• Keine Ergebnisse gefunden

Meis2-Expression kennzeichnet die Anlage des optischen Tektums

4. DISKUSSION

4.1 Meis2-Expression kennzeichnet die Anlage des optischen Tektums

Meis2-Expression beginnt im Mittelhirn des Hühnchens im HH Stadium 11 (Agoston, Diplomarbeit 2005). Somit beginnt die Meis2-Expression parallel zur Ausbildung der fünf sekundären Vesikel und kennzeichnet den dritten Vesikel, das Mesenzephalon. Die Ex-pressionsanalyse von Meis2 mittels in situ Hybridisierungen an ganzen Embryos zeigte, dass die Meis2-Expression in diesem Bereich des anterioren Neuralrohrs von Beginn an stark und spezifisch auf den mesenzephalischen Vesikel beschränkt war. Die Expression von Meis2 ist also, zumindest zu Anfang, nicht dynamisch, sondern bildet bereits zu Beginn seiner Expression strikte Grenzen zu den morphologisch bereits abgrenzten, benachbarten Vesikeln aus - posterior zum Metenzephalon und anterior zum Dienzephalon (Abb. 9A). Die strikt begrenzte Meis2-Domäne im Mesenzephalon wird auch im Laufe der weiteren Entwicklung des Embryos beibehalten. Am Embryonaltag E 2,5 war weiterhin eine klare Abgrenzung der Meis2-Expression im Mittelhirn gegenüber benachbarten Re-gionen zu sehen (Abb. 9B). In situ Hybridisierungen auf koronalen Vibratomschnitten des Mittelhirns in unterschiedlichen Entwicklungsstadien zeigten, dass Meis2-Expression HH 15 und HH 19 nahezu ausschließlich auf den dorsalen Bereich des Mittelhirns, also auf die mesenzephalischen Alarplatten, beschränkt war. Ein ähnliches Expressionsmuster war auch im entsprechenden Entwicklungsstadium der Maus zu finden (Abb. 9G). Die starke Meis2-Expression in den mesenzephalischen Alarplatten, ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass Meis2 eine spezifische Rolle bei der Entwicklung des optischen Tektums einnimmt,

da das optische Tektum aus den Alarplatten des Mittelhirns entsteht (siehe Abb. 2).

Auffällig ist auch, dass die Meis2-Expression in der Maus, verglichen mit der Expression im Hühnchen, eine flächenmäßig kleinere Domäne kennzeichnet. Dies steht im Einklang mit der Tatsache, dass das Tektum im Hühnchen wesentlich größer ist als in der Maus.

Das hier beschriebene Expressionsmuster von Meis2 steht im Gegensatz zu allen anderen bislang beschriebenen Faktoren der Mittel-Hinterhirn-Entwicklung. Wie in der Einleitung ausführlich erläutert, werden die Transkriptionsfaktoren Pax2/3/5/7/8, En1/2 und die sezernierten Moleküle Wnt1 und Fgf8 zunächst in weitläufigen Domänen im Neuralrohr exprimiert und werden im Laufe der weiteren Entwicklung auf die MHR beschränkt (siehe Abb. 4). Selbst nachdem die jeweiligen Expressionsdomänen stabilisiert wurden, werden diese Genprodukte sowohl im Mittelhirn als auch im Hinterhirn exprimiert. Die Ausnahme bilden Wnt1, welches nur in einem transversalen Ring anterior des MHO und einen schmalen Streifen in der Dachplatte exprimiert wird und Fgf8, welches in einem Ring posterior der isthmischen Einschnürung exprimiert wird (Kapitel 1.3.2).

Somit hebt sich die Expression von Meis2 schon zu Beginn an in zweifacher Hinsicht von anderen bekannten Markern und Regulatoren der Mittelhirnentwicklung ab. Sie ist nicht dynamisch und kennzeichnet von Anfang an und ausschließlich den dorsalen mesenze-phalischen Vesikel. Der Befund, dass Meis2-Expression auch in älteren Stadien, beispiels-weise während der Differenzierung der tektumspezifischen Laminierung und später in bestimmten Laminae aufrechterhalten bleibt, spricht dafür, dass Meis2 auch zu späteren Zeitpunkten der Tektumentwicklung eine Funktion ausübt.

Untersuchungen zur Regulation der Meis2-Expression im Mittelhirn gaben Aufschluss über die mögliche Entstehung dieses spezifischen Expressionsmusters. Es zeigte sich, dass Meis2 einer negativen Regulation durch das sezernierte Molekül Fgf8, den Transkriptions-faktor Pax6 und das sezernierte Molekül Shh unterliegt (Abb. 10). Dabei erfolgt die Unterdrückung von Meis2-Expression durch Fgf8 vermutlich über das Ras-Protein, einer Komponente der Fgf8 vermittelten Signalkaskade (Vennemann et al., 2008). Fgf8 wird posterior der isthmischen Einschnürung exprimiert, Shh wird von Zellen der Basalplatte sezerniert, und Pax6 ist in den Zellen des Dienzephalons vorhanden (Wurst und Bally-Cuif, 2001). Es ist also anzunehmen, dass diese negativen Regulatoren eine Expansion der Expression in das benachbarte Gewebe verhindern und somit das spezifische Meis2-Muster im Mittelhirn entstehen lassen (Abb. 39). Ob Meis2 durch diese Faktoren direkt oder indirekt reguliert wird, geht aus diesen Versuchen nicht hervor. Die Unterdrückung

von Meis2 nach Fehlexpression einer dieser Faktoren könnte auch als Folge einer Trans-differenzierung, also einer Schicksalsänderung des dorsalen mesenzephalischen Gewebes, gedeutet werden. Denn all die hier im Mittelhirn fehlexprimierten Moleküle können auch das Zellschicksal der Bereiche festlegen, in welchen sie normalerweise exprimiert werden (Wurst und Bally-Cuif, 2001). Aber auch dies würde dafür sprechen, dass Meis2 ausschließlich Zellen des dorsalen Mittelhirns kennzeichnet, seine Expression während der normalen Entwicklung in anderen Geweben verhindert wird, und die Expression als Folge eines Verlustes von mesenzephalischem Zellschicksal verloren geht.

Abbildung 39: Schematische Darstel-lung der Regulation der Meis2-Expres-sion im Mittelhirn. Eine negative Regu-lation durch Fgf8, Shh und Pax6 verhindert die Expansion der Meis2- Expression in benachbarte Regionen bzw.

in die Basalplatten und formt so die spezifische Expressionsdomäne in den dorsalen Alarplatten des Mittelhirns.

Die Frage nach der Induktion von Meis2-Expression im Mittelhirn wurde im Rahmen dieser Arbeit nicht untersucht. Im Rahmen einer Diplomarbeit im Labor von Frau Dr. D.

Schulte, wurde die Rolle von BMPs bei der Regionalisierung des dorsalen Mittelhirns im Detail analysiert. Hierbei zeigte sich, dass BMPs keinen Einfluss auf die Expression von Meis2 im Mittelhirn haben (Bobak et al., Neuroscience Letters, in Revision).

Neueste Untersuchungen zeigen die Anwesenheit eines neuartigen, Retinsäure-syntheti-sierenden Enzyms im zum mesenzephalischen Vesikel angrenzenden Ektoderm und später in der Entwicklung in einem schmalen Ring in der MHR (Chambers et al., 2007). Der Zeitpunkt der Expression dieses Enzyms steht mit dem Zeitpunkt der Meis2-Induktion im Einklang. Die Induktion von Meis2 durch Retinsäure konnte bereits in mehreren Systemen gezeigt werden. Retinsäure induziert in vitro in P19 embryonalen Karzinomazellen aus der Maus und in den Gliedmaßenknospen von Hühnchen die Expression von Meis2 (Oulad-Abdelghani et al., 1997; Mercader et al., 2000; Mercader et al., 2005). Des Weiteren wurde auch in humanen embryonalen Karzinomazellen eine durch Retinsäure bedingte Induktion von Meis2 gefunden (Freemantle et al., 2002). Außerdem konnte auch im Vorderhirn des Hühnchens eine durch Retinsäure vermittelte Induktion von Meis2 gezeigt werden (Marklund et al., 2004). Somit ist Retinsäure ein Kandidat für die Induktion von Meis2 im

Mittelhirn. Ein Verlust von RADHL2 und RADHL3, zwei Retinsäure-synthetisierenden Enzymen, hatte jedoch keinen Einfluss auf die Expression von Meis2 im Vorderhirn der Maus (Molotkova et al., 2007). Da die Retinsäure-Synthese im Mittelhirn, wie von Chambers und Kollegen (2007) vorgeschlagen, jedoch auch über einen anderen enzy-matischen Mechanismus laufen könnte, wären hier Untersuchungen mit einem Inhibitor von Retinsäurerezeptoren, beispielsweise BMS 453, eventuell aufschlussreich (Marklund et al., 2004).