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2.4.1 Grundtendenzen des sektoralen Strukturwandels

Dem Basisszenario liegt die Annahme zugrunde, dass sich die deutsche Wirtschaft auf ihre Kernkompetenzen konzentriert und ihre Markterfolge vor allem in den wis-sensbasierten, kreativen und sozialen Diensten sucht. Damit folgen die sektoralen Trends von Produktion und Beschäftigung dem bereits in den früheren Prognosebe-richten11 beschriebenen Tendenzen (Abbildung 16, Tabelle 7):12

• In der Warenproduktion mit den Bereichen Land- und Forstwirtschaft, Bergbau, Energie, Verarbeitendes Gewerbe und Baugewerbe gehen nach unseren Ein-schätzungen bis 2030 insgesamt eine Million Arbeitsplätze verloren. Dies ist dem globalen Strukturwandel zuzuschreiben, in dem vor allem die asiatischen Länder erhebliche Teile der Industrieproduktion an sich ziehen. Dieser De-In-dustrialisierungsprozess kam in den Jahren 2010–14 zwar zum Stillstand. Er wird sich aber umso mehr durchsetzen, je weniger die deutsche Industrie vom Wachstum Chinas und dem vorteilhaften Euro-Kurs profitieren kann. Zu den großen Verlierern gehören daher die Beschäftigten im Maschinenbau, in der Metallerzeugung und -bearbeitung und in der Land- und Forstwirtschaft. Nach den Annahmen dieses Szenarios bleiben die Innovationsbemühungen im Ma-schinenbau aber auch bei anderen Investitionsgüterherstellern zu schwach, um im internationalen Wettbewerb um Industrie 4.0 erfolgreich zu sein.13

• Die Unternehmens- und Finanzdienste stehen auf der Gewinnerseite und glei-chen die Arbeitsplatzverluste in der Warenproduktion fast vollständig aus. Hier werden nach unseren Erwartungen 0,9 Millionen Arbeitsplätze entstehen, in erster Linie in den Sonstigen Unternehmensdiensten sowie in der Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung. Dabei profitieren diese Wirtschaftszweige von der Auslagerung von Tätigkeiten aus den Industrieunternehmen und ande-ren Branchen. Sie ist Folge der „Verwissenschaftlichung“ der Unternehmen und des generellen Strukturwandels von der Herstellung von Waren zur Schaffung von Know-how. Dies begünstigt viele Bereiche der technischen, wissenschaftli-chen und kommerziellen Beratung, wie sie unter den Unternehmensdiensten zusammengefasst werden.

11 Vgl. Vogler-Ludwig, Düll (2013), Abschnitt 2.1.

12 Vgl. auch Tabelle 2.3.1 im Anhang 3.

13 Die erfolgreiche Umsetzung einer solchen Strategie wird im Szenario Beschleunigte Digitalisierung durchgerechnet.

• Im Bereich Handel und Verkehr finden interne Umschichtungen statt, sodass die Gesamtbeschäftigung bis 2030 stagniert. Dabei verliert der Einzelhandel aufgrund der schon jetzt wirksamen Verbreitung des Internet-Handels, wäh-rend Verkehr und Lagerei davon profitieren. Der Großhandel wird durch den Ausbau des internationalen Handels begünstigt.

425 09 Metallerzeugung und -bearbeitung 01 Land- und Forstwirtschaft 41 Interessensvertretungen 13 Möbel u. a., Reparatur von Maschinen 03 Nahrungsmittel, Getränke 18 Einzelhandel 04 Textilien, Bekleidung, Lederwaren 22 Verlage, Film, Fernsehen und Rundfunk 15 Wasserversorgung, Entsorgung 08 Gummi, Kunststoff, Glas, Keramik 06 Papier, Druckerzeugnisse 14 Energieversorgung 07 Chemie, Mineralöl 20 Post- und Kurierdienste 33 Reisebüros, -veranstalter 02 Bergbau, Steine und Erden 23 Telekommunikation 40 Sport, Unterhaltung, Erholung 16 Baugewerbe 30 Wissenschaftl., technische Dienste 05 Holz-, Korbwaren 42 Reparatur von Gebrauchsgütern 43 Sonstige persönliche Dienste 44 Häusliche Dienste 12 Fahrzeugbau 31 Vermietung von beweglichen Sachen 25 Finanzdienste 26 Grundstücks- und Wohnungswesen 17 Großhandel 29 Forschung und Entwicklung 19 Verkehr, Lagerei 28 Architektur- und Ingenieurbüros 24 Informationsdienste 10 Elektrotechnik, Elektronik 39 Kunst und Kultur, Glücksspiel 36 Erziehung und Unterricht 27 Rechts-, Steuer-, Unternehmensberatung 37 Gesundheitswesen 32 Überlassung von Arbeitskräften 38 Sozialwesen, Heime

Abb. 16 Sektorale Beschäftigungsentwicklung im Basisszenario Veränderung der Zahl der Erwerbstätigen 2014–30 in 1.000 Quelle: CE, Economix (Prognose 2016, T08)

• In den persönlichen Diensten wird die Beschäftigung bei langfristig negativer Bevölkerungsentwicklung leicht rückläufig sein. Dazu trägt insbesondere das Beherbergungs- und Gastgewerbe bei, aber auch die Medien (Verlage, Film, Rundfunk, Fernsehen).

• Die sozialen Dienste werden im Zuge der durch die Zuwanderung gestellten Anforderungen wieder deutlich wachsen. Dabei wird der erhebliche Beschäfti-gungszuwachs im Gesundheits- und Sozialwesen einem Beschäftigungsrück-gang in der Öffentlichen Verwaltung gegenüberstehen.

Tab. 7 Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren Basisszenario, hohe Flüchtlingszuwanderung

Erwerbstätige in 1.000 Veränderung 2014–30

2014 2030 in 1.000 in %

01 Land- und Forstwirtschaft 651 483 −168 −25,9

02 Energie, Wasser und Recycling 573 479 −94 −16,4

03 Verarbeitendes Gewerbe 7.491 6.755 −736 −9,8

04 Baugewerbe 2.443 2.430 −13 −0,5

05 Handel und Verkehr 8.133 8.112 −21 −0,3

06 Finanzdienste 1.333 1.372 38 2,9

07 Unternehmensdienste 6.822 7.696 874 12,8

08 Persönliche Dienstleistungen 5.060 4.850 −210 −4,1

09 Öffentliche Verwaltung 2.535 2.163 −372 −14,7

10 Erziehung, Gesundheit, Sozialwesen 7.662 8.340 678 8,8

Insgesamt 42.703 42.680 −23 −0,1

Quelle: CE, Economix (Prognose 2016, T08)

2.4.2 Auswirkungen der Zuwanderung auf die sektorale Beschäftigungsentwicklung

In unserer Prognose 2014 sind wir von der These ausgegangen, dass bei Freizügig-keit der Wanderungen die Nachfrage der Arbeitgeber darüber entscheidet, wie viele Arbeitskräfte mit welcher Qualifikation einwandern. Die Arbeitskräfte wurden daher nach dem potenziellen Beschäftigungswachstum auf die Sektoren verteilt und haben auf diese Weise den Strukturwandel beschleunigt, seine Tendenzen aber nicht verän-dert. Dies dürfte für die Einwanderung von Flüchtlingen nicht in gleicher Weise gel-ten, denn ihre Zuwanderung erfolgt erst in zweiter Linie im Hinblick auf einen Ar-beitsplatz, in erster Linie aber, um der Not zu entfliehen und sich eine neue Existenz aufzubauen. Wer hier ankommt, hat also nicht notwendigerweise die auf dem Ar-beitsmarkt gefragte Qualifikation. Wir sind daher davon ausgegangen, dass diese Einwanderer eine längere (fünfjährige) Integrationsphase absolvieren und auch nach ihrem Ablauf nicht vollständig mit dem Wachstumsprofil der Wirtschaft korrespon-dieren.

Daraus haben wir zwei Schlussfolgerungen gezogen: Zum einen wird es nicht allen eingewanderten Erwerbspersonen gelingen, eine Beschäftigung zu finden. Ihre Er-werbslosenquote wird daher auch 2030 noch bei 23 % liegen (Abschnitt 2.1.3). Zum anderen werden die Erwerbstätigen unter den Flüchtlingen eher das Segment ohne Berufsbildung erweitern, während das Qualifikationssegment Hochschule verliert.

Es stellt sich also die Frage, wie sich der Arbeitsmarkt an diese neue Angebotssitua-tion anpassen wird.

In den ersten Jahren starker Flüchtlingszuwanderung vergrößert diese Entwicklung die strukturelle Arbeitslosigkeit. Dabei haben wir unterstellt, dass die 2014 erlassene Mindestlohnregelung nicht aufgehoben wird, auch wenn es dazu bereits erste Vor-schläge gibt. Ein solcher Schritt würde die Spaltung der Gesellschaft weiter verschär-fen, da auch die inländischen gering Qualifizierten in ihrer Einkommensposition gefährdet würden. Dies wäre kontraproduktiv im Hinblick auf den Abbau der gesell-schaftlichen Spannungen und die Integration der Flüchtlinge. Die steigende Zahl der Erwerbslosen wird also zunächst hingenommen und vom Sozialsystem alimen-tiert. Im weiteren Verlauf bis 2030 baut sich die Erwerbslosigkeit ohnehin ab, sodass für eine Aufhebung oder Aufweichung der Mindestlöhne kein Anlass mehr bestehen wird.

Gleichzeitig ist aber zu erwarten, dass die Fachkräfteengpässe vor allem in den quali-fizierten Segmenten des beruflichen Spektrums hoch sein werden. Es bestehen da-her Anreize, den beruflichen Aufstieg der erfahrenen Arbeitskräfte zu fördern und gleichzeitig die Versorgung mit weniger qualifizierten Arbeitskräften zu sichern. So-weit es gelingt, die berufliche Flexibilität der Erwerbspersonen im Allgemeinen und die berufliche Integration der Flüchtlinge im Besonderen zu verbessern, kann die Zuwanderung helfen, den Strukturwandel in Richtung höherer Qualifikation zu un-terstützen. Dazu ist es notwendig, diese Mobilität sowohl finanziell als auch regula-torisch zu fördern, d. h. die berufliche Weiterbildung sollte ausgebaut und die beruf-liche Flexibilität der Arbeitskräfte durch flexiblere Regularien der Berufsbildung erleichtert werden (Vogler-Ludwig/Düll 2013: 152).

Es ist aber auch denkbar, dass sich die Unternehmen an das wachsende Angebot nicht optimal qualifizierter, aber billiger Arbeitskräfte anpassen und ihre Geschäfts-modelle darauf ausrichten werden. Dies würde bedeuten, dass Berufsbereiche und Sektoren mit geringen Qualifikationsanforderungen – wie z. B. Land- und Forstwirt-schaft, Nahrungsmittelindustrie, Textil- und Bekleidungsgewerbe, soziale und häus-liche Dienste usw. – die Beschäftigung ausweiten. Der auf Höherqualifizierung aus-gerichtete Strukturwandel würde verlangsamt.

Die bisherigen Erkenntnisse über die flüchtlingsbedingte Einwanderung bieten noch keine Grundlage, um dieses Problem in unserer Prognose abzubilden. Aller-dings können wir durch den Vergleich der Prognosen 2014 und 2016 den Zusam-menhang zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage etwas aufdecken. Dabei verglei-chen wir die Variante Hohe Zuwanderung aus der Prognose 2016, die von hoher Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte ausging, mit der Basisvariante der

Pro-gnose 2016, die einen hohen Flüchtlingsanteil unterstellt. Der Vergleich der sektora-len Schätzungen gibt Hinweise, wie sich die verschiedenen Annahmen im gesamt-wirtschaftlichen und strukturellen Zusammenhang auswirken (Tabelle 8).

Die Ergebnisse zeigen, dass das zusätzliche Arbeitsangebot nach der Prognose 2016 vor allem in den sozialen Diensten Beschäftigung finden wird. Auch Handel und Verkehr sowie die persönlichen Dienste werden ihren Beschäftigtenanteil gering-fügig erweitern. Im Verarbeitenden Gewerbe, Baugewerbe und in den Unterneh-mens- und Finanzdiensten hingegen kommt es zu einem relativen Beschäftigungs-rückgang. Anders ausgedrückt: Die flüchtlingsbedingte Zuwanderung begünstigt vermutlich vor allem die sozialen Dienste, während Warenproduktion und Unter-nehmensdienste eher durch die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte profitieren würden.

Tab. 8 Auswirkungen der Zuwanderung auf die sektorale Beschäftigtenstruktur Anteile an den Erwerbstätigen 2030 in %

Prognose 2014 (Variante Hohe Zuwanderung)

Prognose 2016 (Basisvariante)

Abweichung (in Prozent-punkten)

01 Land- und Forstwirtschaft 1,2 1,1 −0,1

02 Energie, Wasser und Recycling 1,1 1,1 0,0

03 Verarbeitendes Gewerbe 16,7 15,8 −0,8

04 Baugewerbe 6,1 5,7 −0,4

05 Handel und Verkehr 18,9 19,0 0,1

06 Finanzdienste 3,6 3,2 −0,4

07 Unternehmensdienste 18,7 18,0 −0,7

08 Persönliche Dienstleistungen 11,2 11,4 0,1

09 Öffentliche Verwaltung 5,4 5,1 −0,3

10 Erziehung, Gesundheit,

Sozialwe-sen 17,0 19,5 2,5

Insgesamt 100,0 100,0 0,0

Quelle: CE, Economix (Prognose 2016, T08)