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Musizieren in Österreich

Im Dokument ÜBER DIE PRODUKTION VON TÖNEN (Seite 32-35)

2. Differenzierungen von Musizieren

2.2 Musizieren in Österreich

Die für West- und Mitteleuropa beschriebenen Entwicklungen des Musizierens zwischen dem 18. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts fanden weitgehend auch in Österreich statt, allerdings in teils spezifischen Ausprägungen. Ein Merkmal der österreichischen Entwicklungen ist die große Bedeutung des Musizierens von Dilet-tantInnen. Für die Kunstmusik sieht Martha Handlos vor allem die Verbreitung von Hausmusik und privaten Musizierkreisen, in denen vorrangig DilettantInnen tätig waren, als Ursache für deren langanhaltende Dominanz im Wiener Konzertwesen.47 Diese starke Verbreitung des privaten Musizierens wiederum stand im Zusammen-hang mit dem relativ späten Aufstieg des Bürgertums und damit auch dem späten Aufkommen eines öffentlichen Konzertlebens.48 Erst 1842 – und damit Jahrzehnte nach anderen europäischen Metropolen – wurde mit den Philharmonikern das erste ständige Berufsorchester Wiens gegründet, um 1899 gab es in Wien immer noch kein zweites ständiges Berufsorchester, dafür aber insgesamt 16 Dilettanten- Orchester- Vereine wie etwa das Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde oder auch den Orchesterverein der Eisenbahnbeamten.49 Auch außerhalb Wiens waren Vereine und Musik- Gesellschaften noch um 1900 die wesentlichen Träger des kunst-musikalischen Konzertlebens.50 Der oben skizzierte Prozess der Verdrängung von AmateurInnen aus dem öffentlichen Musikleben fand auch hier statt, allerdings erst deutlich später. In der Volksmusik wurde das Musizieren von AmateurInnen durch die Gründung von zivilen Blasmusikkapellen wesentlich gestärkt. Diese Kapellen, die stark an die zahlreich vorhandenen Militärkapellen angelehnt waren, wurden um 1815 erstmals in Tirol und Vorarlberg gegründet, weitere Gründungswellen fanden nach 1848 und 1867 statt. Als Entwicklung, die im deutschsprachigen Raum ihren Ausgang nahm und sich erst danach im übrigen Europa verbreitete, kann diese

47 Handlos, Entwicklung, 221 f.

48 Ebd., 220.

49 Heller, Zeit, 103.

50 Ebd., 127.

Musizieren in Österreich

Stärkung des Amateurtums in der Volksmusik durchaus als österreichisches Spezi-fikum bezeichnet werden.51

Die weiter oben beschriebene zunehmende Unterscheidung zwischen AmateurIn-nen und BerufsmusikerInAmateurIn-nen trifft auch auf Österreich zu (unter Berücksichtigung der verzögerten Entwicklung im Bereich der Kunstmusik). Sowohl die soziale Stel-lung als auch das Einkommen jener MusikerInnen, die Musizieren als Hauptberuf ausübten, war – mit Ausnahme mancher VirtuosInnen – schlecht. So konstatiert Friedrich Heller für das späte 19. Jahrhundert: „Die soziale Lage der professionellen Zivilmusiker (die sich zumeist, saisonbedingt, in Theatern und Unterhaltungskapellen ein beschämend niedriges Salär verdienten) schien […] an einer trostlosen Talsohle angelangt.“ 52 Neben einem Überangebot an zivilen (Amateur- und Berufs-)Musi-zierenden waren an diesem „Musikerelend“ (so die zeitgenössische Bezeichnung) auch die über 100 Militärkapellen der Monarchie 53 maßgeblich beteiligt, was wie-derum eine Konsequenz der allgemein starken staatlichen Förderung des Militärs war. Diese Militärkapellen musizierten nicht nur innerhalb ihres eigentlichen Auf-gabenbereiches, sondern gaben immer wieder auch öffentliche Platzkonzerte oder traten in Gasthäusern und Kaffeehäusern auf. Nachdem sie aufgrund ihrer ‚Subven-tionierung‘ durch den Staat sehr niedrige Honorare verlangen konnten, wurden sie von den ZivilmusikerInnen als unlautere Konkurrenz gesehen. Die Bekämpfung der Militärkapellen war für die Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Musikergewerk-schaft 54 eine der zentralen Aufgaben. So enthielt jede Ausgabe der Gewerkschafts-zeitung bis in die 1910er- Jahre eine eigene Rubrik mit dem Titel „Die geschäftliche Tätigkeit der Militärkapellen“.

Die Internationalisierung des Musikmarktes wurde auch in Österreich voran-getrieben. Das oben beschriebene klassische Repertoire der Kunstmusik mit den

‚Gründungsvätern‘ Haydn, Mozart und Beethoven wurde im 19. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet. Im Bereich der Unterhaltungsmusik wurden österreichische Operetten etwa von Franz Léhar oder Leo Fall zu Beginn des 20. Jahrhunderts in viele europäische Länder exportiert. Besonders in Deutschland war zu dieser Zeit

51 Flotzinger, Geschichte, 167.

52 Heller, Zeit, 105.

53 Ebd., 131.

54 Als Vorgängerorganisation der sozialistischen Musikergewerkschaft war 1872 der Wiener Musikerbund gegründet worden, der bereits 1873 von den Behörden aufgelöst wurde. Es folgte 1874 – mit gleichem Personal – die Gründung des Wiener Musikvereins (etwas später unter dem Namen Wiener Musikerbund). Überregional tätig und in zunehmendem Maße als gewerkschaftliche Organisation konstituiert wurde der Verband ab 1896 als Österreichisch- Ungarischer Musikerverband. Vgl. für eine (tendenziöse) Übersicht der Geschichte der Musiker gewerkschaft Schweinzer, Gewerkschaft.

eine „overwhelming presence of both Austrian protagonists and Austrian repertoire“

festzustellen.55 Im Verlagswesen entstand 1901 mit der Gründung der Universal Edi-tion ein Unternehmen, das in den nächsten Jahrzehnten das bis dahin bestehende Quasi- Monopol deutscher Verlage im Bereich der klassischen Musik erheblich zurückdrängte.56 Ebenso ist aber seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch der Versuch festzustellen, eine nationale österreichische Musik nicht nur zu entdecken, sondern auch deren Dominanz gegenüber anderen nationalen Musiken hervorzuheben. Gab es schon im 18. Jahrhundert vereinzelt Vorstellungen wie jene des „singenden Wie-ners“ (bzw. Österreichers an sich),57 so erfuhr die Definition von Wien als Musikstadt sowie Österreich als Musikland durch die „Geschichte des Concertwesens in Wien“

des Musikkritikers Eduard Hanslick erstmals größere Verbreitung.58 Als maßgeblich für die musikalische führende Rolle Österreichs wurden hier vor allem die Kom-ponisten der klassischen Musik wie Mozart oder Haydn genannt. Die Vorstellung Hanslicks erlangte vor allem in Wien größere Wirkmächtigkeit und wurde noch befördert durch vom Staat subventionierte Projekte wie die Herausgabe der „Denk-mäler der Tonkunst in Österreich“ durch den Musikwissenschaftler Guido Adler ab 1890. Im Gegensatz zur Kunstmusik wurde die Volksmusik erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur Definition einer spezifisch österreichischen Musik herange-zogen, zuerst vor allem von Deutschnationalen, später auch – durchaus im Konflikt mit den jeweils anderen politischen Akteuren – von sozialistischer und christlich- sozialer Seite.59 Bei all diesen Kategorisierungs- und Durchsetzungsversuchen öster-reichischer Musik in der Monarchie blieb diese – trotz gegenteiliger Tendenzen etwa in der Militärmusik 60 – maßgeblich eine der „Deutsch- Österreicher“ (im Gegen-satz zu den anderen in der österreichischen Monarchie vertretenen Nationalitä-ten). Wie Guido Adler in einem während des Ersten Weltkriegs verfassten Artikel einst schrieb: „In der Tonkunst gebührt aus entwicklungsgeschichtlichen Gründen den Deutschen die Führerschaft.“ 61 Daraus entstanden wiederum Hierarchien und Konflikte zwischen den mit unterschiedlichen Nationalitäten der österreichischen Monarchie konnotierten Arten, Musik zu machen. So standen die Versuche, ganz Österreich als Musikland darzustellen, teilweise im Gegensatz zum inneren Zusam-menhalt eben dieses Österreichs.

55 Nathaus, Popular Music, 766.

56 Heller, Zeit, 124 f.

57 Mayer- Hirzberger, Volk, 27 f.

58 Ebd., 28.

59 Flotzinger, Musik, 374 ff.

60 Glanz, Popularmusik, 719 f.

61 Mayer- Hirzberger, Volk, 33.

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