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Seit einigen Jahren steht die Familie im Zentrum des öffentlichen Interesses.

Man liest und hört in vielen Medien Berichte über die deutsche Familie in der Krise oder gar im Zerfall begriffen.

Begründet wird diese Einschätzung in der öffentlichen Debatte unter unter-schiedlichen Aspekten. Zum einen ist es der Rückgang der Geburtenrate.

Seit Jahrzehnten geht der Anteil der Bevölkerung, die mit Kindern in einem Haushalt lebt, zurück. 1972 lebten im früheren Bundesgebiet 55% der Be-völkerung mit Kindern unter 18 Jahren. Bis 2000 sank dieser Anteil auf

33Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 7. Familienbericht, 2007, online, S. 306. In: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Pdf-Anlagen/siebter-familienbericht,property=pdf,bereich=,rwb=true.pdf

41,4%. In Westdeutschland beträgt z. B. die geschätzte endgültige mittlere Kinderzahl der 1955 geborenen Frauen 1,6734 . Viele junge Menschen ent-scheiden sich also schon gar nicht für die Familiengründung. Weiterhin sind der Kinderwunsch und dessen Realisierung zwei verschiedene Aspekte. Die Entscheidung für den Lebensentwurfs "Familie" wird überwiegend erst für die Zeit nach Abschluss der Ausbildungs- und Berufseinstiegsphase geplant.

Das Durchschnittalter, in dem Frauen in Deutschland Kinder bekommen, steigt also tendenziell weiter an. Das hat zur Folge, dass immer mehr Frauen in ihrem Leben wahrscheinlich gar keine Kinder bekommen werden. Hinzu kommt, dass immer mehr Männer und Frauen unfreiwillig kinderlos bleiben.

Die Geburtenrate betrug 2006 1,3331 Lebendgeborene pro Frau.35.

Zum anderen ist es jedoch auch die Situation innerhalb der Familien, die of-fensichtlich Anlass zur Sorge bietet. Eine Ehe hält durchschnittlich 7 Jahre, so dass viele Familien durch Scheidung auseinander brechen. Im Jahr 2000 gab es 1,77 Millionen Alleinerziehende mit Kindern unter 27 Jahren. (Bun-desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2003). Die klassi-sche Familienform wird zunehmend ergänzt durch andere familiale Lebens-formen. Dies allein müsste kein Anlass zur Sorge sein. Problematisch ist al-lerdings, dass man davon ausgehen kann, dass die erhöhte Anzahl von

Al-34Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2003) 35Vgl. Bundesamt für Statistik. In:

http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Be

voelke-rung/GeburtenSterbefaelle/Tabellen/Content50/GeburtenZiffer,templateId=renderPrint.psml.

Zu beachten sind auch neue Erkenntnisse zur Begründung des Geburtenrückgangs, wie sie z.

B. im 7. Familienbericht dargestellt werden (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2007, online, S. 303 ff). In:

http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Pdf-Anlagen/siebter-familienbericht,property=pdf,bereich=,rwb=true.pdf

leinerziehenden zugleich die Gefahr der Armut erhöht.

Ein dritter Aspekt ist die Qualität der familialen Leistungen. Immer häufiger wird beklagt, dass Eltern ihren Erziehungsaufgaben nicht angemessen nach-kommen. Lehrer sehen sich zunehmend in der Erzieherrolle und sind damit überfordert, basale soziale Kompetenzen zu vermitteln, die eigentlich die Voraussetzung für ihre primäre Aufgabe die Vermittlung des Lernstoffes -wären. Seit Jahren werden von fast allen gesellschaftlichen Institutionen Hilfsprogramme für Eltern angeboten, die unterschiedliche Formen aufwei-sen, von Selbsthilfegruppen, über Beratungsangebote, bis zu Kursen und Seminaren. Von wissenschaftlicher Seite werden in den Medien täglich neue Ergebnisse publiziert, die Eltern Aufschluss geben sollen über die Entwick-lung ihrer Kinder und die nötige Begleitung. Die Ratgeberliteratur boomt.

Diese vielfältigen flankierenden Maßnahmen haben den Trend der letzten 10 Jahre nicht aufhalten können, dass einerseits immer weniger Menschen El-ternverantwortung übernehmen, und andererseits Eltern sich immer häufiger in ihrer Arbeit überfordert erleben. Es lässt sich eine zunehmende Verunsi-cherung und Ratlosigkeit feststellen (vgl. Quaiser-Pohl, 1998, online)36. Es wird darüber diskutiert, dass die Gewaltbereitschaft und die psychischen Krankheiten bei jungen Menschen zunehmen. Laut Studien haben immer mehr junge Menschen offensichtlich mit psychischen Problemen zu kämp-fen37. Die so genannten Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern nehmen an-scheinend zu.

36Quaiser-Pohl (1998) in http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/44213/

37Siehe Gesundheitsreport 2002 der DAK (Hamburg). Demnach nahm die Häufigkeit der psychischen Erkrankungen bei jungen Menschen zwischen 1997 und 2001 teilweise um bis zu 90 % zu.

In einem vierten Aspekt geht es um die Einschätzung des Verhältnisses zwi-schen Staat und Familie. Die damalige Bundesregierung selbst sprach im fünften Familienbericht von „struktureller Rücksichtslosigkeit“ der staatli-chen, ökonomischen und gesellschaftlichen Einrichtungen gegenüber der Familie (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1995, S. 320).

Bezüglich der Bewertung der Situation der Familie lässt sich ein deutlicher Unterschied zwischen der öffentlichen und der wissenschaftlichen Diskussi-on feststellen. Die "mainstream"-ArgumentatiDiskussi-onslinie in der Öffentlichkeit zum Thema "Familie" ist folgende: Auflösung, Funktionsverlust, Zerfall in-nerhalb der Familienstrukturen und quantitativer Rückgang von Familie. Als Zeichen des Zerfalls werden u. a. die hohe Scheidungsziffer, innerfamiliäre Gewalt, sinkender Zusammenhalt, Missachtung der Älteren, Anzahl der Schlüsselkinder gesehen (vgl. Bien, 1996). Es wird beklagt, dass Familien zunehmend auseinander fallen, dass erzieherische Kompetenzen schwächer werden und Eltern somit ihren familialen Aufgaben nicht mehr ausreichend gerecht werden. Die Diskussion über Funktion und Zustand der Familie wird oft unter moralischen Gesichtspunkten geführt. Der Begriff "Familie" ist hochgradig emotional belegt. Die Bilder über die angeblich "guten alten Zei-ten" sind oft der Maßstab. Die öffentliche Diskussion wird entscheidend von den Medien selbst geprägt. Diese nehmen Einfluss durch Auswahl und Dik-tion. Hier kommt m. E. ein Verstärkungsfaktor zur Wirkung, der zur fort-schreitenden Instabilisierung von Eltern und damit auch von Familien führen kann. Die Meldungen über unsichere und inkompetente Eltern sowie über nicht genügend sozialisierte Kinder, sowie die Auswirkungen davon, bewir-ken m. E., dass Eltern weiter verunsichert und orientierungslos werden. Dies wiederum hat gravierende negative Auswirkungen auf die Betreuung und

Erziehung der Kinder und Jugendlichen. Der Verstärkereffekt setzt sich durch die Berichterstattung darüber wieder fort.

Von wissenschaftlicher Seite aus ist eine differenziertere Einschätzung und Bewertung des Problemkomplexes zu bemerken, die bis jetzt in der Öffent-lichkeit noch nicht genügend berücksichtigt wird. Der historische Kontext wird inzwischen stärker einbezogen. Die vergleichenden Studien ha-ben sich bisher oft auf die Siebziger Jahre bezogen, die aber historisch offensichtlich nicht repräsentativ für Deutschland sind.38Bien (1996) betont, dass es eine Reihe von Annahmen über die gute alte Zeit gibt, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Kernfamilien als Einheit der Eltern mit ihren Kindern waren demnach schon im 17. Jahrhundert weit verbreitet.

Goody (2002) hat in seiner "Geschichte der Familie" dargelegt, dass man nicht ernsthaft behaupten kann, dass Europa oder gar der Kapitalismus die Kernfamilie erfunden habe. In der Geschichte der Menschheit ist keine Ge-sellschaft bekannt, in der die Kernfamilie nicht eine bedeutende Rolle ge-spielt hätte (Goody, 2002, S. 15, ff). Es hat immer schon unterschiedliche Ausprägungen von Familie gegeben, die temporärer Art waren.

Die durchschnittliche Dauer einer Ehe vor dem 18. Jahrhundert lag unterhalb der Dauer einer heutigen Ehe aufgrund kürzerer Lebenserwartung und hoher Sterblichkeit der Mütter im Kindbett. Die Einbettung in größere historische Zusammenhänge und Fragestellungen führt zu größerer Zurückhaltung in der Bewertung und dazu, kulturpessimistischen "Untergangsvisionen" Theo-rien des Wandels gegenüberzustellen. M. E. ist diese Haltung geeignet, zur

38Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2003): Gutachten zum Thema "Nachhaltige Familienpolitik im Interesse einer aktiven Bevölkerungsentwicklung", S. 9

Versachlichung der Diskussion beizutragen, und den Blick für Perspektiven zu öffnen.

Benhabib (1995) stellt die Entwicklung der Familie in den Kontext der ge-samtgesellschaftlichen Entwicklung. Eine der Hinterlassenschaften der Mo-derne ist nach Benhabib der moralische und politische Universalismus mit seinen Idealen der Achtung vor dem Menschen als Menschen, der morali-schen Autonomie des Einzelnen, der ökonomimorali-schen und sozialen Gerechtig-keit und Gleichheit, der aktiven Teilnahme am demokratischen Prozess, der größtmöglichen bürgerlichen und politischen Freiheit, insofern sie mit den Prinzipien der Gerechtigkeit vereinbar ist sowie der Bildung menschlicher Gemeinschaften auf der Grundlage von Solidarität (ebd., S. 8).

Im Zuge der Modernisierung hat eine „institutionelle Binnendifferenzierung in den politischen Bereichen im engen Sinne, die Wirtschaft (den "Markt") und die Familie stattgefunden (Benhabib, 1995, S. 97). Die Familie war der Privatsphäre zugeordnet. Der Begriff „Privatsphäre“ hat nach Benhabib (1995) mindestens drei Dimensionen: die Sphäre des moralischen und reli-giösen Gewissens, die Privatwirtschaft, was Nichteinmischung des Staates in einen freien Warenaustausch und im freien Arbeitsmarkt bedeutet und die Intimsphäre: Haushalt, Bedürfnisbefriedigung, Sexualität, Fortpflanzung, Sorge um den Nachwuchs, die Kranken und Alten.

Der dritte Bereich, die Intimsphäre, in dem Frauen bislang hauptsächlich tätig waren, ist noch weitgehend von der Modernisierung ausgenommen.

Hier herrschen nicht die Grundannahmen von Gerechtigkeit und Überein-kunft.

"Die traditionelle Betonung der "Privatheit" der privaten Sphäre, zu der stets wie selbstverständlich die Beziehungen des männlichen Familien-oberhaupts zu seiner Gattin und seinen Kindern gerechnet wurden, haben

eine Art dicke Milchglasscheibe errichtet, hinter der die Frauen als tätig Handelnde unsichtbar und unhörbar bleiben. So wurden auch die Frauen und die ihnen traditionell zugewiesenen Pflichten wie Kindererziehung, Haushalt, Befriedigung der emotionalen und sexuellen Bedürfnisse des Mannes, Kranken- und Altenpflege bis vor kurzem einfach jenseits des Raumes angesiedelt, in dem die Frage nach Gerechtigkeit eine Rolle spielt. Freiheit, Gleichheit, Solidarität: diese Grundsätze galten nur bis zur Schwelle des privaten Haushalts." (Benhabib, 1995, S. 22 f)

Kaufmann widerspricht der Krisentheorie.

„Solches Krisenbewusstsein ist nach rückwärts orientiert, als ob es ein-mal eine gute alte Zeit gegeben hätte, in der es um die Familie besser stand.“ (Kaufmann, 1995, S. 29)

Die Vorstellung erscheint zwar nahe liegend, aber neuere Einsichten, z. B. in die Sozialgeschichte der Kindheit, lassen Zweifel daran aufkommen. Die Frage der „besseren Vergangenheit“ lässt sich wissenschaftlich nicht klären.

Es ist jedoch festzuhalten, dass die Familienformen nicht naturwüchsig oder beliebig sind, sondern dazu tendieren, dem jeweiligen Gesellschaftstypus mit seinen Möglichkeiten und Hindernissen zu entsprechen.

„Die lange vertretene These eines „Funktionsverlustes der Familie“ geht von einem schiefen Bild der historischen Entwicklung aus, indem sie die frühere Hauswirtschaft mit der Familie im modernen Sinne gleichsetzt.“

(ebd., S. 33).

Nach der neueren, an den Theoremen der strukturellen und funktionalen Dif-ferenzierung orientierten soziologischen Gesellschaftstheorie wird die Ent-flechtung von ökonomischen, politischen, religiösen und familialen Hand-lungszusammenhängen als „strukturelle Differenzierung“ und „funktionale

Spezialisierung“ gedeutet. (vgl. Kaufmann, 1995, S. 31).

„Strukturell ist die Differenzierung, weil sie Grenzen zwischen den Handlungsbereichen aufrichtet. Normative Grenzen finden ihre Grundla-ge in modernen VerfassunGrundla-gen und den dort staatlich garantierten Frei-heitsrechten, welche gleichzeitig eine Selbstbegrenzung der Staatstä-tigkeit beinhalten.... Faktische Grenzen entstehen insbesondere durch die moderne Wohnweise, welche die einzelnen Haushalte räumlich deut-lich voneinander trennt, aber auch durch die räumdeut-liche Planung, welche heute in der Regel Wohnzonen, Innenstadtbereiche und Industriezonen deutlich unterscheidet“ (ebd., S. 31).

Der Kernpunkt dieser Theorie besagt, dass die strukturelle Verselbständi-gung der Handlungsbereiche notwendig ist für die Existenz der Familie unter den modernen Bedingungen.

„Unter den modernen Bedingungen kann Familie als Familie nur existie-ren, wenn sie sich gegenüber ihrer Umwelt verselbständigt und abgrenzt und ein eigenes „soziales System“ bildet, d. h. wenn sie ein ausreichendes

„Binnenleben“ führt, also die Familienmitglieder nicht nur in ihren Inte-ressen und Wertorientierungen einander ähnlich sind, sondern ausrei-chend Zeit für Interaktionen finden und ihren Alltag so organisieren, dass eine wechselseitige Befriedigung von Bedürfnissen möglich ist. Diese sachlichen Bedingungen scheinen im Falle der Familie mit den emotiona-len Bedingungen verknüpft... Diese für Kleingruppen aller Art vielfach nachgewiesenen dynamischen Zusammenhänge gewinnen im Falle von Familien insofern besonderes Gewicht, als die Erfüllung familialer Funk-tionen eine hohe Dauerhaftigkeit des familialen Zusammenhalts voraus-setzt.“ (Kaufmann, 1995, S. 32)

Hinzu kommt, dass moderne Familien kleine soziale Einheiten sind.

Kauf-mann geht davon aus, dass gerade diese Beschränkung der Personenzahl ei-ne Bedingung für die Stabilität des Zusammenhaltes ist. Für die Familie gilt also nicht das moderne Prinzip des Größenwachstums und der internen Spe-zialisierung mittels Arbeitsteilung.

Eine weitere Deutung ist die funktionale Spezialisierung. Es werden nur sol-che Leistungen von Familien erwartet, wie sie für den Typus der privatisier-ten Kleinfamilie geeignet sind. Diese Leistungen werden als familiale Funk-tionen bezeichnet. Demnach hat also kein Funktionsverlust der Familie statt-gefunden. Die moderne Familie hat Funktionen verloren, und damit ihre ei-genen gefunden. Kaufmann bezeichnet die Vorstellung einer Entflechtung der Funktionen durch strukturelle Verselbständigung als dem historischen Prozess als am meisten angemessen.

"Die strukturelle Ausdifferenzierung von Familie führt nur dann nicht zur Desorganisation, wenn die Familienmitglieder im Einzelfall die aus der strukturellen Verselbständigung des herrschenden Familientypus resultie-renden Chancen zur relativen Autonomie nutzen, Familie also zu einem sich selbst steuernden System dauerhafter Beziehungen entwickeln.“

(ebd., S. 34)

Die moderne Familie ist also relativ verselbständigt mit hohem Gestaltungs-spielraum für Familie und Individuum, was einen doppelten Autonomiege-winn bedeutet. Kaufmann sieht es als eine Aufgabe unserer Generation, Fa-milie im Spannungsfeld von notwendiger Bindung und fortschreitender E-manzipation neu zu verstehen und zu begründen (vgl. ebd., S. 34).

Kaufmann (1995) spricht von einem Strukturbruch und begründet die Son-derstellung der Familie mit der Bildung eines reaktiven Milieus (vgl. Kap.

6.6.2). Funktion dieser Milieus war es, in der verunsichernden Zeit der

Mo-ßen. Die Restaurationsphase nach dem zweiten Weltkrieg bewirkte laut Kaufmann eine Sonderstellung der deutschen Entwicklung, indem sie ein Wiederanknüpfen an Vorkriegsmuster implizierte, also z.B. an christlich-bürgerliche Ehemoral.

Eine Begründung könnte auch in der verfassungsrechtlichen Verankerung der Institution „Familie“ liegen, wodurch ihr das Recht und die Pflicht der Pflege und Erziehung der Kinder "zuvörderst" auferlegt ist. Das hat das Sub-sidiaritätsprinzip zur Folge, das die Eigenverantwortung und Eigenständig-keit der Familienmitglieder der staatlichen Verantwortung voranstellt. Der Schutz der Familie vor Eingriffen des Staates soll damit gewährleistet sein.

Familie ist damit geschützt und könnte gleichzeitig aber auch ausgenommen sein von allgemeinen Zeitgeistströmungen.

Rerrich (1988) konstatiert, dass nicht mehr nur die Binnenstruktur der Fami-lie sondern auch die FamiFami-lie als Institution in der Diskussion ist. Sie diffe-renziert den Begriff "Krise" insofern, als sie zwischen der subjektiven Erfah-rung der Betroffenen und der Struktur "Familie" unterscheidet. Die individu-elle Situation in der Familie wird sehr wohl häufig als krisenhaft erlebt. Rer-richs zentrale These ist hier, dass das, was gegenwärtig als Krise der Familie diagnostiziert und diskutiert wird, etwas zeigt, das als „fundamentaler „Web-fehler“ der bürgerlichen Gesellschaft von Anfang an inhärent war“ (vgl. Rer-rich, 1988, S. 18). Die als Krise der Familie bezeichnete Entwicklung ist keine Störung, sondern stellt vielmehr den „entwicklungslogisch folgerichti-gen „nächsten Schritt“ im Modernisierungsprozeß“ dar (vgl. ebd., S. 21).

Die Familie ist also nach Rerrich nicht im Zerfall begriffen, sondern in der

„beginnenden Vollendung der Leitwerte der bürgerlichen Ordnung“ (vgl.

ebd., S. 21).

Beck stellt in diesem Zusammenhang zur Diskussion, ob die Indikatoren für

radikalen Familienwandel, hohe Scheidungsziffern, Rückgang der Kinder-zahl, plurale Lebensformen, Müttererwerbstätigkeit, usw. als Demokratisie-rung der Familie zu werten ist. Er stellt die Frage:

“Zeigt sich nicht gerade in der Familie (wie analog in Kirchen, politi-schen Parteien, Gewerkschaften, Vereinen) das Zerbrechen überlieferter Abhängigkeits- und Autoritätsstrukturen, wie sie mit der Wahrnehmung von Freiheitsrechten (mit allen Konflikten, Dilemmata und dem Zerfall der Ordnungen) typischerweise einhergeht?“ (Beck, 1998, S. 195 f).

Beck stellt die Frage, ob wir es nicht mit einem Aufbruch in mehr Freiheit zu tun haben. Er skizziert das „Panorama der zweiten Moderne“ (ebd., S. 206), in dem die Unterschiede zwischen den Menschen ontologisch „entriegelt“

sind (ebd., S. 205). Man geht von der grundsätzlichen Gleichheit aller Men-schen aus, was gleichbedeutend mit Gleichartigkeit ist. Gleichartigkeit be-deutet das „Ende der sozialen Ontologie kultureller Unterschiede“ (ebd., S.

205). Freiheitsrechte werden nicht mehr mit Kategorien sozialer Zugehörig-keit gerechtfertigt. Es bilden sich neue Identitäten und Mischformen auf al-len Ebenen. Das industriestaatlich-nationalstaatliche Gefüge hat seine Ein-deutigkeit, seinen „ontologischen Kitt“ (ebd., S. 207) verloren. Es bilden sich neue Identitäten, die nicht mehr national beheimatet sind. Identitätsmus-ter, wie die des „global managers“ auf individueller Ebene prägen die zweite Moderne (vgl. ebd., S. 208).

Im Verhältnis von Kultur und Recht (Politik) ist ein Grundlagenwandel sichtbar. Die Rechtsform der politischen Freiheit ist noch im Normensystem des Nationalstaates eingebunden, während die kulturelle Form der Frei-heitswahrnehmung längst zersplittert und widerspruchsvoll, nicht mehr eindeutig bzw. einheitlich, auftritt. In diesem gesellschaftlichen

Zusam-Zusammenfassend kann man feststellen, dass diese Ansätze zur Einschät-zung der Situation der Familie nicht dem allgemeinen Jammern über den Wertezerfall in der Gesellschaft anhängen, das oft einhergeht mit dem Be-schwören der guten alten Zeit und der Vorstellung, die alten Verhältnisse müssten nur wieder hergestellt werden. Die Analysen von Kaufmann, Rer-rich, Beck und Benhabib fordern auf und ermutigen dazu, die Symptome des vermeintlichen Zerfalls als Chancen zu begreifen.

5.5 Überlegungen zu Strategien für die „Familie der Zukunft“

Im Rahmen der gesellschaftlichen Debatte, die sich seit Anfang dieses Jahr-hunderts entwickelt hat, werden Vorschläge für Strategien für ein zeitgemä-ßes und zukunftsfähiges Familienleben formuliert. Auch an dieser Stelle werde ich mich auf diejenigen Aspekte beschränken, die für die Frage „Was braucht die Familie?“ relevant sind, nachdem die Frage „Wozu braucht das Kind Familie?“ in Kapitel 5.2 erörtert wurde.

5.5.1 Familienberichte

Die Familienberichte der Bundesregierungen leisten einen konstruktiven Beitrag zu den Überlegungen zur Frage, was die Familie braucht. Zum einen beruft die Bundesregierung eine Expertenkommission zur Erarbeitung einer Diagnose und zur Entwicklung von Strategien. Hier arbeiten namhafte Wis-senschaftlerInnen mit. Zum anderen findet die Arbeit dieser Kommission im Dialog mit anderen gesellschaftlichen Institutionen wie z. B. mit den Kir-chen, dem Deutschen Frauenrat, den Gewerkschaften und der Freien Wohl-fahrtspflege statt. Die Familienberichte spiegeln das Ergebnis von gesell-schaftlichem Konsens wider und geben Einblicke in die Empfehlungen an

die Politik für Strategien und Zukunftsszenarien.

5.5.1.1 Der Fünfte Familienbericht

Der fünfte Familienbericht. hat m. E. eine besondere Bedeutung für den Dis-kurs zum Thema „Familie“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frau-en und JugFrau-end, 1995). Es war der Kommission ein AnliegFrau-en, darzulegFrau-en, dass

„das Humanvermögen einer Gesellschaft durch die Leistungen der Fami-lie begründet wird und alle Menschen vom Lebensbeginn bis zum Le-bensende sowie die Gesamtheit der gesellschaftlichen Einrichtungen die-ser familialen Leistungen bedürfen." (ebd., S. III)

Die Einführung des Begriffs „Humanvermögen“ lenkte den Blick auf die zentralen Aufgaben der Familien in der Daseinsvorsorge und war m. E.

eine Voraussetzung dafür, dass das Bewusstsein der gesellschaftlichen Re-levanz von Familien sich entwickelte. Bis dahin stand die Vorstellung im Vordergrund, dass Familie Privatsache sei und damit auch nicht Gegen-stand öffentlichen Interesses.

Aus der Analyse der familialen Lebensbedingungen im Fünften Familienbe-richt sind im Wesentlichen folgende Einsichten hervorgegangen:

Zu keiner Zeit waren in unserem Kulturkreis die Anforderungen an die Fa-milien als Solidar- und Lebensgemeinschaften und bezüglich der ö-konomischen Belastungen so groß wie heute. Die Erwartungen an die Pfle-ge-, Förder- und Erziehungsleistungen sind höher. Gleichzeitig haben sich die Aufwendungen, die damit verbunden sind, erhöht. Menschen, die Fami-lienleistungen erbringen, werden gesellschaftlich und wirtschaftlich

benach-„Die Kinderkosten sind privatisiert, die Erträge, die die nachwachsenden Generationen erwirtschaften, sind sozialisiert.“ (ebd., S. 319)

Die Bedeutung der Familien ist gestiegen, da ihre Funktionen in der Gesell-schaft wichtiger geworden sind. Dies gilt besonders für die Bildung und Si-cherung von „Humanvermögen“ und für ihre Funktion, Solidarpotential zu entwickeln und zu sichern.

Es ist heute nicht mehr selbstverständlich für junge Menschen, Eltern-Verantwortung zu übernehmen. Diese steht häufig in Konkurrenz zu anderen

Es ist heute nicht mehr selbstverständlich für junge Menschen, Eltern-Verantwortung zu übernehmen. Diese steht häufig in Konkurrenz zu anderen