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Neutralitätsauffassungen – eine Typologie

Im Dokument Sicherheit 2014 (Seite 136-141)

politischer Optionen

7.4 Neutralitätsauffassungen – eine Typologie

Wie im Falle der aussenpolitischen Kooperationsbereitschaft lassen sich mit Hilfe einer Typenbildung (Clusteranalyse, siehe Anhang I) die verschiedenen Auffassun-gen von Neutralität besser differenzieren und im Trendverlauf analysieren (siehe Abbildung B in Anhang II). Eine befriedigende Lösung zur Erklärung der Varianz bildet eine Vier-Cluster-Variante. Ihr lassen sich von 1200 Befragten 1035 eindeutig zuordnen.3

Die vier Neutralitätstypen können wie folgt charakterisiert werden:

• «Neutralitätsdissonante» (33 % der Antwortenden, siehe Abbildung 7.5):

Personen dieses Typus zeichnen sich durch eine widersprüchliche Haltung gegenüber Neutralitätsfragen aus. So stimmen Personen dieses Typus einer-seits allen drei Funktionen der Neutralität mehrheitlich zu. Besonders hohe Zustimmung erhalten die Solidaritätsfunktion und die Identitätsfunktion (siehe Abbildung B in Anhang II). Dass die Neutralität die Schweiz vor in-ternationalen Konflikten verschone und eine positive Wirkung auf die euro-päische Sicherheit und Stabilität ausübe, wird ebenfalls von einer Mehrheit befürwortet. Andererseits beurteilen «Neutralitätsdissonante» die Umsetz-barkeit der Neutralität teilweise auch skeptisch. Sie halten die Neutralität für militärisch nicht mehr glaubhaft durchsetzbar und sind der Ansicht, dass die Neutralität die Schweiz vom gemeinsamen Handeln mit den europäischen Nachbarn abhalten könne und die internationale Zusammenarbeit verun-mögliche. Dennoch sind Personen dieses Neutralitätstyps nicht bereit, auf die Neutralität zu verzichten, selbst wenn klar feststünde, dass diese der Schweiz keine Vorteile mehr brächte. In dieser widersprüchlichen Haltung manifestiert sich ein erhebliches Mass an Verunsicherung. Personen dieser Auffassungsrich-tung sehen die möglichen zunehmenden Hindernisse für die schweizerische Neutralität, möchten aber subjektiv und emotional trotzdem an ihr festhalten.

Anteilmässig macht die Gruppe der «Neutralitätsdissonanten» im Zeitraum

3 165 Befragte lassen sich keinem Neutralitätstypus zuordnen.

von 1993 bis 2014 zwischen 21 % und 33 % aus. 2014 wird mit 33 % (+2 %) der Befragten ein Höchststand gezählt.

• «Neutralitätspragmatiker» (25 %): Befragte, die sich diesem Typus zuord-nen lassen, stimmen der Solidaritäts- und der Identitätsfunktion, nicht aber der sicherheitspolitischen Funktion der Neutralität zu (siehe Abbildung B in Anhang II). Sie sind knapp nicht der Ansicht, dass die Schweiz dank ihrer Neutralität vor Konflikten verschont bleibe und dass die bewaffnete Neutralität zur Sicherheit und Stabilität in Europa beitragen könne. Ebenfalls glauben sie nicht, dass die Neutralität heute militärisch noch glaubhaft geschützt werden könne. Im Gegensatz zu den «Neutralitätskritikern» sehen «Neutralitätsprag-matiker» die Neutralität jedoch nicht rein nutzenorientiert als Instrument der Aussenpolitik. So würden sie diese selbst dann nicht aufgeben, wenn sie der Schweiz keinen Nutzen mehr brächte. Zudem glauben sie weder, dass die Neutralität die Schweiz am gemeinsamen Handeln mit ihren europäischen Nachbarn hindern könne, noch, dass die internationale Verflechtung der Schweiz Neutralität verunmögliche. Der Anteil an «Neutralitätspragmatikern»

bewegt sich im Beobachtungszeitraum von 1993 bis 2014 zwischen 20 % und 33 %. Dieser Anteil liegt 2014 bei 25 % (–3 %).

• «Neutralitätstraditionalisten» (26 %): Befragte, die eine traditionalistische Neutralitätsauffassung haben, stimmen der Solidaritäts- und Identitätsfunk-tion wie auch der sicherheitspolitischen FunkIdentitätsfunk-tion der Neutralität überaus deutlich zu und lehnen ganz klar jegliche kritische Beurteilung der Neutralität ab (siehe Abbildung B in Anhang II). Der Glaube an die der Neutralität zu verdankenden Gelegenheiten für gute Dienste im internationalen Umfeld ist ungebrochen. «Neutralitätstraditionalisten» lehnen deutlich sowohl die Vorga-be ab, dass die Schweizer Neutralität ein Hindernis für gemeinsames Handeln mit anderen europäischen Staaten darstelle als auch, dass die zunehmende internationale Verflechtung Neutralität verunmögliche. Eine rein instrumen-telle Betrachtung der Neutralität weisen sie deutlich zurück. Auch wenn die Neutralität keine Vorteile mehr bringen sollte, würden «Neutralitätstraditi-onalisten» diese nicht aufgeben. Der Neutralität wird eine hohe symbolische Wirkung zugeschrieben und sie wird normativ zum Selbstzweck erhoben. Sie ist aus Sicht der «Neutralitätstraditionalisten» eng mit dem schweizerischen Staatsgedanken verbunden. Seit 1993 ist der Anteil an «Neutralitätstraditio-nalisten» tendenziell von 48 % zu Beginn der Erhebung auf 21 % im Jahr 2011 gesunken. In diesem Jahr können 26 % (+1 %) den «Neutralitätstraditionalis-ten» zugeordnet werden.

• «Neutralitätskritiker» (16 %): Befragte, die diese Neutralitätsauffassung haben, beurteilen die Neutralität konträr zu den «Neutralitätstraditionalisten».

Sie glauben einzig an die Solidaritätsfunktion und dies nicht sehr ausgeprägt.

Die Identitätsfunktion lehnen sie knapp ab (siehe Abbildung B in Anhang II). «Neutralitätskritiker» bezweifeln die Glaubwürdigkeit der bewaffneten Neutralität, die ihrer Meinung nach nicht zur Sicherheit und Stabilität in Europa beitragen kann. Zudem glauben sie nicht, dass die Schweiz dank ihrer Neutralität vor Konflikten verschont bleibe. Eine nutzenorientierte Bewertung der Neutralität heissen sie knapp gut, d.h. die Maxime soll dann aufgegeben werden, wenn sie keine Vorteile mehr bringt. Sie sind sich uneins, ob die enge internationale Verflechtung der Schweiz die Neutralität verunmögliche beziehungsweise, ob die Neutralität die Schweiz am gemeinsamen Handeln mit anderen europäischen Staaten hindere. Es lässt sich folgern, dass aus ihrer Sicht die Neutralität den heutigen politischen Gegebenheiten, insbesondere der internationalen Verflechtung der Schweiz und den sich daraus ergebenden Forderungen nach kooperativem Handeln, nicht mehr entspricht. Der Typus

«Neutralitätskritiker» bewegt sich im Beobachtungszeitraum 1993 bis 2014 anteilmässig zwischen 11 % und 19 %. Sein Anteil an den Neutralitätstypen aller typologisierten Befragten beträgt 2014 16 % (±0 %).

Abbildung 7.5

Die Neutralitätstypen und ihre anteilmässigen Veränderungen von 1993 bis 2014 (in Prozent)

Si/262/14

«Neutralitätsdissonante»

� Zustimmung Neutralitätsfunktionen

� Neutralität und internationale Verflechtung als Hindernis

� Neutralität als finaler Wert

«Neutralitätspragmatiker»

� Zustimmung Solidaritäts- und Identitätsfunktion

� Ablehnung sicherheitspolitische Funktion

� Neutralität und internationale Verflechtung kein Hindernis

� Neutralität als finaler Wert

«Neutralitätstraditionalisten»

� Zustimmung Neutralitätsfunktionen

� Neutralität und internationale Verflechtung kein Hindernis

� Neutralität als finaler Wert

«Neutralitätskritiker»

� Zustimmung Solidaritätsfunktion

� Ablehnung Identitäts- und sicherheitspolitische Funktion

� Neutralität und internationale Verflechtung als Hindernis

� Neutralität kein finaler Wert

´93 (1003) ´95 (795) ´97 (1014) ´99 (1201) ´99/II (1009) ´00 (1202) ´01 (1235) ´02 (1201) ´03 (1202) ´04 (1200) ´05 (1200) ´06 (1200) ´07 (1200) ´08 (1200) ´09 (1200) ´10 (1200) ´11 (1200) ´12 (1200) ´13 (1200) ´14 (1200)

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Die «Neutralitätsdissonanten» bilden 2014 die grösste Gruppe, dicht gefolgt von den «Neutralitätstraditionalisten» und den «Neutralitätspragmatikern». Die «Neu-tralitätsdissonanten», welche zu einer widersprüchlichen Neutralitätsauffassung

tendieren, haben über den Zeitverlauf zugenommen. Konnte Anfang der neun-ziger Jahre gut jede/jeder Fünfte diesem Typus zugeordnet werden, ist seit 2005 jede/jeder Dritte gegenüber der Neutralität dissonant eingestellt. Der Anteil an

«Neutralitätspragmatikern», welche die Neutralität eher nüchtern nach Kosten-Nutzen-Kriterien beurteilen, folgt einem leichten Abwärtstrend. Im Gegensatz dazu verzeichnet die Gruppe der «Neutralitätstraditionalisten», welche vor allem die positiven Aspekte der Neutralität betonen, seit 2011 einen Wertzuwachs, nachdem dieser Neutralitätstyp seit Beginn der Erhebung im Jahr 1993 quasi kontinuier-lich – mit Ausnahme der Jahre 2003 und 2006 – gesunken war. Der anteilmässig kleinste Typus – und dies seit Beginn der Erhebung – wird nach wie vor von den

«Neutralitätskritikern» gestellt.

Befragte, welche sich politisch links positionieren, finden sich häufiger als der Schnitt innerhalb des Typus «Neutralitätspragmatiker» (29 %) und «Neutralitätskri-tiker» (28 %) und am seltensten innerhalb der «Neutralitätstraditionalisten» (18 %), währenddessen die politisch rechts Orientierten öfters eine traditionalistische (33 %) und dissonante (33 %) Auffassung von Neutralität vertreten. Personen, die in der poli-tischen Mitte angesiedelt sind, lassen sich am stärksten den «Neutralitätsdissonanten»

(36 %) zuordnen. 2014 teilen Personen mit einem höheren Bildungsabschluss häufiger eine neutralitätspragmatische (29 %) oder neutralitätskritische (19 %) Auffassung.

Jene mit mittlerem Bildungsstand sind öfters bei den «Neutralitätsdissonanten»

zu finden (36 %). 18 – 29-Jährige vertreten in erster Linie eine dissonante (42 %) oder kritische (21 %) Sichtweise. Die 30 – 59-Jährigen teilen überdurchschnittlich oft eine pragmatische (29 %) Ansicht, während die ab 60-Jährigen häufiger den

«Neutralitätstraditionalisten» (34 %) zugeordnet werden können.

Die Schweizer Neutralitätspolitik erklärt sich unter anderem durch ihr Bestre-ben nach Autonomie. Demzufolge dürften sich die drei Meinungstypen der in-ternationalen Kooperation – die «Autonomisten», die «weichen» und «harten»

Öffnungsorientierten (siehe Kapitel 6) – in ihrer Einstellung zur Neutralität stark unterscheiden. 2014 bestätigt sich wiederum die Tendenz, wonach eine grosse Öff-nungsbereitschaft mit einer traditionalistischen Neutralitätsauffassung nicht kom-patibel ist. Nur 13 % der «harten Kooperationswilligen» teilen eine traditionalistische Neutralitätssicht, während 33 % neutralitätspragmatisch und 28 % neutralitätskri-tisch eingestellt sind. Die «Autonomisten» lassen sich am ehesten gleichermassen bei den «Neutralitätsdissonanten» (33 %) oder den «Neutralitätstraditionalisten»

(33 %) einordnen. Die «weichen Öffnungsorientierten» finden sich am ehesten bei den «Neutralitätsdissonanten» (37 %) wieder.

Im Dokument Sicherheit 2014 (Seite 136-141)