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2.2.2.1 Die Grundstruktur der caninen mtDNA

Seit Beginn der 80er Jahre ist die mitochondriale DNA (mtDNA) immer mehr in den Brenn-punkt molekulargenetischer Forschung gerückt.

Abhängig vom Gewebetyp kommen Mitochondrien bis zu mehreren Hundert pro Zelle vor.

Sie zeichnen sich dabei – obwohl auf komplexe Weise in vitale zelluläre Funktionen einge-bunden – bereits entwicklungsgeschichtlich (Endosymbionten-Theorie)17 durch einen hohen Grad an Unabhängigkeit vom Zellkern (Nukleus) aus.

Die mitochondriale DNA stellt ebenso wie das Kern-Genom eine vollkommen autonome ge-netische Einheit dar, hat jedoch im Vergleich zu diesem eine überschaubare Größe (16-17,5kb beim Säugetier). Das mitochondriale Genom liegt haploid und in Ringform vor, durchläuft ungeschlechtliche, vom Zellzyklus unabhängige Vermehrung (Mitose) und wird – mit weni-gen Ausnahmen (GYLLENSTEN et al. 1991) – rein maternal, ohne Rekombination, weiterver-erbt. Als erstes mitochondriales Säugergenom wurde 1981 das des Menschen vollständig cha-rakterisiert (ANDERSON et al. 1981).

Durch die zehnfach höhere Mutationsrate (BROWN et al. 1979) im Vergleich zum Kern-Genom entwickelt sich die mtDNA überdurchschnittlich schnell weiter (ROY et al. 1994).

Dies muss im Zusammenhang mit biochemischen Prozessen der Atmungskette gesehen wer-den, bei denen eine hohe Konzentration freier Sauerstoffradikale im Mitochondrium entsteht.

Die Entstehung von Mutationen wird dadurch begünstigt. Eine vermehrte Anhäufung von Nukleotidsubstitutionen wird darüber hinaus durch reduzierte Replikationstreue der

17 Die Endosymbiontenhypothese postuliert, dass frühe Eukaryoten weder Mitochondrien noch Chloroplasten besaßen. Durch Zunahme des atmosphärischen Sauerstoffgehalts entwickelten sich unabhängig davon „bakte-rienähnliche“ Organismen mit der enzymatischen Ausstattung zur Energiegewinnung aus O2. Der Atmungs-prozess stellte aufgrund gesteigerter und effizienterer Energiegewinnung einen erheblichen evolutionären Se-lektionsvorteil dar. Man vermutet, dass eukaryotische Zellen diese Organismen „einfingen“ und lernten, mit ihnen in Symbiose zu leben (KNIPPERS 1997).

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rase sowie unzureichende DNA-Reparaturmechanismen aufgrund struktureller Besonder-heiten der mtDNA verursacht. Obwohl beim Menschen eine Reihe mitochondrialer Erb-krankheiten bekannt ist, betreffen Mutationen in der Regel die 3. Position eines Codons und bleiben deshalb in den meisten Fällen ohne schädliche Auswirkung auf den Organismus (KNIPPERS 1997).

Die erwähnte hohe Mutationsrate ließ die mtDNA für eine Vielzahl an Fragestellungen geeig-net erscheinen. Daher ist mittlerweile für fast alle Haustiere und viele Wildtiere die mito-chondriale DNA bezüglich Größe, Genbestandteilen sowie genomischer Organisation voll-ständig charakterisiert. In allen Säugergenomen weist die mtDNA eine konservierte Anord-nung der Gene sowie eine straffe Struktur und hohe Kompaktheit bezüglich ihrer genetischen Information auf (ANDERSON et al. 1981).

KIM et al. (1998) stellten erstmals die Sequenz des kompletten caninen mitochondrialen Ge-noms vor. Die codierenden Bauelemente (Gene für 13 Enzyme der Atmungskette, 22 tRNAs und 2 rRNAs) unterschieden sich in Anzahl, Organisation und Richtung offener Leserahmen nicht von anderen untersuchten Säugerspezies.

Die Nukleotidposition 1 wird gemäß nomenklatorischer Konventionen dem 5’-Ende des Gens für tRNA-Phenylalanin zugeordnet. Den Abschluss des codierenden Teils bildet das 3’-Ende der tRNA-Prolin; daran anschließend befindet sich die nicht-codierende Kontrollregion (control region), oft auch als displacement-loop (d-loop) bezeichnet. Die Gesamtlänge des caninen mitochondrialen Genoms beläuft sich auf 16728bp, dies stellt jedoch aufgrund des Vorkommens einer variablen Anzahl repetitiver Motive (HOELZEL et al. 1994; TSUDA et al.

1997; FRIDEZ et al. 1999; SAVOLAINEN et al. 2000) in der d-loop nur eine ungefähre Größen-angabe dar.

Wie bei allen anderen Säugetieren liegen alle proteincodierenden Gene außer NADH6 auf dem H-Strang18, so dass der L-Strang den sinngebenden Leserahmen liefert. Als Besonderheit des mitochondrialen Genoms bei Canis familiaris wurde eine CTAGA-Duplikation zwischen der Cytochrom-C-Oxidase Untereinheit II und dem tRNA-Lysin lokalisiert, die in dieser

18Abgeleitet aus unterschiedlichen Auftriebsdichten im CsCl-Gleichgewichstgradienten, durch die eine Unter-scheidung in schweren (H, heavy) und leichten (L, light) Strang möglich ist (KNIPPERS 1997).

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Form bei anderen Säugetieren bisher nicht gefunden wurde und somit als spezifischer caniner Marker gelten kann.

2.2.2.2 Nomenklatur und Aufbau der d-loop

Die Aufgabe der displacement-loop liegt in der Regulation und Initiation mitochondrialer Replikation.19 Im Bereich der d-loop liegt ein dreifacher DNA-Strang vor (ca. 700bp beim Menschen), der den ursprünglichen L- und H-Strang verdrängt. Die d-loop besteht aus einem variablen Anteil, einem eher konservierten Bereich und einem Einschub repetitiver Sequen-zen.

Obwohl die d-loop des Hundes in jüngster Vergangenheit in zunehmendem Maße zu For-schungszwecken herangezogen wurde, gibt es für einige Teilbereiche noch immer keine in-ternational verbindliche, einheitliche Nomenklatur. Dies erschwert die Vergleichbarkeit un-terschiedlicher Quellenangaben teilweise erheblich.

Übereinstimmend bei allen Autoren ist jedoch der Beginn der d-loop bei bp 15459 (in direk-tem Anschluss an das 3’-Ende der Prolin), ihr Abschluss am 5’-Ende der tRNA-Phenylalanin sowie das Vorhandensein eines repetitiven, 10bp langen Grundmotivs. Weiter-hin wird autorenübergreifend eine hypervariable Region beschrieben, deren exakte Position jedoch sehr unterschiedlich definiert wird. Sie erstreckt sich bei TSUDA et al. (1997) von Posi-tion 1 bis ca. 672 der d-loop und beinhaltet dabei sowohl einen Bereich, den FRIDEZ et al.

(1999) als „central conserved region“ bezeichnen, als auch einen Abschnitt, der von OKUMURA et al. (1996) bereits als CSB1 (conserved sequence block 1) eingeordnet wird.

OKUMURA et al. (1996) dagegen verstehen unter „hypervariabel“ ein ca. 70bp langes Frag-ment sowie zwei kleinere FragFrag-mente, die sowohl am Anfang als auch am Ende der d-loop liegen. In jüngster Zeit wird der Begriff „hypervariable region“ jedoch für einen Teilbereich in der Nähe der tRNA-Prolin verwendet, der ca. 250bp umfasst und von einigen Autoren auch HV1 genannt wird (SAVOLAINEN et al. 1997; SAVOLAINEN et al. 2000; FRIDEZ et al. 1999).

Unterschiede bestehen auch in der Nomenklatur des konservierten Bereiches. Während viele Autoren (OKUMURA et al.1996; KIM et al. 1998; SAVOLAINEN et al. 2000) von der Existenz

19 Startpunkt dafür ist der Origin OH, an dem die H-Strang-Synthese der mtDNA beginnt. OH liegt beim Hund in CSB1.

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dreier getrennter konservierter Blöcke ausgehen, wird von TSUDA et al. (1997) dieser Ab-schnitt allgemein als „conserved region“ zusammengefasst; FRIDEZ et al. (1999) nehmen da-gegen keine spezielle Benennung vor.

Abbildung 1 zeigt eine schematische Übersicht der d-loop. Da der Name displacement-loop automatisch einen hohen Grad an Variabilität impliziert, wird im Folgenden die Bezeichnung

„hypervariabel“ nur für die als HV1 bezeichnete Region übernommen. Konservierte Bereiche werden durch die Verwendung des Begriffs CSB gekennzeichnet. Alle nicht speziell benann-ten Bereiche zeichnen sich durch eine moderate Variabilität aus.

Abbildung 1: Schematische Darstellung der d-loop, bestehend aus den „conserved sequence blocks“

(CSB), der hypervariablen Region sowie einem repetitiven Abschnitt (tandem repeats). Nicht näher be-zeichnete Teile zeigen nur geringe Variabilität.

2.2.3 Populationsgenetik

Die Populationsgenetik beschäftigt sich mit den genetischen Grundprinzipien (z.B.

MENDELSCHE Regeln) sowie deren Auswirkungen auf Populationen. Unter dem Begriff „Po-pulation“ wird dabei eine definierte Paarungs-/Fortpflanzungsgemeinschaft zwischen Tieren, Menschen oder Pflanzen zusammengefasst. Diese kann auf natürliche Weise zustande kom-men oder experikom-mentell gebildet werden.

Die Populationsgenetik ermittelt und beurteilt genetische Varianten, die innerhalb oder zwi-schen Populationen auftreten. Genetische Variation drückt sich dabei innerhalb der Populati-onen durch das Vorhandensein verschiedener Allele an unterschiedlichen Loci aus und spie-gelt sich in den Allelfrequenzen wider. Diese stellen das Verhältnis aller definierten Allele zueinander in einer Population dar. Anhand der Allelfrequenzen werden anschließend die genetischen Beziehungen zwischen den Populationen untersucht. Verschiedene Faktoren der

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Evolution beeinflussen dabei in unterschiedlich starkem Maß die Unterschiede zwischen Po-pulationen.

Die zufällige genetische Drift (random drift) kann in Populationen zum Verlust einiger Allele sowie einer Verschiebung der Frequenzen erhalten gebliebener Allele führen. Das Vorliegen von massiven „bottlenecks“20 bzw. „founder effects“21 verstärkt den Einfluss dieses populati-onsgenetischen Faktors erheblich.22 Genetische Unterschiede zwischen Populationen, die geographisch oder reproduktiv voneinander isoliert sind, werden auf diese Weise immer grö-ßer, je länger die Trennung besteht (ALTET et al. 2001; SEDDON & ELLEGREN 2002; VILA et al. 2003a; SUNDQVIST et al. 2001).

Mutationen, die in jeder Population unabhängig voneinander und spontan auftreten, tragen erheblich zur genetischen Differenzierung bei. Aufgrund relativ geringer Mutationsraten kommen diese jedoch erst nach längerer Divergenzzeit der Populationen zur Geltung und sind damit überwiegend auf Speziesebene von größerer Bedeutung (KLUKOWSKA et al. 2003;

FREDHOLM & WINTERO 1995). Mitbestimmend für den tatsächlichen Einfluss von Mutationen auf die Fortentwicklung einer Rasse ist jedoch – neben der Mutationsrate – die effektive Po-pulationsgröße (IRION et al. 2003).

Die bei Rassen häufige züchterische Selektion führt zur bevorzugten Weitervererbung be-stimmter Allele und hat dadurch variierende Allelfrequenzen in nach verschiedenen Schwer-punkten selektierten Populationen zur Folge. Eine zufällige Selektion in die gleiche Richtung mit Bevorzugung derselben Allele kann jedoch die wahre genetische Beziehung verfälschen.

Deshalb ist selektionsneutralen Markern, wie etwa den MS, in der Populationsgenetik der Vorzug zu geben.

Das Ausmaß an Migration (Austausch von Individuen) zwischen verschiedenen Populationen hat ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung genetischer Unterschiede.23 Der kontinuierliche Genfluss, bei dem Allele zwischen Populationen ausgetauscht werden, führt zu einer Verringerung der genetischen Differenzierung. Je mehr Ähnlichkeit die

20 Zäsur einer Population bedingt durch massiven Rückgang der effektiven Populationsgröße.

21 (Wieder-)Aufbau einer Population mit einer geringen Anzahl von Gründerindividuen., oft im Zusammenhang mit genetischen bottlenecks.

22 Bottlenecks und founder effects sind in der Geschichte zahlreicher Hunderassen dokumentiert (z.B. Mittelpin-scher, Leonberger).

23 Der Austausch von Individuen stellte in der Hundezucht vor Errichten der „Rasse-Barriere“ eine gängige Me-thode dar, um Inzuchteffekte zu reduzieren und neue Eigenschaften herauszuzüchten (RÄBER 1995).

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lelfrequenzen untersuchter Populationen aufweisen, desto mehr Austausch hat zwischen ihnen stattgefunden (HARTL &CLARK 1997).