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2.3 Anwendungsbereiche für Mikrosatelliten und mtDNA

2.3.3 Populationsgenetische Studien

2.3.3.2 Conservation genetics und Hybrid-Diagnostik

Die MS-Analyse einzelner Spezies und Rassen erlaubt derzeitig nicht nur die Klärung von Verwandtschaftsverhältnissen (IRION et al. 2003; KOSKINEN & BREDBACKA 2000; PARKER et al. 2004) mittels genetischer Distanzen einschließlich der Erstellung phylogenetischer Bäume, sondern hat sich auch als nützliches Hilfsmittel auf dem Gebiet der Erhaltungsbiologie (con-servation genetics) erwiesen. Der veränderte Bedarf des Menschen hatte in den letzten Jahr-zehnten einen bedrohlichen Rückgang „alter“ Nutztierrassen – teils bis zur vollständigen Aus-löschung – zur Folge. Für deren Erhaltung ist die Kenntnis der noch vorhandenen genetischen Variabilität innerhalb der Restpopulation unverzichtbar (SCHWEND 2001).

Der massive Eingriff des Menschen in die Kulturlandschaft hat bei vielen Wildtierarten welt-weit zu drastischer Dezimierung der Populationen sowie zu starker Verinselung (Fragmenta-tion) der letzten Habitate geführt. Die geringe Populationsdichte, kombiniert mit fehlender Zugangsmöglichkeit zu anderen Fortpflanzungsgemeinschaften, hat zur Folge, dass die Cani-den auch koexistente,28 verwandte Spezies bei der Partnerwahl akzeptieren. Die enge Ver-wandtschaft zwischen den Caniden-Spezies resultiert im Vorkommen fertiler Hybride. Ob-wohl zwischen einigen Spezies reproduktive Barrieren (Unterschiede im Verhalten und der Reproduktions-Physiologie) die Entstehung und erfolgreiche Aufzucht von Hybridnachkom-men meistens verhindern, gibt es doch zahlreiche Beispiele für eine erfolgreiche Rückkreu-zung (Introgression) fertiler Hybride in ihre Ursprungspopulationen (RANDI & LUCCHINI

2002; LEHMAN et al. 1991; GOTTELLI et al. 1994; ADAMS et al. 2003a; VILA et al. 2003a).

Solange die Hybridisierung nur in einem schmalen Randbereich zweier Populationen bzw.

28 Zur gleichen Zeit und im gleichen Verbreitungsgebiet vorkommend.

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Spezies stattfindet, besitzt sie keine signifikante Bedeutung. Findet sie jedoch großflächig und häufig statt, kann die Introgression in stark dezimierten oder wiedereingebürgerten Wildpopu-lationen mit limitiertem Genpool sogar zur völligen Auslöschung führen. Eine zuverlässige Detektion von Hybriden ist unabdingbar, um einerseits solche Tiere aus dem Reproduktions-zyklus entfernen zu können (ADAMS et al. 2003b; VILA et al. 2003a) und andererseits genaue Schätzungen über das Ausmaß bereits stattgefundener Hybridisierungs-Ereignisse einzelner Arten zu erhalten. Besonders betroffen aus der Familie Canidae sind dabei einzelne Grau-wolfpopulationen (LEHMAN et al. 1991; ROY et al. 1994; VILA et al. 2003a), der Rotwolf (ADAMS et al. 2003b), der äthiopische Wolf (GOTTELLI et al. 1994) und der Dingo (WILTON et al. 1999).29

Im Extremfall kann die Hybridisierung auch zur Entstehung neuer Arten führen: Der Rotwolf C. rufus ist aller Wahrscheinlichkeit nach in den letzten 300 Jahren (REICH et al. 1999) aus einer Vermischung von Grauwölfen und Coyoten im Südosten Kanadas und den südlichen zentralen USA entstanden (ROY et al. 1994; LEHMAN et al. 1991). Morphologisch gesehen intermediär, steht C. rufus mittlerweile genetisch dem Coyoten deutlich näher (ROY et al.

1994; ADAMS et al. 2003a).

Der Einsatz mitochondrialer DNA zur Hybriderkennung bei den Caniden ist zwar zweckmä-ßig, da Grauwolf und Hund sich – mit einer einzigen bekannten Ausnahme – keine Haploty-pen teilen (VILA et al. 1997) und ebenso Rotwölfe eindeutig gegen Coyoten abgegrenzt wer-den können (ADAMS et al. 2003b). Aufgrund des maternalen Vererbungsmodus der mtDNA können jedoch nur unidirektionale Hybride mit Sicherheit detektiert werden,30 so dass der Verwendung dieser Methode fundierte verhaltensbiologische Kenntnisse31 zugrunde liegen müssen. So wurde wiederholt in der Literatur über unidirektionalen Gentransfer zwischen Coyoten und Grauwölfen berichtet (ROY et al. 1994; LEHMAN et al. 1991). Trotz jahrhunder-telanger Koexistenz von Wölfen und Hunden in Europa gibt es dort keine Hinweise für eine

29 Beim Äthiopischen Wolf sind bereits 17% der Populationen gemischter Abstammung oder besitzen Hybridah-nen. Der Dingo weist nur noch in zentralen und nördlichen Regionen Australiens annähernd reine Populatio-nen auf.

30 Nach ADAMS et al. (2003b) werden 35% der Rotwolf/Coyoten-Hybride durch diese Methode nicht korrekt erkannt.

31 Bezüglich Reproduktionsbiologie, bevorzugter Hybridisierungsrichtung und günstiger Umstände für ein Back-crossing.

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signifikante Introgression von Canis familiaris in natürlichen Wolfspopulationen, obwohl Einzelfälle bisweilen beobachtet wurden (RANDI & LUCCHINI 2002; VILA et al. 2003a). Kom-binierte Untersuchungen in den USA und Kanada von Wolf, Rotwolf, Coyote und Hund lie-ferten keine Hinweise für die Introgression des Haushundes in eine der Wildspezies (LEHMAN

et al. 1991; ROY et al. 1994; ROY et al. 1996). Dagegen ließen Massenuntersuchungen mito-chondrialer Coyoten-DNA in den USA den Rückschluss zu, dass Hunde-Ahnen bei der Etab-lierung lokaler Coyoten-Populationen dennoch eine bedeutende Rolle gespielt haben (ADAMs et al. 2003a).

Ein Nachweis stattgefundener Hybridisierung kann in den meisten Fällen schon anhand von Mikrosatelliten-Analysen erbracht werden.

Wurden früher zur Erkennung von Hybriden bevorzugt speziesspezifische MS-Marker einge-setzt (BEAUMONT et al. 2001), so erlaubt gerade bei eng verwandten Arten wie den Caniden die Verwendung speziesübergreifender Mikrosatelliten in Kombination mit modernen statisti-schen Methoden eine immer präzisere Detektion von Hybriden (VILA et al. 2003a; RANDI &

LUCCHINI 2002; ROY et al. 1994). Zur Bestätigung der mittels autosomaler MS-Analyse ge-wonnenen Ergebnisse und zur eindeutigen Bestimmung der Hybridisierungsrichtung können im Bedarfsfall zusätzlich geschlechtsspezifische Marker wie X-chromosomale Mikrosatelli-ten, Y-Haplotypen und mitochondriale DNA verwendet werden (VILA et al. 2003a).

2.3.3.3 Rassendiskriminierung

Die gleichen Verfahren wie bei der Hybrid-Detektion werden mittlerweile mit Teilerfolgen bei der genetischen Rassendiskriminierung und den Versuchen eindeutiger Zuordnung einzel-ner Individuen zu bestimmten Rassen angewendet (KOSKINEN 2003; PARKER et al. 2004) bzw. zur Ermittlung von Rassemischlingen (Bastarden) eingesetzt (SCHWEND 2001).

KOSKINEN (2003) gelang es, Probanden fünf unterschiedlicher Hunderassen mit Hilfe ver-schiedener mathematischer Modelle entsprechend ihres Rasse-Ursprungs eindeutig zuzuord-nen (clustern). Ähnliche Erfolge erzielten PARKER et al. (2004), denen bei 85 Rassen zu 99%

eine korrekte Cluster-Bildung der Ursprungsrassen gelang. Desweiteren konnte eine Aufspal-tung der untersuchten Rassen in vier große Hauptcluster bzw. Ahnenlinien nachgewiesen werden (s. Kap. 2.1.2).

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2.3.3.4 „tracing back”- Erforschung der Matrilinien

Ein neuerer Anwendungsbereich der Mikrosatelliten liegt in der Klärung komplexer populati-onsgenetischer Fragestellungen unter Miteinbeziehung geschlechtsgebundener Markersyste-me (SUNDQVIST et al. 2001; VILA et al. 2003a; VILA et al. 2003b). Y-Marker ermöglichen Aussagen über die genaue Anzahl männlicher Ahnen einer Population sowie deren Reproduk-tionserfolg. X-chromosomale Marker und die ebenfalls maternal vererbte mitochondriale DNA lassen genaue Rückschlüsse auf die Mindestanzahl weiblicher Gründertiere32 und die ursprünglich vorhandene genetische Variabilität einer Population zu (LÜPKE 2004). Beispiele aus der Literatur (VILA et al. 2003b) belegen, dass mit Hilfe dieses Verfahrens die populati-onsgenetische Entwicklung einer definierten Fortpflanzungsgemeinschaft inklusive founder effects und bottlenecks nahezu lückenlos rekonstruiert werden kann („tracing back“).

Einen besonderen Stellenwert nimmt die Erforschung von Matrilinien in der Pferdezucht ein.

Hierbei werden außer der Anzahl weiblicher Founder-Linien auch die phylogenetischen Be-ziehungen zwischen den Haplotypen ermittelt, um das Ausmaß historischen Genflusses zu bestimmen und Aussagen über die Herkunft einzelner Rassen zu machen. Kenntnisse über die weiblichen Linien besitzen jedoch oft nur eingeschränkte Aussagekraft über die tatsächliche genetische Variabilität. Dies resultiert aus der vorherrschenden Zuchtpraxis bei vielen domes-tizierten Tierarten, wie etwa Pferd und Hund. Seit jeher werden in der Pferdezucht einzelne Hengste mit vielen Stuten angepaart. Andererseits werden weibliche Tiere dazu benutzt, die Grundeigenschaften einer Population zu erhalten, während Gene zur Verbesserung bzw. Ver-änderung gewünschter Eigenschaften in der Regel durch männliche Tiere anderer Rassen bzw. Linien eingeführt werden (TSUDA et al. 1997). Ähnliche Beobachtungen werden bei verschiedenen Wildtierpopulationen gemacht, bei denen der Genfluss auf die Migration männlicher Tiere zurückzuführen ist (GIRMAN et al. 2001; VILA et al. 2003b), während weib-liche Tiere den Grundstock des Genpools bilden (sex biased dispersal).

Liegen die Anfänge einer Subspezies bereits mehrere Jahrtausende zurück, hat sich für die Ahnenforschung in jüngster Vergangenheit die Verwendung von „parsimony network“-Analysen zur Bestimmung der Gründerhaplotypen bewährt (SAVOLAINEN et al. 2002;

32 Dabei muss jedoch die Möglichkeit starker genetischer Drift mit Haplotypenverlust sowie die Existenz dessel-ben Haplotyps bei mehreren Gründertieren berücksichtigt werden (LÜPKE 2004; SAVOLAINEN et al. 2004).

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LEONARD et al. 2002). Unter Berücksichtigung sowohl neuzeitlicher als auch prähistorischer DNA können mit Hilfe dieses Verfahrens Mutationsschritte in den Haplotypen nachvollzogen werden. Auf diese Weise konnte ein einzelner Haplotyp als Grundlage für die gesamte austra-lische Dingo-Population ermitteln werden (SAVOLAINEN et al. 2004).

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