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Welches Modell der Beziehungen zwischen Staat und Kirchen braucht die Ukraine?

Eine Analyse von existierenden Modellen für die Beziehungen zwischen Staat und Kirchen in verschiedenen Ländern der Welt führt schnell zu dem Schluss, dass es hier weder ein einheitliches Modell noch zwei bis drei Basismodelle gibt, genauso wenig wie eine konventionelle wissenschaftliche Typologie dafür.

Jedes Land baut seine Beziehungen mit den religiösen Organisationen im Kontext seiner konkreten Situation und etablierten Traditionen. Die Entwick-lung des einen oder anderen Modells der Beziehungen zwischen Staat und Kirche wird von mehreren Faktoren beeinflusst, und jedes konkrete Modell solcher Beziehungen in einem Land wird von dem gesamten gesellschaftlichen System, am stärksten jedoch vom politischen System und den Prioritäten der politischen Macht geprägt. Obwohl der Begriff »Modell der Beziehungen zwischen Staat und Kirche« zur Definition der Art der Regulierung dieser Beziehungen verwendet wird und obwohl sich die Schlüsselelemente in meh-reren Ländern wiederfinden und einander ähneln, können sich die konkreten Merkmale der Beziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften in verschiedenen Ländern unterscheiden. Für die Analyse dieser Beziehungen sind das Verständnis und die Berücksichtigung der komplizierten und dyna-mischen soziokulturellen Prozesse in jeweiligen Ländern erforderlich. Eine solche Analyse ist notwendig, um positive und negative Tendenzen bei der praktischen Umsetzung verschiedener Modelle sowie die für die Ukraine unter Einbeziehung von eigenen Erfahrungen verwertbaren Elemente auszumachen.

Auf der Grundlage dieser Analyse sollen Richtlinien für weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Ukraine erarbeitet werden.

Die Erfahrungen anderer Länder können nicht mechanisch auf die Ukraine übertragen werden. Trotzdem sind sie nützlich, weil man hier nicht nur die

positiven Momente übernehmen, sondern auch Fehler vermeiden kann. Es geht also darum, diese Erfahrungen zu analysieren und kreativ zu verarbeiten und sie für weitere Reformen im sozialen Bereich in der Ukraine unter Be-rücksichtigung der lokalen Besonderheiten zu nutzen.

Obwohl es in der Wissenschaft keine einheitliche Typologie der Bezie-hungsmodelle zwischen Staat und Kirche gibt, kann man die von bekannten ausländischen Religionsforschern wie Silvio Ferrari und Jelena Mirošnikova vorgeschlagene Klassifizierung grundsätzlich übernehmen. Es werden drei Modelle der Beziehungen zwischen Staat und Kirche ausgesondert: das Tren-nungsmodell, das Kooperationsmodell und das Identifikationsmodell (das Modell der Staatskirche).1 Der bestimmende Faktor ist die Möglichkeit und das Ausmaß der Zusammenarbeit des Staates mit Religionsinstitutionen und das Festhalten am Prinzip der Gleichheit von religiösen Organisationen vor dem Gesetz bzw. die Festlegung von Privilegien für einige.

Das Trennungsmodell, das in seiner reinen Form nicht nur die Trennung der Kirche vom Staat proklamiert (dies ist auch für das Kooperationsmodell typisch), sondern auch die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zwischen staat-lichen und kirchstaat-lichen Organisationen bestreitet, ist heute in Europa eher eine Ausnahme. Sogar Frankreich, das gewissermaßen als Standard für ein Trennungsmodell betrachtet wird, lässt sowohl die Seelsorge in der Armee und in den Strafvollzugsanstalten als auch die staatliche Förderung für private katholische Schulen zu. Somit ist klar, dass es in Frankreich nicht um die Trennung der Kirche vom Staat im atheistischen Sinne geht.

Für viele postkommunistische, besonders für postsowjetische Staaten, die Anfang der 1990er Jahre unabhängig wurden und mehrheitlich das sowjetische Modell der ant agonistischen Trennung der Kirche vom Staat geerbt haben, ist heute die Suche nach einem eigenen optimalen Modell für die Beziehungen zwi-1 Бурьянов: Характер и пределы регулирования в сфере свободы совести в

демократическом государстве.

schen Staat und Kirche kennzeichnend, was zu einigen Umgestaltungsprozessen in diesem Bereich führt. Man kann beobachten, dass sich die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Russischen Föderation vom Trennungsmo-dell in Richtung IdentifikationsmoTrennungsmo-dell transformieren. Es handelt sich um die Russische Orthodoxe Kirche, die potentiell nicht nur de facto, sondern auch de jure einen besonderen Status bekommen kann, aber ebenfalls um den Islam und im geringeren Maße um das Judentum und den Buddhismus. Diese Religio nen werden in der Präambel des Gesetzes »Über die Gewissensfreiheit und religiöse Vereinigungen« genannt.2 Die neuesten Veränderungen in den Gesetzen der Russischen Föderation wie beispielsweise das Gesetz »Über die Bildung in der Russischen Födera tion« aus dem Jahr 2012 zeugen von der Abkehr vom »reinen« Trennungsmodell hin zu einem anderen Modell, das die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zwischen staatlichen und religiösen Institutionen voraussetzt.3

Die reale Polykonfessionalität in der Ukraine, die Spaltung der Orthodoxie, das Fehlen einer Kirche, die im gesamten Land dominieren und gleichmäßig in den Regio nen vertreten würde und dort einen entsprechenden Einfluss hätte, machen ein solches Szenario für die Ukraine unmöglich. Aus diesem Grund scheint es, dass ein Kooperationsmodell, in dem die Religionsgemeinschaften vom Gesetz gleich behandelt werden, für die Ukraine besser geeignet wäre.

Die gesellschaftlich-politische Entwicklung in der Ukraine um die Jahr-tausendwende hat einen wesentlichen Einfluss auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirche ausgeübt. Die Demokratisierung des öffentlichen Lebens und die Etablierung des ideologischen und politischen Pluralismus haben nicht nur die Rolle der Religionsgemeinschaften in der heutigen ukrainischen

2 Федеральный закон Российской Федерации № 125-ФЗ »О свободе совести и о религиозных объединениях«.

3 Федеральный закон Российской Федерации № 273-ФЗ »Об образовании в Российской Федерации«.

Gesellschaft gestärkt, sondern auch die Notwendigkeit markiert, das sowje-tische Modell der Staatspolitik gegenüber Religion und Kirche aufzugeben und nach neuen Organisationsmodellen der Beziehungen zwischen Staat und Kirche unter Berücksichtigung der Erfahrungen anderer, insbesondere europäischer Länder zu suchen. Die intensive Entwicklung der Gesellschaft in einem polykonfessionellen ukrainischen Staat macht die Suche nach einem optimalen und effizienten Modell der Beziehungen zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften notwendig.

Heute, nach zwanzig Jahren der Unabhängigkeit und der Entwicklung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche unter neuen demokratischen Bedin-gungen, besteht Bedarf an einer Strategie für die weitere Harmonisierung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche, insbesondere unter Berücksichtigung der Möglichkeiten einer praktischen Zusammenarbeit. Dieser Bedarf wird nicht nur durch wesentliche quantitative Veränderungen der Religionsszene in der Ukraine sowie durch das erreichte qualitativ neue Niveau bedingt, was die Zu-sammenarbeit mit dem Staat in verschiedenen Bereichen auf die Tagesordnung setzt, sondern auch durch weitere demokratische Entwicklungen im Land im Zusammenhang mit der Orientierung auf die europäische Integration, was eine Anpassung der nationalen Gesetzgebung an das internationale, insbesondere europäische Recht erfordert.

Die Erforschung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in geschichtli-cher Perspektive, die Analyse der entsprechenden internationalen Erfahrungen, die Ausarbeitung auf dieser Grundlage von Vorschlägen über die verbesserten Mechanismen sind objektiv an der Zeit. Gleichzeitig kann die verzögerte Defi-nierung eines optimalen Modells zur künstlichen Verlangsamung der künftigen Harmonisierungsprozesse in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche füh-ren und somit auch zu einem sozial politischen Destabilisierungsfaktor werden.

Der verfassungsrechtliche Begriff »Trennung der Kirche vom Staat« muss einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden. In vielen grundlegenden internationalen, insbesondere europäischen Rechtsnormen ist nicht von der

»Trennung der Kirche vom Staat«, sondern von der »Trennung von Kirche und Staat« die Rede. Der Unterschied zwischen diesen Begriffen ist nicht terminologischer, sondern vielmehr inhaltlicher Natur. Das Trennungsprinzip bedeutet gleichberechtigte Beziehungen zwischen Staat und Kirche, Autonomie von Staat und Kirche in ihren eigenen Kompetenzbereichen; es bedeutet auch, dass sich der Staat mit keiner Religion oder Religionsgemeinschaft identifi-ziert und sich den verschiedenen religiösen Institutionen gegenüber neutral verhält. Dieser Ansatz bedeutet in der Regel nicht, dass die Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung zwischen Staat und religiösen Organisationen unmöglich wären. Wichtig ist jedoch, dass diese Institutionen dabei unabhän-gig voneinander bleiben. In vielen Ländern finanziert der Staat direkt oder indirekt religiöse Organisatio en, indem er deren gemeinnützigen Vereinen oder Bildungseinrichtungen Zuwendungen gewährt. Wenn in den USA das Trennungsprinzip die Nichteinmischung des Staates in die inneren Angelegen-heiten der Kirchen bedeutet, so hat es in Frankreich eine andere Bedeutung, nämlich dass die Kirchen sich nicht in die Belange des Staates einmischen.

Diese Beispiele zeigen, wie breit die Grenzen für dessen praktische Anwendung sein können. In der postsowjetischen Lesart dagegen bedeutet das Prinzip der Trennung der Kirche vom Staat, dass die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren eigentlich unmöglich ist.

Die ukrainischen Gesetze folgen dem Prinzip der Trennung der Kirche vom Staat und der Schule von der Kirche, was in der postsowjetischen und postatheistischen Lesart als Unmöglichkeit einer Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften in verschiedenen Bereichen gedeutet wird.

Dies verkörpert das Trennungsmodell der Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Gleichzeitig zeigt das reale Leben, dass eine solche Zusammenarbeit möglich und angebracht ist. Somit steht hier die Frage einer neuen gesetzlichen Regulierung auf der Tagesordnung, die den Übergang vom Trennungsmodell zum Kooperationsmodell markieren würde. Die existierenden Gesetze brem-sen die Weiterentwicklung dieser gesellschaftsrelevanten Zusammenarbeit,

und das ukrainische Parlament hat kein Potential, um sie zu reformieren. Es entsteht eine nachteilige Situation, in der die objektiven gesellschaftlichen Prozesse ausgebremst werden und die einzelnen Gesetzesänderungen keinen Systemcharakter haben. Deswegen ist die Erarbeitung und Verabschiedung eines Konzepts für die Entwicklung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Ukraine notwendig. Dieses Konzept soll nicht nur die wünschenswerte Richtung für diese Entwicklung vorgeben, sondern auch die Gesetzesände-rungen vorbereiten.

Nach der Unabhängigkeit wurden mindestens drei Entwürfe eines sol-chen Konzepts vorbereitet: Die »Grundprinzipien der Beziehungen zwissol-chen Staat und Kirche«, die der vor-synodalen Kommission der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche 1996 vorgelegt wurden,4 die Grundlagen der Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Ukraine, die vom Institut für Gesetzesvorschläge und Rechtsexpertise 2003 ausgearbeitet wurden;5 sowie der Entwurf für das Konzept der Beziehungen zwischen Staat und Konfessionen in der Ukraine des Ukrainischen Zentrums für politische und wirtschaftliche Forschung (Razumkov-Zentrum), das unter Beteiligung des All-Ukrainischen Rats für Kirchen und Religiöse Organisationen ebenfalls 2003 zustande kam.6 Der letzte Entwurf hat die größte Unterstützung der Religionsgemeinschaften gefunden. Aus diesem Grund hat das Staatskomitee für Nationalitäten und Religionen in den Jahren 2008–2009 einen Gesetzesentwurf unter dem Titel

»Das Konzept der Beziehungen zwischen Staat und Konfessionen in der Uk-raine« vorbereitet.7

Obwohl der Entwurf des Razumkov-Zentrums 2004 die Zustimmung des Parlamentsausschusses für Kultur und Geistiges gefunden hat, wurde weder 4 Принципи взаємовідносин між державою та церквою, 52–58.

5 Основи (концепція) державно-церковних відносин в Україні. Концепція Інституту законодавчих передбачень і правової експертизи.

6 Проект Концепції державно-конфесійних відносин в Україні.

7 Концепія державно-конфесійних відносин в Україні. Проект.

dieser noch ein anderer Entwurf in das Parlament eingebracht. Da auch der letzte Entwurf bereits einige Jahre alt ist, müssen die Entwürfe überarbeitet und an die aktuelle Situation angepasst werden. Die Erarbeitung und Verab-schiedung des Entwicklungskonzeptes für Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der Ukraine bleibt also an der Tagesordnung.

Aus der Sicht des Verfassers wäre es wichtig, auf das Verfassungsprinzip der Trennung der Kirche vom Staat und der Schule von der Kirche hinzuweisen, das gewünschte Modell der Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu definieren, weitere Schritte zur endgültigen Überwindung von negativen Folgen der tota-litären Politik der ehemaligen Sowjetunion gegenüber Religion und Kirche zu planen und insbesondere Richtlinien für die Rückgabe des ehemaligen Eigen-tums der Kirchen an Religionsgemeinschaften zu erarbeiten. Ferner sollten die Beziehungen zwischen Staat und Kirche institutionalisiert werden. So muss im Gesetz ein für Religionsangelegenheiten zuständiges Staatsgremium mit Son-derstatus auf der zentralen Exekutivebene mitsamt territorialen Vertretungen wie auch ein Beratungsgremien unter Beteiligung von Staat und Kirchen auf der Regierungsebene (etwa eine Kommission zur Sicherung der Rechte von Religionsgemeinschaften) sowie bei einzelnen Ministerien und Ämtern und in den lokalen Verwaltungen (Öffentliche Beiräte für die Zusammenarbeit mit Kirchen und religiösen Organisationen) definiert werden.

Ferner sollte man die Möglichkeit für die Zusammenarbeit zwischen dem Staat und religiösen Institutionen in verschiedenen Bereichen sowie die wichtigsten Punkte einer solchen Zusammenarbeit festlegen (zum Beispiel im Bildungsbereich, wo ein obligatorischer Ethik-Unterricht auf alternativer Basis eingeführt, das Recht von Religions gemeinschaften auf Gründung allgemeinbil-dender Schulen gewährleistet und die staatliche Anerkennung von Abschlüssen kirchlicher Bildungseinrichtungen garantiert werden sollen, oder im sozialen 8 Європейська договірна модель врегулювання державно-церковних відносин:

історичний і сучасний світовий досвід для України, 986–1000.

Bereich, wo das Institut für Militär- und Gefangenenseelsorge eingeführt werden soll). Es sollte auch auf die dafür notwendigen Gesetzes änderungen hingewiesen werden. Es scheint daher angebracht, sowohl eine öffentliche Diskussion als auch eine Diskussion unter Experten über die möglichen Be-standteile eines solchen Konzepts und über ihre konkreten Inhalte zu führen.

Literatur

Бурьянов, Сергей: Характер и пределы регулирования в сфере свобо-ды совести в демократическом государстве, unter http://elib.org.ua/

internationallaw/ua_readme.php?subaction=showfull&id=1095960093&

archive=&start_from=&ucat=1&category=1 (01.03.2014).

Киричук, Олександра: Європейська договірна модель врегулювання дер-жавно-церковних відносин: історичний і сучасний світовий досвід для України. In: Історія релігій в Україні. Науковий щорічник. Книга І. Львів 2009, 986–1000.

Концепія державно-конфесійних відносин в Україні. Проект. (Im Archiv des Verfassers befindlich.).

Основи (концепція) державно-церковних відносин в Україні. Концепція Інституту законодавчих передбачень і правової експертизи, unter http://

old.risu.org.ua/ukr/study/research_conference/churchstateconception/

conception_02/ (02.03.2014).

Принципи взаємовідносин між державою та церквою. In: Права людини в Україні. Інформаційно-аналітичний бюлетень Українсько-Амери-канського Бюро захисту прав людини 15 (1996), 52–58.

Проект Концепції державно-конфесійних відносин в Україні, unter http://

old.risu.org.ua/ukr/study/research_conference/churchstateconception/

conception_01/ (02.03.2014).

Федеральный закон Российской Федерации № 125-ФЗ »О свободе сове-сти и о религиозных объединениях«, 26.9.1997, unter http://constitution.

garant.ru/act/right/171640/ (01.03.2014).

Федеральный закон Российской Федерации № 273-ФЗ »Об образовании в Российской Федерации«, 29.12.2012, unter http://www.rg.ru/2012/12/30/

obrazovanie-dok.html (01.03.2014).

Abstract