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Auswerteverfahrens zur Brückenüberwachung

6.2 Geodätische Überwachung während der Restnutzungsphase

6.2.3 Messablauf und Auswertung

Die epochenweise Erfassung der Netzpunkte, Deckenprismen und der über 3600 Objektpunkte erfolgt mit einem als GEOBASIC-Applikation entwickelten, vollautomatisierten Messprogramm. Der Vorteil einer GEOBA

-SIC-Applikation liegt darin, dass diese direkt auf den Sensor aufgespielt werden kann. Eine Steuerung über einen mobilen PC entfällt daher; und somit wird die Anforderung an eine komfortable und mobile Hardware für den Außendienst erfüllt. Die nachfolgenden Ausführungen behandeln den grundsätzlichen Messablauf – weitere Einzelheiten zu GEOBASIC und der automatischen Tachymetersteuerung sind in (Kößler, 2007) zu finden.

Für die Messroutine sind pro Instrumentenstandpunkt lediglich eine Standpunktdatei und eine Objektpunktda-tei mit den entsprechenden Punktnummern und Koordinaten erforderlich. Die insgesamt 22 Standpunkte, die für die vollständige Erfassung der zu überwachenden Oberfläche notwendig sind, sind aus einer Raumausglei-chung bereits bekannt; die einzelnen Objektpunkte entstammen dem in einem CAD-Plan definierten Raster.

Um ungünstige Objektpunkte (z. B. solche, die auf Betonierfugen, Einstiegsklappen von Kontrollgängen oder auf die an der Brückendecke installierte Straßenbeleuchtung fallen) auszuschließen, besteht bei erstmaliger Nutzung der Applikation die Möglichkeit die Sollposition der Bezugsepoche nochmals zu korrigieren. Nach der Kontrolle der einzelnen Objektpunkte werden diese gespeichert, und stehen der Applikation für alle weiteren Messepochen zur Verfügung.

Ein Messzyklus (s. a. Abb. 6.8) an einem Standpunkt beginnt mit der Eingabe der Standpunktnummer und mindestens einer Fernzielnummer. Der Anwender wird angehalten, das gewählte Fernziel grob anzuvisieren, wobei die anschließende Feinpositionierung des Fernrohrs über die automatische Zielerkennung (engl. auto-matic target recognition, ATR) erfolgt. Mit der Messung der Fernziele wird der Tachymeter im Bezugssystem orientiert und die horizontale Nullrichtung des Tachymeter so angepasst, dass der Richtungswinkel der Ab-lesung des Horizontalwinkels entspricht. Aus den Messwerten der Fernziele werden Abweichungen zu deren Sollkoordinaten berechnet, und geben Auskunft über die Güte der Einpassung in das Grundlagennetz. Lie-fert die Messung kein zufriedenstellendes Ergebnis, können bei Bedarf (und sofern vorhanden bzw. sichtbar) weitere Fernziele verwendet werden.

Nach Abschluss der Orientierungsphase wird das Fernrohr automatisch auf die vorgesehenen Deckenpris-men ausgerichtet und erneut mit Hilfe der ATR feinpositioniert. Durch polares Anhängen werden die aktuellen Koordinaten der Deckenprismen bestimmt und mit den Koordinaten der Nullmessung verglichen. Die über ei-ne 2D-Ähnlichkeitstransformation dieser beiden Datensätze ermittelten Transformationsparameter geben Aus-kunft über die temperaturbedingte Translation bzw. Maßstabsänderung des momentan unter Beobachtung stehenden Brückenfeldes. Diese Transformationsparameter werden vor Ort verwendet, um die nachfolgenden Objektpunktkoordinaten den aktuellen Bedingungen anzupassen – es erfolgt also eine Neuberechnung der homologen Objektpunkte, um die physikalische Identität in beiden Epochen sicherzustellen. Diese werden mit aktualisierten Horizontal- und Vertikalwinkelwerten durch das Fernrohr automatisch angefahren und berüh-rungslos gemessen. Abschluss des Messzyklus bildet eine erneute Messung der Fernziele zur Überprüfung der Stabilität des Instrumentenstandpunktes.

6.2 Geodätische Überwachung während der Restnutzungsphase 133

Abbildung 6.8:Ablaufschema der Mess- und Berechnungsprozesse der GEOBASIC-Applikation Freimann (Kößler, 2007)

134 Entwicklung eines Mess- und Auswerteverfahrens zur Brückenüberwachung

Zur Erhöhung der inneren Genauigkeit (vgl. Abschnitt 4.3.4) und Minimierung verkehrslastbedingter Einflüsse wird jeder der ca. 3600 Objektpunkte insgesamt 15-fach (3 Messdurchläufe à 5 Einzelmessungen) gemessen.

Um die durch die Divergenz des Laserstrahls hervorgerufenen Fehlereinflüsse (schleifende Schnitte führen zu einer stärkeren Verformung der Impulsantwort des Messsignals, vgl. hierzu insbesondere Abschnitt 5.1.5) zu minimieren, werden von einem Standpunkt aus vorwiegend Punkte gemessen, deren Einfallswinkel weniger als 70 gon beträgt.

Der Zeitaufwand für die Messung eines Standpunktes mit durchschnittlich 165 Messpunkten beträgt inklusive Konsolenmontage und Instrumentenaufbau etwa 90 Minuten. Für die Abwicklung der gesamten Messepoche mit 22 Standpunkten werden dabei 33 Arbeitsstunden benötigt. Beim simultanen Einsatz von zwei Tachyme-tern kann das Brückenbauwerk somit binnen zwei Arbeitstagen vollständig erfasst werden.

Aus der gemessenen Punktwolke einer Epoche wird ein Höhenmodell berechnet. Liegen Messungen aus zwei Epochen vor, so gibt die Differenz dieser zwei Höhenmodelle Aufschluss über vertikale Veränderungen der Brückendecke. Diese vertikalen Deformationen sind ausschlaggebend für das Auffinden der lokalen Scha-densbilder. Diese Vorgehensweise entspricht daher im weitesten Sinne einem punktbasierten Ansatz (vgl.

Kap. 3.1.1) zur Ableitung von Deformationen.

6.2.4 Brückengeometrie

Bereits nach der Nullmessung liegen zahlreiche Daten vor, die erste Erkenntnisse für das Bauwerk liefern. Ab-bildung 6.9 stellt beispielhaft die Oberflächengeometrie für Feld 11 zum Zeitpunkt der Nullmessung dar. Darin ist zu erkennen, dass sich aufgrund des abschnittsweisen Bauens an der Koppelfuge zwischen zwei Bauab-schnitt eine deutliche Abweichung von bis zu 3 cm gegenüber der Referenzfläche (hier einer ausgleichenden Ebene) einstellt. Aus Sicht der Bauprüfung und -überwachung stellt sich die Frage, ob solche Bereiche potenzi-elle Schwachstpotenzi-ellen verkörpern und mit besonderer Aufmerksamkeit zu überwachen sind.

6.2 Geodätische Überwachung während der Restnutzungsphase 135

Abbildung 6.9:Lokale Betrachtung der Brückengeometrie und Identifikation möglicher Schwachstellen (Feld 11)

Abbildung 6.10:Messrauschen (Standardabweichung) aus 15 Einzelmessungen (Feld 11)

136 Entwicklung eines Mess- und Auswerteverfahrens zur Brückenüberwachung

Ein Indiz hierfür ist zudem Abbildung 6.10 zu entnehmen. Hierin sind die zugehörigen Standardabweichungen (Präzision) der Höhenkomponente aus 15 Einzelmessungen dargestellt, die in weiten Bereichen einen Wert kleiner 0,2 mm erzielen. Die erhöhte Standardabweichung im linken Koppelfugenbereich deutet jedoch darauf hin, dass die links verlaufende Abfahrtsrampe, welche monolithisch mit dem Haupttragwerk verbunden ist, zu einem erhöhten Einfluss der Verkehrslast in Form von Schwingungen und folglich zu einem erhöhten Mess-rauschen führt. Zur Kontrolle dieser Beobachtung wurden an der Koppelfuge Glasmarken angebracht, die bei den Folgeepochen überprüft werden.

Neben solchen lokalen Betrachtungen ist auch eine Auswertung der gesamten Brückentopographie möglich.

So lässt sich die Brückenunterseite beispielsweise als Polynomfläche n-ter Ordnung beschreiben, um aus der genäherten Topographie für beliebige Stand- und Objektpunkte jeweils die zu erwartenden Messentfernungen und vorherrschenden Einfallswinkel zu ermitteln. Diese Kenngrößen sind für eine Beurteilung der Ergebnisse bedeutsam und können zur Korrektur von Streckenabweichung aufgrund der Interaktion zwischen Laserstrahl und Betonoberfläche (vgl. 5.4.3) herangezogen werden.

Die Topographie der Brückenunterseite, bzw. die Höhenverteilung h an den Stellen x und y wird für eine ausreichende Näherung als Polynomfläche 3. Ordnung durch

h=f(x, y) =p00+p10x+p01y+p20x2+p11xy+p02y2+p30x3+p21x2y+p12xy2+p03y3

=

1 x y x2 xy y2 x3 x2y xy2 y3

·pT (6.2)

beschrieben. Die zehn Polynomkoeffizientenp00bisp03 lassen sich aus der Gesamtheit der Objektpunkte im Zuge einer Ausgleichungsrechnung schätzen.

Abbildung 6.11 zeigt diese Abweichungen zwischen dem durch die reflektorlose Messung entstandenen digi-talen Oberflächenmodell und der Näherungsfläche. Diese liegen über das gesamte Bauwerk im Bereich von

±30 mm mit deutlich erkennbaren Extrema, z. B. an Koppelfugen oder Reparaturstellen. Geringere Abwei-chungen wären nur mit Polynomen höherer Ordnung zu erzielen gewesen, welche jedoch nicht praktikabel gewesen wäre – zur Ermittlung der am Objektpunkt~x0auftretenden Einfallswinkel in Längs- und Querrichtung kann diese Approximation mit hinreichender Genauigkeit herangezogen werden. Hierzu sind die partiellen Ableitungen

zu bilden, die dabei die Komponenten für den Gradienten der Flächenfunktion darstellen:

∇f =h

Istf in~x0differenzierbar, erlaubt diese Gradientendarstellung eine Richtungsableitung vonf an der Stelle~x0

eines zu messenden Objektpunktes. Die Richtungsableitung in eine beliebige Richtung~aergibt sich aus dem Skalarprodukt des Gradienten vonf mit dem Einheitsvektor der Richtung zu

∂f

∂~a(~x0) =∇f(~x0)· ~a

|~a|. (6.5)

Daraus lässt sich ein Tangentenvektor anf bei~x0in Richtung~ader Form

6.2 Geodätische Überwachung während der Restnutzungsphase 137

1000 1050

400 450 500 550 600 650 700 750

x [m]

y[m] 1

S¨udteil

Abweichung∆h [mm]

−30 −20 −10 0 10 20 30

1000 1050

700 750 800 850 900 950 1000

x [m]

y[m]

Nordteil

Abweichung∆h [mm]

−30 −20 −10 0 10 20 30

Abbildung 6.11:Darstellung der Topographie der Brückenunterseite als Abweichungen von einer Polynomfläche 3. Ord-nung

138 Entwicklung eines Mess- und Auswerteverfahrens zur Brückenüberwachung

~t= 1

|~a0| ax ay ∇f(~x0)·~aT

(6.6)

erstellen. Für die Anwendung eines richtungsabhängigen Korrekturmodells sind speziell die Horizontalkompo-nenten der Längs- und Querrichtung bezüglich des vom Instrumentenstandpunkt~seinfallenden Laserstrahls

~r=~x0−~sam Objektpunkt~x0von Interesse.

Abbildung 6.12:Aus der Brückengeometrie ermittelte Zielweiten und Einfallswinkel des Messstrahls auf der Betonober-fläche in Blickrichtung sowie quer hierzu (nördlicher Brückenteil)

Für diese Richtungen gilt

mit den zugehörigen Tangentenvektoren entlang der Näherungsfläche

~tl= 1

6.2 Geodätische Überwachung während der Restnutzungsphase 139 Schließlich lassen sich die benötigten Einfallswinkel als Schnittwinkel zwischen einfallendem Laserstrahl~rund den beiden Tangentenvektoren durch

cosγl= ~tl·~r

|t~l| · |~r| und cosγq= t~q·~r

|t~q| · |~r| (6.9) bestimmen. Abbildungen 6.12 und 6.13 stellen neben den Messdistanzen auch die aus 6.9 ermittelten Ein-fallswinkel dar.

Abbildung 6.13:Aus der Brückengeometrie ermittelte Zielweiten und Einfallswinkel des Messstrahls auf der Betonober-fläche in Blickrichtung sowie quer hierzu (südlicher Brückenteil)

140 Entwicklung eines Mess- und Auswerteverfahrens zur Brückenüberwachung