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Wie in Kapitel 1 formuliert, ist es das Ziel der vorliegenden Studie, die Folgen einer hoch-wasserbetroffenen Wasserversorgung für die Gesundheit der Bevölkerung zu identifizieren, um Rückschlüsse für (a) trinkwasserbezogene Public Health-Maßnahmen während zukünfti-ger Katastrophenereignisse und (b) für notwendige Schutzvorkehrungen in Einrichtungen der Kritischen Infrastruktur Wasserversorgung für den Fall von Beeinträchtigungen und Ausfällen ableiten zu können.

Ausgehend von der Aussage Hunters (2003a, vgl. Kapitel 2.5.3), dass aufgrund eines Hoch-wasserereignisses beim Vorliegen von Wasserversorgungsdefiziten auch in hoch entwickelten Ländern Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen als möglich erachtet werden (vgl. hierzu auch Kapitel 2.5.6), und davon dass – wie in Kapitel 2 dargestellt – während des August-hochwassers 2002 in Sachsen und Sachsen-Anhalt

− starke Beeinträchtigungen und Schäden an der Kritischen Infrastruktur Wasserversorgung auftraten (Wricke 2004, Wricke et al. 2003),

− die Trinkwasserqualität zum Teil für mehrere Wochen und Monate nicht den Anforderun-gen der TrinkwV (§ 5 TrinkwV, LUA Sachsen 2003) entsprach,

− auf verunreinigtes Trinkwasser als Gefahrenquelle für das Auftreten von Infektionskrank-heiten hingewiesen wurde (Bigl et al. 2003),

− erwähnt wurde, dass es Hygieneprobleme durch einen Zusammenbruch kommunaler Infra-strukturen und der Unterbringung von Evakuierten in Notunterkünften gab und dass Durchfallerkrankungen gehäuft auftraten (Bigl et al. 2003, DGK 2002b, LUA Sachsen 2003),

− Warnungen vor dem Genuss von Trinkwasser aus dem Leitungsnetz ausgesprochen wur-den (unter anderen BMU 2002c) und

− bisher – gemessen an den in Kapitel 2.6 betrachteten Studien und Reviews und den zum Augusthochwasser verfügbaren Forschungsansätzen (Kapitel 2.7) – nur die Studien von Bigl et al. (2003) und von Schnitzler et al. (2007) zu einer ähnlichen Thematik vorliegen, die jedoch die Trinkwasserqualität und Versorgungsdefizite nicht mit in ihre Analysen ein-bezogen,

ist für dieses Ereignis ein weiterer Forschungsbedarf ableitbar.

Unter dem Public Health-Gesichtspunkt stellte sich somit die Frage, welche Auswirkungen das Augusthochwasser 2002 auf die Wasserversorgung und in der Folge auf das Infektionsge-schehen in der Bevölkerung hatte. Zur Bearbeitung dieser Forschungsfrage wurde folgende Hypothese generiert:

In den Kreisen und kreisfreien Städten Sachsens und Sachsen-Anhalts, in denen im Zuge des Augusthochwassers 2002 die Wasserversorgung stark beeinträchtigt bzw. ausgefallen war, trat während oder kurz nach der Flut eine signifikante Er-höhung potentiell wasserbürtiger bzw. hygieneabhängiger Infektionskrankheiten auf.

Aufbauend auf den in Kapitel 2 dargestellten wissenschaftlichen Hintergrundinformationen wurde zur Bearbeitung der Hypothese ein Modell entwickelt, das Szenario-gestützt verschie-dene Möglichkeiten für hochwasserbedingte Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen in der Bevölkerung aufgrund von Wasserversorgungsproblemen aufzeigt (siehe Tabelle 17).

Nach diesem Modell in Tabelle 17 ist das vermehrte Auftreten von Infektionserkrankungen bedingt durch Wasserversorgungsprobleme sowohl aufgrund von Trinkwasserkontaminatio-nen als auch durch reduzierte Hygienemöglichkeiten denkbar. Besteht eine Exposition gegen-über Trinkwasserverunreinigungen oder Hygienedefiziten, dann ist hieraus für die gesamte betroffene Bevölkerung ein Gesundheitsrisiko ableitbar, da Trinkwasser lebensnotwendig ist und von allen Bevölkerungsgruppen und -schichten täglich konsumiert bzw. zur Durchfüh-rung von Hygienemaßnahmen benötigt wird. Besonders von Kontaminationen und Hygiene-defiziten betroffen sind Angehörige vulnerabler Gruppen (vgl. Kapitel 2.2.5), da diese eine höhere Suszeptibilität gegenüber Krankheitserregern aufweisen.

Tabelle 17: Szenarien hochwasserbedingter Störungen der Wasserversorgung und mögliche Auswirkun-gen auf das Infektionsgeschehen in der exponierten Bevölkerung

Quelle: Eigene Darstellung 2009.

Szenario Art der Störung

Folgen für die Wasserversorgung

Zusätzliche Faktoren

Mögliche Folgen für die Trink-wasserqualität

Mögliche Auswirkungen auf das Infektions-geschehen

A Überflutung von

Abwasser-anlagen oder Weideflächen

Kontamination des Flutwassers und in der Folge der Roh-wasserressource mit Krankheitserregern

Probleme mit der Aufbereitung oder ein Restrisiko für ein Erre-gervorkommen trotz Aufbereitung

Trinkwasser-belastung mit Krankheits-erregern

Krankheitserreger können durch orale Aufnahme des Wassers in suszeptibler Bevölkerung zu einer Infektion bzw. Erkrankung führen

Ausfall der Versor-gung/Ausfall der Kanalisation

Keine Verbundleitung;

Nutzung von Ersatz-wasser

Bei reduzierten

Hygiene-möglichkeiten können Krankheitserreger durch direkten Kontakt leichter auf suszeptible Personen übertragen werden und dort eine Erkrankung auslösen

B Schäden an

Anlagen und Einrichtungen der Wasser-versorgung

Einschränkung der Versorgung und Nutzung einer Ver-bundleitung

Kontamination durch Änderung der Versor-gung (Druckabfall, Änderung der Strö-mungsverhältnisse) und unzureichende Desin-fektionsmaßnahmen (v.a. für Viren und Parasiten)

Trinkwasser-belastung mit Krankheits-erregern

Krankheitserreger können durch orale Aufnahme des Wassers in suszeptibler Bevölkerung zu einer Infektion bzw. Erkrankung führen

C Schäden am

Leitungsnetz Kontamination des Trinkwassers mit Krankheitserregern

Kontamination durch Unterbrechung der Versorgung inkl. Druck-abfall und unzureichen-den Restchlorgehalten (v.a. für Viren und Parasiten)

Trinkwasser-belastung mit Krankheits-erregern

Krankheitserreger können durch orale Aufnahme des Wassers in suszeptibler Bevölkerung zu einer Infektion bzw. Erkrankung führen

D Stromausfall Ausfall der Versor-gung/Ausfall der Kanalisation

Nutzung von Ersatz-wasser

Bei reduzierten

Hygiene-möglichkeiten können Krankheitserreger durch direkten Kontakt leichter auf suszeptible Personen übertragen werden und dort eine Erkrankung auslösen

Anhand dieses Modells wurden zwei Fragestellungen erarbeitet, mit denen die oben genannte Hypothese überprüft werden sollte. Die erste Fragestellung lautete:

Welche Auswirkungen hatte das Augusthochwasser 2002 auf die Wasserversor-gung in den Kreisen und kreisfreien Städten Sachsens und Sachsen-Anhalts?

Da in vielen Kreisen Sachsens und Sachsen-Anhalts während des Augusthochwassers 2002 Katastrophenalarm ausgelöst wurde (siehe Tabelle 16), aber in diesen Kreisen nicht gleichzei-tig auch die Wasserversorgung geschädigt oder gestört war und umgekehrt, war diese Frage-stellung darauf ausgerichtet, konkrete raumbezogene Informationen über die Betroffenheit der Kritischen Infrastruktur Wasserversorgung durch das Augusthochwasser zu erhalten. Die

Stu-die von Wricke et al. (2003) erläuterte zwar bereits ausführlich Stu-die Hochwasserauswirkungen auf die Wasserversorgung, aber die dort enthaltenen Informationen konnten keinen Raumein-heiten zugeordnet werden.

Ziel dieser ersten Fragestellung war die Identifizierung von so genannten Hochwasserkrei-sen, in denen die Wasserversorgung stark beeinträchtigt oder ausgefallen war bzw. in denen die Wasserqualität nicht den Anforderungen der TrinkwV (§ 5 TrinkwV) entsprach, so dass Public Health-Maßnahmen wie z.B. die Desinfektion oder die Aussprache von Abkochgebo-ten umgesetzt werden mussAbkochgebo-ten. Kreise Sachsens und Sachsen-Anhalts, die nicht vom Hoch-wasser betroffen waren und deren Wasserversorgungen keine Beeinträchtigungen durch das Hochwasser aufwiesen, sollten mit dieser Fragestellung als Referenzkreise ermittelt werden.

Eine Eingruppierung der Kreise Sachsens und Sachsen-Anhalts nach dem Grad der Betrof-fenheit ihrer Wasserversorgungen lieferte die Basis für die Bearbeitung der zweiten Fragestel-lung:

Sofern in den Kreisen und kreisfreien Städten Sachsens und Sachsen-Anhalts im Zuge des Augusthochwassers 2002 die Wasserversorgung stark beeinträchtigt oder ausgefallen war: Gab es dort Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen in der Bevölkerung?

Die zweite Fragestellung baute auf den Ergebnissen der ersten Fragestellung auf: Abhängig vom Grad der Hochwasserbetroffenheit der Kreiswasserversorgungen war zu klären, ob Aus-wirkungen auf das Infektionsgeschehen in der Bevölkerung erkennbar waren. Angelehnt an die Studien von Bigl et al. (2003) und Greer et al. (2008) erschienen sowohl aus Public Health- als auch aus Bevölkerungsschutzsicht die gemeldeten Fallzahlen der potentiell was-serbürtigen bzw. hygieneabhängigen Infektionskrankheiten als geeigneter Indikator für hoch-wasserbedingte Trinkwasserkontaminationen bzw. Ausfälle der Versorgung. Durch diesen Indikator wird die Vulnerabilität der Kritischen Infrastruktur Wasserversorgung, die sich so-wohl in quantitativen als auch in qualitativen Versorgungsproblemen manifestieren kann, wi-dergespiegelt (vgl. auch Hunter et al. 2003a und b, Prüss et al. 2002). Zur Operationalisierung dieser zweiten Fragestellung und zur Bearbeitung der Hypothese wurde daher angenommen, dass die gemeldeten Fallzahlen wasserbürtiger bzw. hygieneabhängiger Infektionskrankheiten in Kreisen mit stark hochwasserbetroffener Wasserversorgung im Jahr 2002 signifikant ge-genüber Referenzzeiträumen erhöht waren.