• Keine Ergebnisse gefunden

Fernstudium und Fernunterricht – ein attraktives Angebot für Frauen?!

3. Wie können Fernstudium und Fernunterricht für Frauen attraktiver gemacht werden?

3.2 Lernen mit Texten

Häufig ist bei Frauen eine gewisse Reserviertheit gegenüber Sachtexten festzustel-len: Sie erwarten – auch aufgrund ihrer Erfahrungen – nichts Gutes, eher langweilig-trockene Wissensvermittlung. Wer sich allerdings auf ein Fernstudium einläßt, kommt an der Beschäftigung mit Texten nun einmal nicht vorbei. Es läßt sich jedoch einiges

tun, um gerade Frauen den Zugang zu dieser Art des Lernens zu erleichtern. Denn Frauen sind anspruchsvolle und unnachsichtige Lernerinnen und Leserinnen; für schlechte Lerntexte ist ihnen ihre Zeit zu schade.

Es gilt, den Frauen deutlich zu machen, daß bei der selbständigen Arbeit an Texten ein Teil der Probleme nicht auftritt, die ihnen in Präsenz-Lerngruppen begegnen können: Beim Selbststudium stören weder einschüchterndes Profilierungsgehabe und Machtspiele anderer TeilnehmerInnen noch Bildungsunterschiede. Niemand übt unmittelbaren Leistungs- oder Zeitdruck aus; zunächst zählt nur das eigene Ergebnis – nicht das der anderen.

Zwar gibt es weder den guten Lerntext noch die frauengerechte Gestaltung, aber es lassen sich sowohl allgemeine (d.h. eher geschlechtsunabhängige) als auch frauen-bezogene Kriterien für gute Textgestaltung nennen.

Allgemeine Anforderungen an Texte für das Selbststudium

Texte für das Selbststudium haben eine dreifache Funktion zu erfüllen: Sie sollen Fakten vermitteln, bei der Verarbeitung helfen, und sie sollen eine Selbstkontrolle über den Lernerfolg ermöglichen. FernstudienpraktikerInnen haben im Laufe der Jahrzehnte Kriterien für die Optimierung schriftlicher Lernmaterialien entwickelt (vgl.

Ballstaedt 1994). Der Lernprozeß läßt sich u.a. unterstützen durch – Anknüpfung an das vorhandene Wissen der AdressatInnen;

– Vorschau auf die Lerninhalte (advance organizer);

– Strukturierung des Inhalts nach bestimmten, für die AdressatInnen transparenten Prinzipien (z.B. vom Allgemeinen zum Besonderen, deduktiv oder induktiv, vom Einfachen zum Komplizierten);

– Layout (Typographie, Visualisierungen, Erkennbarmachen der „inneren Logik“

durch Überschriften und Marginalien etc.);

– klare und anschauliche Sprache, die dem Inhalt und den AdressatInnen angemes-sen ist und Frauen und Männer in gleicher Weise einbezieht;

– Erläuterung von Sachverhalten, Begriffen, Formeln etc. unter anderem durch Beispiele und Illustrationen;

– Zusammenfassungen, Aufgaben zur Selbstkontrolle, Glossar, Kurzbiographien der im Text erwähnten Personen etc.

Frauen haben hinsichtlich der allgemeinen Kriterien keine grundsätzlich anderen Wünsche an Selbstlerntexte als Männer. Der Unterschied liegt eher darin, daß viele von ihnen sich verärgert und frustriert zurückziehen, wo Männer sich noch durch-kämpfen, auch wenn die Texte schlecht sind. Aber selbst nach diesen Kriterien brillant gestaltete Fernstudienmaterialien können die Bedürfnisse von Frauen verfehlen, wenn sie bestimmte zusätzliche Anforderungen nicht erfüllen. Aus Erfahrungen mit mehreren Fernstudienprojekten und aus den Ergebnissen der Fachtagung „Frauen und Weiterbildung“ am DIFF (vgl. Literaturverzeichnis), leiten wir die nachfolgenden Anforderungen an Selbststudienmaterialien für Frauen ab.

Zusätzliche Anforderungen aus Frauenperspektive Inhaltliche Gestaltung

– Frauen fühlen sich von Lerntexten eher angesprochen und sind stärker motiviert, wenn der Lerngegenstand ihre Lebenswelt berührt. Bei der Analyse gesellschaftli-cher Realität muß die „Zweigeschlechtlichkeit“ der Lebenswelten deutlich werden und damit auch die Geschlechtsbezogenheit der Erfahrungen, die wissenschaft-lich verarbeitet werden sollen. Dies kann dadurch unterstützt werden, daß Fallbei-spiele ausgewogen aus der Lebenswelt sowohl von Frauen als auch von Männern entnommen und/oder jeweils aus weiblicher und männlicher Perspektive darge-stellt werden.

– Frauen wollen Klarheit darüber haben, daß und wofür es lohnt, sich mit einem Text zu befassen. Explizit formulierte Einordnungen und Sinnzusammenhänge unter-stützen Frauen in ihrem Lernverhalten (z.B. beim Herstellen von Verknüpfungen und Kontexten).

– Um das Bild der mehr oder weniger unfähigen, hilfsbedürftigen, benachteiligten, abhängigen und untergeordneten Frau zu revidieren, müssen – z.B. durch Thematisieren des weiten Spektrums weiblicher Lebensgeschichten – Orientie-rungs- und Identifikationsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen geschaffen werden.

– Parteilichkeit zugunsten von Frauen ist erwünscht und keineswegs unwissen-schaftlich, wenn ihre Kategorien und die Vorläufigkeit ihrer Werturteile benannt werden.

Sprache und Textgestaltung

– Es ist lobenswert (und inzwischen eigentlich selbstverständlich), Texte zu femini-sieren. Aber es reicht nicht aus, große Is oder weibliche Endungen hinzuzufügen, wenn männliche Perspektiven und Interessen dennoch die Wissensvermittlung bestimmen, z.B. alle Beispiele und Anwendungen aus traditionell männlichen Interessengebieten gewählt werden.

– Ungegliederte „Textwüsten“ – so lese- und lernunfreundlich sie ohnehin sind – behindern z.B. Familienfrauen noch zusätzlich: Sie können selten über längere Zeit hinweg ungestört arbeiten und müssen ständig mit Unterbrechungen rechnen, nach denen sie in einem unstrukturierten Text nur mühsam den Gedanken wieder aufnehmen können. Ein Fernstudientext sollte deshalb in nicht zu umfangreiche, in sich geschlossene Abschnitte gegliedert sein.

– Das Problem der Wissenschaftssprache stellt sich im Deutschen in besonderer Schärfe. Eine mit Fachausdrücken und Fremdwörtern überfrachtete Sprache wird häufig für den Beleg von Wissenschaftlichkeit gehalten und auch in Lerntexten mit wissenschaftlichem Anspruch verwendet. Eine (oft unnötig) komplizierte Darstel-lungsweise wirkt auf Frauen besonders abstoßend oder aber durch ihr vermeint-lich hohes Niveau einschüchternd. Anglo-amerikanische Fachbücher mit ihrer in der Regel einfachen und klaren Sprache können hier als Vorbild dienen.

– Frauen ziehen einen persönlichen Vermittlungsstil einer distanzierten Sprache

vor. Es ist ihnen hilfreich, den Menschen hinter dem Text zu spüren. Autoren und Autorinnen sollten daher ermuntert werden, ihren persönlichen Bezug zu dem Thema deutlich zu machen.

– Frauen zu zitieren hat Signalwirkung, besonders in Wissenschaftsbereichen, in denen sie eher die Ausnahme bilden. Die Vornamen der Autorinnen und Autoren sollten daher im Literaturverzeichnis ausgeschrieben werden, auch wenn die dafür notwendigen Recherchen sehr zeitaufwendig sein können.

Didaktische Gestaltung

– Frauen fragen in der Regel zuerst – und entschiedener als Männer – nach dem konkreten Problem oder der praktischen Umsetzbarkeit einer Erkenntnis. Nach Möglichkeit sollte ein Lehrtext damit beginnen und anschließend die notwendige akademisch-kategoriale Analyse sowie die Einordnung in einen systematischen Zusammenhang vornehmen.

– Aufgaben, in denen geübt wird, sich mit verschiedenen Positionen kritisch ausein-anderzusetzen oder eigene Argumentationsfiguren und Stellungnahmen zu ent-wickeln, stärken das Selbstbewußtsein und die Gewißheit über die eigenen intellektuellen Fähigkeiten. Sie ermutigen Frauen dazu, nicht – wie es ihre Sozialisation nahelegt – einseitig Konsens und Verständigung anzustreben, wo zur Klärung eines Problems Differenzierung und Auseinandersetzung angebracht und erforderlich wären. Zum Training des angemessenen Umgangs mit wider-sprüchlichen Auffassungen eignen sich Methoden der Konfliktanalyse und der konstruktiven Konfliktbearbeitung.

– Lernformen, die mit sozialer Interaktion verbunden sind, werden von Frauen in aller Regel als hilfreich empfunden. Weil die Arbeit mit Texten in der isolierten Situation als Fernstudentin den Lernbedürfnissen vieler Frauen nur begrenzt entgegen-kommt, sollten in viel stärkerem Maße soziale Organisationsformen des Lernens in Fernstudium und Fernunterricht integriert werden.