• Keine Ergebnisse gefunden

Wie bereits erwähnt, betrachte ich die Entwicklungslinien der Aspekte

„Frau-Sein“ und „Kind-Sein“, um „Mutter-Sein“ im Wandel der Zeit sicht-bar zu machen. Die Entwicklungen vollziehen sich teils nacheinander, teils parallel. Sie bedingen sich teilweise und/oder verstärken sich. Im 20. Jahr-hundert ist ein klar abgrenzbarer einschneidender Zeitabschnitt zu erwähnen,

Die Zeit zwischen 1939 und 1945. Deshalb werde ich im Folgenden auf die-sen historischen Zeitabschnitt gesondert eingehen.

Die Errungenschaften der Frauenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts bezüglich gesellschaftlicher Teilhabe von Frauen in Form von Rechten so-wie Bildungs- und Berufschancen, wurden während der Zeit des Nationalso-zialismus weitgehend außer Kraft gesetzt. Es wurde ein Mutterkult entwi-ckelt. Adolf Hitler verkündete, die Mutter sei die wichtigste Bürgerin und rückte die Mutter damit in eine Schlüsselposition.49An Frauen stellte man im Nationalsozialismus bestimmte Anforderungen. An erster Stelle stand das Mutterdasein. Es wurde die Stiftung eines Ehrenkreuzes der deutschen Mut-ter, kurz „Mutterkreuz“ eingeführt. Dies war eine Auszeichnung für kinder-reiche Mütter. Es wurde in drei Stufen verliehen: „Stufe 3“ in Bronze gab es ab 4 Kinder, „Stufe 2“ in Silber ab 6 Kinder und „Stufe 1“ in Gold ab 8 Kin-der. Das Abzeichen trug die Aufschrift „Der Deutschen Mutter“ sowie „Das Kind adelt die Mutter“. Das Kreuz wurde an einem Band getragen und brachte für die Trägerin Vorteile im öffentlichen Leben. Die Voraussetzung für die Verleihung war neben der „Auszeichnungswürdigkeit“ der Mutter und der Kinderzahl auch der so genannte „Arier-Nachweis“. Die Eltern mussten deutschblütig und „erbtüchtig“, die Mütter durften nicht „erbkrank“,

„kriminell“ oder „asozial“ sein, damit auch die Kinder „deutschblütig und erbtüchtig“ seien. Schließlich mussten „die Kinder lebend geboren“ sein. Mit diesem Leitbild wurden zwei Ziele verfolgt: die Zahl der Beschäftigungslo-sen zu verringern und das Bevölkerungswachstum zu beschleunigen (vgl.

Weyrather, (1993, S. 9 - 55), Westenrieder (1984), Winkler (1977).

49Vgl. Vinken (2001)

Die NS-Propaganda stellte also den Mutterkult als Leitbild für die Frau auf.

Es setzte sich zusammen aus einem traditionellen, konservativen Frauenbild - verbunden mit rassebiologischen Leitsätzen. Die „Deutsche Mutter“ wurde gleichgesetzt mit dem Soldaten. Sie leistete ihren Dienst an der Heimatfront, brachte arische Kinder zur Welt, erzog künftige Helden und war duldsam und opferbereit.

Die Ziele der nationalsozialistischen Frauenpolitik waren jedoch wider-sprüchlich. Einerseits wurden die Frauen auf ihre biologische Funktion redu-ziert. Frauen sollten der Vermehrung und Erhaltung der Art und Rasse die-nen. Auf der anderen Seite forderte Hitler, dass Frauen und Mädchen als Volks- und Parteigenossinnen agierten sowie außerhäuslichen Mädchen- und Frauenverbänden, wie z. B. dem ,,Bund Deutscher Mädel" (BDM) angehör-ten.

Die nationalsozialistische Geschlechter- und Rassenpolitik wirkte sich nach Vinken (2001, S. 266 f) auf vier Ebenen aus: Erstens definierte sie klare Ge-schlechtsidentitäten und wollte damit die „dekadente Geschlechterverwir-rung“ beenden. Zweitens setzte sie durch, dass die staatliche Sphäre rein männlich war. Auch die traditionelle Berufswelt wurde männlich definiert.

1934 verloren alle verheirateten Frauen innerhalb der preußischen Behörden ihre Arbeitsplätze. 1936 wurden alle weiblichen Beamten aus dem Staats-dienst entlassen. Auch die weiblichen Studentenzahlen sanken aufgrund von staatlichen Bestimmungen rapide von 1933 20.000 auf 1939 nur noch 5500 (vgl. ebd., S. 271). Als natürlicher Beruf der deutschen Frau wurde die Mut-terschaft deklamiert. Drittens unterminierte sie die bürgerliche Familienideo-logie. Viertens begründete sie eine staatliche „Biopolitik, die als „Deutsch-religion“ die arische Mutter religiös überhöhte“ (vgl. ebd., S. 267).

alisten wollten die Frauen nicht in ihre traditionelle Familienrolle zurück-drängen. Vielmehr schafften sie mittels Ideologie die Familie als Institution ab. Die Familie sollte sich im „Volkskörper“ auflösen (ebd., S. 276). Die Gesellschaft teilte sich nicht mehr in die öffentliche, staatliche Sphäre des Mannes und die private Welt der Familie. Dieses bürgerliche Staatsmodell sollte überwunden werden. Sowohl Mann als auch Frau sollten dem Volk dienen. Der private familiäre Innenraum wurde aufgebrochen. Die Hausfrau-en- und Mütterrolle erfuhr eine Professionalisierung, wurde zum Beruf, der im Kollektiv als Säuglingspflege, Haushaltslehre, Mütterschulung, Volksge-sundheitsdienst erlernt und praktiziert wurde. Vinken nennt dies die „Ver-kollektivierung des Privaten“ (ebd., S. 277). So gehörten auch die Kinder nicht den Eltern, sondern dem Volk. Die Ideologie der „neuen Mutter“ (ebd., S. 280 f) machte die Frau als Mutter zur Heldin, die keine Schwäche zeigte.

Die Tugend war Härte gegen sich und auch gegenüber den Kindern. Kinder galten nicht als wertvoll an sich.

Vinken vertritt die Ansicht,

„dass der Nationalsozialismus als Pendant zu reiner Männlichkeit weder konventionelle Weiblichkeit propagierte noch alle Frauen zu Ohnmacht verdammte, sondern vielen Frauen durch einen massiven Mutterkult ein eigenes und neues Gewicht gab.“ (ebd., S. 305)

Die Diskussion darüber, wie in der Zeit des Dritten Reichs die Frauen- und Mutterrolle in der Praxis wirklich gelebt wurde und wie sich dieser „Ein-bruch“ in die Emanzipationsbewegung des 20. Jahrhunderts auf die Lebens-entwürfe und das Selbstverständnis von Frauen auswirkte, soll an dieser Stelle nicht geführt werden. Man kann annehmen, dass ein Bruch entstanden ist. Die Entwicklung der Gesellschaft bezüglich Individualisierung hat si-cherlich durch die nationalsozialistische Lehre vom Primat des Volkes

ge-genüber dem Einzelnen einen Einbruch erlitten. In diesem Kontext ist es be-deutsam, darauf hinzuweisen, dass der „Komplex M“ in dieser Zeit mit einer Bedeutung und Ideologie aufgeladen wurde, welche m. E. bis heute nach-wirkt. Wichtig ist auch der Aspekt, dass die gesellschaftliche Institution

„Mutter“ – wesensmäßig mit Lebensförderung und Lebenserhaltung verbun-den – missbraucht wurde, indem menschliches Leben in Kategorien wie „le-benswert“ oder „nicht le„le-benswert“ geteilt wurde. Das Wort „Mutter“ ist in einen Bedeutungszusammenhang geraten, der Machtmissbrauch, abgrundtie-fes Entsetzen und Ohnmacht assoziiert. Es hat sich ein schwerer Schatten auf dieses Wort und damit auf alle darin involvierten Bereiche gelegt.

Der „Komplex M“ ist m. E. nach dem Ende des Dritten Reichs quasi tabui-siert worden (vgl. Kap. 6.6.5). Laut Fuchs-Heinritz u. a. ist ein Tabu eine zugleich religiöse und sittlich-juristische Einrichtung, die ein bedeutsa-mes Strukturelement der Gesellschaft ist (vgl. Fuchs-Heinritz, u. a., Hrsg., 1994, S. 667). Ein Tabu wirkt wie ein unsichtbarer wirksamer Schutzschild um alles, was ihm unterliegt. Es dient dazu, soziales Handeln den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechend zu regulieren und die soziale Ordnung zu festigen. Dafür bietet es Verhaltensschemata und Orientierungsmuster, Tabus beziehen sich offenbar immer auf zentrale Wer-te in der Gesellschaft.

Für die Bedeutung des „Komplex M“ in der Gesellschaft kann man m. E.

nicht von einem vollen Tabu sprechen. Ich wähle deshalb den Begriff „Qua-si-Tabu“. Dieses Quasi-Tabu wirkt m. E. bis heute. Eine weitere Vermutung betrifft die Institution „Familie“ und beeinflusst damit auch „Mutter-Sein“:

In der Zeit nach 1945 wurde der Bereich „Familie“ als schützender Innen-raum definiert, der im Normalfall vor jeglicher Einflussnahme des Staates

„Das völkisch-nationalsozialistische Interesse an Kindern, die nicht mehr über die Eltern in die Gesellschaft, sondern über die Partei in den Volks-körper integriert werden sollten, hat hierzulande einem prononcierten Misstrauen gegenüber allem öffentlichen Engagement bei der Kinderer-ziehung Vorschub geleistet; jedes Engagement wird grundsätzlich unter den Verdacht der Indoktrination gestellt.“ (Vinken, 2001, S. 265)

6.3.4 „Mutter-Sein“ im 20. Jahrhundert

Die Risse im Ideengebäude „Mutter-Frau-Familie“ wurden zunehmend grö-ßer. Die Bedingungen für „Mutter-Sein“ und „Frau-Sein“ drifteten ausein-ander. Beck-Gernsheim nennt zwei Entwicklungen, welche hier bedeutsam sind: Neue Familienleitbilder und –formen sowie die Veränderungen in der Berufswelt.

Bei den Familienleitbildern im 20. Jahrhundert ist ein Wandel von autoritä-ren zu liberalen Erziehungsstilen zu beobachten: Erziehung zu Selbständig-keit wird zum wichtigen Leitmotiv. Dies hat die Position des Kindes inner-halb der Familie gestärkt. Für die Mutter hieß dies, dass die Erziehung des Kindes zunehmend komplexer wurde. Was im Übergang zur Moderne mit der „Entdeckung der Kindheit“ (Ariès, 2003) seinen Anfang nahm, setzte sich fort. Beck-Gernsheim nennt vier Themenbereiche, die seitdem in ver-schiedenen Stadien Gewicht erhielten: Bildung, Gesundheit, Seelenheil und Umwelt (vgl. Beck-Gernsheim 1992, S.112 ff). In jedem Stadium wird eine neue Dimension der Begleitung des Kindes eingeführt, ausgebaut und per-fektioniert. Gleichzeitig beginnt währenddessen schon das nächste Stadium.

Im 18. Jahrhundert wurde im ersten Stadium die bewusste Kindererziehung zum Leitbild erklärt. Die Förderung des Kindes über das körperliche und

seelische Gedeihen hinaus bezog sich damals jedoch nur auf Kinder, die äl-ter als ein Jahr alt waren. Die Auffassung, dass der Säugling in den ersten Lebensmonaten keiner besonderen psychischen oder mentalen Förderung bedürfe, bestand bis weit ins 20. Jahrhundert hinein.

Als zweites Stadium kam im 19. Jahrhundert das Thema „Gesundheit“ hin-zu. Die Fortschritte in der Medizin waren hier Auslöser. Für die Mutter hieß dies eine Ausweitung ihrer Pflichten und Verantwortung für Ernährung und Hygiene. Auch der Gesundheitstrend hat sich im Verlauf des 20. Jahrhun-derts weiter verstärkt und wurde auf die pränatale Zeit ausgedehnt. Im 20.

Jahrhundert begann das Stadium, das die Psyche des Kindes in den Fokus nahm. Als viertes Stadium nennt Beck-Gernsheim die „Umwelt-Orientierung“. Das Thema „Umweltschutz“ wirkte sich auf die Elternpflich-ten aus. Die Ratgeber-Literatur griff die Themen auf und überschüttete die Eltern mit Informationen, Warnungen und Empfehlungen.

Im 20. Jahrhundert wirkten alle vier Themenbereiche, welche sich in den verschiedenen Stadien entwickelt haben, zusammen. Das Wohlergehen des Kindes lag in der persönlichen Verantwortung der Eltern und wurde damit hauptsächlich zur Mutterpflicht und zur privaten Aufgabe. Dies hängt m. E.

mit dem zeitgleichen epochalen Thema „Individualisierung“ zusammen. Die Freiheit, das Leben zu gestalten, die Individualisierung, führte zur Individua-lisierungspflicht. War man früher eingebunden in „höhere Zusammenhänge“

und ordnete sich „höheren Mächten“ wie Religion, Staat und Familie unter und delegierte damit auch die Verantwortung, so wurde nun das Motto „Je-der ist seines Glückes Schmid“ zur Verpflichtung, sein Leben in die Hand zu nehmen. Es suggerierte die Chance auf Gestaltung – damit war jedoch auch

die Verantwortung auf das Individuum übertragen.50Im Kontext dieses Indi-vidualisierungsprozesses in der Gesellschaft richtete sich der Fokus auch auf das Kind in seiner Entwicklung. Die „Inszenierung der Kindheit“ begann (Beck-Gernsheim, 1989 a, S. 97). Die physische Versorgung des Kindes war zwar einfacher geworden, dafür stiegen aber der Anspruch an und der Auf-wand für die Erziehung. „Demokratie ab der Wiege“ war das Schlagwort und bewirkte eine Machtverschiebung von „erzieherfreundlich“ zu „kinder-freundlich“. Im Mittelpunkt stand die optimale Förderung des Kindes in al-len seinen Lebensaspekten. Es ging also nicht mehr nur darum, das physi-sche und psychiphysi-sche Gedeihen des Kindes zu fördern, sondern auch um die Förderung des Kindes in seinen Fähigkeiten. Die Erziehungsaufgabe ver-komplizierte sich dadurch, dass das Erziehungsziel nicht mehr nur die An-passung an die Gruppe war. Die Aufgabe hieß jetzt, das Kind auf seinem Weg zur Entfaltung seiner Individualität zu begleiten und gleichzeitig an die Gruppe anzupassen. Erziehung wurde zunehmend zur „Entwicklungshilfe“.

Flankiert wurde diese Entwicklung von Forschungsergebnissen und Rat-schlägen aus der Psychologie, welche die „Mutternähe“ als Voraussetzung für das Gedeihen der Kinderseele betonte.

“Weil Erziehung immer ein zweiseitiges Verhältnis ist, deshalb ist die

„Eroberung des Kindes durch die Wissenschaft“ (Friedan) immer auch eine Eroberung der Eltern, vor allem der Mütter. Über die Kinder wird ein Netz von Theorien geworfen: Und mit demselben Netz werden auch die Mütter gefangen.“ (Beck-Gernsheim, 1989 a, S. 94)

Dies bedeutete, dass die Erziehungsaufgabe weiterhin komplexer und

an-50Vgl. Kap. 3.2.4.1, in dem auf das Thema „Individualisierung“ näher eingegangen wird.

spruchsvoller wurde. Es war immer noch meistens die Mutter, welche die organisatorische und alltagspraktische Arbeit in der Familie leistete und den gewachsenen Ansprüchen an die Erziehung und Begleitung des Kindes ge-recht werden musste. In den 70er Jahren entstanden zwar Ansätze zur Auf-teilung der familialen Arbeit zwischen Müttern und Vätern. Die Realisierung im Alltag blieb jedoch unsicher und eingeschränkt und entwickelte sich nicht zu einem verlässlichen Faktor, den eine Frau in ihrer Lebensplanung hätte einkalkulieren können. Gleichzeitig war die hoch industrialisierte, technisier-te und urbanisiertechnisier-te Lebenswelt wenig kindgerecht.51 Sie funktionierte nach Kriterien der Rationalität: Effizienz, Pünktlichkeit, Leistung, Organisation, Berechenbarkeit. Kinder mit ihren Bedürfnissen und Lebensäußerungen passten hier nicht gut hinein. Kindliche Lebensrhythmen und Bedürfnisse sind teilweise sogar diametral

entgegen-gesetzt. Für Mütter bedeutete dies im Alltag, täglich die Voraussetzungen dafür herzustellen, dass die Bedürfnisse des Kindes befriedigt werden konn-ten.

In den 60er Jahren entstand parallel zu den traditionellen Lebensformen eine Art Wahlmöglichkeit.. Es entstand ein konkurrierendes Leitbild zur Famili-enmutter: die selbständige Frau. Die Einheitlichkeit der weiblichen Normal-biographie brach auf. Im Zuge der Modernisierung entstand Freiheit in der Gestaltung der Lebenskonzepte für Frauen. Das hatte zur Folge, dass der Einzelne in der Pflicht stand, ein Handlungsmodell des Alltags zu entwi-ckeln, welche das Ich zum Zentrum hat,. Ein neues Leitmotiv war gefragt:

51Ob in unserer Gesellschaft Kinderfeindlichkeit vorhanden ist oder nur „strukturelle Rück-sichtslosigkeit“ herrscht, wie es im Fünften Familienbericht (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1995, S. 320) definiert wird, soll hier nicht beurteilt werden.

persönliche Entwicklung. Die Frage der Frauen lautete nun: „Wie passt Mut-terschaft mit meiner eigenen Entwicklung zusammen?“

Hinzu kommt, dass sich die Familienformen änderten. Der Geburtenrück-gang, der Ende des 19. Jahrhunderts begann, setzte sich fort. Die Tendenz zu Kleinfamilien stieg. Während die Kinderzahl sank, stieg die durchschnittli-che Lebenserwartung. Das hatte zur Folge, dass die Aufgabe der Kinderer-ziehung in der Relation zur gesamten Lebenszeit der Frau immer weniger Raum einnahm. So ergab sich ein historisch neuer Lebensabschnitt im Leben einer Mutter. Dadurch entstand die Möglichkeit und Notwendigkeit für Frauen, sich rechtzeitig beruflich zu orientieren. Ein weiterer Aspekt war die zunehmende Brüchigkeit der Familien. Die Scheidungshäufigkeit stieg. Man kann annehmen, dass dadurch die Bereitschaft der Frauen, sich auf die Ehe zu verlassen, geringer wurde und sich die Orientierung auf eigene Lebens-perspektiven hin verstärkte. Die Selbstverständlichkeit, zu heiraten und Mut-ter zu werden, begann sich aufzulösen.

Wichtige Anstöße gab die neue Frauenbewegung. Die diffuse Leere im Le-ben einer Frau, die Frauen der Mittelschicht in der Familienphase quälte, wurde darin gesehen, dass die Frau vom Dasein für andere nicht ausgefüllt, aber darin verhaftet war. Als Lösung wurde die Entwicklung selbständiger Lebensperspektiven von Frauen vorgeschlagen. Als Weg, um sich selbst zu finden und die eigene Person zu erkennen, wurde für die Frau, genau wie für den Mann, die eigene schöpferische Arbeit genannt. Diese neuen Leitbilder waren auf die Frauen der Mittelschicht zugeschnitten, aber der Anspruch wurde richtungweisend für alle.

Seit den 60er Jahren wurden Entwicklungslinien im Berufsleben von Frauen sichtbar, die schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen: Die Struktur der Frauen-Erwerbsarbeit entwickelte sich von der Hauswirtschaft zum