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Neutralitätsfunktionen

Im Dokument Sicherheit 2014 (Seite 129-134)

politischer Optionen

7.2 Neutralitätsfunktionen

Die Schweizer Neutralität diente stets verschiedenen Zielen. StaatsrechtlerInnen sprechen daher von Neutralitätsfunktionen. Seit 1993 gilt eines der Interessen dieser Studie der Bevölkerungswahrnehmung dreier ausgewählter Funktionen der Neu-tralität: der Solidaritäts-, der Identitäts- und der sicherheitspolitischen Funktion (siehe Abbildung 7.2 und 7.3).1

Die äusserst positive Haltung der Schweizer Bevölkerung gegenüber der all-gemeinen Zustimmung zur Neutralität spiegelt sich in der markant gestiegenen Befürwortung der Neutralitätsfunktionen wider. Zwei der drei im Rahmen dieser Studie erfassten Funktionen der Neutralität spricht die Schweizer Bevölkerung in diesem Jahr im Vergleich zu 2013 im Mittel signifikant mehr Unterstützung zu. In der Schweizer Bevölkerung findet die Solidaritätsfunktion der Neutralität eine sehr hohe Unterstützung. 94 % (+2 %) der SchweizerInnen sind der Ansicht, dass die Schweiz dank der Neutralität «in Konflikten vermitteln und gute Dienste leisten»

könne (siehe Abbildung 7.2). Auch die Identitätsfunktion der Neutralität wird mit 86 % (+2 %) stark befürwortet.

1 Für eine ausführliche Beschreibung der Funktionen vgl. Haltiner et al. (1994).

Abbildung 7.2

Solidaritäts- und Identitätsfunktion

«Heute hört man immer mehr auch Meinungen, die den Wert der Neutralität unterschiedlich beurteilen.

Welchen der folgenden Aussagen würden Sie zustimmen?»

(«sehr» und «eher» einverstanden in Prozent)

Si/1031/14

«Dank der Neutralität kann die Schweiz in Konflikten vermitteln und international gute Dienste leisten.»

«Die Neutralität ist untrennbar mit unserem Staatsgedanken verbunden.»

´93 (1003) ´95/II (801) ´97 (1014) ´99 (1201) ´00 (1202) ´01 (1235) ´02 (1201) ´03 (1202) ´04 (1200) ´05 (1200) ´06 (1200) ´07 (1200) ´08 (1200) ´09 (1200) ´10 (1200) ´11 (1200) ´12 (1200) ´13 (1200) ´14 (1200)

85 84 85 86 86

83 85 88 90 88 90 90 91 92 93

89 93 92 94 84 86 79 83 83 81 80 81 80 75 74 71 72 69 67 70 71

73 69

Die Neutralität gilt im klassischen Diskurs primär als ein sicherheitspolitisches Instrument. 64 % der SchweizerInnen sprechen der Neutralität diese Schutzwir-kung zu. Als einzige der drei erfassten Neutralitätsfunktionen zeigt sich in der Ansicht, dass die Schweiz dank der Neutralität «nicht in internationale Konflikte hineingezogen» werde, im Vergleich zum Vorjahr kein signifikanter Unterschied (–3 %; siehe Abbildung 7.3). 61 % (+6 %) der Schweizer Stimmbevölkerung sind der Ansicht, dass die bewaffnete Neutralität zur Sicherheit und Stabilität in Europa beitrage, was einer signifikanten positiven Veränderung gegenüber 2013 entspricht.

Abbildung 7.3

Sicherheitspolitische Funktion

«Heute hört man immer mehr auch Meinungen, die den Wert der Neutralität unterschiedlich beurteilen.

Welchen der folgenden Aussagen würden Sie zustimmen?»

(«sehr» und «eher» einverstanden in Prozent)

Si/277/14

«Die bewaffnete Neutralität der Schweiz trägt zur Sicherheit und Stabilität in Europa bei.»

«Dank der Neutralität werden wir nicht in internationale Konflikte hineingezogen.»

«Die Neutralität kann heute militärisch nicht mehr glaubhaft geschützt werden.»

«Die Mitgliedschaft in einem europäischen Verteidigungsbündnis würde uns mehr Sicherheit bringen als die Beibehaltung der Neutralität.»

´93 (1003) ´95/II (801) ´97 (1014) ´99 (1201) ´00 (1202) ´01 (1235) ´02 (1201) ´03 (1202) ´04 (1200) ´05 (1200) ´06 (1200) ´07 (1200) ´08 (1200) ´09 (1200) ´10 (1200) ´11 (1200) ´12 (1200) ´13 (1200) ´14 (1200)

36 35

Integraler Bestandteil des schweizerischen Neutralitätskonzepts ist die Auffassung, wonach die Schweiz im Ernstfall fähig sein muss, ihre Neutralität auch militärisch autonom zu verteidigen. Die Schweizer Stimmbevölkerung spaltet sich an dieser Frage, ob die Neutralität militärisch durchsetzbar sei. 42 % (–3 %) zweifeln die Glaubwürdigkeit an, 52 % glauben an die Umsetzung der bewaffneten Neutralität, wobei der skeptischen Sichtweise signifikant seltener zugestimmt wird als 2013.

Die Neutralität als sicherheitspolitisches Instrument wird einem europäischen Sicherheitspakt klar vorgezogen. In diesem Jahr glauben 23 % (+2 %) der Schweizer Bevölkerung, dass die «Mitgliedschaft in einem europäischen Verteidigungsbündnis uns mehr Sicherheit bringen würde als die Beibehaltung der Neutralität». Spra-chen 1999 noch 35 % der Befragten einer militärisSpra-chen Sicherheitsallianz eine

bes-sere Schutzwirkung als der Neutralität zu, ist die Zustimmung zum militärischen Sicherheitsbündnis im Zeitverlauf gesunken und verharrt auf einem tiefen Wert.

Die Solidaritäts- und Identitätsfunktion der Neutralität unterscheiden sich von der sicherheitspolitischen Dimension sowohl hinsichtlich der stärkeren Befürwor-tung als auch im langfristigen Trend. Seit der erstmaligen Erhebung im Jahr 1993 verläuft die Entwicklung in der Zustimmung zur Solidaritäts- und Identitätsfunk-tion beinahe parallel zu jenem der allgemeinen Neutralität. Die Unterstützung beider Dimensionen war in den neunziger Jahren stabil aber tendenziell weniger verbreitet als nach 2002. Im Jahr 2001 wiesen die Solidaritäts- und Identitätsfunk-tion die geringste Zustimmungsrate auf. Es kann vermutet werden, dass nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Befürwortung dieser beiden Funk-tionen durch die veränderte internationale Sicherheitslage wieder zunahm. Die Zustimmungsrate zur Solidaritätsfunktion stieg zwischen 2001 und 2013 um 10 % an, die der Identitätsfunktion gar um 19 %. Sowohl die Solidaritätsfunktion wie auch die Identitätsfunktion erreichen 2014 die höchste gemessene Unterstützung in dieser Trendstudie, was auch für die allgemeine Zustimmung zum Prinzip der Neutralität gilt.

Analog zum Verlauf der Solidaritäts- und Identitätsdimension markierte der 11.

September 2001 eine Trendwende in der Haltung der Schweizer Stimmbevölkerung gegenüber der sicherheitspolitischen Funktion der Neutralität. Es scheint, dass mit der veränderten Bedrohungswahrnehmung nach den Anschlägen der Glaube an einen «Schutz durch Neutralität» wiederkehrte und die früheren Zweifel an der schweizerischen Sicherheitspolitik verflogen. Bis 2008 liess sich der langjährige Trend beobachten, dass mit einer Intensivierung der Bedrohungswahrnehmung die Befürwortung der sicherheitspolitischen Funktion der Neutralität stieg. 2014 kann jedoch dieser Zusammenhang zwischen der Bedrohungswahrnehmung und der Befürwortung der sicherheitspolitischen Funktion der Neutralität nicht mehr bestätigt werden. Einerseits hat sich in diesem Jahr die düstere Wahrnehmung der weltpolitischen Lage im Vergleich zu 2013 signifikant verbessert. Andererseits sind die drei Indikatoren der sicherheitspolitischen Funktion über den Jahresverlauf konstant geblieben oder haben gar einen signifikanten Zuwachs an Zustimmung verzeichnet. Zu diesen Merkmalen gehören die Auffassungen, dass die Neutrali-tät die Schweiz vor zwischenstaatlichen Konflikten bewahre und «die bewaffnete Neutralität zur Sicherheit und Stabilität in Europa beitrage» bzw. «nicht mehr glaubhaft geschützt werden» könne. Schliesslich korrelieren 2014 die Einschätzung der weltpolitischen Lage und die Einstellungen gegenüber den drei Indikatoren der sicherheitspolitischen Schutzfunktion der Neutralität nicht.

Die grössten Meinungsunterschiede nach soziodemografischen Merkmalen betreffend der Neutralitätsfunktionen lassen sich bei der politischen Selbsteinstufung konstatieren. Während die Einschätzung der Solidaritätsfunktion seit 2003 nicht mehr nach der politischen Selbsteinstufung divergiert, lassen sich 2014 Differenzen zwischen den sich politisch links Einstufenden, jenen der politischen Mitte und rechts davon vor allem durch die unterschiedlichen Zustimmungsraten zur Identi-tätsfunktion (links: 80 %, Mitte: 88 %, rechts: 89 %) und zur sicherheitspolitischen Funktion mit den drei Indikatoren der sicherheitspolitischen Schutzwirkung (links:

54 %, Mitte: 64 %, rechts: 74 %), der stabilisierenden Wirkung (links: 44 %, Mitte:

67 %, rechts: 68 %) sowie der Unglaubwürdigkeit der bewaffneten Neutralität (links:

53 %, Mitte: 43 %, rechts: 35 %) feststellen.

Betreffend der sicherheitspolitischen Funktion zeigt sich, dass vor allem die mitt-lere Alterskohorte der 30 – 59-Jährigen diese am kritischsten beurteilt. Die Schutz-wirkung wird von ihnen nur zu 61 % bejaht (18 – 29-Jährige: 76 %, ab 60-Jährige:

65 %), die Meinung, dass die Neutralität nicht mehr glaubhaft geschützt werden kann, teilen 44 % (18 – 29-Jährige: 40 %, ab 60-Jährige: 39 %) und nur eine knappe Mehrheit von 55 % der 30 – 59-Jährigen sind überzeugt, dass die Neutralität stabi-lisierend in Europa wirkt (18 – 29-Jährige: 66 %, ab 60-Jährige: 68 %). Die Zustim-mung zur Schutzfunktion der Neutralität zeigt zudem einen schwachen regionalen Unterschied. Die Deutschschweiz (66 %) und die italienischsprachige Schweiz (77 %) heissen diese Funktion dabei stärker gut als die Westschweiz (58 %). Weiter wird die Identitätsfunktion von der italienischen Schweiz am häufigsten gutgeheissen (I-CH: 96 %, D-CH: 86 %, F-CH: 83 %). Generell gilt, dass Befragte mit einem höheren Bildungsabschluss mit der Identifikations- und Solidaritätsfunktion eher einverstanden sind, hingegen den sicherheitspolitischen Aspekten im Allgemeinen kritischer eingestellt sind. Personen mit einem mittleren Bildungsgrad zeigen sich im Antwortverhalten zu den Neutralitätsfunktionen am durchschnittlichsten.

Abschliessend hat das Geschlecht einen geringen Effekt auf die Zustimmungsrate der Solidaritätsfunktion und auf die Schutzwirkung eines europäischen Verteidi-gungsbündnisses. Mit der Solidaritätsfunktion sind Männer zu 55 % «sehr einver-standen» und die Frauen lediglich zu 48 %. Ein Viertel der Männer (27 %) sieht in einem europäischen Sicherheitsverbund einen grösseren Schutz als Frauen mit 20 %, wobei auffällt, dass 9 % der Frauen bei dieser Frage keine Antwort gaben.

Für weitere, spezifische Unterschiede nach soziodemografischen Merkmalen sei an dieser Stelle auf die Häufigkeitstabellen in Anhang III verwiesen.

7.3 Neutralität: Instrument der Aussenpolitik, finaler Wert oder

Im Dokument Sicherheit 2014 (Seite 129-134)