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Das von Marie Luplau gemalte Bild vom Kampf um das Frauenwahlrecht

Die Frauenbewegung wird kaum auf den ersten Blick mit dem Namen Grundtvigs verbunden, aber eine Untersuchung ihrer Geschichte im 19. Jahrhundert zeigt, daß Grundtvig und die Grundtvigschen Ideen in wesentlichen Hinsichten die Standpunkte der Frauenbewegung geprägt haben.

Die „Dänische Frauenvereinigung“ wurde im Jahre vor Grundtvigs Tod (also 1871, P.R.) gegründet. Obwohl zu seinen Lebzeiten eine Frauenbewegung als gesell-schaftliches Problem noch kaum existierte, kann Grundtvig hinsichtlich seiner Mei-nung über die Frau zu den Weitblickenden seiner Zeit gezählt werden. Grundtvig hatte 1836 in einer Predigt in der Vartovkirche Gedanken zum Ausdruck gebracht, die seitdem von den Anhängern eines weiblichen Priesteramtes in Anspruch genommen wurden. In den 1840er Jahren geschah es dann, daß er in seinen öffentlichen Vorträgen, wo die Anwesenheit weiblicher Zuhörer etwas ganz Neues bedeutete, Bemerkungen an die Frauen richtete, die zeigten, daß er ihre Anwesenheit hoch bewertete. Als Mathilde Fibigers Roman „Clara Raphael“ 1850 Anlaß zur ersten dänischen Debatte über die Frauenbefreiung gab, schrieb Grundtvig in der Zeitschrift

„Danskeren“, wie positiv es sei, daß die dänische Frau sich zu Wort melde, wenn er auch die Ansicht der Verfasserin über die Natur der Frau nicht teile. Aber gleichzeitig nahm er die 20jährige Mathilde Fibiger zu sich, und sie wohnte lange bei ihm und seiner Frau Marie in Rnnebæksholm, weil sie tief erschüttert über den Wirbel war, den ihr Roman hervorgerufen hatte. Die Familie Grundtvig unterstützte auch Mathilde Fibigers Plan, als erste Frau einen öffentlichen Vortrag auf einem Fest anläßlich der Schlacht bei Idsted zu halten.

Eine von Mathilde Fibigers Verteidigerinnen in der Fehde war Pauline Worm. Sie war ein sehr aktives Mitglied der „Dänischen Frauenvereinigung“ und wurde nach ihrem Tod 1883 zu den Pionieren der Frauenbewegung gezählt. Sie wurde bekannt als Verfasserin und Vorkämpferin der Frauenbefreiung aus stark grundtvigianischer Le-benseinstellung und entging so nicht dem Hohn der Studenten in Revuen mit dem Beinamen „Rabaldera Grundtvigiana“ (Grundtvigianisches Getöse). So war also die

„Dänische Frauenvereinigung“ von ihren ersten Tagen an durch Grundtvigianismus und Grundtvigianerinnen geprägt. Von diesen kann Ida Falbe-Hansen genannt wer-den, die die Initiative für ein Blatt der Vereinigung, die Zeitschrift „Die Frau und die Gesellschaft“, ergriff, deren Redakteurin in den ersten paar Jahren Grundtvigs Enke-lin Elisabeth Grundtvig war, die dafür sorgte, daß das Blatt viele grundtvigianische Beiträger und Beiträgerinnen erhielt. Von 1884 an war Svend Hgsbro im Vorstand der „Dänischen Frauenvereinigung“. Er schlug vor, daß „das lebendige Wort“ (Grundtvigs berühmter Ausdruck, P.R.) die Frauensache hinaus in die

Volks-hochschulen des Landes bringen sollte, und hervorragende grundtvigianische Mit-glieder der Frauenvereinigung gingen in den folgenden Jahren auf Vortragstournee zu den (Heim-)Volkshochschulen.

Der sog. Sittlichkeitsstreit (sædelighedsfejden) von 1887 markiert am deutlichsten den Grundtvigschen Einfluß auf die „Frauenvereinigung“. Elisabeth Grundtvig vertei-digte gegenüber Georg Brandes den Standpunkt, daß man hinsichtlich des sittlichen Verhaltens an Männer die gleiche Forderung stellen müsse wie an Frauen. Sie erhielt volle Rückendeckung in der „Dänischen Frauenvereinigung“, und sie wurde in allen grundtvigianischen Lagern unterstützt, vom „Hjskolebladet“ („Volkshochschulblatt“) bis zu „Enhver sit“ („Jedem das Seine“). Svend Hgsbro schrieb engagiert für Elisabeth Grundtvigs Standpunkt im „Morgenblatt“ und war außerdem ihr Verteidiger im Rechtsstreit gegen Brandes.

Der Standpunkt, den die „Frauenvereinigung“ in dem „Sittlichkeitsstreit“ einnahm, wurde kürzlich als nicht radikal genug kritisiert, weil die sexuelle Freiheit nicht für die Frauen gefordert worden sei, und dies wurde der grundtvigianischen Haltung in der Vereinigung zugeschrieben. Es ist indessen nicht angemessen, dies allein dem grundtvigianischen Einfluß zuzuschreiben, weil die Forderung nach sexueller Freiheit der Frau auf gleicher Ebene mit der des Mannes in den 1880er Jahren noch etwas praktisch Undenkbares war.

Die Stellungnahme der „Dänischen Frauenvereinigung“ in der Gesellschaftsdebatte der 80er Jahre, wo der Verfassungskampf die Geister teilte, war bewußt vorsichtig.

Man wollte politisch neutral sein, um eine innere Spaltung zu vermeiden. Mehrere Male hatte die Frage nach dem Frauenwahlrecht in der Vereinigung zur Debatte gestanden. Aber die Mehrzahl war nicht geneigt, eine so ausgeprägt politische Forderung ins Programm zu nehmen, nicht zuletzt mit Rücksicht auf den Wunsch, Anhänger in den breiten Volkshochschulkreisen zu finden.

Die vorsichtige Haltung der „Frauenvereinigung“ führte aber dazu, daß Ende der 1880er Jahre zwei neue Vereinigungen gegründet wurden, die für das Frauenwahl-recht kämpften. Die Initiatorinnen waren ungeduldige Mitglieder der „Frauenvereini-gung“, und diese waren in beiden Fällen grundtvigianisch geprägt. 1886 gründeten Matilde Bajer und Johanne Meyer die „(Frauen-)Fortschrittsvereinigung“, die außer dem Frauenwahlrecht noch zwei andere Angelegenheiten verfolgte: die Sache des Friedens und die der Arbeiterklasse. Die Initiative für die zweite Vereinigung kam aus Jütland. Die Pfarrersfrau Line Luplau hatte im Jahre 1887 1.702 Unterschriften in Varde und Umgebung für das Frauenwahlrecht gesammelt. Der Aufruf weckte Verwunderung in der radikalen Kopenhagener Presse, wo man ganz unvorbereitet auf eine solche Aktivität durch eine grundtvigianische Pfarrersfrau aus der Provinz war. Da der Aufruf nicht die gewünschte Wirkung hatte, reiste Frau Luplau nach Kopenhagen und gründete dort die „(Frauen-)Wahlrechtsvereinigung“, deren einzi-ges Ziel die Einführung dieses Wahlrechts war. Es einzi-geschah durch die beiden neuen

Vereinigungen, daß die Agitation für das Frauenwahlrecht nun in Gang kam, bei-spielsweise durch Matilde Bajers Ehepartner, den grundtvigianisch eingestellten Folketingsabgeordneten Frederik Bajer, der im Reichstag den Vorschlag für das Frauenwahlrecht einbrachte, aber auch durch große Treffen, wie etwa die Versamm-lung aller Frauenverbände unter freiem Himmel im Juni 1891. Letztere fand bei dem Schleswigschen Stein im Kopenhagener Tierpark statt, wo früher schon die grundtvi-gianischen Pfarrer ihre Treffen gehalten hatten.

Die Forderung nach dem Frauenwahlrecht spaltete die „Dänische Frauenvereinigung“

in den 1890er Jahren. Im Gegensatz dazu hat Marie Luplau die drei Fraktionen in ihrem Monument über die Frauenwahlrechtsbewegung, in dem Gruppenbild „Aus den ersten Tagen des Frauenwahlrechtskampfes“, vereinigt. Es zeigt 24 Porträts, umfaßt gemäß der Aufschrift den Zeitraum von 1891 bis 1897 und stellt eine Reihe von Personen dar, die in jener Zeit als Sprecher für das Frauenwahlrecht eintraten.

21 von diesen Personen waren Mitglieder von einer oder mehreren der drei Frauenver-bände, während drei anscheinend außerhalb standen, nämlich die drei Männer in der hinteren Reihe oben links, von denen zwei die bekannten Sozialdemokraten V.T.

Holst und A.C. Meyer sind, während Jacob Nielsen nicht näher identifiziert werden konnte. Line Luplau, Marie Luplaus Mutter, welche die „Wahlrechtsvereinigung“

gründete, ist die Hauptperson des Gemäldes. Sie nimmt den vordersten Platz in der Mitte ein. Rechts von ihr sieht man die beiden Frauen, die ihr als Vorsitzende folgten:

Louise Nrlund und Nielsine Nielsen. Um diese Hauptgruppe sind die übrigen Personen von der „Wahlrechtsvereinigung“ in der rechten Bildhälfte gruppiert, zu-sammen mit Mitgliedern der „Frauenvereinigung“.

In der linken Bildhälfte sieht man die Gründer der „Dänischen Frauenvereinigung“, Matilde und Frederik Bajer, hinter dem Tisch. Sie sind die eigentlichen Pioniere der dänischen Frauenbewegung und gehörten später zu denen, die das Frauenwahlrecht auf dem Programm haben wollten. Matilde Bajer schuf daraufhin die „Fortschrittsver-einigung“, wo Johanne Meyer, die am Tisch hinter der Präsidentenschelle sitzt, ihr als Vorsitzende folgte. Um diese Hauptpersonen von der „Fortschrittsvereinigung“ her-um sieht man einige Frauen von der „Frauenvereinigung“, samt den genannten Männern von der Sozialdemokratie, deren Plazierung in dieser Bildhälfte das Inter-esse der „Fortschrittsvereinigung“ an der Arbeiterbewegung unterstreicht. Die Kom-position des Bildes weist auf Line Luplau als zentrale Figur und die Mitglieder der

„Wahlrechtsvereinigung“ als die vorderste und wichtigste Gruppe, während die Gründer der „Frauenvereinigung“ und der „Fortschrittsvereinigung“ hinter den Tisch zur Linken zurückgesetzt wurden. Das beweist deutlich, daß Marie Luplau der

„Wahlrechtsvereinigung“ die größte Bedeutung zugemessen hat. Das Bild ist wahr-scheinlich 1891 begonnen worden, im Todesjahr von Line Luplau. Die Künstlerin hat durch das Hervorheben der „Wahlrechtsvereinigung“ ihrer Mutter und der Arbeit, die diese in Gang setzte, ein Denkmal setzen wollen.

Das Bild zeigt außerdem, daß die Forderung nach dem Frauenwahlrecht in sehr unterschiedlichen Kreisen Unterstützung fand. Die Personen gehören politisch

verschiedenen Gruppen der „Venstre“ (wörtlich „Linke“, die hauptsächlich Bauern und radikale Bürger umfaßte, P.R.) und der Sozialdemokratie an. Es sind Politiker und Akademiker. Unter den Frauen sind viele Berufstätige, wie z.B. die erste Ärztin in Dänemark, Nielsine Nielsen, die Journalistinnen Johanne Meyer und Sophie Horten, die Parlamentsstenographin Elisabeth Grundtvig, die Photographin Mary Steen, die Künstlerinnen Marie Luplau und Johanne Krebs und die Lehrerinnen Kirstine Fre-deriksen und Louise Nrlund.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu bemerken, daß so viele der Personen Grundtvigianer sind. Das gilt für beide Hauptpersonen, welche die Frauenvereinigun-gen gründeten, und für viele ihrer Mitglieder. FolFrauenvereinigun-gende haben, von links nach rechts gesehen, nähere Verbindung zu Grundtvigschen Kreisen: Elisabeth Grundtvig, Johanne Meyer, Poul Sveistrup, Matilde und Frederik Bajer, Astrid Christensen, Line Luplau, Herman Trier, Marie Luplau, Emil Fischer und Birgitte Berg Nielsen.

Die Grundtvigianer nahmen also eine herausragende Stellung unter den Vorkämp-fern für das Frauenwahlrecht ein. Sie spielten eine zentrale Rolle in der organisierten Frauenbewegung und arbeiteten mit anderen Gruppen um die Wahlrechtsfrage zusammen. Es ist auch nicht angebracht, die Zurückhaltung der „Dänischen Frauen-vereinigung“ dem grundtvigianischen Einfluß zuzuschreiben. Die Grundtvigianer in der „Dänischen Frauenvereinigung“ waren eine breit zusammengesetzte Gruppe, von der die „Jungen und Linksorientierten“ sich um die Wahlrechtsforderung schar-ten, während der Gesichtspunkt der mehr traditionell Orientierten die Programmer-klärungen der „Dänischen Frauenvereinigung“ dominierte.

Marie Luplau hat mit der letzten Jahreszahl des Bildes, 1897, einen Abschluß der Pionierzeit markiert. Gegen Schluß der 1890er Jahre erübrigten sich die beiden Frauenverbände, die für das Wahlrecht arbeiteten, und ihre Mitgliederzahl fiel. Die

„Fortschrittsvereinigung“ wurde aufgelöst, und die „Wahlrechtsvereinigung“ sucht 1897 eine Annäherung an den Kopenhagener Kreis der „Dänischen Frauenvereini-gung“. Ein Jahr später fand der Zusammenschluß statt.

Daß es die „Dänische Frauenvereinigung“ war, die noch für eine lange Zeit überlebte, wurde Jutta Bojsen Mller verdankt, die eine äußerst tatkräftige Vorsitzende von 1894 bis1910 war. Sie war „Volkshochschulmutter“ an „Grundtvigs Volkshochschule“ in Lyngby. Dank ihrer guten Verbindung zu den Grundtvigianern und den Volkshoch-schulen schnellte während ihrer Zeit als Vorsitzende die Mitgliedszahl um das Siebenfache nach oben.

Um die Jahrhundertwende fand die Forderung nach dem Frauenwahlrecht ständig mehr Unterstützung. Eine der Ursachen dafür war, daß von 1894 an die politische Situation sich veränderte, weil ein Teil der „Venstre“ sich mit den Rechten auf einen Abgang Estrups (des konservativen Gutsbesitzers, der eine Zeitlang mit besonderen Vollmachten des Königs gegen eine Mehrheit im Folketing regierte und deshalb von

den Volkshochschulen und der ganzen Volksbewegung bekämpft wurde, P.R.) einigte. Die Frage des Frauenwahlrechts hörte auf, eine Streitfrage zwischen ver-schiedenen Frauengruppen zu sein, und 1906 kam sie auch in das Landesprogramm der „Dänischen Frauenvereinigung“.

Das Frauenwahlrecht wurde, wie bekannt, im Jahre 1915 durch eine Grundge-setzänderung eingeführt. Zwei Jahre später bot Marie Luplau ihr Gemälde von den Vorkämpfern des Frauenwahlrechts dem Folketing (Reichstag) an. Aufgrund der Bedeutung des Bildes als kulturhistorisches Dokument wurde das Geschenk vom Folketing angenommen, in dessen Eigentum es sich bis heute befindet.

(Übersetzung: Paul Röhrig)

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