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3. ERGEBNISSE

3.3 Funktion von Meis2 bei der Entwicklung des Tectum opticums

3.3.5 Meis2 induziert im Dienzephalon ein ektopisches Tektum

Die Fehlexpression von Meis2HA im Dienzephalon resultierte 24 h nach Elektroporation in einer Induktion des tektalen Markergens ephrinB1 (Kap. 3.3.4). Dies lässt vermuten, dass Meis2 zumindest einen Teil seiner Funktionen auch im Dienzephalon ausüben kann, obwohl es dort während der Entwicklung des Hühnchens normalerweise nicht exprimiert wird.

Um zu überprüfen, ob die Fehlexpression von Meis2HA auch einen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Dienzephalons nimmt, wurden Hühnchenembryos nach Elektro-poration von Meis2HA ins Dienzephalon auch bis zu älteren Entwicklungsstadien inkubiert. Am embryonalen Tag E 7,5, also 6 Tage nach Transfektion von Meis2HA ins Dienzephalon, war im Bereich des rechten elektroporierten Dienzephalons ein kugel-förmiger Auswuchs des Gewebes zu erkennen (Abb. 18A, A’; n = 5). Dieser war auf der linken, nicht elektroporierten Seite nicht vorhanden (Abb. 18A).

Für eine detailliertere Analyse dieses Gewebes wurden Gefrierschnitte angefertigt, die anschließend mit verschiedenen Markern immunhistochemisch untersucht wurden. Wie diese Experimente zeigten, exprimierten die Zellen der ektopisch gewachsenen Struktur im Dienzephalon Meis2 und Pax7 (Abb. 18C – C’’). Beide Proteine werden normalerweise nicht im Dienzephalon, jedoch im optischen Tektum exprimiert. Dies bestätigten auch immunhistochemische Färbungen unter Verwendung der gleichen Marker auf Schnitten der kontralateralen, nicht elektroporierten Kontrollseite, die für beide Proteine negativ waren (Abb. 18B). Darüber hinaus fiel, die durch die Färbungen deutlich gewordene, laminare Anordnung der Zellen des ektopischen Gewebes auf, die der charakteristischen zellulären Anordnung des normalen optischen Tektums ähnelte. Ein Vergleich der ekto-pischen Struktur mit dem Meis2- und Pax7-gefärbten optischen Tektum des gleichen Hirns, verdeutlichte die histologische Ähnlichkeit der beiden Gewebe (vergleiche Abb.

18C’’, D). Da diese Art der Laminierung und Proteinexpression ein Charakteristikum des Tektums ist, kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem ektopisch entstandenen Gewebe im Dienzephalon um ein sich entwickelndes tektales Gewebe handelt. Obwohl die Schichtung der Meis2- und Pax7-positiven Zellen weitgehend der Anordnung des wildtypischen Tektums entsprach, spiegelte sie nicht exakt den Laminierungsgrad des optischen Tektums wider. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass das ektopische Tektum in der Entwicklung verzögert ist.

Abbildung 18: Fehlexpression von Meis2 im Dienzephalon induziert ektopische tektale Strukturen. (A) Vom umgebenden mesenchymalen Gewebe isoliertes Gehirn 6 Tage nach Elektroporation von Meis2HA ins Dienzephalon. Die gestrichelten Linien zeigen die jeweiligen Schnittebenen der Gefrierschnitte in (B – F). (A’) Ein vergrößerter Ausschnitt des umrandeten Bereiches in A zeigt die ektopische Struktur. (B) Gefrierschnitt von der in A gekennzeichneten linken, nicht elektroporierten Seite gefärbt mit Antikörpern gegen Meis2 und Pax7. (C – C’’) Antikörperfärbung von Meis2 (C) und Pax7 (C’) auf einem Schnitt durch den in A gekennzeichneten Bereich. (C’’) Überlagerung von C und C’. (D) Antikörperfärbung gegen Meis2 und Pax7 auf einem in A gekennzeichneten Schnitt durch das optische Tektum. (E) Antikörperfärbung von Meis2 und Pax6 auf einem Schnitt im Bereich der ektopischen Struktur. (E’) Vergrößerter Ausschnitt vom in E umrandeten Bereich. (F) Antikörperfärbung gegen den HA-Anteil von Meis2HA im Bereich der ektopischen Struktur. Exp:

experimentelle Seite; Di: Dienzephalon; Mes: Mesenzephalon. Maßstab A: 1 mm; B – E: 100 µm.

Die Fehlexpression von Meis2HA im Dienzephalon kann also die Entwicklung eines ektopischen Tektums induzieren. Das bedeutet zunächst, dass ein ursprünglich dienze-phalisch prädestiniertes Gewebe durch die Expression von Meis2HA einen mesenzepha-lischen Charakter erlangt. Einen Hinweis auf eine Veränderung des dienzephamesenzepha-lischen Schicksals lieferten weitere immunhistochemische Färbungen unter Verwendung eines Antikörpers gegen Pax6, einem Transkriptionsfaktor, dessen Expression charakteristisch

für das Dienzephalon ist. Obgleich das ektopische Gewebe direkt im Dienzephalon lokalisiert war, konnte hier keine Pax6-Expression nachgewiesen werden. Das Gewebe war hingegen, wie zuvor schon beobachtet, positiv für Meis2 (Abb. 18E, E’). Pax6-immunreaktive Zellen waren nur im zum ektopischen Tektum angrenzenden Gewebe vorzufinden (Abb. 18E). Darüber hinaus fand sich im Bereich der Pax6-positiven, dienze-phalischen Domäne, eine weitere Domäne von Meis2-positiven Zellen. Die Zellen, die Meis2 exprimierten wiesen jedoch kein Pax6 auf (Abb. 18E’). Die Pax6-Expression fehlte also komplett im Bereich des ektopischen Gewebes. Neben der Expression tektaler Marker, ist dies ein klarer Hinweis dafür, dass es sich hierbei nicht um dienzephalisches Gewebe handelt. Außerdem scheint Pax6 in diesem Fall nicht in Meis2-positiven Zellen exprimiert zu werden. Diese Befunde unterstützen die Annahme, dass Meis2 entweder direkt oder indirekt zu einer Unterdrückung des dienzephalischen Schicksals geführt hat und so mesenzephalischen Charakter fördern konnte.

Wie oben bereits erwähnt, waren im ektopischen Tektum viele, meist in bestimmten Laminae angeordnete Zellen, immunreaktiv für Meis2. Dies warf die Frage auf, ob es sich hierbei um das ektopisch eingebrachte Meis2HA oder endogen exprimiertes Meis2 handelte. Um dies zu überprüfen, wurden an Schnitten des ektopischen Tektums immun-histochemische Färbungen zum Nachweis des HA-Anteils von Meis2HA durchgeführt.

Hier zeigten sich nur wenige vereinzelte HA-positive Zellen im Gewebe (Abb. 18F). Im Großteil der in Abbildung 18C gezeigten Meis2-positiven Zellen muss Meis2 demnach endogen exprimiert werden. Dies legt die Vermutung nahe, dass Meis2HA direkt oder indirekt seine eigene Expression induziert.

In Abbildung 19 ist ein ektopisches Tektum 11,5 Tage nach Fehlexpression von Meis2HA im Dienzephalon dargestellt (Abb. 19A – B; n = 5). Immunhistochemische Färbungen von Meis2 und Pax7 auf Gefrierschnitten zeigten auch hier die Expression der tektalen Proteine und eine klar laminare Organisation der Zellen des ektopischen Gewebes. Die Laminierung schien im Vergleich zum ektopischen Tektum in E 7,5 Tage alten Embryos weiter entwickelt zu sein, wie anhand von zusätzlichen und differenzierteren Schichten zu erken-nen war. Die Laminierung glich weitgehend der zellulären Organisation des wildtypischen Tektums der entsprechenden Entwicklungsstufe (Abb. 19B, C).

Abbildung 19: Ektopische tektale Strukturen 11,5 Tage nach Fehlexpression von Meis2HA im Dienze-phalon. (A) Vom umgebenden mesenchymalen Gewebe isoliertes Gehirn 11,5 Tage nach Fehlexpression von Meis2HA im Dienzephalon. (A’) Vergrößerung des in (A) umrandeten Bereichs der ektopischen Struktur im Dienzephalon. (B, C) Immunfärbung von Meis2 und Pax7 auf Gefrierschnitten durch den in A’ gekenn-zeichneten Bereich (B) und des wildtypischen Tektums im entsprechenden Entwicklungsstadium (C). Di:

Dienzephalon; WT: Wildtyp. Maßstab: A: 1 mm; B, C: 200 µm.

Die hier beschriebenen Versuche zeigten, dass die Fehlexpression von Meis2HA im Dienzephalon die Entstehung eines ektopischen Tektums induzieren kann. Es kam zur Entwicklung tektumspezifischer Strukturen und zur Expression tektaler Markerproteine.

Einhergehend mit der Entstehung des ektopischen Tektums kam es durch die Expression von Meis2HA zu einer Schicksalsänderung des dienzephalischen Gewebes, wie zusätzlich durch das Fehlen eines dienzephalischen Markers im ektopischen Gewebe gezeigt werden konnte.