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Messung des Einflusses der Topographie

3. Datengrundlagen und Methodik

3.2 Methodisches Vorgehen bei der makroanalytische Unfallanalyse

3.2.3 Messung des Einflusses der Topographie

Eine topographische Klassifizierung der bayrischen Landkreise unter Gesichtspunkten der Fahrradnutzung wurde in einer Masterarbeit von LEICHT (2014) und in einer Studie des U M-WELTBUNDESAMTES zur Klassifikation der Gefälleverhältnisse im deutschen Hauptstraßennetz auf Gemeindebasis durchgeführt (siehe UBA, 2013, S. 121-128). Ausgangspunkt war in bei-den Fällen die Vermutung, dass ungünstige Neigungsverhältnisse im Straßennetz eine

Hemm-schwelle für die alltägliche Radnutzung darstellen, da Radfahren dann mit einer hohen physi-schen Anstrengung verbunden ist.

Die statistischen Berechnungen der Neigungsverhältnisse des bayrischen Straßennetzes resp.

die Generierung eines topographischen Indikators wurden in beiden Studien mittels eines GIS durchgeführt. In der Studie des Umweltbundesamts wurden die Höheninformationen dem Digitalen Geländemodell 25 entnommen, dem genauesten flächendeckend verfügbaren Ge-ländemodell. Eine vollständige Erfassung des Verkehrsnetzes erfolgte durch die Verwendung des Digitalen Landschaftsmodells 250. Jedem Straßenabschnitt Bayerns wurde ein ganzzahli-ger Gradientwert zugeordnet, so dass in der Folge der prozentuale Anteil aller Gradientklassen ermittelt werden kann. Beispielsweise weisen 22 Prozent der Straßen in Ingolstadt einen Nei-gungswert von 1° auf. Eine Berechnung der Neigungsverhältnisse wurde vollständig für das überörtliche Verkehrsnetz durchgeführt, jedoch nur für 40 Prozent der Gemeindestraßen und hierbei wiederum nur für das Hauptstraßennetz, woraus Verzerrungen der tatsächlichen Nei-gungsverhältnisse resultieren. Überregionale Straßen sind überrepräsentiert, obwohl sie für den Radverkehr von untergeordneter Bedeutung sind. Gerade die für den Schüler-Radverkehr bedeutsamen Gemeindestraßen und deren Nebenstraßen sind dagegen unterreprä-sentiert bzw. überhaupt nicht berücksichtigt. Insgesamt führt diese Vorgehensweise zu einer Überschätzung der tatsächlichen Steigungsverhältnisse, „da das Hauptstraßennetz schon in seiner historischen Anlage nach Möglichkeit einen relativ steigungsarmen Verlauf nimmt, während die interne Erschließung von Siedlungsgebieten in Hanglage weniger auf geringst-mögliche Neigung optimiert ist“ (UBA, 2013, S.127). Dies hat z. B. zur Folge, dass die Land-kreise mit Alpenanteil, angeführt vom Landkreis Berchtesgadener Land, zu den hügeligsten Landkreisen Deutschland zählen. Dies mag zwar insgesamt zutreffend sein; betrachtet man hierbei jedoch nur die besiedelte Flächen, die für den Schülerradverkehr bedeutsam sind und die zumeist in den flacheren Schotterebenen (z. B. Freilassing, Laufen) bzw. den Schotterter-rassen entlang der Flussläufe (z. B. Bad Reichenhall) liegen und lässt die umgebenden, wei-testgehend unbesiedelten Berge außer Acht, ergibt sich ein abweichendes Bild.

LEICHT (2014) ging deshalb von der Annahme aus, dass sich die Radnutzung für Be-sorgungs-, Arbeits- und Schulwege hauptsächlich auf Siedlungsflächen konzentriert. Um aus-zuschließen, dass orographische Erhebungen außerhalb bebauter Gebiete verzerrend wirken, isolierte er zunächst die Siedlungsflächen der Kreise. In der Folge wurden nur die Neigungs-werte der Straßen innerhalb dieser bebauter Flächen ermittelt. Als Datengrundlage des aktuel-len Straßennetzes diente der MultiNet-Datensatz der Version 3.6.1 der Firma TomTom. Zur

Berechnung der Straßensteigungen wurden die kostenfreien SRTM-3 Daten benutzt, wodurch das Digitale Geländemodell etwas ungenauer ausfällt als das vom Umweltbundeamt verwen-dete. Die berechneten Straßenkilometer der einzelnen Landkreise wurden in drei Steigungs-klassen (flach = 0-3%, hügelig = >3-7%, sehr hügelig = >7%) eingeteilt. Mit dieser Grobglie-derung verbunden ist jedoch ein Informationsverlust, da es nicht mehr möglich ist, den Anteil der einzelnen Gradientklassen am Straßennetz zu ermitteln. Die Einteilung der Kategorien wurde in Anlehnung an bestehende Regelwerke vorgenommen, welche folgende Schwellen-werte definieren: „Strecken mit

weniger als 3% Steigung werden als unbedenklich eingestuft, sie können von Radfah-rern über längere Strecken mit konstanter Geschwindigkeit befahren werden,

einer Steigung von 3 bis 7% führen zu einer deutlichen Verminderung der Geschwin-digkeit,

mehr als 7% Steigung gelten als Steilstrecken und zwingen einen Großteil der Radfah-rer zum Absteigen“ (BMVBS, 2008, S.4).

Um den prozentualen Anteil der drei Steigungsklassen zwischen den 95 Kreisen vergleichen zu können, wurde die Klassen gewichtet. Flache Straßen mit weniger als drei Prozent Stei-gung blieben ungewichtet, Straßenabschnitte mit einer SteiStei-gung von drei bis sieben Prozent wurden mit dem Faktor 2 und noch steilere Straßen mit Faktor 3 multipliziert und die Werte in der Folge für jeden Kreis summiert. Kreise, die nur Straßen der Klasse 1 aufweisen, erhalten somit den Wert 100; Kreise, in denen es ausschließlich Straßen der Klasse 3 gibt, den Wert 300.

Trotz der genannten Unterschiede korreliert die Rangfolge der Ergebnisse von LEICHT (2014) und dem UBA(2013) sehr stark (rs=0,89, p<0,001). Eine vergleichende Liste der Rangfolge inklusive der Steigungswerte kann Anhang B entnommen werden.

Abb. 3-5 verdeutlicht die hohe Reliefenergie Bayerns. Schätzungen einer Studie der Pla-nungsgemeinschaft Verkehr zufolge (PGV, 2008a, S.7) erschwert die Topographie in mehr als 60 Prozent der bayrischen Landesfläche das Radfahren erheblich. Im Nordwesten und im Norden befinden sich die Mittelgebirgslandschaften Odenwald, Spessart, Rhön und das Vogt-land. Im Osten schließen sich Fichtelgebirge, Oberpfälzer und Bayerischer Wald an. Das süd-liche Bayern wird durch die Alpen eingegrenzt. Nördlich davon befindet sich das Alpenvor-land. Weite Teile der Landesfläche zählen außerdem zum Schichtstufenland, welches weitere Mittelgebirge wie die Fränkische und Schwäbische Alb umfasst. Die dichter besiedelten Ge-biete befinden sich dagegen häufig in den flacheren Landesteilen entlang von Flusstälern. Die

Metropolregion München liegt größtenteils in der Münchener Ebene, die Metropolregion Nürnberg im mittelfränkischen Becken.

Abb. 3-5: Reklassifizierte Steigungswerte der bayrischen Landesfläche und Siedlungsgebiete, die

Untersu-Heuschrecke du isst viele

Auch die in der Karte hervorgehobenen Untersuchungsregionen sind weitgehend flach. Die am Main gelegene Stadt Schweinfurt liegt naturräumlich betrachtet im Schweinfurter Becken.

Die Stadt Rosenheim, in der die Mangfall in den Inn mündet, gehört zwar nominell dem Inn-Chiemsee-Hügelland an, weist jedoch keine nennenswerten Erhebungen auf (BAYRISCHES

LANDESAMT FÜR UMWELT, O.J.). Die bevölkerungsreichen Gegenden bieten also günstige Vo-raussetzungen für das Radfahren, weshalb laut PGV (2008a, S.7) nur etwa ein Viertel der Be-völkerung von einer hügeligen Topographie betroffen ist.

3.2.4 Limitationen

Auf Grund der systematischen Unterschätzung der Neigungsverhältnisse in der Studie des UBA (2013) wurden im weiteren Verlauf dieser Arbeit die Ergebnisse von LEICHT (2014) verwendet. Mit Hilfe von Regressionsanalysen konnte der Einfluss der Topographie auf die Varianz der FSWUR berechnet werden. Ob der Einfluss der Topographie auf die Radnutzung durch eine noch genauere Berechnung der Straßensteigungswerte weiter präzisiert werden kann, müsste in anknüpfenden Studien untersucht werden. Eine praktische Überprüfung der Steigungswerte von LEICHT (2014) durch einen Abgleich mit örtlichen Straßennetz-Datenbanken konnte nicht realisiert werden, da es darin keine hinterlegten Werte zur Steigung der Straßen gibt. Auch bei den Straßenmeistereien, die für den Winterräumdienst zuständig sind, existieren diesbezügliche keine Informationen. Jedoch bestätigten die Abteilungsleiter (Herr Reisinger, Herr Stechhammer, Herr Stintzing, Herr Weißenberger) der Tiefbauämter Straubing, Weißenburg-Gunzenhausen, Rosenheim und Schweinfurt telefonisch die Werte von LEICHT (2014). Die Telefonate wurden am 13. und 14.01.2014 geführt.

Auch die durchgeführte Berechnung der Schuleinzugsgebiete als Vergleichsmaß für die Schulweglänge sowie der ÖPNV-Unfallrate als Indikator für das ÖPNV-Angebot resp. dessen Nutzung ist optimierbar. Wären die tatsächlichen Schuleinzugsgebiete der einzelnen Schulen bekannt, könnte der Einfluss der Schulwegdistanzen auf die Varianz der Unfallrate präzise quantifiziert werden. „However, the distance from home to school is difficult to measure espe-cially in large scale studies” (REIMERS ET AL., 2012, S. 67).

Die Messung des ÖPNV-Angebots stellt eine Herausforderung dar, weil neben der Angebots-vielfalt auch Qualitätskriterien und Qualitätsstandards, die nur mit einem hohen Aufwand erhoben werden können, berücksichtigt werden müssen (siehe dazu INSTITUT FÜR V ER-KEHRSWESEN, 2005).

Ebenso muss das beschriebene ökologische Studiendesign kritisch betrachtet werden; auch die Grenzen retrospektiver geographischer Korrelationsstudien sind zu berücksichtigen. Öko-logische Studien erlauben keine Rückschlüsse auf Zusammenhänge auf der Individualebene, eignen sich aber besonders zur Exploration möglicher Ursachen (TIETZE ET AL., 2003, S.314).

Gefundene Korrelationen zwischen der Höhe der Unfallrate und den untersuchten Prädiktoren sind zwar notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für das Vorliegen von Kausa-lität (BORTZ &SCHUSTER, 2010, S.160). Zeigen sich in Landkreisen mit besonders ungünsti-gen Bedingunungünsti-gen zum Radfahren auch geringe Unfallraten, kann zwar vermutet werden, dass die ungünstigen Bedingungen zu einer niedrigen Radnutzung führen, welche die geringe Un-fallrate erklärt; möglich wäre aber auch, dass die niedrige UnUn-fallrate durch weitere unbekann-te Variablen beeinflusst wird und somit eine Scheinkorrelation vorliegt (ebd.). Auch bei den verwendeten Regressionsanalysen handelt es sich um strukturprüfende Verfahren, welche nicht dazu verwendet werden können, um Kausalitäten zu belegen, sondern nur für die Über-prüfung eines auf Kausalitäten aufbauenden Modells geeignet sind (ebd.). Ob in Städten mit einer höheren Unfallrate auch tatsächlich mehr Rad gefahren wird, wurde daher in einem nächsten Schritt durch einen Fall-Kontroll-Studien-Ansatz überprüft.