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2 Wissenschaftlicher Kontext und Forschungsstand

2.5 Klimawandel und Naturkatastrophen

2.5.2 Naturkatastrophen

Naturkatastrophen26 sind Katastrophen, die durch natürliche Prozesse oder Phänomene in der Biosphäre ausgelöst werden und die zu einem Schadensereignis führen können. Naturkatast-rophen können eingeteilt werden in

− geologische,

− hydrometeorologische oder

− biologische Katastrophen.

Die Ereignisse können sich unterscheiden hinsichtlich ihrer Magnitude oder Intensität, ihrer Häufigkeit, Dauer, dem Schadensgebiet, der Geschwindigkeit des Auftretens, ihrer räumli-chen Ausbreitung sowie durch zeitliche Abstände zwisräumli-chen einzelnen Ereignissen27 (UN/ISDR 2004).

Zu den geologischen Ereignissen zählen in erster Linie Erdbeben. Obwohl die seismische Aktivität in Deutschland und in angrenzenden Ländern aufgrund der tektonischen Gegeben-heiten nicht stark ausgeprägt ist, weisen regelmäßig auftretende kleinere Erdbeben auf das Gefahrenpotential hin. Hierzu gehören z.B. das „Roermond-Beben“ am 13.04.1992 (Stärke 5,9) in den Niederlanden und in der Kölner Bucht, sowie die Erdbeben in der Nähe von Ham-burg (20.10.2004, Stärke 4,5) und in Waldkirch (5.12.2004, Stärke 5,4). Weltweit betrachtet war das Erdbeben mit den stärksten Auswirkungen seit Menschengedenken das Seebeben im Indischen Ozean am 26.12.2004 mit einer Stärke von 9,1 auf der Richterskala, bei dem

26 In der Literatur beschrieben sind Diskussionen darüber, ob es „Naturkatastrophen“ im engeren Sinne über-haupt geben kann, da weder Katastrophen selbst noch die meisten ihrer Auslöser natürlich sind (vgl. Alexan-der 1997, Wisner 2007). Hochwasser ist ein natürliches Extremereignis, aber erst durch den menschlichen Einfluss wie z.B. durch Flussbegradigungen und Auswirkungen auf den Menschen durch flussnahe Sied-lungsflächen wird es zur Katastrophe. Trotz dieser Einschränkungen ist der Begriff „Naturkatastrophe“ im allgemeinen Sprachgebrauch etabliert, und wird in der vorliegenden Studie zur Abgrenzung natürlicher Ex-tremereignisse gegenüber katastrophenauslösenden Ereignissen anderen Ursprungs verwendet.

27 “Natural processes or phenomena occurring in the biosphere that may constitute a damaging event. Natural hazards can be classified by origin namely: geological, hydrometeorological or biological. Hazardous events can vary in magnitude or intensity, frequency, duration, area of extent, speed of onset, spatial dispersion and temporal spacing.”

schätzt 230.000 Menschen durch mehrere Flutwellen (Tsunami) zu Tode gekommen sind (Geoforschungszentrum Potsdam in der Helmholtz-Gemeinschaft o. J.).

Als hydrometeorologische Katastrophen werden natürliche Prozesse oder Phänomene atmo-sphärischer, hydrologischer oder ozeanographischer Natur bezeichnet, die zu Todesfällen oder Unfällen, zu Gebäudeschäden, sozialen und ökonomischen Zusammenbrüchen oder zu Um-weltzerstörungen führen können (UN/ISDR 2004)28. Zu den Auslösern hydrometeorologi-scher Katastrophen zählen vor allem Hochwasser, tropische Wirbelstürme, Sturmfluten, Ge-witter, Stürme, Dürren, Wüstenbildung, Waldbrände, ungewöhnliche Temperaturextreme und Lawinen. Hydrometeorologische Katastrophen können einzeln, hintereinander oder kombi-niert in ihren Ursachen und Auswirkungen auftreten (UN/ISDR 2004).

Zu den wichtigsten hydrometeorologischen Naturkatastrophen in ihrer Häufigkeit und Scha-denswirkung in Industrieländern gehört Hochwasser. Ein Hochwasser kann z.B. durch Dammbrüche, Sturmfluten, Blitzfluten, Wirbelstürme, Schneeschmelzen oder Starknieder-schlagsereignisse ausgelöst werden. Die Ausprägung wird beeinflusst durch die Art und Stär-ke des Niederschlags, des Oberflächenabflusses, der Evaporation und des Windes sowie durch die Höhe des Meeresspiegels und die lokale Topographie. Die Vulnerabilität einer Gesell-schaft gegenüber Hochwasser wird erhöht, wenn eine größere Anzahl an Menschen in über-flutungsgefährdeten Bereichen lebt oder hier Industrie angesiedelt ist. Menschliche Aktivitä-ten wie die Abholzung von Wäldern, die Begradigung von Flüssen, die Zurückdrängung na-türlicher Überschwemmungsflächen und nicht angepasste Landschafts-, Siedlungs- und Stadtplanung verstärken das Flutrisiko (IPCC 2007).

Biologische Katastrophen29 werden ausgelöst durch organische Substanzen, pathogene Mik-roorganismen oder Toxine. Bespiele für biologische Katastrophen, die auch die Folge geolo-gischer und hydrometeorologeolo-gischer Katastrophen sein können, sind Ausbrüche von Infek-tionskrankheiten in Form von Epidemien oder Pandemien, von Tier- und Pflanzenkrankheiten und von Insektenplagen. Erkrankungen, Verletzungen oder Umweltzerstörungen können

28 “Natural processes or phenomena of atmospheric, hydrological or oceanographic nature, which may cause the loss of life or injury, property damage, social and economic disruption or environmental degradation. Hy-drometeorological hazards include: floods, debris and mud floods; tropical cyclones, storm surges, thun-der/hailstorms, rain and wind storms, blizzards and other severe storms; drought, desertification, wild land fires, temperature extremes, sand or dust storms; permafrost and snow or ice avalanches. Hydrometeorologi-cal hazards can be single, sequential or combined in their origin and effects.”

29 “Processes of organic origin or those conveyed by biological vectors, including exposure to pathogenic micro-organisms, toxins and bioactive substances, which may cause the loss of life or injury, property damage, so-cial and economic disruption or environmental degradation.”

aus resultieren. Ein Beispiel für eine Pandemie ist die sich derzeit weltweit ausbreitende Neue Influenza, auch „Schweinegrippe“ genannt (RKI 2009b).

2.5.3 Gesundheitsauswirkungen von Hochwasserkatastrophen

Hochwasserereignisse können sowohl während als auch im Nachgang einer Katastrophe Auswirkungen auf die Gesundheit der betroffenen Bevölkerung haben. Einige Autoren teilen diese Auswirkungen in zwei Kategorien ein, die sie als „direkte Effekte“ und „indirekte Ef-fekte“ bezeichnen, die jedoch verschieden gegliedert sind (siehe z.B. Few et al. 2004, Menne et al. 1999). Konsens dieser ähnlichen Einteilungen ist, dass die direkten Gesundheitseffekte durch das Flutwasser selbst ausgelöst werden, während die indirekten Effekte erst als Folge der Überflutung entstehen. Die hierdurch ausgelösten Gesundheitsauswirkungen können von kurzer Dauer sein oder langwierige Folgen haben.

Unfälle, Verletzungen, Infektionserkrankungen und chronische Erkrankungen können der Einteilung nach sowohl direkt als auch indirekt durch Hochwasser verursacht werden. Auch Ausfälle einzelner Infrastrukturbereiche wie z.B. des Rettungswesens oder der Wasserversor-gung werden in den Einteilungen zu den direkten bzw. indirekten Auswirkungen eines Hoch-wassers gezählt. Da in dieser Studie sowohl akute als auch längerfristige Infrastrukturschäden und damit zusammenhängende Gesundheitsfolgen eine Rolle spielen, erfolgen weitere Aus-führungen unabhängig von der oben angegebenen Einteilung.

Das größte Risiko für die Gesundheit besteht in der Akut-Phase eines Hochwassers. Todesfäl-le, vor allem durch Ertrinken, treten auch in Industrieländern bei Hochwasserkatastrophen auf. Im Vergleich zur Situation in Entwicklungsländern ist ihre Anzahl jedoch eher gering.

Unfälle und hierdurch oder andersartig erworbene Verletzungen gehören zu weiteren Auswir-kungen auf die Gesundheit, die lebensbedrohliche Ausmaße annehmen können (Hajat et al.

2003, Patz & Kovats 2002).

Die Entwicklung einer Infektionskrankheit während eines Hochwasserereignisses ist von der Suszeptibilität des Exponierten abhängig (vgl. Kapitel 2.3.2, Few et al. 2004). Vulnerable Bevölkerungsgruppen wie z.B. kleine Kinder, Personen in höherem Lebensalter, schwangere Frauen oder immunsupprimierte Personen sind besonders anfällig für das Auftreten von In-fektionskrankheiten (Hajat et al. 2003, Patz et al. 2000, Tapsell et al. 2002; vgl. auch oben Kapitel 2.2.4). Dieses Risiko besteht nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in In-dustrieländern (Howe et al. 2002, Kistemann et al. 2002, Kovats et al. 1999, Miettinen et al.

2001, Patz & Kovats 2002, Schijven & de Roda Husman 2005). Die Wahrscheinlichkeit für

das Auftreten von Krankheitsausbrüchen wird in Industrieländern aufgrund einer adäquaten Public Health-Infrastruktur von Hajat et al. (2003) und Noji (1997a) als gering eingeschätzt, bzw. zumindest solange, wie die Wasserversorgung ohne Beeinträchtigungen funktioniert (Hunter 2003).

Hochwasserbedingte chemische Kontaminationen können diverse Ursachen haben. Hierzu gehören z.B. die Überflutung von Anlageteilen chemischer Fabriken und ausgelaufene Öl-tanks. Flutbedingte Ölschäden können zu Vergiftungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Hautirri-tationen sowie zu Funktionsstörungen des Immun- und des Fortpflanzungssystems führen, wenn eine Exposition durch Inhalation oder über die Haut vorliegt (Euripidou & Murray 2004, Potera 2003). Chemische hochwasserassoziierte Kontaminationen stehen unter Ver-dacht, mitverantwortlich zu sein für das Auftreten von Krebserkrankungen wie Leukämie und Lymphomen. Auch erhöhte Raten von Aborten werden in diesem Zusammenhang diskutiert (Hajat et al. 2003).

Die in Reviews am häufigsten beschriebenen Auswirkungen von Katastrophen auf die Ge-sundheit der Bevölkerung in Industrieländern sind psychische Erkrankungen, die durch Distress während und nach einer Flut ausgelöst werden und besonders oft in älteren und sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen festzustellen sind (Few et al. 2004, Hajat et al. 2003).

Auch Suizide, die im Zusammenhang mit einem Hochwasser stehen, werden zu den psychi-schen Folgen gezählt (Kovats et al. 1999, Kessler et al. 2006).

Einem Flutereignis folgend treten häufig Schimmelpilzallergien und Asthma auf, wenn Häu-ser für längere Zeit überflutet waren und Maßnahmen zur Vermeidung von Schimmelbildung nicht hinreichend beachtet wurden (Brandt et al. 2006).

Hochwasserbedingte Ausfälle der Stromversorgung wirken sich auf alle anderen Infrastruk-turbereiche aus. Vor allem längerfristige Stromausfälle können Folgen für die Gesundheits-versorgung beziehungsweise die Gesundheit der Bevölkerung haben. Wenn z.B. in Kranken-häusern bei einem Stromausfall Probleme mit der Notstromversorgung auftreten, dann ist dies vor allem für den Operationsbereich, Intensivstationen und Dialyseeinrichtungen kritisch (Abbott 2000, BBK 2008b, Klein et al. 2005). Sind von dem Stromausfall Kühlgeräte betrof-fen, dann kann dies Laboranalysen beeinträchtigen sowie das Auftreten lebensmittelassoziier-ter Infektionserkrankungen erleichlebensmittelassoziier-tern (Klein et al. 2007). Auch für die Wasserversorgung ist eine funktionierende Stromversorgung notwendig, da zur Durchführung der verschiedenen Betriebsprozesse (Gewinnung, Aufbereitung und Verteilung, siehe Kapitel 2.2) Strom benö-tigt wird, der in der Regel nicht vollständig über Notstromaggregate generiert werden kann.

Auswirkungen eines Hochwassers auf die Gesundheitsversorgung bestehen z.B. durch einen Ausfall von Infrastruktureinrichtungen wie Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen sowie Arztpraxen und Apotheken. Problematisch ist hierbei vor allem die Unterbringung technischer Geräte und von Notstromaggregaten in Kellerräumen, die durch das Hochwasser selbst oder durch einströmendes Grundwasser geflutet werden können (Meusel & Kirch 2005, Klein et al.

2005).

Transporteinschränkungen können das Personal medizinischer Einrichtungen, den Rettungs-dienst sowie mobile PflegeRettungs-dienste betreffen. Auch die Versorgung mit notwendigen Gütern wie Medikamenten, Lebensmitteln und Wasserflaschen bei Problemen der Wasserversorgung oder Treibstoff zum Betrieb von Notstromaggregaten kann hierdurch beeinträchtigt sein (Ab-bott 2000, Klein et al. 2005).

Problematisch für die Wasserversorgung ist neben Stromausfällen die Kontamination der Wasserversorgung mit Krankheitserregern. Ursache kann die Überflutung von Anlagen der Wasserversorgung bzw. von Abwasseranlagen und Weideflächen sein. Auch Mängel oder Probleme in der Wasseraufbereitung können zu Kontaminationen mit Krankheitserregern füh-ren (DVGW 2007, Hunter 2003, WHO 2003). Ein Ausfall der Wasserversorgung kann auch Hygienemaßnahmen wie Händewaschen und die Fäkalienentsorgung erschweren, wodurch sich die Gefahr für eine Verbreitung hygieneabhängiger Infektionskrankheiten erhöht (Abbott 2000, Pesik & Keim 2002; vgl. auch Kapitel 2.2 und Kapitel 2.3).