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Das Modell

4.1.1 Annahmen und Struktur des Modells

Die vorgestellten Forschungsfragen (1) bis (4) sollen nun anhand eines theoretischen Gleichgewichtsmodells untersucht und beantwortet werden. Ziel ist es, einen Modellrah-men zu finden, der alle Größen, die im Produktionsprozess eines Agrarrohstoffes oder auf dem Agrarrohstoffmarkt von Bedeutung sind, erfasst, sodass die ökonomischen Auswir-kungen des spekulativen Terminhandels durch Finanzinvestoren sichtbar werden. Dieser Modellrahmen wird im folgenden beschrieben und erläutert.

Betrachtet wird ein Markt für ein landwirtschaftliches Gut, bspw. Weizen, Mais oder Sojabohnen. Dieser Markt sei durch vollkommenen Wettbewerb gekennzeichnet, d.h.

alle Marktteilnehmer sind Preisnehmer, es gibt keine Transaktionskosten oder Steu-ern und es existieren keine Informationsasymmetrien. Im Gegensatz zu bspw. Branger et al. (2016) wird kein weiteres Gut in die Analyse einbezogen. Das betrachtete Mo-dell gehört zur Klasse der PartialmoMo-delle, d.h. es werden keine Faktormärkte für den Produktionsprozess einbezogen und die Konsumentscheidung der Konsumenten (sowie deren Einkommenserzielung) ist exogen gegeben.

Analog zu Hirshleifer (1988) werden drei Akteure unterschieden: (1) Der Landwirt, im folgenden stets als Produzent bezeichnet: Der Produzent produziert den Agrarrohstoff durch Bewirtschaftung der ihm zur Verfügung stehenden (unbegrenzten) Ackerflächen.

(2) Das weiterverarbeitende Unternehmen mit exklusivem Zugang zum Endverbraucher-markt: Es kauft das Rohprodukt als Inputfaktor für seinen Weiterverarbeitungsprozess und setzt das Endprodukt dann am Endverbrauchermarkt ab. Nachfolgend wird

verein-fachend von einem Händler gesprochen. (3) Der Finanzinvestor: Dieser hält ein Portfolio riskanter Wertpapiere und investiert ebenfalls in Agrarrohstofffutures. Sein Hauptcha-rakteristikum ist, dass er mit Agrarrohstoffen (am Terminmarkt) handelt, aber weder in die Produktion noch in die Weiterverarbeitung bzw. den Absatz des Gutes involviert ist.

Alle Akteure werden als repräsentative Individuen modelliert, d.h. ihr Handeln ist re-präsentativ für das Handeln sehr vieler Akteure. Huang und Litzenberger (1988) zeigen, dass diese Vorgehensweise konsistent mit der Modellierung einer großen AnzahlnP Pro-duzenten, nH Händlern und nI Finanzinvestoren ist. Zusätzlich sei angenommen, dass alle Akteure homogene Erwartungen haben und folglich die Momente der Verteilungen zukünftiger Preise und Mengen identisch einschätzen.

Die zeitliche Struktur des Modells sowie die zeitliche Abfolge der Entscheidungen der Akteure und des Güteraustausches werden in Abbildung 4.1 schematisch dargestellt.

Betrachtet wird ein Erntejahr, d.h. es gibt zwei Zeitpunkte: t= 0 charakterisiert den Anbauzeitraum des Rohstoffes, t= 1 bezeichnet den Erntezeitraum mit unmittelbar folgender Weiterverarbeitung und dem Absatz des Gutes. Der Handel des Rohstoffes erfolgt entweder zum Zeitpunktt= 0 am Terminmarkt oder int= 1 am Kassamarkt. Da das landwirtschaftliche Erzeugnis erst in t= 1 geerntet wird, kann zum Zeitpunkt t= 0 kein physischer Handel des Agrarrohstoffes stattfinden. Somit öffnet der Kassamarkt erst int= 1. Das nach der Weiterverarbeitung resultierende Endprodukt kann dann am Endverbrauchermarkt abgesetzt werden.

Abbildung 4.1: Zeitliche Struktur des Modells

Die Graphik veranschaulicht die unterstellte Marktstruktur des Modells sowie die zeitliche Abfolge der Entscheidungen von Produzent und Händler zu den Zeitpunkten t= 0 und t= 1. Zusätzlich werden die Märkte, an denen in den jeweiligen Zeitpunkten gehandelt werden kann, sowie die resultierenden Marktpreise dargestellt. Die gestrichelte Linie zeigt, dass der Finanzinvestor im Basismodell nicht am Handel teilnimmt (sondern erst in Kapitel 4.3). Die gepunkteten Linien sowie die graue Einfärbung verdeutlichen die Exogenität des Endverbrauchermarkts.

Im Anbauzeitraum, t= 0, entscheidet der Produzent über seine optimale Anbaumenge des Rohstoffesx. Aufgrund der Wachstumsphase der Saat besteht für den Produzenten Unsicherheit über die letztlich realisierte Erntemengeq. Es wird angenommen, dass exo-gene Faktoren wie die klimatischen Bedingungen oder potenzielle Naturkatastrophen auf das Wachstum der Saat einwirken. Dieses Mengenrisiko wird durch eine normalverteilte Zufallsvariable εe abgebildet. Die Einbeziehung des Mengenrisikos erscheint besonders im Fall der Agrarrohstoffproduktion von Bedeutung, jedoch wird die Modellierung in der Fachliteratur unterschiedlich gehandhabt. Hierbei lassen sich drei unterschiedliche Ansätze erkennen:

(1) Frühe modelltheoretische Arbeiten wie Feder et al. (1980) beziehen nur das Preis-risiko ein und unterstellen gleichzeitig eine deterministische Produktionsfunktion.

(2) Die überwiegende Mehrzahl der Arbeiten unterstellen hingegen eine exogene sto-chastische Produktionsmenge, d.h. der Produzent kann die Produktionsmenge nicht durch seine Anbauentscheidung beeinflussen (vgl. Ekeland et al. (2017) oder Marcus und Modest (1984)).

(3) Die Verknüpfung von endogener Produktionsentscheidung und stochastischen Schocks nehmen bspw. Turnovsky (1983) oder Newbery (1987) vor, indem sie das Mengenrisiko additiv berücksichtigen. Der realisierte Output ist folglich eine Funktion der angebauten Menge plus einer in absoluten Mengeneinheiten gemes-sene Wetterkorrektur.

Durch diese Vorgehensweise wird allerdings vernachlässigt, dass der Wettereinfluss bzw.

das Ausmaß einer Erntereduktion abhängig von der angebauten Menge bzw. der An-baufläche ist. Der funktionale Zusammenhang zwischen der Anbaumenge x und der Erntemenge qe wird deshalb in Anlehnung an Scheinkman und Schechtman (1983) mo-delliert und ist gegeben durch:

qe=x·(1 +εe) (4.1)

mit

εeN(0, σε). (4.2)

N(·) bezeichnet hierbei die Normalverteilung. Der Term (1 +εe) kann dann als Wachs-tumsfaktor der ausgesäten Menge interpretiert werden, wobeiεesowohl positive als auch negative Werte annehmen kann. Die geplante Menge x entspricht somit der erwarte-ten Produktionsmenge. Folglich werden Wettereinflüsse nicht — wie in der statistischen Praxis üblich — als negative Abweichung der geernteten Ackerflächen von der ange-bauten Fläche gemessen (vgl. bspw. NASS (2019)), sondern als positive oder negative Abweichung von der erwarteten Erntemenge, E[qe] =x.

An dieser Stelle ist anzumerken, dass durch die technische Annahme der Normalvertei-lung auch negative Mengen resultieren können, was entscheidungstheoretisch nicht un-problematisch ist. Aufgrund der Vorteile der Normalverteilung in der mathematischen Handhabbarkeit wird trotzdem auf diese Verteilung zurückgegriffen. Szenarien negati-ver Mengen (oder Preise) werden im Rahmen dieser Arbeit nicht analysiert. In Kapitel 4.4.1 wird jedoch die Parameterisierung und deren Implikationen für die Verteilung der Zufallsvariablen eingehend diskutiert, um abschätzen zu können, wie relevant diese Fälle sind.

Aufgrund der beschriebenen Mengenunsicherheit und des typischen funktionalen Zu-sammenhangs zwischen Preis- und Mengenentwicklungen für normale Güter ist der zu-künftige Kassapreis pP(qe), der sich nach Öffnung des Kassamarktes in t= 1 einstellt, ebenfalls unsicher. Da der Produzent risikoavers ist, wird er deshalb in Erwägung zie-hen, bereits in t= 0 einen Teil seiner Erntemenge auf Termin zu verkaufen. Ebenso wird der Händler bereits zu diesem Zeitpunkt einen Teil seines Produktionsinputs auf Termin beschaffen. Somit trifft am Terminmarkt das Angebot hP des Produzenten auf die Nachfrage hH des Händlers und es ergibt sich ein gleichgewichtiger Terminpreisf. In Kapitel 4.3 handelt zudem der Finanzinvestor im UmfanghI mit Terminkontrakten, sodass sich dann ein (vermutlich abweichender) Gleichgewichtspreis von f∗∗ ergibt.2 Nach Realisation der Ernte int= 1 wird der Produzent die geerntete Mengeqam Kassa-markt anbieten. Der Händler wird entsprechend die MengeqH nachfragen, sodass letzt-lich zum gleichgewichtigen KassapreispP gehandelt wird. Es wird angenommen, dass die Outputmenge vollständig verkauft wird, d.h. der Produzent hat keine Möglichkeit der Lagerung oder anderweitigen Verwertung (bspw. die Produktion von Bio-Kraftstoffen).

Unmittelbar nach dem Kassageschäft verarbeitet der Händler den Rohstoff zum End-produkt weiter und verkauft dieses an die Konsumenten.

Die Nachfrageentscheidung der Konsumenten auf dem Endverbrauchermarkt ist exogen und wird durch die inverse lineare Nachfragekurve

pH(qeH) =ab·qeH (4.3) repräsentiert. Die Parametera(Achsenabschnitt) undb(Steigung) determinieren hierbei die Preiselastizität der Nachfrage. Die funktionale Gestalt der Nachfragekurve sowie die Parameterwerte füra und b sind unabhängig vom Handel am Kassa- und Terminmarkt

2Es wird in diesem Modell nicht näher spezifiziert, ob es sich bei den gehandelten Terminkontrakten um Forwards oder Futures handelt. Im betrachteten Zwei-Zeitpunkte-Kontext ist kein Handel zwischen t= 0 undt= 1 möglich, sodass auch kein Daily Settlement stattfindet. Somit sind Forwards und Futures äquivalent und die entsprechenden Terminpreise identisch.

für den Rohstoff und werden auch nicht von den realisierten Gewinnen der anderen Marktteilnehmer beeinflusst. Die nachgefragte Menge qH des Endprodukts entspricht der vom Händler nachgefragten Menge des Rohstoffes. Da keine Möglichkeit der La-gerhaltung besteht und auch Verschwendung ausgeschlossen, wird, entspricht die am Endverbrauchermarkt gehandelte Menge qH der verfügbaren Menge des Rohstoffes q und es findet eine 1:1 Transformation statt. Folglich ist aus Sicht von t= 0 die Menge qeH ebenfalls eine Zufallsvariable und es gilt:

qeH =q.e (4.4)

Bei Gleichung 4.4 handelt es sich also nicht nur um eine Gleichgewichtsbeziehung am Kassamarkt, sondern auch um eine stylisierte Produktionsfunktion des Händlers. Im Sinne einer handhabbaren Komplexität des Modells wird auf Erweiterungen der Pro-duktionsfunktion — bspw. durch Einbeziehung von Kapital als zusätzlichem Inputfaktor

— verzichtet, da sich daraus kein Erkenntnisgewinn im Hinblick auf die Forschungsfragen erwarten lässt. Vielmehr werden die sich ergebenden Effekte des spekulativen Termin-handels durch solche Modifikationen in der Regel nur quantitativ bzw. unsystematisch beeinflusst, während die qualitativen Wirkungsmechanismen davon unberührt bleiben.

Nachdem nun die grundsätzliche Struktur des Modells vorgestellt wurde, gilt es im nachfolgenden Abschnitt, die Zielfunktion der Akteure zu spezifizieren und die damit einhergehenden Implikationen hinsichtlich der Risikopräferenzen zu diskutieren.