dürfe.627 Im Hinblick auf seine Position gegen bischöfliche Strukturen betonte er, es werde damit, dass eine hierarchische, bischöfliche Leitung eingesetzt werde, sicherlich nicht anders. „Wir wollen eine Kirche aus lebendigen Gemeinden, und dass Kirche Gemeinde ist, soll auch in ihrem Aufbau und ihrer Organisation zum Ausdruck kommen.“628

Die BK leitete aus ihren Erfahrungen im Kirchenkampf die Notwendigkeit ab, ihr gesamtes kirchliches Handeln und Gestalten möglichst theologisch zu begründen.629 So formulierte Martin Niemöller wenige Tage nach seiner Wahl zum Kirchenpräsidenten der EKHN in einem Brief einen Sonderweg für die EKHN, den er vor allem kirchenpolitisch begründet sah. Er sehe die EKHN als einzige Kirche in Deutschland, die in der Linie der Bekennenden Kirche stehen könnte, „ohne dass wir auf einen lutherischen, reformierten oder unierten Weg geraten müssten.“630 Er stellte sich vor, dass im Gebiet der neuen Landeskirche ein Modell für eine nach den Prinzipien der Bekennenden Kirche gestaltete Kirche entstehen könnte. In den anderen Landeskirchen gab es schon Modelle für Neugliederungen oder Traditionen aus der Zeit vor dem nationalsozialistischen Regime, die aufgegriffen und nach einer Überarbeitung fortgeführt werden konnten.631 In ihnen sah die Gruppe um Niemöller alte Strukturen; aus der Vergangenheit habe man nicht so viel gelernt, wie es erforderlich sei. So würden

627 Siehe zu diesem Zitat Kap. II. 1.1.

628 Aus der Stegreifrede Niemöllers in Treysa, zitiert in: ZA EKHN Best. 62/1146, von ihm selbst „nachträglich nach Notizen zusammengestellt“.

629 Vgl. Dienst: Aus der Anfangszeit des GKA, S. 36.

630 M. Niemöller in einem Brief an den Berliner Propst Dr. Hans Böhm vom 7.10.1947, zitiert in Dienst: Zwischen Theologie und Kirchenpolitik, S. 2f, und: Ders.: Die Entstehung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, S. 271, und: Ders.: Kirche – Schule – Religionsunterricht, S. 9, und: Ders.: Kirchengeschichte als Hilfe für kirchliche Gestaltung, S. 374 und 386, und: Ders.: Aus der Anfangszeit des GKA, S. 36, und: Ders.: „Zerstörte“

oder „wahre“ Kirche, S. 63.

631 Vgl. Dienst in: Kirche – Schule – Religionsunterricht, S. 9: „Das Niemöller-Zitat beschreibt die Stimmung bei der Beratung der Kirchenordnung in den Jahren 1945 bis 1949 sehr präzise.“ Der Gruppe um Martin Niemöller sei stets bewusst gewesen, dass andere Landeskirchen wenig aus der unmittelbaren Vergangenheit gelernt hätten, diesen Fehler wollte man keinesfalls machen.

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in anderen Landeskirchen zurzeit wiederum feste Strukturen geschaffen, wie man sie eigentlich zu überwinden gehofft habe. Daher sollte die hessen-nassauische Kirchenordnung „unbedingt als leuchtendes Beispiel dafür geschaffen werden (…), dass man die Lehren aus der Geschichte gezogen hatte“, wie sich Stefan Ruppert ausdrückt.632 War es im Gebiet der EKHN leichter, „Gute“ und „Böse“

zu unterscheiden? Als ein Indiz für die Zugehörigkeit zur „richtigen Seite“ diente die Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche. Diese Kämpfer sollten sicherlich für Positionen in der neuen Landeskirche gewonnen werden. Durch das Zusammenkommen von drei Landeskirchen und damit bedingte Neubesetzungen waren die Spielräume für die Einbringung von BK-Angehörigen, die nicht schon vorher einen Platz in der Kirchenleitung innegehabt hatten, ungleich größer als in den Landeskirchen, in denen es bereits Strukturen gab, die nur überprüft und in Teilen korrigiert werden mussten.

Die Arbeit des Einigungswerkes erschien Niemöller zu allgemein633, so dass er hier Raum für die Entwicklung konkreter Konzepte sah. Außerdem teilte man nicht im ganzen Gebiet der deutschen Landeskirchen Niemöllers Vision von einer evangelischen Gesamtkirche, die die Grenzen der einzelnen evangelischen Bekenntnisse unangetastet lässt und sie alle umfasst634.

Schon zu diesem frühen Zeitpunkt stellte sich daher die Frage, ob es eine besondere, in der BK begründete „EKHN-Theologie“ gebe. Worin würde sich diese Theologie von der anderer Landeskirchen unterscheiden? Welche Rolle spielte die Aussicht, in dieser Kirche alte Machtansprüche zu realisieren?

Wie Alfred Adam im Rahmen seines Vortrages im Überprüfungsausschuss der Kirchensynode der EKHN 1963 zu den theologischen Intentionen des Entwurfes für eine Kirchenordnung der BK von 1946 angibt635, sei in ihrem Entwurf keinesfalls der Wunsch formuliert worden, „den Ertrag des Kirchenkampfes festzuhalten“. Dies sei aus der Erkenntnis heraus unterblieben, „dass die organisatorischen Formen, die sich für die Zeit des Kirchenkampfes bewährt

632 Vgl. Ruppert: Der Einfluss der Reformierten auf die Kirchenordnung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, S. 193. Auch zitiert in: Dienst: Kirchengeschichte als Hilfe für die kirchliche Gestaltung, S. 386, und in: Ders.: Kirche – Schule – Religionsunterricht, S. 9, und in: Ders.: „Zerstörte“ oder „Wahre“ Kirche, S. 63.

633 Siehe auch Kap. I. 2.1.4.

634 S. z.B. Meiser, Kap. I. 2.3.

635 S. auch Kap. II. 2.3.2.

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hatten, keineswegs einen zeitlos gültigen Charakter besaßen“.636

Man wünschte sich eine einheitliche Kirche und nicht einen Bund von Gemeinden, die sich lediglich darin einig waren, dass sie sich neu zu den überlieferten Bekenntnissen bekannten. Diese Einheitlichkeit widersprach vermutlich den Vorstellungen einiger BK-Mitglieder.637

Schon zu Zeiten der Bekennenden Kirche in den 30er Jahren hatte der Kreis um Niemöller versucht, „einer Stagnation und Repristination in der Entwicklung der Bekenntnisgemeinschaft durch eine Aktivierung des Pfarrernotbundes und der altpreußischen BK zu begegnen“638. Möglicherweise hat sich die BK trotz der genannten vorsichtigen Überlegungen überschätzt.639

Insgesamt wurde die Bewahrung des Erbes des Kirchenkampfes wohl doch fast als ein Lehrsatz betrachtet. Schließlich war es Hitler nicht gelungen, den breiten kirchlichen Widerstand zu brechen. Die Kirchen konnten nicht vollständig gleichgeschaltet werden, so dass sie die einzigen Organisationen waren, in der sich eine Volksbewegung gegen den Nationalsozialismus bilden und erhalten konnte.640 Allein durch ihre Existenz, in der sie sich autonom den Gleichschaltungsversuchen nicht gebeugt hatten, spielten sie mit ihrer Verkündigung eine wichtige kritische Funktion, deren besondere Bedeutung vermutlich erst rückblickend erkennbar geworden ist. „Die Tatsache, dass ihre Gleichschaltung misslang, stellte den Nationalsozialismus an einem Punkt in Frage, an dem er sonst von keiner Gruppe und keiner Institution mehr angegriffen schien: am Totalitätsanspruch seiner weltanschaulichen Herrschaft.“641

Nach 1945 wurde die „Dialektische Theologie“, die vor allem mit dem Namen Karl Barth verbunden war und sich zum sogenannten „Barthianismus“

weiterentwickelte, und der damit verbundene „Barmenprotestantismus“ der EKHN zu einem theologischen Fundament, das die EKHN und ihre

636 Adam: Die theologischen und praktischen Intentionen der KO von 1949, S. 3f, in: ZA EKHN Best. 56V/17.

637 Vgl. Dienst: Die Entstehung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau S. 10.

638 Vgl. J. Schmidt: Martin Niemöller im Kirchenkampf, S. 292.

639 Hinweis von Prof. K. Dienst, telefonisch am 24.8.04: „Die BK hat sich schwer überschätzt.“

640 Vgl. Walther Hofer, zitiert in: Gutschera/ Thierfelder: Brennpunkte der Kirchengeschichte, S. 216.

641 Klaus Scholder, zitiert in: Gutschera/ Thierfeldertius: Brennpunkte der Kirchengeschichte, S. 236.

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Kirchenleitung prägte. „Der von Niemöller intendierte hessen-nassauische

„Sonderweg‟ entsprang in erster Linie dem kirchenpolitischen Bestreben einer bestimmten Gruppe, die die wichtigsten Leitungsämter für sich beanspruchte und die dann kraft synodaler Mehrheitsverhältnisse die Kirchenordnung nach ihrem Geschmack gewählt hat.“642