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Industrie 4.0 und die Zukunft der Automaten

3.2 Zukunftslinien der digitalen Technologie

3.2.2 Industrie 4.0 und die Zukunft der Automaten

Die Vision der vollautomatischen Produktion wird gegenwärtig von vielen Ideen be-flügelt:

Fortgeschrittene Robotik: Weiterentwicklung der heutigen Industrieroboter zu vernetzten, erkennenden und logisch handelnden Maschinen.

26 Bertschek et al. zitieren die Boston Consulting Group, die beim Übergang von der 3. zur 4. Generation der Übertra-gungstechnik (mit Datenraten bis zu einem Gigabit) Kostensenkungen um 67 % erwarten (2016: 17).

27 Aus diesem Blickwinkel wären die fünf Milliarden Euro, die bei der letzten Versteigerung von Mobilfunklizenzen erlöst wurden, am besten in Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Übertragungstechnik angelegt.

Additive Fertigungsverfahren: Werkzeuglose Herstellung von Bauteilen durch schichtweisen Aufbau oder Laser-Härtung von Materialien.

Autonomes Fahren: Entwicklung fahrerloser Fahrzeuge.

Dahinter stehen große Erwartungen im Hinblick auf die technische Weiterentwick-lung der Sensorik, der visuellen Wahrnehmung und vor allem der künstlichen Intel-ligenz. Der Preis der Sensoren soll sich – dem Moore’schen Gesetz folgend – stark verbilligen und ihre Zahl sich damit vervielfachen. Die Bildanalyse und die virtuelle Darstellung sollen sich stark verbessern und so die Grundlage für den sich unabhän-gig im Raum bewegenden Roboter (bzw. das selbststeuernde Fahrzeug) legen. Die Entscheidungslogik der Computer und Roboter soll unter Verwendung eines wach-senden Informationsinputs und den Methoden der künstlichen Intelligenz an Kom-plexität gewinnen und der Vorgehensweise des menschlichen Denkens angepasst werden.

Gemeinsam formen diese Technologien das Konzept von „Industrie 4.0“. Im Gegen-satz zu den vorherrschenden, zentral organisierten Produktionssystemen, die ihre Effizienz durch die Standardisierung der Produkte und Produktionsabläufe errei-chen, sollen dezentrale und flexible Systeme entstehen, in denen „intelligente“ Pro-dukte und Maschinen interagieren und den Produktionsablauf dezentral steuern.

Der Schlüssel dazu ist die Kommunikation von Waren und Maschinen über das In-ternet bzw. unternehmensinterne Kommunikationsserver (Cyber-Physical-Systems) und die Steuerung der Produktion über sog. Manufacturing Execution Systems, d. h.

Softwaresysteme, die die Kontrolle über Produktion und Leistungserbringung aus-üben (Scheer 2014).

Die Idee der vollautomatischen Fabrikation ist allerdings noch in weiter Ferne, und im Laufe unseres Prognosezeitraums werden nur Teilerfolge erzielt werden (Dwor-schak/Zaiser 2016). Nach Zahlen von 2015 dachte kaum mehr als ein Fünftel der Großunternehmen über Industrie-4.0-Projekte nach (Bertschek et al. 2016). Den-noch zeigt sich in diesen Plänen die Absicht zu einem radikalen Umbau der Produk-tion.

Neben allen technischen Voraussetzungen ist Industrie 4.0 vor allem eine Heraus-forderung für Software und Kommunikationssysteme. Es fallen riesige Datenmen-gen an, wenn sich das Material „den Weg durch die Fabrik“ suchen soll, der Zustand der Maschinen beobachtet28, Fehler erkannt, die Qualität der erzeugten Produkte kontrolliert und die Lager- und Versandvorgänge registriert werden sollen. Es bedarf einer Vielzahl intelligenter Softwarecodes, die diese Daten analysieren, richtige Schlüsse ziehen und Signale senden. Die Software und die Normierung der Kom-munikationsschnittstellen ist daher der entscheidende Faktor. Dafür sind mehr als 50 % des Investitionswerts eines heutigen Industrie-4.0-Projekts aufzuwenden

28 Um eine Produktionsmaschine zu beobachten sind nach Scheer (2014) 200 Messpunkte notwendig, die in Realzeit gemessen werden.

(Beigl 2014). Gleichzeitig ist die Dezentralisierung der Systeme ein wichtiger Ansatz-punkt, um die steigende Komplexität zu bewältigen.

Von Industrie 4.0 versprechen sich die Strategen vor allem:

• höhere Flexibilität der Produktionsabläufe, eine bessere Auslastung der Produk-tionskapazitäten und geringerer Umstellungsaufwand bei Serienwechsel,

• Kontrolle der Produktionsvorgänge in Realzeit und dadurch Verbesserungen der Präzision, des Materialverbrauchs, der Qualität und der Fehlererkennung,

• bessere Kundenorientierung durch kleinere Serien oder individuelle Fertigung.

Dies ist ein auf Effizienzsteigerung angelegter Technologiewandel, der in erster Li-nie auf Einsparung menschlicher Arbeit, Energie und Materialien abzielt. Die hö-here Präzision in der automatischen Fertigung verringert den Ausschuss, die Zeiter-sparnis verkürzt die Lieferfristen, und die Ausdehnung der Laufzeiten verbessert die Auslastung des Produktionsapparats. Allerdings kann Deutschland als weltweit füh-render Investitionsgüterlieferant von diesem Technologiewandel erhebliche Nachfra-geeffekte erwarten. Mehr noch: Verliert Deutschland den Anschluss an diese tech-nologische Entwicklung, erscheinen die Investitionsgüterhersteller in diesem Lande hochgradig gefährdet.

Entwicklungspotenziale

Noch steht Industrie 4.0 am Beginn seiner Entwicklung, befindet sich eher in der Planungs- als in der Umsetzungsphase. Zwar wächst die Produktion von Industrie-robotern in Deutschland mit Raten zwischen 5 und 7 % pro Jahr, doch im Vergleich zu anderen Teilen der digitalen Industrien sind dies sehr verhaltene Zuwachsraten.

Optimistische Prognosen gehen davon aus, dass anwendungsreife Produkte bis 2020 vorliegen werden (Dworschak/Zaiser 2016). Der grundlegende Umbau der in-dustriellen Fertigung, den Industrie 4.0 voraussetzt, die geringe Entwicklungsreife der Robotertechnik und die bislang zurückhaltenden Planungen in den Anwender-branchen lassen jedoch eine längere Einführungsphase vermuten. Eine breite An-wendung, in der etwa ein Drittel der Industrieunternehmen solche Konzepte anwen-det, ist nicht vor 2030 zu erwarten. Dafür spricht auch, dass die Investitionen in Industrie 4.0 bis 2020 nur auf 2,5 % der Bruttoanlageinvestitionen steigen werden (Bertschek et al. 2016: 48).

In den Herstellerbranchen von Industrie 4.0, in erster Linie im Maschinenbau und in der Softwareindustrie, wird die Entwicklung schneller laufen. Hier ist schon bis 2020 zu erwarten, dass Forschung und Entwicklung nennenswert erhöht und Inves-titionen ausgeweitet werden. Erste Markterfolge werden sich einstellen und das Um-satzwachstum beschleunigen. Gleichzeitig werden die Konzepte in diesen Branchen als erstes getestet. Die Produktivitätseffekte werden in diesen Branchen früher auf-treten als in anderen.

Allerdings steht die deutsche Industrie hier nicht allein. Insbesondere Japan hat sich eine führende Stellung in der Entwicklung der Robotertechnik erarbeitet. Aber auch die Schweiz, die USA und China sind starke Wettbewerber. Die Konkurrenten

kom-men auch nicht allein aus dem Maschinenbau, sondern die Softwareindustrie – allen voran Google – haben Industrie 4.0 ins Visier genommen. Dabei droht nicht nur di-rekte Konkurrenz bei der Herstellung der Investitionsgüter, sondern eine verstärkte Abhängigkeit im Softwarebereich, bei Betriebssystemen, Kommunikationssoftware und Anwendungen. Für die deutsche Investitionsgüterindustrie dürften die Bäume daher nicht in den Himmel wachsen. Nur bei einer massiven Entwicklungsinitiative – vor allem im Softwarebereich – dürfte es der deutschen Industrie gelingen, ihren Marktanteil am weltweiten Industrie-4.0-Markt zu erhöhen. Wahrscheinlicher ist hingegen ein eher sinkender Marktanteil oder allenfalls ein Mithalten mit den ande-ren Wettbewerbern. Große Teile der Hardware-Produktion dürften darüber hinaus in den asiatischen Ländern, insbesondere China, erfolgen. Die deutsche Industrie wird eher den ingenieurtechnischen und organisatorischen Teil übernehmen.

Erste Modellrechnung

Geht man davon aus, dass Industrie-4.0-Konzepte im Verarbeitenden Gewerbe zu-nehmend angewandt werden und auf diese Weise bis 2030 die Hälfte der Beschäf-tigten in Fertigungsberufen durch automatisierte Produktionsanlagen ersetzen, gehen in diesen Berufen schätzungsweise 950.000 Jobs verloren (13 % der Beschäf-tigten) und der Anteil der Fertigungsberufe an der Beschäftigung des Verarbeiten-den Gewerbes sinkt auf 45 % (Tabelle 10). Demgegenüber wären zusätzliche Beschäf-tigte in den Ingenieur- und Managementberufen notwendig, deren Zahl aber vermutlich nicht mehr als ein Viertel der freigesetzten Arbeitskräfte in Fertigungsbe-rufen umfasst. Der Nettoverlust an Beschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe läge also in der Größenordnung von 700.000 Beschäftigten. Damit könnte von Industrie 4.0 ein nennenswerter Freisetzungseffekt ausgehen, der aber gleichzeitig zur Min-derung des Fachkräftemangels an anderer Stelle beiträgt.

Dabei ist noch nicht berücksichtigt, welche Nachfrage- und Produktionseffekte von Industrie 4.0 ausgehen. Wenn man den Zeitraum 2000–14 anhand der verfügbaren Indikatoren beobachtet, wuchs die nominelle Bruttowertschöpfung im Verarbeiten-den Gewerbe bei einem durchschnittlichen Produktivitätsanstieg von 2,4 % pro Jahr um jährlich 2,1 %. Die regressionsanalytisch geschätzte Elastizität des Wachstums der Bruttowertschöpfung in Bezug auf das Wachstum der Produktivität je Erwerbstä-tigen lag bei 0,93. Überträgt man dies auf den durch Industrie 4.0 ausgelösten Pro-duktivitätsanstieg von 11 % bis 2030, dürfte die Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe um 9 % wachsen und die Beschäftigung um 3 % sinken. Industrie 4.0 führt unter diesen Annahmen zu einem Nettoverlust von 200.000 Arbeitsplätzen im Verarbeitenden Gewerbe. Gleichzeitig ergeben sich positive Beschäftigungsef-fekte in den technischen und wissenschaftlichen Unternehmensdiensten.

Tab. 10 Berufsstruktur im Verarbeitenden Gewerbe Anteil an den Beschäftigten in %

1995 58,8 10,8 10,2 12,4 3,2 4,7 100,0

2005 56,0 12,8 11,9 12,3 3,6 3,4 100,0

2012 54,0 13,3 11,9 12,0 5,3 3,4 100,0

2030* 45,1 17,5 13,2 13,4 7,0 3,8 100,0

(*) hypothetische Fortschreibung Quelle: Economix (Prognose 2016, AS10)

3.2.3 Informationsplattformen und die Aufweichung der Marktgrenzen