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Empirische Analyse

6.2 Marktstruktur und Preisentwicklung

In den vorherigen Abschnitten wurden bestimmte Entwicklungen bzw. Trends, die an den Agrarrohstoffterminmärkten in den vergangenen 30 Jahren beobachtet werden konn-ten, bereits verbal beschrieben. Bevor in den folgenden beiden Kapiteln empirische Un-tersuchungen zur Wirkung des spekulativen Terminhandels auf Preisentwicklungen bzw.

Preisschwankungen an exakt diesen Märkten dargestellt werden, sollen die genannten Trends auf Basis der verwendeten Daten veranschaulicht und erste Erkenntnisse gewon-nen werden.

Abbildung 6.1 zeigt für einen Zeitraum von 1996 bis Ende 2017 die Entwicklung der Marktanteile der drei Anlegergruppen Finanzinvestoren (SP OI), Hedger bzw. in den Produktionsprozess involvierte Unternehmen (COI) sowie Kleinanleger (Sonstige) – jeweils gemessen am Anteil des oben definierten Open Interests der drei Gruppen am Zweifachen des gesamten Open Interests. Betrachtet werden hierbei die sechs in die empirischen Untersuchungen einbezogenen Agrarrohstoffe.

Abbildung 6.1: Marktanteile der drei Händlergruppen gemessen am Open Interest

Die Abbildung zeigt die monatlichen Anteile der Open Interests von Spekulanten/Finanzinvestoren (SPOI, blau), Hedgern (COI, rot) und Kleinanlegern (Sonstige, grau) entsprechend der Variablen-definitionen der CFTC am gesamten Open Interest für den Untersuchungszeitraum 01.01.1996-31.12.2017.

Es ergibt sich folgendes Bild: Finanzinvestoren bzw. institutionelle Anleger scheinen zu-nehmend die Kleinanleger aus dem Markt zu verdrängen, während der Anteil der Hed-ger trotz gelegentlicher Schwankungen im Zeitablauf in der Regel weitgehend konstant bleibt bzw. wieder auf das ursprüngliche Niveau absinkt (Weichweizen). Diese Entwick-lung muss jedoch nicht zwingend bedeuten, dass mehr Spekulanten am Markt aktiv sind. Letztlich ergeben sich die Meldepflichten der CFTC aus bestimmten Größenkrite-rien. Demnach ist auch eine reine Defragmentierung bzw. Konsolidierung des Marktes denkbar, d.h. aus vielen Kleinanlegern werden entsprechend größere Akteure, die aber per Saldo einen vergleichbaren Marktanteil aufweisen.

Zum Stand 31.12.2017 sind die Marktanteile von Hedgern und Spekulanten an den Märkten für Hartweizen, Mais und Hafer auf einem Niveau, für Sojabohnen und Zucker dominieren weiterhin die Hedger den Markt, wenngleich auch hier die Marktanteile des SP OI zunehmen. Lediglich am Terminmarkt für Weichweizen sind Spekulanten seit 2013 die größte Händlergruppe. Rein aus der Betrachtung der Marktanteilsentwicklung zeigt sich also, dass weiterhin eine zunehmendeFinanzialisierung der Agrarrohstoffter-minmärkte stattzufinden scheint. Der Beginn kann auf Basis der betrachteten Messgröße Marktanteil (nach Open Interest) jedoch nicht auf das Jahr 2000 datiert werden. Hierfür müssten ggf. die Kapitalflüsse in die Agrarrohstoffterminmärkte herangezogen werden (vgl. bspw. Irwin et al. (2009)).

Neben diesem allgemeinen Trend eines sinkenden Anteils an Kleinanlegern kann eine ausgeprägte Volatilität der Marktanteile der Händlergruppen auf allen Märkten konsta-tiert werden. Diese Volatilität der Marktanteile nimmt vor allem auf den Terminmärkten für Hartweizen, Weichweizen und Mais im Betrachtungszeitraum deutlich zu. Die über vier Jahre geschätzte wöchentliche Standardabweichung des Marktanteils der Spekulan-ten steigt für Hartweizen von 2,6% (1996-1999) auf 6,7% (2014-2017), für Weichweizen von 3,5% auf 5,9% und für Mais von 1,1% auf 4,0%. Diese Märkte verzeichnen be-sonders hohe Anstiege des spekulativen Open Interests im Vergleich zu den Positionen der anderen Marktteilnehmer, sodass eine Folge derFinanzialisierung sein könnte, dass die Marktteilnehmer ihre Positionen schneller an Preisentwicklungen anpassen. Diese Beobachtung gilt gleichermaßen auch für die Hedger, d.h. auch unter den Landwirten und weiterverarbeitenden Unternehmen könnte das Spekulationsmotiv in ihrem Han-delsverhalten am Terminmarkt ein größeres Gewicht erhalten. Umgekehrt wird häufig argumentiert, dass dieFinanzialisierung zu weniger fluktuierenden Marktanteilen führen müsste: Der Einsatz von Futureskontrakten zu Diversifikationszwecken und die Zunahme des Handels über Fonds könnten zu einer insgesamten Verstetigung des Anlageverhal-tens geführt haben (bspw. durch festgelegte Roll-over-Strategien), sodass die von ande-ren Marktteilnehmern ausgelösten Schwankungen der Marktanteile abgemildert werden

könnten (vgl. Stoll und Whaley (2015)). Dieser Argumentation widerspricht jedoch, dass die Fluktuationen insbesondere in den letzten drei bis fünf Jahren wieder zunehmen.

In diesem Abschnitt soll zudem die Entwicklung der Rohstoffterminpreise und des Marktvolumens gezeigt werden, insb. um zu illustrieren, dass Futuresmärkte immer mehr an Bedeutung gewinnen, was (bei konstanten Marktanteilen) auch impliziert, dass auch Hedger zunehmend von den Absicherungs- und Spekulationsmöglichkeiten Gebrauch machen.

In Abbildung 6.2 ist die zeitliche Entwicklung des gesamten Open Interests (rot) so-wie der nominalen Settlement-Preise (blau) der sechs Märkte dargestellt.13 Während die Futurespreise von 2000 bis 2006 mit Ausnahme weniger Ausschläge weitgehend kon-stant blieben, ist danach ein sprunghafter Anstieg bis Anfang/Mitte 2008 zu beobach-ten. Bspw. verzeichneten Hartweizen und Weichweizen Preissteigerungen von 204% bzw.

265% binnen 25 Monaten. Für Mais liegt der Anstieg bei 253% bis Mitte 2008. Im Ver-gleich dazu verhält sich der Markt für Rohzuckerfutures asynchron. Ein erster signifikan-ter Preisanstieg erfolgte bereits vor 2006, jedoch war der Preis zuvor auf ein historisches Tief gefallen. Erst ab 2009 zeigt sich ein vergleichbarer Preissprung wie auf den anderen Märkten. Charakteristisch für alle Märkte ist ein ebenso rasanter Preisverfall unmit-telbar im Anschluss an die beschriebene Preis-Rallye, der nahezu das Ausgangsniveau wiederherstellt. In der Folgezeit sind die Futurespreise erneut deutlich gestiegen und erreichen teilweise sogar höhere Werte als 2008. Insgesamt scheint sich also seit 2006 die Volatilität der Futurespreise auf den vier Märkten erhöht zu haben. In den Jahren nach 2012 ist der Trend wieder negativ, d.h. die Futurespreise sind stark rückläufig, sodass der (nominale) Settlement-Preis wieder auf dem Niveau unmittelbar vor der Finanzkrise 2007/2008 liegt. Unter Berücksichtigung der (wenn auch niedrigen) Inflationsrate kann also kein realer Preisanstieg konstatiert werden.

Der starke Preisverfall ab Ende 2008 kann zeitlich direkt mit einem Nachfragerück-gang während der Finanz- und Wirtschaftskrise in Verbindung gebracht werden: Da die Banken in diesem Zeitraum spürbar weniger Kredite vergaben und gleichzeitig institu-tionelle Anleger Kursverluste verzeichneten, sank die Liquidität vieler Händler, sodass weniger Futureskontrakte eingegangen werden konnten – obwohl bei Futures nur die verhältnismäßig geringe Initial Margin zu leisten ist.

Demgegenüber ist die Ursache für die zeitweisen Preisanstiege unklar. Anhand von Ab-bildung 6.2 lässt sich jedoch feststellen, dass starken Preisänderungen in den letzten Jahren regelmäßig gleichgerichtete Veränderungen des gesamten Open Interests

vor-13Die Entwicklung der Kassapreise ist nahezu identisch, sodass diese aus Übersichtlichkeitsgründen nicht abgebildet sind.

ausgehen, während in den letzten drei bis vier Jahren des Untersuchungszeitraums kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Preisveränderungen und Open Interest beobachtet werden kann. Zusammen mit den bis 2011 bereits deutlich angestiegenen Marktantei-len der Spekulanten erklärt dies die Entstehung der sogenannten Masters-Hypothese, dass eine entsprechende Kausalbeziehung zwischen Spekulation und der Destabilisierung der Futurespreise besteht. Berücksichtigt werden muss auch, dass zusätzliche finanzielle Mittel, die in die Futuresmärkte fließen, nicht unmittelbar zu tatsächlicher Nachfrage nach dem realen Basiswert führen, da erstens stets die gleiche Anzahl von Long- und Short-Positionen – inklusive der damit implizierten gegensätzlichen Preiserwartungen – eingegangen werden muss und zweitens ein Großteil der Verträge nicht durch physische Lieferung erfüllt wird.

Außerdem kommen auch exogene bzw. makroökonomische Faktoren in Betracht: Durch das Wachstum der Weltbevölkerung steigt die Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln wie Weizen, Mais oder Zucker. Gleichzeitig lag das Wachstum des weltweiten Brut-toinlandsprodukts pro Kopf zwischen 2004 und 2007 mit durchschnittlich 2,75% ex-akt einen Prozentpunkt über dem 50-jährigen Durchschnitt. Der rasante Aufstieg von Entwicklungs- und Schwellenländern könnte also den Nachfragedruck zusätzlich erhöht haben. Zudem wird ein Teil des Agrarrohstoffangebots in den letzten Jahren für die Produktion von Bioethanol verwendet, u.a. auch Weizen, Zucker und Mais. Unter der Annahme, dass ein Ausbau der landwirtschaftlichen Produktion aufgrund begrenzter Anbauflächen nicht in gleichem Tempo wie das Nachfragewachstum erfolgen kann, ent-steht letztlich ein simpler Nachfrageüberhang, der als potentieller Einflussfaktor für den Preisanstieg infrage kommt. Für diese Argumentation spricht tendenziell auch der Wie-deranstieg der Futurespreise nach 2010. Insgesamt sind offenbar mindestens zwei Effekte am Werk: Einerseits führen klassische Angebots- und Nachfrageargumente hinsichtlich des zugrundeliegenden Agrarrohstoffes zu der Vermutung, dass Futures- und Kassaprei-se einem Aufwärtsdruck ausgeKassaprei-setzt sind. AndererKassaprei-seits kann dadurch nur der (vorüber-gehende) Aufwärtstrend, aber weniger die Achterbahnfahrt der Preise in der jüngeren Vergangenheit erklärt werden. Nicht erklärt werden können auf Basis dieser Argumente die beobachteten rückläufigen Kassapreise am Ende des Untersuchungszeitraums.

Um exakt diese dargestellten Verläufe von Futurespreisen, Open Interest und Markt-anteilen miteinander in Verbindung bringen zu können und übergreifende Erklärungs-ansätze ableiten zu können, setzt die weitere Analyse sowohl den Schwerpunkt auf die Entwicklung der Futuresrenditen als auch auf deren Volatilität.

Abbildung 6.2: Entwicklung von Settlement-Preisen und Open Interests

Die Abbildung zeigt die Entwicklung des Settlement-Preises des Futures mit der kürzesten Restlauf-zeit (blau) in US-Ct/Bushel (beide Weizensorten, Mais, Hafer, Sojabohnen) bzw. US-Ct/Pfund (Zu-cker) sowie des gesamten Open Interests (rot) im Untersuchungszeitraum 01.01.2000-31.12.2017

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Futuresrenditen und Spekulativer