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2 Wissenschaftlicher Kontext und Forschungsstand

2.3 Wasserbürtige und hygieneabhängige Infektionskrankheiten

2.3.5 Nachweise

Hinweise zum Auftreten von hygieneabhängigen Infektionskrankheiten finden sich insbeson-dere für Entwicklungsländer, in denen aufgrund von Wassermangel häufiger unzureichende Hygienestandards anzutreffen sind als in Industrieländern, in denen Trinkwasser in der Regel in hoher Qualität ubiquitär verfügbar ist. Mara & Feachem (2003, S. 186) gehen jedoch davon aus, dass es sich bei den hygieneabhängigen Infektionen auch in Europa um ein ignoriertes, aber signifikantes Gesundheitsproblem handelt. Das Auftreten von hygieneabhängigen Infek-tionskrankheiten in hoch entwickelten Ländern wird nur selten epidemiologisch untersucht, wie z.B. von Letrilliart (1997) zum Auftreten von Durchfallerkrankungen in den Wintermona-ten in Frankreich im Rahmen einer gematchWintermona-ten Fall-Kontroll-Studie.

In einer Katastrophensituation, in der ein Ausfall der Wasserversorgung vorliegt und eine Minimalversorgung mit Trinkwasser z.B. über Wasserwagen oder Flaschenwasser sicherge-stellt ist, bzw. in der Evakuierte in Massenunterkünften untergebracht sind, besteht häufiger die Möglichkeit, dass Hygienemaßnahmen, wie z.B. die Händehygiene, nur eingeschränkt wahrgenommen werden können. So war z.B. das Auftreten einer Norovirusepidemie mit etwa 1.000 Erkrankungen im Zuge des Wirbelsturms Katrina in den USA im Jahr 2005 vermutlich auf Hygienedefizite in Massenunterkünften zurückzuführen (Centers for Disease Control and Prevention (CDC) 2006a).

Für die Übertragung von Infektionskrankheiten über das Trinkwasser gibt es aus Industrielän-dern mehrere Hinweise, obwohl sich der Standard der Wasserversorgung in IndustrielänIndustrielän-dern und somit auch in Deutschland auf einem sehr hohen Niveau befindet, wie in Kapitel 2.2 be-schrieben (Tabelle 7). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass bei ätiologischen Abklärungen von Krankheitshäufungen Trinkwasser nur selten als Infektionsquelle in Betracht gezogen wird.

Auch die Identifizierung von Viren und Parasiten im Trinkwasser ist schwierig, da Wasser-proben zeitnah nach der Feststellung von Auffälligkeiten im Infektionsgeschehen entnommen werden müssen und eine korrekte Anwendung der Untersuchungsmethoden diffizil ist (Hun-ter et al. 2003a, Kuusi 2004).

Tabelle 7: Nachweise wasserbürtiger Ausbrüche von Infektionskrankheiten Quelle: Eigene Darstellung 2009.

Krankheit Referenz Zeit und Ort Ereignis Erregernachweis

im Trinkwasser

Anzahl an Betroffenen Gallay et

al. 2006

08/2000;

Gemeinde in Frankreich

Grundwasserbrunnen mit Landwirtschafts-Abwässern überflutet und Ausfall der Chlo-rungsanlage

Ja (C. coli, Noro- und Rotaviren)

202 Erkrankte

Jakopa-nec et al.

2008

05/2007;

Ro-ros,Norwegen Arbeit am Trinkwassernetz, Druckabfall und

ungechlortes Trinkwasser Nein 1.500 Erkrankte

(5.600 Einw.)

Campylo- bacterio-sea

Kuusi et al. 2005

08/1998; Hau-kipudas, Finn-land

Arbeit am Trinkwassernetz, Abwassereintrag im Bereich einer Baustelle, ungechlortes Trinkwasser

Ja (C. jejuni) 2.700 Erkrankte (15.000 Einw.) E.

coli-Enteritis Hunter

1997 1975; National-park, Oregon, USA

Kontamination des Trinkwassers durch

Über-laufen einer Kläranlage k. A. > 2.000

Erkrank-te

EHEC-Enteritis

Auld et al.

2004

05/2000; Wal-kerton, Ontario, Kanada

Eintrag von Tierfaeces in Trinkwasserbrunnen nach Starkniederschlag und lokalen Überflu-tungen

Ja (EHEC und Campylobacter

spp.)

2.300 Erkrankte, 27 HUS-Fälle, 7 Tote (4.800 Einw.) Gornik et

al. 2001, Kiste-mann et al. 2003

05-08/2000;

Gemeinde in Rheinland-Pfalz

Kontamination des Trinkwassers durch Wei-deabwässer bzw. Überlauf des Regenüber-laufbeckens nach Starkniederschlag

Ja 8 Erkrankte (13 asymptomati-sche Fälle laborbestätigt) Giardiasis

Nygård et al. 2006

08-10/2004;

Bergen, Nor-wegen

Kontamination des Trinkwassers durch Ab-wässer, die nach Starkniederschlägen aus sanierungsbedürftigen Abwasserrohren in einen See eingetragen wurden, der wiederum als Wassergewinnungsquelle genutzt wurde

Ja 2.500 Erkrankte (1.300 Fälle laborbestätigt)

Hepatitis A

Hrudey &

Hrudey 2004

07/1980;

Georgetown, Texas, USA

Kontamination von Brunnen nach Starknie-derschlägen

Nein, aber hohe Belastung mit Fäkalcoliformen

36 Hepatitis A-Fälle; > 1.000 Gastroenteritiden Howe et

al. 2002

03/2000; Clithe-roe, Lancashi-re, GB

Kontamination des Trinkwassers mit Tierfae-ces nach Starkniederschlagsperiode und Wechsel der Wasserressource

Ja 58 Erkrankte

Krypto-sporidiose

Mac Kenzie et al. 1994

03-04/1993;

Milwaukee, USA

Kontamination des Oberflächenwassers mit ungeklärten Abwässern nach Starknieder-schlagsperiode; starke Trübung, neue Flo-ckungstechnik mit ungeeigneten Filtern und ineffektiver Chlorung

Ja 403.000

Er-krankte, 54 Tote (v. a. AIDS-Kranke)

Krankheit Referenz Zeit und Ort Ereignis Erregernachweis im Trinkwasser

Anzahl an Betroffenen Böhme et

al. 2005

04/1994;

Noormakku, Norwegen

Fäkalkontaminiertes Flutwasser gelangte nach Rekordhochwasser in Förderbrunnen

Ja, Adeno-, Rota- und Noroviren

1.500-3.000 Erkrankte (6.300 Einw.)

Hewitt et al. 2007

07/2006; Ski-Ort in Neusee-land

Abwasserkontamination der Trinkwasserver-sorgung

Ja 31 Erkrankte

laborbestätigt Kukkula

et al.

1999

03/1998; Hei-nävesi, Finn-land

Abwasserkontamination des Trinkwassers, das aus Oberflächenwasser gewonnen wird

Ja 1.700-3.000

Erkrankte, 27 Fälle laborbestä-tigt (4.860 Einw.) RKI

2004b

10/2003; LK Torgau-Oschatz, Sachsen

Während Baumaßnahmen am Trinkwasser-netz Kontamination einer Ersatzleitung durch Bachwasser

Ja 88 Erkrankte

(von 95 Einw.

eines Straßen-zuges)

Norovirus- Erkran-kungb

Parshio-nikar et al.

2003

10/2001;

Wyoming, USA

Materialdefekt eines Abwasserspeichers und benachbarten Grundwasserbrunnens sowie Ausfall der Chlorung verursachten Trink-wasserkontamination in einem Touristenlokal

Ja 84 der 111

befragten Gäste erkrankt (3 Fälle laborbestätigt)

Botzen-hart 2000, Kiste-mann 1997

12/1981;

Halle/Saale, Sachsen-Anhalt

Hochwasser der Saale führte zur Überflutung der Brunnengalerie einer Uferfiltratgewinnung

Ja 10.500 Erkrank-te

Rotavirus- Erkran-kungb

Hunter 1997

05/1978;

Washington, USA

Kontamination des Trinkwassers einer Schule mit Fäkalcoliformen durch ein unsachgemäß verlegtes Rohr

Ja 71,5% der 495

befragten Schü-ler erkrankt

Salmo-nellose Lim et al.

2005 2004;

Yeong-cheon-si; Korea Kontamination des Trinkwassers einer Schule durch ein Loch in der Wasserleitung und Verunreinigung des mit diesem Wasser zubereiteten Schulessens mit S. enteritidis

Nein 340 Erkrankte (von 1205 Befragten) Shigellose Tuffs und

Bosch 2002

08/2002; Klein-stadt bei Barce-lona, Spanien

Flut als Auslöser für Trinkwasserepidemie k. A. 670 Erkrankte (6600 Einw.)

Yersinio-se

Hunter 1997

k. A. Kontaminiertes Brunnenwasser Ja 2 Erkrankte

einer Familie a. siehe auch Auld et al. 2004 unter „EHEC-Enteritis“

b. siehe auch Gallay et al. (2006) unter „Campylobacteriose“

c. siehe auch Böhme et al. (2005) unter „Norovirus-Erkrankung“

k. A.: keine Angabe

Trotz dieser Einschränkungen gibt es mehrere Beispiele für Nachweise wasserbürtiger Erre-ger im Trinkwasser, durch die Krankheitsgeschehen ausgelöst wurden. Bei den in Tabelle 7 aufgelisteten Ereignissen waren Starkniederschläge, Hochwasser oder Arbeiten am Trinkwas-sernetz häufig der auslösende Faktor für eine Kontamination. In 15 der 20 gelisteten Ereignis-se konnten die Erreger im TrinkwasEreignis-ser nachgewieEreignis-sen werden. In drei Studien gelang kein Trinkwassernachweis, aber epidemiologische Untersuchungen deuteten darauf hin, dass Trinkwasser das Vehikel der Übertragung darstellte. In zwei Erwähnungen von trinkwasseras-soziierten Krankheitsgeschehen waren keine Informationen über Nachweise enthalten.

Die größte der in Tabelle 7 dargestellten durch Trinkwasserkontaminationen ausgelösten Epi-demien ereignete sich in Milwaukee, USA, im Jahr 1993 und wurde durch Kryptosporidien

verursacht. Es kam zu etwa 400.000 Erkrankungen und 54 Todesfällen. Auslöser der Trink-wasserkontaminationen waren Starkniederschläge, die zur Verunreinigung des Rohwassers führten, gepaart mit Problemen der Wasseraufbereitung (Hrudey & Hrudey 2004, Leclerc et al. 2002, Mac Kenzie et al. 1994).

Dramatisch verlief die EHEC- und Campylobacteriose-Epidemie in Walkerton, Kanada, im Jahr 2002, bei der die Hälfte der Einwohner erkrankte, 27 Personen HUS entwickelten und sieben starben. Auch hier war Starkniederschlag der Auslöser der Epidemie, indem Brunnen-wasser mit Tierfaeces kontaminiert wurde (Auld et al. 2004, Hrudey & Hrudey 2004).

In Deutschland gab es in der jüngeren Vergangenheit zwei Krankheitsausbrüche aufgrund von Trinkwasserkontaminationen. Im Jahr 2000 fielen zufällig in einer rheinland-pfälzischen Hausarztpraxis acht Giardiasis-Fälle auf, für die eine wasserbürtige Ursache identifiziert wer-den konnte (Gornik et al. 2001, Kistemann et al. 2003). Im Rahmen einer historischen Kohor-tenstudie von Kistemann et al. (2003) zur epidemiologischen Bestätigung dieses ersten Giar-diasis-Ausbruchs durch Trinkwasser konnten Giardien sowohl im Trinkwasser mehrerer Hochbehälter als auch in Stuhlproben von Schulkindern abhängig von den Wasserversor-gungszonen der Wohnorte nachgewiesen werden. Im Jahr 2003 ereignete sich im Landkreis Torgau-Oschatz, Sachsen, ein Norovirus-Ausbruch, bei dem aufgrund von Bauarbeiten an einer Wasserleitung und einem dadurch bedingten Rückfluss von Zisternenwasser durch ein unsachgemäß verlegtes Wasserrohr insgesamt 88 Personen und damit 93% der 95 exponierten Bewohner eines Straßenzuges erkrankten (RKI 2004b).

Nachweise für wasserassoziierte Erkrankungen liegen auch für E. coli-Pathovare, Rotaviren, Shigellen und Yersinien vor. Von diesen wurden z.B. Rotaviren bisher nur selten als Ursache von Ausbrüchen wasserbürtiger Infektionskrankheiten erkannt (z.B. Rotavirus-Epidemie in Halle 1981 mit 10.500 Erkrankten; Botzenhart 2000, Kistemann 1997), was auf Probleme mit der Diagnostik zurückgeführt wird (Leclerc et al. 2002). Rotaviren werden von Erkrankten in hoher Konzentration über mehrere Tage mit dem Stuhl ausgeschieden, so dass das häusliche Abwasser stark belastet ist und Rotaviren im Oberflächenwasser und in behandeltem Trink-wasser nachgewiesen werden können. Da Rotaviren jedoch auch leicht durch den direkten Kontakt von Mensch zu Mensch übertragen werden können, treten trinkwasserverursachte Ausbrüche in ihrer Bedeutung gegenüber den direkt übertragenen Krankheitsfällen zurück (Botzenhart 2007).