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Seminaren: Geschlechterverhältnisse in der Bildungsar- Bildungsar-beit der IG Metall

3. Fragen zum Geschlechterverhältnis 1 Forschungsfragen

3.4 Der Beitrag der TeamerInnen

Was tragen die TeamerInnen in ihrer Funktion als Seminarleitung zur Ent- oder Verdeckung von geschlechtlichen Wirklichkeiten bei? Wenn man ihre Theorie- und Deutungsvorschläge, Tafelbilder, Arbeitsmaterialien, Reaktionen auf TeilnehmerInnen etc. daraufhin untersucht, reicht es nicht aus, nach expliziten Aussagen zu suchen.

Positionen zu Geschlechterfragen, insbesondere androzentrische Sichtweisen, wer-den nicht nur da deutlich, wo sie unmittelbar angesprochen werwer-den. Oftmals erhalten sie sprachlich nur einen sporadischen Ausdruck, und sie können auch da mitschwin-gen, wo sie nicht explizit werden. Anregungen zur Methode und dazu, wie man den Blick richten kann, beziehe ich besonders aus der Kinder- und Schulbuchforschung (8) sowie aus der feministischen Literaturkritik von Silvia Bovenschen:

„Nur so – im Aufspüren geschlechtsspezifischer Positionen auch innerhalb der Diskurse, in denen sie nicht explizit gemacht sind, einerseits und in der Entfaltung des Zusammenhangs ihrer sporadischen Explikation andererseits – können die kulturge-schichtlichen Präsentationsformen des Weiblichen (und des Männlichen, Anm. GH) aufgedeckt … werden“ (9).

An einem Beispiel will ich die Vorgehensweise zeigen. Es handelt sich um die graphische Darstellung eines Modells kapitalistischer Ökonomie in einem Tafelbild.

So oder in ähnlicher Weise wird es in vielen der grundbildenden Seminare der IG Metall, aber auch in anderen Gewerkschaften verwendet. Es ist wohl noch ein typisches Modell ökonomischer Theorien im Seminar, das jedoch unter den LehrerInnen heftig umstritten ist und schon unter vielen Aspekten kritisiert wurde. Hier kristallisie-ren sich viele Debatten um die Aufgabe der gewerkschaftlichen Grundbildung. Die vielseitige Kritik kann ich hier nicht darstellen; ich möchte ihr vielmehr eine Kritik im Blick auf die Kategorie Geschlecht hinzufügen.

Tafelbild

Am Anfang des Kreislaufes steht der Kapitalist, für jeden auf den ersten Blick durch den dicken Bauch, Zigarre und Zylinder symbolisiert. Er ist, was er ist, weil er einen Geldsack zur Seite hat: das Kapital. Das nutzt er, um einerseits Produktionsmittel – hier dargestellt durch ein Fabrikgebäude und eine Maschine – und andererseits Arbeitskräfte (Strichmännchen) zu kaufen. Durch das Zusammenwirken von Arbeits-kraft und Produktionsmitteln entsteht ein Mehrprodukt. Durch den Verkauf des Produktes erzielt der Kapitalist nun einen Gewinn gegenüber dem ursprünglich eingesetzten Kapital: Er besitzt nun zwei Geldsäcke. Einen Teil des Geldes verwen-det er konsumtiv, den anderen reinvestiert er in den Produktionsprozeß.

Im Lehrgespräch eines beobachteten Seminars, in dem dieses Tafelbild verwendet wurde, wurde als zentrales Ergebnis erarbeitet: Es ist die Arbeit, die alle Werte schafft.

Das Lernziel war wohl weniger die Erarbeitung eines Modells der politischen Ökono-mie als solches, sondern die Rechtfertigung der Forderung nach einem höheren Lohn und das Selbstbewußtsein der LohnarbeiterInnen.

Eine Explikation erfährt das Geschlecht ausschließlich in der Figur des Unterneh-mers, der eindeutig ein Mann ist. Und damit hat das Bild empirisch recht. Enthält das Tafelbild darüber hinaus implizite Aussagen zum Geschlechterverhältnis? Ich meine:

ja.

Das Bild bezieht sich auf produzierende Arbeit. Jede/r LohnarbeiterIn, die an einem Werkstück arbeitet, findet sich darin wieder. Auch der Produktion angegliederte Tätigkeiten wie die des Meisters oder in der Arbeitsvorbereitung lassen sich darin

noch unmittelbar denken. Was aber ist mit den Putzkolonnen, den Kantinen-beschäftigten, den Verwaltungsangestellten, die nicht unmittelbar eine Ware produ-zieren? Wenn es die Lohnarbeit ist, die allen Mehrwert – im Alltagsverständnis ist das eine Ware – schafft, das Arbeitsprodukt der Angestellten aber keine Ware ist, die zum Markte getragen werden kann, sondern eine Lohnabrechnung, Korrespondenz, Kaffee für den Vorgesetzten, ein Verkaufsgespräch etc., ist ihre Arbeit dann auch wertlos? Eine am Seminar teilnehmende Buchhalterin wird sich in diesem Bild nicht unmittelbar verorten, ihr Selbstbewußtsein als Lohnarbeiterin und ihre Forderung nach einem höheren Lohn nicht stärken können. Hier ist eine erhebliche Übertragungs-leistung notwendig, für die es keine Unterstützung gibt. Das scheint mir um so problematischer, als die nicht unmittelbar produktiven Tätigkeiten im Zuge des industriellen Wandels immer bedeutender werden. Ein Problem des Geschlechter-verhältnisses ist das zwar nur indirekt, aber von Bedeutung doch deswegen, weil ein besonders großer Teil der „unproduktiven“ Erwerbstätigen Frauen sind.

Auch an einer anderen Stelle sind die Eckpfosten des Rahmens zu eng gesteckt: Es erscheint so, als sei die Reproduktion der Arbeitskraft alleine aus dem Geldsack des Kapitalisten gewährleistet. Unbezahlte Reproduktionsleistungen, in der Regel durch Mütter oder Ehefrauen, werden nicht sichtbar. Nun mag man darüber streiten, ob diese Reproduktionsleistungen teilweise durch Familienlöhne indirekt entlohnt wer-den – in diesem Bild bleibt reproduktive Arbeit im Schatten der Lohnarbeit systema-tisch ausgeblendet. Die implizite Position ist, daß reproduktive unbezahlte Arbeit zum Ökonomie-Kreislauf nichts Bemerkenswertes beiträgt. Wenn gesagt wird, es sei die Arbeit, die alle Werte schafft, scheint doch eher gemeint zu sein: Es ist die Lohnarbeit, die alle Werte schafft.

Nun ist die Frage, ob dies im Zusammenhang des ökonomischen Kreislaufes eine bedeutende Auslassung ist; es geht schließlich dem Team beim Einsatz dieses Bildes nicht um die Erläuterung gesellschaftlicher Arbeitsteilung, sondern um die Mehrwert-produktion und Akkumulation. Aber beruht nicht das Ausmaß der Ausbeutungsmög-lichkeiten von Arbeitskraft gerade auch darauf, daß sie teilweise ohne Entlohnung reproduziert wird? Sicherlich ist man in einem Seminar bei der Darstellung eines Ökonomie-Modelles auf didaktische Reduktion, auf Konzentration angewiesen. Man kann in einem Tafelbild, in einer begrenzten Seminarsequenz nicht die gesamte Komplexität erfassen. Aber genau das scheint hier das Problem: Dieses Bild behauptet, in einem einfachsten Kreislaufmodell die wesentlichen Grundstrukturen der Ökonomie zu erfassen; die didaktische Reduktion wird auf Kosten der unbezahl-ten Frauenarbeit vorgenommen.

Der Verdacht ist jedoch, daß das Motiv der verkürzten Sichtweise nicht nur die didaktische Reduktion ist, sondern daß der Lohnarbeiterstolz eben auf Grundlage von Ausgrenzungen konstituiert wird (10).

Wenn TeamerInnen in dieser Weise Geschlechterfragen und geschlechtsspezifisch weibliche Wirklichkeiten übersehen, hat das Folgen für das Seminar: Geschlecht und weibliche Wirklichkeiten erscheinen implizit als in gewerkschaftlicher Grundbildung irrelevante Themen. Daran ändert sich auch nur wenig, wenn diesen Fragen im Seminar ein Eckchen eingeräumt wird, im Sinne eines Reservates für Frauenfragen.

Hier habe ich nur ein einzelnes, wenn auch bedeutendes Beispiel dargestellt. Man kann jedoch auch allgemein sagen, daß in den Seminaren sowohl von Teilnehmen-den- als auch von LehrerInnenseite vornehmlich die Wirklichkeiten der Männer sichtbar werden. Diese haben starke geschlechtsspezifische Implikationen (wenn etwa über Männerarbeitsplätze diskutiert wird, die Doppelbelastung durch Erwerb-sarbeit und unbezahlte Arbeit nicht berücksichtigt wird, Vollzeitarbeit und eine über die Lebensphasen hinweg durchgängige Erwerbs- und Gewerkschaftsbiographie als selbstverständlich erscheinen), ohne daß deren Geschlechtsspezifik kenntlich wird.

Die Wirklichkeit der wenigen Teilnehmerinnen wird in den Seminaren wenig sichtbar und um so weniger in ihren geschlechtsspezifischen Anteilen. Geschlecht und die Wirklichkeit von Frauen erscheinen als irrelevant (11).