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Datierung der Neutralität

Im Dokument Sicherheit 2014 (Seite 141-144)

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7.5 Datierung der Neutralität

Neben der Einstellung zur Neutralität im Allgemeinen und speziellen Funktionen der Neutralität im Besonderen liegt dieses Jahr zum ersten Mal auch das Interesse am Wissen zur Neutralität im Vordergrund. Das Prinzip der Neutralität geniesst mit 96 % ein sehr hohes Ansehen in der Schweizer Bevölkerung. Es stellt sich nun die Frage, mit welchem Ereignis oder welchem Zeitpunkt die Befragten die Schwei-zer Neutralität verbinden. Existiert eine bewusste Vorstellung der Entstehung der Neutralität oder wird dieser Begriff in der Bevölkerung nicht mit einem beson-deren Ereignis verbunden, sondern als ein latentes Merkmal der Schweiz an und für sich verstanden? Dazu wurde den UmfrageteilnehmerInnen die offene Frage

«Wenn Sie einen Zeitpunkt nennen müssten, wann die Neutralität der Schweiz entstanden ist, welches Jahr und/oder geschichtliches Ereignis würden Sie damit verbinden?» gestellt.

Insgesamt konnten von den 1200 Befragten 887 Personen eine Antwort zur offen gestellten Frage geben. Dies entspricht 74 % der UmfrageteilnehmerInnen.

Die Antworten zeigen eine hohe Variation. Die zeitliche Einordnung der Schweizer Neutralität weist eine Spannweite innerhalb der Jahre 1291 bis 1992 auf.4 Die damit verbundenen Stichworte sind der Rütlischwur bzw. die Gründung der Eidgenos-senschaft und das Ende des Kalten Krieges. Um die genannten Ereignisse und Zeitpunkte beschreiben zu können, wurden in der anschliessenden Auswertung nur Nennungen aufgeführt, welche mindestens zehn Befragten eindeutig zugeord-net werden konnten. Von den in die Berechnung aufgenommenen gültigen 887 Befragten gaben 100 Personen (11 % der antwortenden Personen) Einzelereignisse oder Klassifikationen an, welche nicht separat ausgewiesen wurden. Tabelle 7.1 listet die genannten geschichtlichen Ereignisse nach der Häufigkeit ihrer Nennung auf.

4 Wobei es vier Nennungen vor 1291 gibt (901, 1201 (2x), 1234). Da diese aber zeitlich vor der Grün-dung der Eidgenossenschaft liegen, werden sie hier nicht inhaltlich benennt.

Tabelle 7.1

Nennungen von Ereignissen zum Begriff Schweizer Neutralität (nur gültige Antworten: N = 887)

Ereignis Anzahl Nennungen Häufigkeit in %

Rütlischwur, Gründung Eidgenossenschaft, 1291 250 28

Gründung Bundesstaat, 1848 158 18

1. Weltkrieg, 1914 – 1918 99 11

Einzelereignisse, Einzeldaten 100 11

2. Weltkrieg, 1939 – 1945 78 9

Wiener Kongress, 1815 53 6

Schlacht bei Marignano, 1515 51 6

Französische Revolution, Napoleon, 1789 – 1814 41 5

Gründung Rotes Kreuz, 1863 22 2.5

Zwischenkriegszeit, 1919 – 1938 22 2.5

Nachkriegszeit, 1946 – 1992 13 1

Total 887 100

Am stärksten wird die Entstehung der Neutralität mit der Bildung der Schweiz verbunden. Für die einen Befragten ist dies das Jahr 1291 mit dem Rütlischwur und der Konnotation, dass zu diesem Zeitpunkt die Eidgenossenschaft gegründet wurde. Insgesamt 28 % teilen die Auffassung, dass dieses Ereignis der Ursprung der Schweizer Neutralität sei. Für die anderen Befragten ist mit der Gründung bzw. Bildung des Bundesstaates 1848 die heutige Neutralität entstanden. Somit verknüpfen 46 % der antwortenden SchweizerInnen die Neutralität mit der Ent-stehung der Schweiz, entweder als formaler Akt oder als geschichtliche Erzählung.

Ebenfalls eine grosse Bedeutung für die Entstehung der Neutralität wird den beiden Weltkriegen beigemessen. 11 % der Befragten sehen im 1. Weltkrieg und 9 % im 2.

Weltkrieg den Ursprung der Schweizer Neutralität. In diesen Zeithorizont lässt sich auch die Zwischenkriegszeit einordnen, in welcher 2.5 % der SchweizerInnen die Entstehung der Neutralität verorten. Obwohl es betreffend der Darstellung der Entstehung der Schweizer Neutralität verschiedene Auffassungen gibt, hat sich in der modernen Geschichtswissenschaft die Meinung durchgesetzt, dass der Wiener Kongress von 1815 die Schweizer Neutralität diplomatisch bestätigte und somit offizialisierte. Diese eigentliche, am Wiener Kongress 1815 offiziell von den Gross-mächten anerkannte Neutralität der Schweiz geben 6 % der Befragten als richtige Antwort an. Alternativ wird aber auch die Meinung vertreten, dass die Niederlage der Eidgenossenschaft bei der Schlacht von Marignano im Jahr 1515 als Schlüsse-lereignis einer (selbst auferlegten) Neutralität gelten kann. In der Umfrage teilen ebenfalls 6 % der SchweizerInnen diese Sichtweise. Weiter werden von 5 % die Zeit der französischen Revolution und die Person von Napoleon Bonaparte genannt.

Zudem beziehen sich 2.5 % auf die Person Henry Dunant bzw. auf die Gründung

des Roten Kreuzes als Ursprung der Schweizer Neutralität. In den Augen von 13 Personen (1 %) ist die Neutralität erst nach dem 2. Weltkrieg eingeführt worden.

Die empirisch vorgefundenen Antworten zur Entstehung der Neutralität können grob drei unterteilten Zeitspannen zugeordnet werden. Bei der ersten Zeitspan-ne kann definitorisch von eiZeitspan-ner schon lange bestehenden Neutralität gesprochen werden. Die damit angegebenen Zeitpunkte reichen von 901 bis 1714, wobei 38 % (341 Fälle) der Befragten zu dieser Kategorie gezählt werden können. Zahlenmässig treten die Datierungen in dieser Kategorie klar mehrheitlich zwischen 1291 und 1515 auf. Eine weitere zeitliche Gruppierung lässt sich von 1780 bis 1900 anbringen, bei der ebenfalls 38 % (334 Fälle) auftreten, mit dem Schwerpunkt um das Jahr 1848.

Diese Gruppe lässt sich gemäss den empirisch erhobenen qualitativen Aussagen gut von der dritten Kategorie unterscheiden, welche die Neutralität klar mit der neusten Zeit bzw. mit den Weltkriegen verbindet. Der zeitliche Rahmen der letzten Gruppe kann zwischen 1914 und 1992 festgelegt werden. 24 % (212 Fälle) konnten darin kategorisiert werden. Die drei Zeitspannen können auch nach der Art und Weise, wie die Neutralität gehandhabt wurde, benannt werden. Die älteste Grup-pierung weist auf eine «historische Neutralität» hin, die mittlere Zeitspanne auf eine von aussen «anerkannte Neutralität» und die letzte Epoche lässt sich als «aktuell praktizierte Neutralität» verstehen. Aufgrund dieser Einteilung zeigt sich, dass die überwiegende Mehrheit der Schweizer Bevölkerung (76 %) der Auffassung ist, dass die Neutralität eine jahrhundertealte Konstante schweizerischer Sicherheitspolitik ist. Obwohl nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung das Ereignis zur Entste-hung der Schweizer Neutralität richtig nennen kann, ist sich die Mehrheit dennoch dessen bewusst, dass sie kein neueres Instrument des Schweizer Staates ist.

Lassen sich nun in Bezug auf die zeitliche Einordnung der Entstehung der Schwei-zer Neutralität auch Unterschiede in den soziodemografischen Gruppen finden?

Nach der politischen Einstellung, dem Alter und dem Bildungsstand differieren die Meinungsbilder in der Bevölkerung zur Entstehung der Neutralität (siehe Tabelle 7.2).

Überdurchschnittlich oft wird von der politischen Mitte (45 %), den 30 – 59-Jäh-rigen (42 %) sowie von Personen mit einer tiefen Bildung (49 %) angegeben, dass die Neutralität schon sehr früh entstanden sei. Die mittlere Datierung, d.h. die Neutralität sei zwischen 1780 und 1900 implementiert worden, ist von sich selbst politisch links Positionierenden (52 %), von Befragten mit hoher Bildung (46 %) und von den ab 60-Jährigen (44 %) signifikant öfter genannt worden. Die Auf-fassung, dass die Neutralität erst in der jüngsten Zeit entstanden ist, ist bei den 18 – 29-Jährigen besonders verbreitet (36 %). Diese Beobachtung ist dahingehend

interessant, dass vor allem bei der jüngsten Generation das Bewusstsein, dass die Neutralität jahrhundertealte Geltung für die Schweiz hat, im Gegensatz zu den beiden anderen Alterskohorten nicht so stark ausgeprägt ist. Weiter zeigt die Aus-wertung der qualitativen Aussagen, dass die Schweizer Bevölkerung relativ geringe Kenntnis über die geschichtliche Einordnung der Schweizer Neutralität aufweist.

Die Neutralität wird demzufolge nicht als Instrument der Aussenpolitik betrachtet, sondern wird genuin mit der Entstehungsgeschichte der Schweiz gekoppelt, sei dies in Verbindung mit dem Rütlischwur bzw. der Gründung der Eidgenossenschaft anno 1291 oder der Bildung des Bundesstaates im Jahr 1848.

Tabelle 7.2

Datierung gemäss den drei Zeitspannen und soziodemografischen Merkmalen

Politische Einstellung Alter Bildungsniveau links Mitte rechts18 – 29

Jahre30 – 59 Jahre 60+

Jahre tief mittel hoch

«Historische Neutralität» (38 %) 23 % 45 % 41 % 27 % 42 % 38 % 49 % 40 % 35 %

«Anerkannte Neutralität» (38 %) 52 % 34 % 33 % 37 % 34 % 44 % 20 % 33 % 46 %

«Aktuell praktizierte Neutralität» (24 %) 25 % 21 % 26 % 36 % 24 % 18 % 31 % 27 % 19 %

Im Dokument Sicherheit 2014 (Seite 141-144)