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2 Wissenschaftlicher Kontext und Forschungsstand

2.7 Die Naturkatastrophe „Augusthochwasser 2002“

2.7.2 Infrastrukturschäden

halogenierte Kohlenwasserstoffe, Sulfat und Nitrat) durch das Hochwasser verändert wurden, wodurch es zu einer leichten Verschlechterung der Grundwasserqualität im Herbst 2002 kam.

Auch die Grundwasserspiegel waren stark erhöht, was sich vor allem auf die Uferfiltrat-Wasserfassungsanlagen auswirkte (Marre et al. 2005).

Grundwasser ist gefährdet, wenn durch Hochwasser Schadstoffe und Mikroorganismen aus dem Oberflächenwasser aufgrund einer beeinträchtigten Kolmationsschicht (Schutzschicht im Boden) relativ unfiltriert in den oberen Grundwasserleiter gelangen können. Durch das Au-gusthochwasser war die Wahrscheinlichkeit für eine erhöhte Anzahl an coliformen Bakterien und Koloniezahlen in Ufernähe gegeben. Während des Augusthochwassers 2002 zeigten nach dem LfUG (2003a) und Wricke et al. (2003) Messwerte verschiedener Wasserversorgungsun-ternehmen, die Wasserwerke an Elbe und Mulde mit Uferfiltratgewinnung betreiben, eine deutliche Zunahme der Anzahl coliformer Bakterien und der Koloniezahlen bei 22°C und bei 36°C an (vgl. auch Bericht 3). Konträr hierzu ermittelten Böhme et al. (2005) keine Gütever-schlechterung von Trinkwasser, das aus Uferfiltrat gewonnen wurde.

Durch überflutete Abwasseranlagen, und hier vor allem durch überflutete Kläranlagen, und daraus resultierenden Kontaminationen des Trinkwassers einerseits sowie durch Unterbre-chungen und Zerstörungen von Anlagen und Leitungen des Versorgungsnetzes andererseits war die Wasserversorgung in mehreren vom Hochwasser betroffenen Kreisen problematisch.

So ist z.B. im Grundsatzplan der öffentlichen Wasserversorgung des SMUL und des LfUG (2002, S. 24) zu lesen „…Die einzelnen Abweichungen von Grenzwerten der TrinkwV waren regelmäßig so gering, dass keine öffentlichen Verteilungsanlagen wegen Qualitätsproblemen abgeschaltet werden mussten, abgesehen vom Hochwasserereignis im August 2002.“ Piech-niczek (2004) nennt in einer Übersicht über betroffene Wasserversorgungsanlagen im Zustän-digkeitsbereich des Staatlichen Umweltfachamtes Radebeul die DREWAG Stadtwerke Dres-den GmbH, die Wasserversorgung Riesa-Großenhain GmbH und Dres-den Zweckverband Brock-witz-Rödern (Landkreis Meißen), in denen einzelne Wasserfassungsanlagen überflutet wur-den bzw. in wur-denen das Wasserwerk durch einen Strom- und Rohwasserausfall abgeschaltet werden musste, wodurch es zu Kapazitätsausfällen kam.

In Sachsen wurden typische Schäden und Beeinträchtigungen der Wasserversorgung durch das Augusthochwasser in einer vom DVGW und dem Sächsischen Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft in Auftrag gegebenen Studie dokumentiert, für die zwölf Vertreter von Wasserversorgungsunternehmen unterschiedlicher Größe und Unternehmensform Sachsens bzw. Sachsen-Anhalts nach ihren Hochwasser-Erfahrungen befragt wurden (Bericht 3).

Bericht 3: Auswirkungen des Hochwassers 2002 auf die Wasserversorgung Sachsens und Sachsen-Anhalts Die Auswirkungen des Hochwassers auf ausgewählte Wasserversorgungsunternehmen in Sachsen und Sachsen-Anhalt waren hauptsächlich technischer Art. Ausfälle der Energie-, Mess-, Steuer- und Regeltech-nik (EMSR) traten auf, weil z.B. technische Geräte in gefluteten Kellerräumen der Versorgungsunterneh-men untergebracht waren. Beeinträchtigt war auch die Trinkwasserqualität, die stark von der Rohwasserres-source, von der Art und Lage der Fassungsanlagen sowie vom Umfang der Zerstörung von Anlagen und Leitungsnetzen abhängig war:

Grundwasserfassungsanlagen waren unter extremen Bedingungen in der Nähe von Flussläufen durch eine verstärkte Zuströmung von Uferfiltrat und einer damit zusammenhängenden erhöhten Trübung und mikrobiologischen Belastung des Rohwassers vom Hochwasser betroffen.

Für Trinkwasser, das aus Uferfiltrat bzw. aus angereichertem Grundwasser gewonnen wurde, traten Güteverschlechterungen durch eine erhöhte Trübung und einen Anstieg mikrobieller Belastungen auf.

Das galt vor allem für gewässernahe Fassungsanlagen. In allen Anlagen konnte eine erhöhte Zuströmung von Uferfiltrat festgestellt werden, und so waren v. a. großräumige Grundwasserleiter mit Uferfiltrat ge-füllt. Die Folge war eine relativ lang andauernde Beeinflussung der Uferfiltratbeschaffenheit nach dem Hochwasser. Zur Kompensation der Trübung musste die Flockungsmitteldosis erhöht werden. Bei der Wiederinbetriebnahme überfluteter Brunnen erfolgte eine Spülung, und Chlor wurde in erhöhten Kon-zentrationen zugesetzt.

Wurde Quellwasser zur Wassergewinnung genutzt, lag ein erheblicher Anstieg der Trübung durch die Starkniederschläge vor. Quellfassungen wurden außer Betrieb genommen, da hier keine Aufbereitungs-anlagen vorhanden waren.

Die Hochwasserauswirkungen auf Talsperrenwasser traten erst mit einer Zeitverzögerung zutage, da sich in Talsperren Wasserschichten abhängig von der Jahreszeit verändern. Sehr hohe Trübstoffe, kombiniert mit erhöhten organischen Belastungen, erhöhten Manganwerten und erhöhten Schwermetallkonzentrati-onen betrafen so nach mehreren Wochen auch die Entnahmehorizonte für die Wassergewinnung, die daraufhin geändert werden mussten.

Mit dem Anstieg der Rohwassertrübung wurde eine deutliche Erhöhung der Flockungsmitteldosierung not-wendig. Resultat war die Entstehung größerer und labilerer Flocken mit hoher Anfälligkeit gegen Scherkräf-te, die beim Transport zum Wasserfilter zerstört wurden. Hierdurch verschlechterte sich wiederum die Filt-rierbarkeit. Folge war, dass Reinwasser mit erhöhten Trübungswerten abgegeben wurde. Eine Anpassung der Desinfektionsmitteldosierung erfolgte aufgrund des Zehrungsverhaltens, und häufig waren eine Erhö-hung der Chlordosis sowie Nachchlorungen erforderlich.

Zur Desinfektion und hygienischen Sicherheit im Leitungsnetz wurde die Desinfektionsmitteldosis in vielen Wasserwerken erhöht, wodurch jedoch auch die Chlor-Nebenproduktkonzentration anstieg (THM-Beanstandungsquote in Sachsen im Jahr 2002: 16,4%, im Jahr 2001: 2,6%, LUA Sachsen 2003). Bei mikro-biologischen Beanstandungen bzw. nach Versorgungsunterbrechungen wurden Nachchlorungen durchge-führt. Die Aussprache von Abkochgeboten erfolgte, wenn trotz einer Erhöhung der Chlordosis positive mikrobiologische Befunde vorlagen, unzureichend aufbereitetes Wasser in das Netz eingespeist wurde oder wenn Zerstörungen im Leitungsnetz vorlagen, so dass ein Eintrag von Oberflächenwasser nicht ausge-schlossen werden konnte. Ein umfangreiches Netzmesskontrollprogramm zur Güteüberwachung ergänzte die präventiven Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung.

Traten Zerstörungen im Rohrleitungsnetz auf, fielen Aufbereitungs- und Pumpstationen aus oder wurde die Energieversorgung abgeschaltet, erfolgten Notversorgungs-Maßnahmen zur Verhinderung der Versor-gungsunterbrechung, wie die Sicherung der Energieversorgung durch Notstrommaßnahmen, die Inbetrieb-nahme von Verbundsystemen und Ersatzfassungsanlagen, der Anschluss an andere Wasserversorgungsun-ternehmen über mobile Leitungen, der Einsatz von Wasserwagen und die Verteilung von Wasserflaschen (Wricke et al. 2003, Wricke 2004, von Kirchbach et al. 2002).

Die Ergebnisse zeigten, wie in Bericht 3 dargestellt, dass das Hochwasser sowohl Auswir-kungen auf die Wasserversorgungsanlagen als auch auf die Trinkwasserqualität hatte, und dass die Auswirkungen von der Art der Rohwasserressource, der Art und Lage der Fassungs-anlagen, der Art der Aufbereitung und vom Zustand der Leitungsnetze abhängig waren (Wri-cke 2004, Wri(Wri-cke et al. 2003).

Bedingt durch das Hochwasser waren in Sachsen kurzzeitig mehr als 655.000 Einwohner von bakteriologischen Beanstandungen des Trinkwassers betroffen. Allein im Regierungsbezirk Leipzig entsprach dies 60,2% der Einwohner und in Sachsen insgesamt waren es 16,6% der Einwohner (LUA Sachsen 2003).

Abkochgebote lagen unter anderem für die Kreise Meißen, Muldentalkreis und Leipzig vor, und Stromabschaltungen führten im Stadtkreis Zwickau und in den Landkreisen Meißen, Freiberg und Mittlerer Erzgebirgskreis zu Störungen der Trinkwasserversorgung und zum Teil auch zum Ausfall von Kläranlagen (LUA Sachsen 2003, von Kirchbach et al. 2002). Aus Dresden wurde berichtet, dass aufgrund des Stromausfalls über mehrere Tage das Abkochen des Trinkwassers nicht möglich war (Meusel & Kirch 2005).

Im Nachgang des Hochwassers wurden zerstörte Leitungssysteme ersetzt, die Wasserversor-gung wurde umstrukturiert und es erfolgte eine Hochwassersicherung von Fassungs- und Aufbereitungsanlagen (Piechniczek 2004, SMUL & LfUG 2002).

Dass das Augusthochwasser 2002 nicht nur in Deutschland Auswirkungen auf die Wasserver-sorgung hatte, verdeutlicht Bericht 4, der die Situation in Österreich widerspiegelt.

Bericht 4: Auswirkungen des Hochwassers 2002 auf die Wasserversorgung in Österreich

Durch das Hochwasser 2002 waren in Österreich 85 Gemeinden, 5 Wasserverbände und ein regionaler Wasserversorger von Schäden in Höhe von 3,9 Millionen Euro betroffen. 30 Gemeinden berichteten über Beeinträchtigungen der Trinkwasserqualität. Die Versorgung der Bevölkerung wurde unter anderem sicher-gestellt über mobile Trinkwasserabfüllstationen, Erhöhungen der Desinfektionsmittelkonzentration im Lei-tungsnetz, die Umschaltung auf ein alternatives Versorgungs- bzw. Förderstandbein, die Ausleitung belaste-ter Quellen, Empfehlungen zum Abkochen des Wassers bzw. zur Verwendung von Flaschenwasser, Tank-wagenversorgung, mobile Trinkwasserdesinfektion mit einer Verteilung nach dem Holprinzip und über die Verteilung von Trinkwasserpaketen.

Problematisch war die Verunreinigung des Wassers durch austretende Mineralölprodukte, die zurückzufüh-ren wazurückzufüh-ren auf das Aufschwimmen von Lagertanks und dadurch verursachte Leitungsbrüche. Der Betrieb eines regionalen Versorgers wurde neben der Überschwemmung von Brunnenfeldern auch beeinträchtigt durch eine generelle Stromabschaltung bzw. teilweise Unterbrechung der automatischen Steuerung auf-grund des Ausfalls von Telefonfestnetzleitungen (Habersack & Moser 2003).

Schäden an Einrichtungen der Abwasserentsorgung

Vom Augusthochwasser 2002 waren 100 der 804 kommunalen Kläranlagen in Sachsen be-troffen. Hierzu gehörten auch große Anlagen, die für mehr als 100.000 Einwohner zuständig sind. Im Hauptflussgebiet der Elbe waren zeitweise 75% der Anlagen außer Betrieb und/oder wurden durch Überflutungen beschädigt. Schäden gab es an den Anlagen selbst sowie am Kanalnetz (Engelmann 2003).

Im Rahmen eines Sondermessprogramms wurden die Auswirkungen der Überflutung von Kläranlagen auf die Wasserqualität der betroffenen Flüsse untersucht. Im Flutwasser der Elbe wurden stark erhöhte Keimzahlen von Gesamtcoliformen und Fäkalcoliformen sowie E. coli festgestellt, die zum Teil oberhalb der Richtwerte der Richtlinie 75/440/EWG „Qualitätsan-forderungen an Oberflächenwasser für die Trinkwassergewinnung in den Mitgliedsstaaten“

lagen (Richtlinie des Rates vom 16. Juni 1975). Die erhöhten Keimzahlen wurden hauptsäch-lich in der Zeit zwischen dem 20. und 26. August 2002 gemessen, und zwar insbesondere in hohen Konzentrationen flussabwärts von überfluteten Kläranlagen (Böhme et al. 2005, LfUG 2002a, LfUG 2003b; siehe auch Abraham 2004).

Schäden an Einrichtungen der Gesundheitsversorgung

Über die Hälfte der Krankenhäuser Sachsens lag in Kreisen, in denen aufgrund des Hochwas-sers Katastrophenalarm ausgelöst wurde. Insgesamt waren 54 Krankenhäuser in Sachsen di-rekt oder indidi-rekt von den Fluten betroffen, und aus 10% aller Krankenhäuser wurden mehr als 4.800 Patienten evakuiert. Darunter waren 170 Intensivpatienten, die zum Teil mithilfe von Militärflugzeugen sowie bodengebundenen Intensivtransportwagen in Ausweichkranken-häuser gebracht wurden. Zu den KrankenAusweichkranken-häusern, die evakuiert bzw. teilevakuiert wurden, gehörten die drei innerstädtischen Krankenhäuser Dresdens und das Dresdner Universitätskli-nikum. Das Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt, das in der Nähe des alten Flussbettes der Weisseritz steht, wurde während der ersten Flutwelle vom Weisseritzhochwasser und wäh-rend der zweiten Flutwelle vom Elbehochwasser überflutet (Flintrop 2002, Meusel & Kirch 2005, Meusel et al. 2004, Orellana 2002, Sächsisches Staatsministerium für Soziales 2004, von Kirchbach et al. 2002). Meusel & Kirch (2005) berichteten sogar über Todesfälle, die im Zusammenhang mit den Evakuierungen gestanden haben sollen.

Im Freistaat Sachsen wurden Praxen von über 250 Ärzten ganz oder teilweise zerstört. In Dresden-Friedrichstadt waren z.B. 10% aller dortigen Praxen ausgefallen und in acht weiteren Stadtteilen waren 50%- bis 80% der Ärzte nicht voll arbeitsfähig. Überflutet war auch eine

Dresdner Notfallpraxis. Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung war in Dresden und in den Orten entlang der Elbe, Weißeritz und Mulde schwierig. Die ambulante Versorgung konnte in Sachsen jedoch landesweit aufrechterhalten werden, und z.B. in Dres-den wurde die Versorgung durch eine doppelte Besetzung der ärztlichen Bereitschaftsdienste gewährleistet. Auch Altenpflegeheime übernahmen pflegerische Leistungen für Evakuierte (Orellana 2002, persönliche Mitteilung A. Scheuermann 2009).

In den Gesundheitsämtern mussten zusätzliche Aufgaben bewältigt werden, wie z.B. die Or-ganisation der psychosozialen Betreuung der betroffenen Bevölkerung und die Durchführung von Impfungen. Vor allem in Gebieten, in denen die Wasserversorgung ausgefallen war, herrschte eine hohe Nachfrage nach Impfstoff gegen Hepatitis A (Ärzte-Zeitung 2002).