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Nettobestandszuwachs des Anthropogenen Stofflagers

Im Dokument 83/2015 (Seite 65-69)

4 Top-Down-Analyse der Materialflüsse in das und aus dem Lager (Analyseschicht 1) (Analyseschicht 1)

4.1 Nettobestandszuwachs des Anthropogenen Stofflagers

Unter Heranziehung von Daten der Umweltökonomischen Gesamtrechnung ist es möglich, den jähr-lichen Nettobestandszuwachs des Anthropogenen Lagers zu berechnen.

Die UGR differenziert die Materialflussdaten nach den Themen Energie, Luftemissionen, Rohstoffe, Wassereinsatz, Abwasser, Abfall, Flächennutzung, Umweltschutzmaßnahmen, Verkehr und Umwelt, Landwirtschaft und Umwelt und Waldgesamtrechnung. Der Abschnitt Rohstoffe macht Angaben zu Materialflüssen verwerteter inländischer Entnahmen sowie der Einfuhr und der Ausfuhr von Rohstof-fen und Gütern. Diese Daten sind weiter differenziert nach Materialien. Hieraus lassen sich Daten gewinnen, aus denen sich der jährliche Nettobestandszuwachs (NAS) zum Anthropogenen Lager berechnen lässt. Dieser ergibt sich aus

▸ der Gesamtsumme der Inputgrößen (verwertete inländische Entnahme (VIE), Einfuhr von Gü-tern und Rohstoffen und Entnahme von Gasen5) abzüglich

▸ der Gesamtsumme der Outputgrößen (verwertete inländischen Abgabe (VIA) in Form von Luftemissionen, Emissionen im Abwasser, dissipativem Gebrauch von Produkten, dissipati-ver Verluste und der Abgabe von sonstigen Gasen6 sowie der Ausfuhr von Gütern und Roh-stoffen).

Der Nettobestandszuwachs kann näherungsweise als Zuwachs des Anthropogenen Lagers in langle-bigen Gütern interpretiert werden7. Dieser wird nach UGR als „Saldo Entnahmen/Abgaben“ ausge-wiesen, darunter gesondert ausgewiesen der „Abfall an Deponie“. Kurzlebige Güter wie Nahrungs-mittel und Energieträger stellen Durchflussgrößen dar, die im Rahmen der Bilanzierung verrechnet

5 Die Entnahme von Gasen dient als Bilanzausgleichsposten auf der Inputseite des Materialkontos und umfasst Sauerstoff-entnahme für Verbrennungsprozesse, SauerstoffSauerstoff-entnahme für Atmung, StickstoffSauerstoff-entnahme für Verbrennungsprozesse und Luft für andere Industrieprozesse.

6 Die Angabe von sonstigen Gasen dient als Bilanzausgleichsposten auf der Outputseite des Materialkontos und umfasst Wasser aus Verbrennungsprozessen, Atmungsemissionen (CO2) und Atmungsemissionen (H2O).

7 Diese methodische Herangehensweise zur Schätzung von NAS entspricht voll und ganz den methodischen Richtlinien von Eurostat (siehe z. B. Eurostat 2009: „Net Additions to Stock - NAS (see Table H of the EW-MFA questionnaire): NAS measures the ‘physical growth of the economy’, i.e. the quantity (weight) of new construction materials used in buildings and other infra-structure and of materials incorporated into new durable goods such as cars, industrial machinery, and household appliances.

Materials are added to the economy’s stock each year (gross additions) and old materials are removed from stock as buildings are demolished and durable goods disposed of (removals). These decommissioned materials, if not recycled, are accounted for in DPO. Net additions to stock are therefore not calculated by balancing additions to stock and stock depletion but as statistic-al bstatistic-alance between inputs and outputs.”

12 werden8. Selbiges gilt für nicht verwertete inländische Entnahmen (auch „Rucksackflüsse“ genannt), die sowohl als Entnahmen als auch als Abgaben gezählt werden.

Abfallwirtschaftliche Ströme sind Bestandteil der Inputseite des UGR-Materialkontos unter „impor-tierter Abfall zur letzten Verwendung“ (z. B. 2,6733 Mio. t in 2010)9. Abfälle an Deponie werden wie zuvor beschrieben berichtet.

Die zur Berechnung des Nettobestandzuwachses verwendeten Input- und Outputgrößen werden in der UGR nach Materialien und Stoffen differenziert. Diese Differenzierung ist in den verwendeten Positionen unterschiedlich. Dies erlaubt keine Bilanzierung des Nettobestandszuwachses für Materi-algruppen.

Angaben zum Nettobestandszuwachs lassen sich nach entsprechender Datenaufbereitung und -bereinigung (siehe Anhang 1.1) in langen Zeitreihen darstellen (Abbildung 6).

Abbildung 6: Direkte Materialflüsse10 sowie Netto-Bestandszuwachs mit Abfall an Deponien in Deutschland 1960 bis 2010 [Mio. t]

Abkürzungen: ABL=alte Bundesländer; NBL=Neue Bundesländer; VIE=Verwertete inländische Entnahme;

NAS=Net Addition to Stock (Netto-Bestandszunahme; Saldo von Entnahmen und Abgaben) Quelle: eigene Darstellung

Während Importe und Exporte Deutschlands über den gesamten Zeitraum von 1960 bis 2010 im We-sentlichen anstiegen (mit deutlichem Einbruch im Krisenjahr 2009 und Erholung in 2010), zeigte die Verwertete Inländische Entnahme (VIE) einen deutlich anderen Verlauf. Die inländischen

Rohstoff-8 So werden alle energetisch genutzten Energieträger durch Verbrennungsbilanzen massenbilanziert (Input = Output), d.

h., die Inputseite umfasst die Energieträger plus die Entnahme von Gasen zur Verbrennung, während die Outputseite die resultierenden Luftemissionen sowie die Abgabe von Wasserdampf aus der Verbrennung, jeweils in kg, umfasst. In ähnli-cher Weise werden Nahrungs- und Futtermittel durch Atmungsbilanzen für Mensch und Nutztiere massenbilanziert.

9 In den Tabellen zur ökonomieweiten Materialflussrechnung von Eurostat (Datensatz „enc_ac_mfa“) wird für Deutschland in 2010 berichtet: „Importe: Abfallstoffe zur Endbehandlung und Endlagerung: 2,792 Mio. t; und „Exporte: Abfallstoffe zur Endbehandlung und Endlagerung: 0,568 Mio. t“. Die Angabe zu Importen stimmt in etwa mit dem UGR Wert von

2,6733 Mio. t überein, der Wert für Exporte fehlt hingegen in den UGR Tabellen.

10 Von direkten Materialflüssen sind indirekte Materialflüsse zu unterscheiden. Dies sind zum einen die nicht verwertete Extraktion im Inland, wie z. B. Abraum bei der Braunkohleförderung, und zum anderen die indirekten, vorgelagerten Mate-rialflüsse zu den importierten Gütern, die physisch nicht importiert werden, wie z. B. Energieträgerverbräuche für die Her-stellung von Exportwaren im Ausland.

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1960 1962 1964 1966 1968 1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012

Gesamtdeutschland: ab 1991

13 entnahmen stiegen von 1960 bis 1964 zunächst deutlich an (bedingt v. a. durch die Entwicklung in den alten Bundesländern) und lagen bis 1990 zwischen 1,4 und 1,6 Mrd. t (der Anteil der neuen Bundesländer lag über den gesamten Zeitraum 1960 bis 1990 zwischen 27 % und 37 %). Nach der Wiedervereinigung gingen die inländischen Rohstoffentnahmen fast kontinuierlich bis auf 1 Mrd. t in 2010 zurück, in erster Linie bedingt durch verminderte Fördermengen von Energieträgern (Stein- und Braunkohle) sowie von mineralischen Rohstoffen.

Der Netto-Bestandszuwachs stieg von 1960 bis 1972 von 680 auf ca. 1 Mrd. t an, fluktuierte auf die-sem Niveau bis 1980, sank dann bis auf unter 800 Mio. t über den Zeitraum 1982 bis 1987 ab und stieg bis 1990 wieder an bis auf 890 Mio. t. Im wiedervereinigten Deutschland 1991 stieg der NAS zunächst stark an auf ca. 1,1 Mrd. t in 1991 und 1992, um danach nahezu kontinuierlich bis auf ca.

820 Mio. t in 2010 zu sinken.

▸ Ohne Abfalldeposition11 wurden im gesamten Zeitraum 1960 bis 2010 insgesamt netto ca.

42,3 Mrd. t Material im Anthropogenen Lager Deutschlands akkumuliert (im Mittel 829 Mio. t pro Jahr), davon ca. 17,9 Mrd. t (ca. 42 %) im Zeitraum 1991 bis 2010 (im Mittel 893 Mio. t pro Jahr).

▸ Für das Jahr 2010 resultiert ein Nettobestandszuwachs in Höhe von 820 Mio. t. Dies ent-spricht einem Anstieg des Anthropogenen Lagers um ca. 10 t pro Jahr und Einwohner.

Die starke Zunahme des NAS in den frühen 1990er Jahren ging einher mit einer Zunahme der lagerre-levanten inländischen Rohstoffentnahme (Abbildung 7; i. e. Baumineralien und Holz), die in der Folgezeit bis 2010 ebenfalls wieder deutlich abnahm. Das Maximum der inländischen, lagerrelevan-ten Rohstoffentnahme lag jedoch in 1972/73 und wurde maßgeblich von der Entwicklung in den alten Bundesländern bestimmt (der Anteil der neuen Bundesländer lag im Zeitraum 1960 bis 1990 zwischen 11 % und 19 %).

Lagerrelevante Extraktionen in Deutschland bestanden über den gesamten Zeitraum 1960 bis 2010 zum überwiegenden Teil (zu ca. 95 - 99 %) aus Baumineralien (v. a. Sand und Kies, Natursteine, Kalksteine, Tone). Ausnahmen waren die Jahre 1990 und 2007, in denen schwere Sturmschäden den Holzanteil auf ca. 5 % ansteigen ließen (in anderen Jahren zwischen 1,4 und 3,6 %.

Lagerrelevante Extraktionen in Deutschland stiegen im Zeitraum ab 1960 zunächst stark an, von 436 Mio. t bis auf ein Allzeitmaximum von 822 Mio. t in 1972 (Abbildung 7). Bis Mitte der 1980er Jahre gingen die lagerrelevanten Extraktionen auf ein Niveau von ca. 560 Mio. t zurück, um danach bis zur Wiedervereinigung wieder anzusteigen bis auf ca. 660 Mio. t. Der Verlauf bis 1990 wurde maßgeblich von der Entwicklung in den ABL bestimmt (der Anteil der NBL lag im Zeitraum 1960 bis 1990 zwischen 11 % und 19 %).

In den frühen 1990er Jahren erfolgte zunächst eine starke Zunahme der lagerrelevanten inländi-schen Rohstoffentnahme bis auf 779 Mio. t in 1994, gefolgt von einer fast kontinuierlichen Abnahme bis 2010 auf 523 Mio. t.

Lagerrelevante Extraktionen zeigen somit einen ähnlichen Verlauf wie die Netto-Bestandszunahme, sie entsprechen auch im physischen Ausmaß dem Großteil von NAS und wurden daher auch zur Top-Down-Schätzung der Bestandsgröße herangezogen.

11 Die Abfalldeposition auf Deponien stieg im Zeitraum 1960 bis 1980 von 48 auf 104 Mio. t an und nahm bis 1990 leicht auf 90 Mio. t ab. Im wiedervereinigten Deutschland lag die Abfalldeposition in 1991 bei 161 Mio. t und sank bis 2010 sehr deutlich auf 34 Mio. t. Hier ist jedoch anzumerken, dass die Daten für die Abfallablagerungen auf Deponien für die frühen Jahre ab 1960, und insbesondere für die NBL, auf Schätzungen beruhen und daher weniger belastbar erscheinen als Ab-falldaten aus offizieller Statistik.

14 Abbildung 7: Lagerrelevante inländische Rohstoffentnahmen in Deutschland 1960-2010 [Mio. t]

VIE lagerrelevant: Verwertete inländische Entnahme lagerrelevanter Rohstoffe Quellen: Daten des Statistischen Bundesamtes (UGR) sowie des Wuppertal Instituts

Die Datenlage für die frühe Periode der langen Zeitreihen ab 1960 ist aufgrund vorliegender Datenlü-cken kritisch anzusehen. Hier wäre es von Vorteil, wenn die amtliche Statistik (Destatis – UGR) in sich konsistente historische Zeitreihen erstellen würde, welche mit den methodischen Vorgaben nach Eurostat kompatibel wären.

Auch bestehen Unsicherheiten hinsichtlich des Vergleichs der den Datenreihen zugrundeliegenden Verbrennungsbilanzen (vgl. Anhang 1.1.3). Ursächlich hierfür ist eine fehlende Umsetzung einer verbindlichen Methodik zur Ermittlung der Bilanzausgleichsposten im Zuge einer ökonomieweiten Materialflussanalyse. Hier wäre die Entwicklung und Umsetzung einer auf europäischer Ebene har-monisierten Methode wünschenswert, die in einen erweiterten „compilation guide“ zur Erstellung ökonomieweiter Materialflussdaten integriert werden könnte, welcher dann auch die Outputseite sowie Bilanzausgleichsposten abdeckt und damit die Herleitung von NAS ermöglichen würde12. Weitere Unsicherheiten bestehen bei der Position „Abfall auf Deponie“ bezüglich des Einschlusses nicht verwerteter inländischer Entnahme in der Bestandsrechnung. Hier sollte eine Klärung durch Expertenaustausch herbeigeführt werden und ggf. eine Anpassung der Berechnungsgrundlagen er-folgen.

Im Rahmen eines Exkurses wurde weiter untersucht, inwieweit ausgehend von ökonomieweiten Da-ten Einschätzungen zum Bestand des Anthropogenen Stofflagers getroffen werden können, die über die Aussagen hinausgehen, die mit der Aufsummierung des Nettobestandszuwachses im dargestell-ten Zeitraum möglich sind (vgl. Anhang 1.3). Zusammenfassend ist festzustellen, dass Schätzungen der Bestandsgrößen aus Top-Down-Perspektive bzw. aus einer Kombination von Top-Down- und Bottom-Up-Perspektive grundsätzlich möglich sind. Die damit verbundenen Unsicherheiten sind jedoch erheblich. Die Schätzungen können bestenfalls als sehr grobe Orientierungswerte dienen. Die

12 Zwar liegen mit dem Leitfaden „Economy Wide Material Flow Accounts: Compilation Guidelines for reporting“ geeignete Vorschläge vor, diese wurden bislang aber auf gesamteuropäischer Ebene (im Rahmen der MFA task force) nicht harmoni-siert. Darüber hinaus gilt die vorgeschlagene Methode als äußerst komplex, was eine länderübergreifend einheitliche Im-plementierung erschwert, so dass diese bislang nicht von Eurostat in die offizielle Berichterstattung aufgenommen werden konnte.

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1960 1962 1964 1966 1968 1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012

ABL / NBL Gesamtdeutschland: ab 1991 ABL+NBL: VIE lagerelevant

ABL: VIE lagerelevant

NBL: VIE lagerelevant

15 Möglichkeiten gegenüberstellender Plausibilitätsprüfungen von Bottom-Up und Top-Down Bestands-Berechnungen sind auf der Datengrundlage, wie sie in diesen einfachen Verfahren generierbar sind, begrenzt. So wird das Lager zumeist als Summengröße über alle Materialfraktionen oder zumindest wenig differenziert angegeben. Dies eröffnet kaum Anknüpfungspunkte für Plausibilitätsabgleiche.

Für sich genommen zeichnet dies nur ein überschlägiges Bild über das Anthropogene Stofflager, das den mit dem Modell gesteckten Anforderungen nicht gerecht wird.

Im Dokument 83/2015 (Seite 65-69)