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Der Zweck eines Szenarios ist die Zusammenfassung der unterschiedlichen Thesen zur Zukunft der Digitalisierung zu einem konsistenten Entwicklungsmuster. Es kommt darauf an, sowohl Abhängigkeiten zwischen den Trends zu erkennen bzw.

Widersprüchlichkeiten zu vermeiden, als auch die Bedeutung der Trends durch eine angemessene Gewichtung einzuschätzen. Dabei verstehen wir ein Szenario nicht al-lein als Beschreibung einer wahrscheinlichen Zukunftsentwicklung, sondern als Formulierung einer unter den zu erwartenden Rahmenbedingungen optimalen Handlungsstrategie. Von Anfang an war es unsere Überzeugung, dass die Zukunft in gewissen Grenzen gestaltbar ist und dass der Wert unserer Prognose daher weni-ger in exakten Prognosewerten besteht als im Aufzeigen von Handlungsoptionen.

Dies ist auch im Falle der digitalen Zukunft nicht anders.

Dabei besteht die Schwierigkeit nicht nur im rasanten Tempo der technologischen Entwicklung, sondern vor allem darin, dass die heutige Welt bereits weitgehend digi-talisiert ist. Die Trennung zwischen einer digidigi-talisierten und nicht-digidigi-talisierten Welt ist nicht mehr möglich, weder für die Gegenwart noch für die Zukunft. Wir ha-ben uns daher entschlossen, zwei Szenarien zu entwickeln, in denen die strategische Bedeutung der digitalen Technik das wichtigste Unterscheidungsmerkmal darstellt.

Die Szenarien tragen die Titel

• Beschleunigte Digitalisierung: eine Entwicklungsstrategie, die auf die intensive Nutzung und Anwendung der digitalen Technik durch Bevölkerung, Wirtschaft und den öffentlichen Sektor setzt und die technologische Führerschaft im Bereich von Industrie 4.0 anstrebt. Dieses Szenario zielt auf die weitgehende Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche hin mit dem Ziel, die Auswir-kungen des demografischen Wandels durch ein möglichst hohes Produktivitäts-niveau zu verringern. Dies beinhaltet zum einen eine hohe Freisetzung von Ar-beit in digitalisierbaren Tätigkeitsfeldern und zum anderen eine Konzentration auf die Entwicklung und Vermarktung digitaler Technik, insbesondere im Be-reich Industrie 4.0.

• Stetige Digitalisierung: eine Entwicklungsstrategie, die statt forcierter Digitali-sierung vor allem die Entwicklung von Wissenschaft, Beratung und Kreativwirt-schaft zum Ziel hat. Sie setzt auf die Chancen der Wissensökonomie statt auf eine Spitzenposition in digitaler Technik und misst den Risiken der digitalen Welt ein höheres Gewicht bei. Dieses Szenario erhebt nicht den Anspruch einer technologischen Führerschaft. Digitale Technik wird hier mehr angewandt als entwickelt und dient eher der qualitativen Verbesserung des Leistungsangebots als der Produktivitätssteigerung. Wirtschaft und Gesellschaft setzten auf die vorhandenen Kernkompetenzen, insbesondere auf die hoch entwickelten tech-nischen, wissenschaftlichen und kreativen Fähigkeiten. Dieses Szenario liegt unserem Basisszenario zugrunde und führt die Annahmen unserer früheren Prognosen fort.

Die Titel der Szenarien beschreiben die unterschiedlichen Diffusionsgeschwindig-keiten für die digitale Technik. Sie kennzeichnen damit allerdings nur die Symp-tome der Entwicklung, nicht ihre Ursachen. Im Kern der Szenarien steht die struk-turpolitisch entscheidende Frage, ob die deutsche Wirtschaft darauf setzt, ihre Spitzenposition in der industriellen Produktion auch in der digitalen Welt zu be-haupten und darauf einen erheblichen Teil ihrer Ressourcen zu konzentrieren oder ob sie die Entwicklung zu einer diversifizierten Wissensökonomie vorzieht, in der die Anwendung und Umsetzung digitaler Technik wichtiger ist als die technologi-sche Führerschaft des industriellen Sektors.

Wir gehen davon aus, dass die Entwicklungsdynamik der Informationstechnik welt-weit die gleiche sein wird. Die Szenarien unterscheiden sich daher nicht durch die Art der zur Verfügung stehenden Technologie, sondern durch ihre Umsetzung in Produktion, Arbeit und Märkten. Daraus ergeben sich unterschiedliche Folgen für den strukturellen Wandel und die Arbeitswelt. Entscheidend ist, ob Gesellschaft, Wirtschaft und Staat auf die Chancen der digitalen Welt setzen und sich auf ihre Ri-siken einlassen, oder ob sie – möglicherweise auch unter bewusstem Verzicht auf Wachstumschancen – einer risikoärmeren Diversifizierungsstrategie den Vorzug ge-ben.

In Tabelle 12 sind die wichtigsten Digitalisierungstrends und ihre vermutlichen Aus-wirkungen für beide Szenarien in insgesamt dreizehn Bereichen dargestellt. In An-hang 1 sind die beiden Szenarien im Detail aufgeführt.

Tab. 12 Szenarien zur Digitalisierung in Deutschland Akzeptanz Hohe Akzeptanz des digitalen

techni-schen Fortschritts Sharing-Kultur

Geringe Bedeutung des Datenschutzes

Kritische Akzeptanz Hohes Risikobewusstsein Intensiver Datenschutz Bildung Rascher Fortschritt im digitalen

Leh-ren und Lernen

Ausbau der Studienfächer Informatik, Kommunikationstechnik und Daten-analyse

Integration digitaler Kompetenzen in viele Zweige der beruflichen Bildung

Breit gestreute Bildungsangebote Förderung kreativer und

interdiszipli-närer Bildungsgänge

Verhaltene Ausbreitung digitaler Lern-techniken

Beschäftigung Stärkere Arbeitsteilung bei einfachen, höhere Spezialisierung bei qualifi-zierten Tätigkeiten

Förderung von Umschulung und Wei-terbildung

Fortschreitende Flexibilisierung der Ar-beitsverhältnisse

Soziale Absicherung der Selbständigen Nutzung digitaler Techniken zur beruf-lichen Integration von weniger Leis-tungsfähigen

Verbreiterung der Tätigkeitsprofile Digitale Technik unterstützt

Aufgaben-erweiterung am Arbeitsplatz Rationalisierung von

Routinetätigkei-ten

Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse wird begrenzt

(Fortsetzung Tab. 12) Wettbewerb Beschleunigter Eintritt in digitale

Märkte

Geringer Wettbewerbsschutz für „ana-loge“ Märkte

Open-Source-Modelle setzen sich durch

Geringer Urheberrechtsschutz

Gefährdete Märkte werden gegen digi-tale Konkurrenz so gut wie möglich abgesichert

Urheberrechts- und Patentschutz wer-den gestärkt

Industrie 4.0 Technologische Führerschaft in der In-vestitionsgüterproduktion wird ver-teidigt

Hohe F&E-Investitionen

Weltweite Anwerbung von IT-Experten

Adaption digitaler Konzepte

Spezialisierung auf industrielle Dienst-leistungen

Unternehmens-dienste Hohe Investitionen in Software und Big-Data-Analysen

Starker Nachfrageschub durch Indus-trie 4.0, selbstfahrende Fahrzeuge, digitale Medien, Rationalisierung der Verwaltungen etc.

Verlagerung auf technische, wirtschaft-liche und wissenschaftwirtschaft-liche Bera-tung setzt sich fort

Kreative und künstlerische Bereiche werden vorrangig entwickelt Handel Ausweitung der Handelsplattformen

zu Verbraucher- und Dienstleis-tungsplattformen

Wachsende Zahl von Anbietern bei Konzentration auf wenige Plattfor-Plattformen vermarkten eigene Pro-men

dukte

Mehr Direktvermarktung durch Produ-zenten

Verhaltene Akzeptanz des Online-Han-Schutz von Handel und Handwerkdels Ausbau von Shopping-Zentren Räumliche Präsenz bleibt wichtig

Verkehr Selbstfahrende Autos sind bis 2030 Standard

Car-Sharing setzt sich durch Vollautomatische Lagerhaltung Verkehrsleitsysteme optimieren

Ver-kehrsfluss

Hohe Präferenz für individuell gesteu-ertes Fahren

Anwendung selbstfahrender Fahr-zeuge bleibt beschränkt (LKW-Spu-ren, Eisenbahn, verkehrsreiche Stra-ßen etc.)

Widerstand durch Taxi- und Verkehrs-gewerbe

Medien Rundfunk und Fernsehen wandeln sich zu Unterhaltungs- und Informati-onsplattformen

Konzentration auf wenige Plattformen Viele Informationslieferanten

(Blog-Journalisten, Autoren, Künstler) Printmedien schwinden wegen zu

ge-ringer Auflagen

Präferenz für Gedrucktes bleibt erhal-Sprachliche und kulturelle Orientie-ten

rung der Medien bleibt wichtig

Finanzwesen Rasche Verbreitung des Online-Ban-king

Virtuelle Währung gewinnt an Bedeu-tung

Auslagerung der Back-Office-Operatio-nen auf spezialisierte Anbieter

Kundenpräferenz für individuelle Be-treuung und kleine, regionale Anbie-Online-Banking setzt sich wegen an-ter

haltender Sicherheitsprobleme nur langsam durch

(Fortsetzung Tab. 12) Finanzwesen Konzentration auf Investmentbanking,

Firmengeschäft und großvolumiges Individualgeschäft

Persönliche

Dienste/Medizin Vermittlung von Diensten über Infor-mationsplattformen

Steigende Technik-Intensität bei sozia-len Diensten

Digitale Medizintechnik wird stark ent-wickelt

Haushaltsroboter und digitale Haus-technik finden breite Anwendung

Soziale Betreuung bleibt personenbe-zogen

Präferenz der Haushalte für persönli-che Dienste

Geringe Akzeptanz von Haushaltsro-botern

Anwendung digitaler Medizintechnik durch Datenschutz verlangsamt Öffentlicher

Sek-tor Starke Förderung der digitalen Technik Forcierter Ausbau der digitalen Netze Internetbasierte Verwaltung Digitale Verkehrsleitsysteme

Technologiepolitik setzt auf technolo-gische Kernkompetenzen und Adap-tion digitaler Technik

Diversifizierung statt Fokussierung der Mittel

Verhaltener Ausbau der Netze Verhaltene Umstellung auf

internetba-sierte Verwaltung

Informationstech-nische Industrien Starke Wachstumsimpulse aus dem technologischen Wandel

Hohe Spezialisierung auf Produktions-steuerung, Logistik, Netzwerktech-Hoher F&E-Aufwandnik

Deutsche Hersteller versuchen, zur Spitze der IT-Anbieter vorzustoßen

Wachstumsimpulse bleiben verhalten Spezialisierung zum Dienstleister für

die Adaption meist ausländischer IT-Produkte

Führend in IT-Sicherheit Steigende IT-Importe

F&E konzentriert sich auf Grundlagen-forschung

Geringe Spezialisierung Quelle: Economix