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Kunst und Unterhaltung werden abgegrenzt

Im Dokument ÜBER DIE PRODUKTION VON TÖNEN (Seite 54-58)

2. Differenzierungen von Musizieren

2.3 Differenzierungen und Konflikte 1918 – 1938

2.3.4 Kunst und Unterhaltung werden abgegrenzt

Ungeachtet dessen, dass im Untersuchungszeitraum unterschiedliche Auffassungen darüber herrschten, was Kunst in der Musik bedeutete,153 wurde das Kriterium der Kunst immer wieder herangezogen, um verschiedene Musizierpraktiken bzw. verschie-dene Arten von Musik voneinander zu unterscheiden. Wie weiter oben dargestellt wurde, war die Frage nach Kunst oder Nicht- Kunst u. a. im Rahmen der Gewerbe-ordnung (aufgrund der Ausnahme der schönen Künste) wie auch für die Frage nach dem Status des/der Angestellten (aufgrund des Kriteriums der freien Künste) maß-geblich.154 Die Frage, wann Musik noch oder schon Kunst war, beschäftigte Arbeits-gerichte und Ausstellbehörden von Gewerbescheinen ebenso wie die ihnen überge-ordneten Behörden.155 Dabei wurde nicht selten auch die Kompetenz der Behörden, künstlerische Urteile zu fällen, auf die Probe gestellt.156

Die Kategorisierung in Kunst und Nicht- Kunst war aber nicht für rechtlich- administrative Belange wichtig. Künstlerisch zu musizieren ermöglichte den Zugang zu bestimmten Aufführungsorten ebenso, wie es den Zugang zu anderen verwehrte.

Kunst zu produzieren, wurde in bestimmten Kreisen als Qualitätsmerkmal gesehen, das den Wert des eigenen Musizierens erhöhte. Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass jede/r, der/die im musikalischen Kunstbetrieb tätig war, die gleiche Auffassung davon hatte, was Kunst war. Die altbekannte Trennung in Avantgarde- Künstler und Arrivierte zeigte sich etwa in den zeitgenössischen Debatten um die „Neue

152 Dieses Kapitel wird aufgrund der ausführlicheren Behandlung von Kunst in der Zwischen-kriegszeit in Kapitel 5 kurz gehalten.

153 Siehe die ersten Seiten von Kapitel 5.

154 Wie Nathalie Heinrich zeigt, wurde der Begriff des Künstlers in Frankreich erst in den letz-ten Jahren des 18. Jahrhundert überhaupt in die juristische Sprache aufgenommen (Heinrich, Dimensionen, 3).

155 „Unter ‚Ausübung der schönen Künste‘ ist […] jede Betätigung künstlerischer Richtung und Qualität […] zu verstehen. Das Kriterium für die ‚Ausübung der schönen Künste‘ ist also nicht in der Originalität des künstlerischen Produkts und der schöpferischen Betä-tigung, sondern in der Qualität der künstlerischen Leistung zu suchen, weshalb es an einem objektiven und absolut verlässlichen Masstab dafür gebricht, wie weit bezw. eng die Grenzen des Begriffes ‚Ausübung der schönen Künste‘ zu ziehen sind.“ (Österreichisches Staatsarchiv, AVA, Bundesministerium für Unterricht, Musik in genere, 1932, Zl. 10.718, Musikergewerbe).

156 „Das Spiel des Klägers ist, wie sich das Gericht durch die vorgenommene Probe überzeugt hat, lediglich als Fertigkeit zu werten, seinem Spiel fehlt alles, was von einem künstlerischen Spiel verlangt wird. […] die Vortragsweise ist eine durchaus banale, ohne jeden persönlichen Stil, ohne schöpferische Gestaltungskraft, sein Spiel ist vor allem nicht durchgeistigt und nicht beseelt“ (Bundesministerium für Justiz (Hg.), Sammlung. 8. Jahrgang, 24).

Musik“ von Arnold Schönberg. Nicht zuletzt führte die Kategorisierung von Musik als Kunst auch zu veränderten Produktionsbedingungen: Wie Alfred Smudits dar-stellt, war diese Kategorisierung für die Legitimierung staatlicher Musikförderung wichtig. Der Staat (bei Smudits im 19. Jahrhundert vor allem verstanden als Ver-tretung des Bürgertums) übernahm die Förderung spezifisch bürgerlicher Musik, vor allem „autonomer“ und „klassischer“ Kunstmusik – eine Förderung, die oftmals bis heute andauert.157 Damit entstand ein Gegenentwurf und Korrektiv zu dem im 19. und 20. Jahrhundert ansonsten vorherrschenden Modell des Musikmarktes, was die Mechanismen des Absatzes und der Distribution betrifft.

Aus der Perspektive zeitgenössischer Akteure gab es verschiedene Musizier-praktiken und -kategorien, die im Gegensatz zu Musik als Kunst standen. Die Unterscheidung zwischen künstlerischem und handwerklichem Musizieren zielte auf die kreativen Fähigkeiten des/der Musizierenden ab,158 ebenso die Unterschei-dung zwischen künstlerischem und dilettantischem Musizieren (welche darü-ber hinaus noch die Erwerbsmäßigkeit des/der Musizierenden thematisierte).159 Ein zentraler Gegensatz der Zwischenkriegszeit, der von vielen zeitgenössischen Akteuren kommentiert wurde, war allerdings jener zwischen Kunst- und Unter-haltungsmusik.160 Die Aufspaltung von Musik in ernste und Unterhaltungsmusik tauchte vermehrt erstmals im frühen 19. Jahrhundert auf. Sowohl der Versuch des Bildungsbürgertums, sich von anderen Teilen des Bürgertums abzuheben, als auch die ‚Entdeckung‘ autonomer Musik (im Gegensatz zur funktionalen Musik) sowie klassischer Musik 161 waren dafür maßgeblich.162 ‚Ernste‘ Musik wurde – zumindest im musikästhetischen Diskurs – immer mehr gleichgesetzt mit autonomer bzw.

Darbietungs- Musik, während Unterhaltungsmusik in den Bereich des Funktionalen verwiesen wurde.163 Dabei entstanden diese Kategorien nicht nur als Reaktion auf

157 Smudits, Wandlungsprozesse, 120.

158 Vgl. z. B. Kiener, Kunst, 2996 – 2999.

159 Vgl. etwa Sponheuer, Kenner.

160 Heller, Zeit, 115. Vgl. dazu auch die Überlegungen von Caspar Maase: „Man kann heute nicht über Populärkultur sprechen, ohne damit über Hochkultur zu sprechen.“ (Maase, Vergnügen, 31). Maase plädiert infolge dafür, nicht die Werke selbst, sondern die unterschiedlichen Praxis-formen der ästhetischen Erfahrung in den Blick zu nehmen. Bernd Sponheuer vertritt die Auf-fassung, dass frühere gelehrte Differenzierungen zwischen Kunst und Unterhaltung nicht nur zeitgenössische Kategorisierungen beeinflussten, sondern auch gegenwärtige Differenzierungen sowohl der Musikwissenschaft als auch des Alltagshandelns konstituierten (Sponheuer, Musik, 1 ff).

161 Weber, Musician, 15 f.

162 Schormann, Lieder, 66 f.; Giesbrecht- Schutte, Stand, 114.

163 Smudits, Wandlungsprozesse, 121.

zeitgenössische musikalische Werke und Auftritte, sondern auch auf Entwicklun-gen wie etwa die Verbreitung des kommerziellen Notenverkaufs.164 Auch bedurfte es nicht nur neuer ästhetischer Kategorien, um Kunst durchzusetzen, sondern vor allem auch veränderter Organisationen.165 Die Trennung von Unterhaltung und Kunst wurde allerdings in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts noch nicht so strikt praktiziert wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts.166 Nach Sabine Giesbrecht- Schutte waren vor allem Entwicklungen wie Demokratisierung, soziale Differen-zierung und Kommerzialisierung im 19. Jahrhundert dafür verantwortlich, dass sich Unterhaltungsmusik als eigenständiges Genre – und nicht nur als Überbleibsel der Kunstmusik – etablieren konnte.167 Dennoch blieben Musizierpraktiken, die der propagierten Trennung von Kunst und Unterhaltung (oder ernster und leich-ter Musik etc.) widersprachen, bestehen: Werke der Kunstmusik wurden in leicht veränderter Form als Unterhaltungsmusik vermarktet. Gelegentlich war es selbst ExpertInnen nicht mehr klar, ob bestimmte Werke nun zur Kunst- oder zur Unter-haltungsmusik zu rechnen wären.168 Salonorchester wollten – auch wegen der zum Teil klassischen Ausbildung der Mitwirkenden – ernste Musik oder zumindest Bearbeitungen davon spielen.169

Im Allgemeinen aber setzte sich die Unterscheidung von Kunst und Unterhaltung durch. Fraglich ist, ob diese Unterscheidung auch eine Hierarchisierung – dort die

‚hohe‘ Kunst, hier die ‚niedere‘ Unterhaltung – beinhaltete. Während VertreterInnen der Musikästhetik diese propagierten,170 ist nicht klar, inwieweit die BesucherInnen von Varietés und Revuen oder die HörerInnen der neuesten Schlager sie für richtig befunden hätten. Die Teilung in Kunst- und Unterhaltungsmusik wurde jedenfalls auch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von verschiedenen Akteuren

164 Weber, Musician, 16.

165 Gebesmair, Erfindung, 86.

166 Giesbrecht- Schutte, Stand, 115.

167 Giesbrecht- Schutte, Stand, 116 ff.

168 Giesbrecht- Schutte, Stand, 129.

169 Schröder, Tanz- und Unterhaltungsmusik, 29.

170 Vgl. Giesbrecht- Schutte, Stand, 119 ff.; Ballstaedt/Widmaier, Salonmusik, 20 ff. Dass diese Hierarchisierung nicht nur von einigen Fachgelehrten gesehen wurde, sondern durchaus weitere Teile der Bevölkerung ansprach, zeigen etwa manche Aussagen über Kunst und Nicht- Kunst seitens der Interessenvertretung der Land- und VolksmusikerInnen. Etwa: „Mit Schwarzer- Frack- Musik und parfümduftenden Parkettbodengewinsel eines süßlichen Salonquartetts oder eintönigem Jazz wird man beim Bauern sehr wenig ausrichten […] daß der Landbewohner nicht bloß Klassiker und Musik aus Wagneropern ausgezeichnet verträgt, sondern sogar modernen Symphonikern gerne Gehör schenke“ (Alpenländische Musiker- Zeitung (1930), Nr. 1, 8 – 9, hier 8).

weitergeführt und festzuschreiben versucht. Mit Schlager 171 und „Jazz“ 172 wurden Musikgattungen erfunden bzw. entdeckt, die neue Produktionsformen von Musik bzw. neue Klänge in die Unterhaltungsmusik brachten. Überschneidungen zur Kunst gab es auch hier, etwa in der Jazzoper „Jonny spielt auf“ von Ernst Krenek.

Die Entwicklung breitenwirksamer Unterhaltung (und eben auch von Unterhal-tungsmusik) in den 1920er- und 1930er- Jahren wird oftmals mit den Begriffen der

„Massenkultur“ oder der „Populärkultur“ beschrieben. Der Zerfall alter Ordnungen, die neue Schnelllebigkeit des Alltags, die Erfindung der Freizeit sowie die fortschreitende Kommer zialisierung und Mechanisierung von Unterhaltungstätigkeiten werden als deren Ursachen genannt.173 Die Veränderungen in der Produktion und Nutzung von Musik stießen auf teils heftige Kritik.174 Nicht nur die Verschwendung von Geld in den neuen Vergnügungsstätten,175 auch die Unmoral der neuen Unterhaltungen 176 wurde angepran-gert. Auch die Behörden mussten dazu Stellung nehmen.177 Waren im 19. Jahrhundert eher Vergnügungen wie Tanz und Theater im Fokus ihrer Aufmerksamkeit gestanden,178

171 „In dieser Gruppe vereinigen wir alle jene Betriebe, in denen die Musikproduktion nicht essentiell ist, sondern akzidentiell. Die Art der Musik lässt sich mit einem Wort kennzeich-nen: Schlager.“ (Wilzin, Musikstatistik, 96, Hervorhebung im Original).

172 Der in den 1920er- und 1930er- Jahren in Österreich gespielte Jazz unterschied sich oftmals erheblich von dem, was man zur selben Zeit in den USA unter Jazzmusik verstand. Oftmals handelte es sich bei den Jazzkapellen um österreichische Salonorchester, die in aller Eile

‚amerikanisch‘ klingende Namen annahmen und einige nach Jazz klingende Rhythmen ein-studierten. Vgl. dazu auch Nathaus, Popular Music, 768 ff.

173 Vgl. z. B. Becher, Geschichte, 175 ff.; Maase, Vergnügen.

174 Vgl. Maase, Vergnügen, 27 ff.

175 Vgl. etwa Das Konzertlokal (1921), Nr. 10, 41 – 42; Österreichisches Staatsarchiv, AdR, Bundes-kanzleramt/Ministerium für Inneres, Schaustellungen etc., 1920, Zl. 24.463, Katholische Frauenorganisation Steiermarks, Schreiben an das Staatsamt für Inneres und Unterricht, 11. Juni 1920.

176 Vgl. etwa Die Varieté- Welt (1925), Nr. 21, 2 – 3; Österreichisches Staatsarchiv, AdR, Bundes-kanzleramt/Ministerium für Inneres, Schaustellungen etc., 1923, Zl. 910, Gloss Friedrich, Produktionslizenz.

177 „Um die mit der bedauerlichen Umwandlung des bodenständigen Wiener Kaffeehauses in öffentliche Tanzlokale wohl unvermeidlichen nachteiligen Folgen auf ein möglichst geringes Maß herabzusetzen und den Auswüchsen der Tanzleidenschaft, dem Eintänzerunwesen, der Lärmbelästigung der Hausbewohner durch die Jazzbandmusik und anderen Unzukömmlich-keiten entgegenzutreten, wurde die Ausübung dieser Lizenzen zur Veranstaltung allgemein zugänglicher Tanzunterhaltungen an eine Reihe von Bedingungen geknüpft“ (Polizeidirek-tion Wien (Hg.), Jahrbuch, 48). Vgl. zur behördlichen Überwachung von Vergnügungen auch Maase, Vergnügen, 47 ff.

178 Vgl. etwa Gesetz vom 3. April 1896, LGBl Tirol/Vorarlberg Nr. 24, wirksam für das Land Vor-arlberg, womit Bestimmungen über die Abhaltung von Tanzunterhaltungen gegeben werden;

so kamen zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer stärker ‚moderne‘ Attraktionen wie Varietés oder Kinos in ihr Blickfeld.179 (Übermäßige) Unterhaltung oder Vergnügen waren suspekt – auch dies unterschied sie weitgehend von den als Kunst kategorisier-ten Tätigkeikategorisier-ten.

Die Trennung in Unterhaltung und Kunst war dermaßen anerkannt, dass es normal erschien, wenn etwa ein Arbeitsgericht die Zuordnung eines Musizierenden zu den höheren Diensten deshalb verneinte, weil seine Tätigkeit nicht in „besseren Lokalen“

stattfände, sondern nur der „Erzeugung einer gewissen Stimmung“ dienen würde.180 Gelehrte, die das Musikwesen sozial- oder wirtschaftswissenschaftlich erfassen wollten, teilten ein in „seriöse Musiker, Genossen der leichteren Muse und fahrendes Volk“ 181 oder gruppierten „all jene Betriebe, in denen die Musikproduktion nicht essentiell ist, sondern akzidentiell“.182 Derlei Kategorisierungen blieben nicht auf gelehrte Litera-tur beschränkt: Während etwa eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Musizieren-den über wenig bis gar keine arbeitsrechtlichen Absicherungen verfügte, wurde für Bühnen- und OrchestermusikerInnen ein Gesetz erlassen, das ihnen teilweise sogar über das Angestelltenrecht hinausgehende Rechte zugestand.183 In den parlamenta-rischen Debatten über das Gesetz wurden wiederholt die künstleparlamenta-rischen Leistungen der unter das Gesetz fallenden SchauspielerInnen und MusikerInnen betont.184

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