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Fahrradfahren ist gesund, umweltfreundlich und gefährlich, führt man sich vor Augen, dass es allein in Deutschland auf den Schulwegen zu etwa 25.000 gemeldeten Fahrradunfällen pro Jahr kommt (DGUV, 2015, S.30). Etwa die Hälfte aller Straßenverkehrsunfälle in der Schüler-unfallversicherung sind Fahrradunfälle, obwohl Untersuchungen zeigen, dass nur etwa 15 bis 20 Prozent der Schulkinder hauptsächlich mit dem Rad zur Schule kommen (BAST, 2012b, S.11f;REIMERS ET AL., 2012, S.66; INFAS & DLR, 2010a, S.121). Neben dem persönlichem Leid und den mit dem Unfall einhergehenden Fehltagen der betroffenen Schülerinnen und Schüler entstehen hohe finanzielle Kosten für die Sozialversicherungsträger und schließlich für die Gesellschaft.

Schulwegunfälle verteilen sich jedoch nicht gleichmäßig. Eine Auswertung der Unfallzahlen der Kommunalen Unfallversicherung Bayerns von 2007 bis 2011 zeigt, dass es innerhalb Bayerns große regionale Unterschiede gerade bei Fahrradunfällen auf dem Schulweg gab. Seit vielen Jahren kennen Statistiker der Unfallversicherungsträger das Phänomen regionaler Un-fallschwerpunkte (DGUV, 2015, S.8; S.3; BUK, 2005, S.5). Auch medial wird das Thema gerne aufgegriffen. Dabei wird jedoch häufig suggeriert, dass es in bestimmten Regionen Deutschlands deutlich sicherer wäre Rad zu fahren als in anderen Landesteilen, ohne die regi-onale Fahrradnutzung, geschweige denn die fahrradbezogene Exposition1 zu kennen (u.a.

MITTELBAYERISCHE ZEITUNG 15/12/2015; FOKUS 28/08/2014; ZEIT 23/2012). Der Automo-bilclub Europa schreibt etwa: „In Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen und dem Saarland ist das Risiko, mit dem Rad zu Schaden zu kommen, weniger als ein Drittel so groß wie in Bre-men“ (ACE, 2010, S.2). Die tägliche Radnutzung ist in Bremen indes mehr als dreimal so hoch wie in Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen oder dem Saarland (INFAS & DLR, 2010b, S.8). In jüngster Zeit sind auch von wissenschaftlicher Seite „regionale Unterschiede in der Unfallverwicklung von Kindern als Radfahrer thematisiert worden“ (BAST, 2010, S.7). Doch auch in wissenschaftlichen Untersuchungen wird aus der berechneten Unfallrate auf das un-bekannte Unfallrisiko geschlossen: „In Städten wie Aalen, Hattingen und Meerbusch ist das Risiko für Kinder zu verunglücken etwa dreimal geringer als in Neumünster, Celle und Ro-senheim“ (BAST, 2012a, S.82). Solche Studien zeigen jedoch, dass das Problem der räumli-chen Unterschiede bei Radfahrunfällen diskutiert und auch nach Ursaräumli-chen geforscht wird. In

1 Unter Exposition wird die Verkehrsleistung bzw. -beteiligungsdauer verstanden (GEILER ET AL., 2007, S.10), die sich in der vorliegenden Arbeit immer auf den Schulweg (Hin- und Rückweg) bezieht. Die fahrradbezo-gene Exposition ist ein Teilaspekt der Radnutzung (siehe Kapitel 2.1).

einem Bericht des Bundesverbands der Unfallkassen wird die Vermutung geäußert, dass die unterschiedliche fahrradbezogene Exposition einen erheblichen Einfluss auf die räumliche Verteilung der Unfallraten ausübt (BUK, 2005, S.1). Da es bisher jedoch keine regional be-lastbaren Mobilitätskennziffern zur Radnutzung auf dem Schulweg gibt, ist es nicht möglich, Aussagen zum Unfallrisiko in den verschiedenen Landkreisen zu treffen (REIMERS ET AL., 2012, S.64). Die vorliegende Arbeit soll diese Lücke schließen, indem empirisch gewonnene Erkenntnisse hinsichtlich der Radnutzung zum Fahrradunfallgeschehen in Bezug gesetzt wer-den.

Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit widmet sich der Rolle der Radnutzung und deren Einfluss auf die regionalen Unterschiede im Unfallgeschehen auf dem Schulweg. Damit ver-knüpft sind eine ganze Reihe weiterer Fragen, welche sich zunächst auf die Beschreibung der räumlichen Verteilung der Fahrrad-Schulwegunfälle (FSWU) beziehen:

 Welche räumlichen Verteilungsmuster weisen FSWU auf?

 Wo können regionale Unfallschwerpunkte ausgemacht werden?

 Wird in den unfallbelasteten Regionen auch mehr Rad gefahren?

 Welchen Einfluss hat die fahrradbezogene Exposition auf das Unfallgeschehen?

 Was sind die Ursachen der variierenden Radnutzung?

Um die zentrale Hypothese dieser Arbeit zu überprüfen, nämlich dass die variierende Radnut-zung die Hauptursache für die Unterschiede in der Verteilung der Radunfälle darstellt, wurde ein mehrstufiges multimethodisches Studiendesign entwickelt. Auf einer Makroebene wurden alle gemeldeten Fahrrad-Schulwegunfälle in Bayern von 2007 bis 2011 ausgewertet, unfallbe-lastete Landkreise identifiziert und visualisiert. Um den Einfluss der Radnutzung auf das Un-fallgeschehen zu eruieren, wurden zunächst die örtlichen Voraussetzungen zum Radfahren auf dem Schulweg analysiert und als Indikatoren für die tatsächliche Radnutzung verwendet. Mit-tels regressionsanalytischer Verfahren wurde im Anschluss der Einfluss dieser Indikatoren auf die räumliche Varianz der Unfallraten ermittelt. Es zeigten sich jedoch auch bei Städten mit sehr ähnlichen Voraussetzungen zum Radfahren große Unterschiede im Unfallgeschehen.

Um die Ursachen hierfür in Erfahrung zu bringen, wurden deshalb auf einer kleinräumigeren Mesoebene die in soziodemographischer, geographischer und schulstruktureller Hinsicht ver-gleichbaren kreisfreien Städte Rosenheim und Schweinfurt näher untersucht. Im Rahmen die-ser Fall-Kontroll-Studie erfolgte eine direkte Prüfung der Arbeitshypothese, indem die Unfall-zahlen vor dem Hintergrund der gemessenen Radnutzung interpretiert wurden. Mit Hilfe einer Vollerhebung zum Mobilitätsverhalten an allen weiterführenden Schulen der beiden

Untersu-chungsregionen konnten Informationen über die dortige strecken- und zeitbezogene Radnut-zung – d.h. Exposition – gewonnen und so das Unfallrisiko messbar gemacht werden. Durch flankierende Untersuchungen individueller und schulischer Einflussgrößen wurden auf einer Mikroebene nach weiteren Unfallursachen gesucht und dabei auch die Motive für die jeweili-ge Radnutzung analysiert. Neben der diesbezüglichen Auswertung der Erhebungserjeweili-gebnisse wurden schulische Akteure mittels leitfadengestützter Interviews über Maßnahmen zur Rad-förderung und zur Verkehrssicherheit von Radfahrern befragt. Die Ergebnisse der vorliegen-den Arbeit wurvorliegen-den schließlich genutzt um Präventionsmaßnahmen abzuleiten, die einen Bei-trag zum aktiven Gesundheitsschutz von Schülerinnen und Schülern sowie zur Verbesserung der Sicherheit von Radfahrern auf dem Schulweg leisten; dadurch können präventive Angebo-te nicht nur enger räumlich eingegrenzt, sondern auch zielgruppenorientiert zugeschnitAngebo-ten werden.

Die vorliegende Arbeit ist wie folgt gegliedert (einen Überblick gibt Abb. 1-1): In Kapitel 2 wird der aktuelle Kenntnisstand zum Mobilitätsverhalten und zur Radnutzung von Kindern und Jugendlichen auf dem Schulweg aufgezeigt und das eng damit verbundene Unfallgesche-hen im Schülerradverkehr2 beschrieben. Im Fokus des Interesses stehen die zentralen Ein-flussfaktoren auf das Unfallgeschehen und die Radnutzung; letztere werden als Indikatoren für die Höhe der landkreisspezifischen Radnutzung auf den Schulwegen verwendet.

Kapitel 3 beginnt mit einer Beschreibung der verwendeten Materialien, insbesondere der von der Kommunalen Unfallversicherung Bayerns (KUVB) bereitgestellten Unfalldaten und der Mobilitätsdaten, die aufeinander bezogen werden müssen, um Risikokennziffern zu generie-ren. Es folgt eine Erläuterung des multimethodischen Mehrebenenansatzes. Anschließend werden die Untersuchungsräume vorgestellt und die Vorgehensweise der empirischen Daten-erhebung sowie die Auswertung der Daten erläutert.

Kapitel 4 gibt zunächst eine Übersicht über das Schulwegunfallgeschehen und insbesondere über die gut 16.000 Fahrradunfälle, die sich in Bayern zwischen 2007 und 2011 ereigneten.

Neben der Unfallphänomenologie und der Unfallanalyse erfolgt eine Visualisierung der land-kreisspezifischen Verteilung von Fahrradunfällen. Anschließend werden die aus Kapitel 2 und der Unfalldatenanalyse abgeleiteten Indikatoren für die Radnutzung mit den landkreisspezifi-schen Unfallraten verknüpft. Dadurch können die Unterschiede im Unfallgeschehen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Voraussetzungen zum Radfahren erklärt werden.

2 Der Ausdruck Schülerradverkehr bezieht sich in der gesamten Arbeit nur auf den Schulweg.

Kapitel 5 zeigt die Ergebnisse der Schüler- und Lehrerbefragung in den beiden Untersu-chungsregionen. Mit der Auswertung der knapp 8.300 Fragebögen einher geht die verglei-chende Darstellung des schulwegbezogenen Modal Splits, insbesondere der Radnutzung.

Durch eine Verknüpfung der Mobilitätskennziffern mit den Unfallzahlen erfolgt schließlich die Berechnung des alters-, geschlechts-, schulform- sowie des verkehrsmittelspezifischen Unfallrisikos. Darüber hinaus wird auch der Einfluss individueller und schulischer Merkmale auf das Unfallrisiko und die Radnutzung untersucht.

In Kapitel 6 werden zunächst die im Laufe der Arbeit gewonnenen Erkenntnisse kritisch dis-kutiert, bevor auf weiterreichende Schlussfolgerungen eingegangen wird. Schließlich werden an Hand der erzielten Ergebnisse Ansatzpunkte und Perspektiven für Präventionsmaßnahmen erörtert und an Hand zweier Beispiele veranschaulicht.

Die Arbeit wird durch eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse abgeschlossen (Ka-pitel 7).

Abb. 1-1: Überblick über den Aufbau der vorliegenden Arbeit

Welche Faktoren beeinflussen die Radnutzung bzw. das Unfallgeschehen?

Das fahrradbezogene Unfallgeschehen auf Schulwegen in Bayern

Diskussion der Ergebnisse Diskussion der Präventionsmaßnahmen

Kapitel 7 – Zusammenfassung Kapitel 6 – Diskussion Kapitel 3 – Material und Methodik

Kapitel 2 – Kenntnisstand