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Mangelnde Anerkennung

Im Dokument sowjetischen Besatzung 1945–1955 (Seite 129-132)

militärischer Widerstand in Wien

2.5 Mangelnde Anerkennung

Die militärische Widerstandsbewegung unter Carl Szokoll hatte sich im Sinne der Moskauer Deklaration von 1943 zum Ziel gesetzt, einen Beitrag zur Be-freiung Österreichs zu leisten. Entgegen aller Tradition militärischen Gehor-sams mussten sie ihren Fahneneid brechen und sich auch über den Grund-satz hinwegsetzen, der Soldat habe sich nicht mit Politik zu befassen. Ihr Ziel bestand – unter Einsatz ihres Lebens – in der Rettung Wiens und in der

Wie-280 CA FSB RF, K-109717, t. 1, S. 23f., Verhörprotokoll von Carl Szokoll, 13.9.1945; CA FSB RF, K-109717, t. 4, S. 99–101, Schreiben von Carl Szokoll an Karl Renner, 30.7.1945.

281 CA FSB RF, K-109717, t. 1, S. 31–41, Verhörprotokoll von Carl Szokoll, 17.9.1945.

282 CA FSB RF, K-109717, t. 1, S. 48f., Beschluss der UKR „Smerš“ der Südlichen Gruppe der Streitkräfte über die Einstellung der Untersuchung und Befreiung von Carl Szokoll aus der Haft, 17.10.1945.

283 Szokoll, Die Rettung Wiens, S. 386.

284 Ebd.

dererrichtung eines unabhängigen Österreich. Szokoll tat sein Möglichstes, um den Sowjets zutreffende Informationen zukommen zu lassen.

Carl Szokoll war aber auch einer jener Widerstandskämpfer, die sich nach Kriegsende in Österreich ausgegrenzt und um eine Anerkennung ihrer Tätig-keit im Widerstand gebracht fühlten. Der wohl prominenteste Mann des mili-tärischen Widerstandes wurde in der Zweiten Republik zu einer umstrittenen Persönlichkeit, mit dem viele nichts zu tun haben wollten. Für sie war Szokoll ein Offizier, der seinen Soldateneid gebrochen und bei einem fragwürdigen Unternehmen mit der Roten Armee zusammengearbeitet hatte.

Zur Geringschätzung der überlebenden Widerstandskämpfer in Österreich gesellte sich die Skepsis der sowjetischen Besatzungsmacht, die noch im April 1945 Szokoll und Mitglieder der O5 verhaften ließ. Die „Smerš“ konnte Szo-koll zwar keine Schuld für das Scheitern des Aufstandes und vor allem keine

„antisowjetische Tätigkeit“ nachweisen. Zum Vorschein kamen allerdings sei-ne Kontakte zum französischen Geheimdienst und die Kooperation führender O5-Mitglieder mit dem britischen und amerikanischen Geheimdienst, was aus sowjetischer Sicht nicht gerade eine Empfehlung darstellte. Im März 1968 nahm Szokoll aber an der Eröffnung der Ausstellung „Österreichische Wider-standsbewegung“ teil und hielt dort auch einen Vortrag über die Zusammen-arbeit „der Widerstandsgruppen mit den sowjetischen Truppen“.285

Jahrzehntelang fehlte die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Anerkennung des österreichischen Widerstandes, der die außenpolitisch mo-tivierte Hervorhebung gegenüberstand. So waren die Verdienste des Wider-standes – wie sich bei den Bemühungen um den Staatsvertrag herausstell-te – im Hinblick auf den in der Moskauer Deklaration geforderherausstell-ten eigenen Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung von eminent politischem Wert. Das offizielle Österreich hob sie gegenüber den Alliierten (mehr als gegenüber der österreichischen Gesellschaft) hervor, um die Mitverantwortungsklausel in der Präambel des Staatsvertrages zu streichen. So sah sich der österreichische Widerstand bis und vor allem 1955 zu einem Instrument österreichischer Au-ßenpolitik reduziert. In das kollektive Alltagsbewusstsein ist jedoch die Erin-nerung an die Frauen und Männer des Widerstandes bis heute nicht wirklich eingedrungen.286

Szokoll wurde 1995 mit dem Ehrenring der Stadt Wien ausgezeichnet und 2003 zum „Bürger der Stadt Wien“ ernannt. Nach seinem Tod 2004 wurde

285 Moskauer Ausstellung: „Österreichische Widerstandsbewegung“, in: Sowjetunion heute. 8/1968, S. 6.

286 Anton Pelinka, Der österreichische Widerstand im Widerspruch der verschiedenen Narrative, in:

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jahrbuch 2007. Schwerpunkt: Na-mentliche Erfassung von NS-Opfern. Wien 2007, S. 13–25, hier: S. 14, 22.

er in einem Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt. Am 25. August 2005, sei-nem ersten Todestag, wurden der Innenhof des Verteidigungsministeriums in Wien in „Carl-Szokoll-Hof“ umbenannt, eine Szokoll-Gedenktafel in der Aula des Wirtschafts-, Landwirtschafts- und Sozialministeriums am Stuben-ring installiert, wo während des Zweiten Weltkrieges das Wehrkreiskom-mando XVII einquartiert gewesen war, sowie eine „Gewissensskulptur“ ent-hüllt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit widmete ihm eine eigene Publikation, deren Titel auf die ambivalente Rolle von Carl Szokoll hinweist: „Weder bin ich ein Heiliger noch ein Prophet – ein Verräter, haben manche gesagt, andere ein Held …“287

287 Wanker, „Weder bin ich ein Heiliger noch ein Prophet“.

Am 16. März 1945 begann von Ungarn aus die „Wiener Angriffsoperation“

der 3. Ukrainischen Front unter Marschall Fedor I. Tolbuchin und eines Teils der 2. Ukrainischen Front unter Marschall Rodion Ja. Malinovskij. Noch am 6.

März hatte die Deutsche Wehrmacht eine letzte Gegenoffensive am Platten-see gestartet, die aufgrund der sowjetischen Übermacht gescheitert war. Am Gründonnerstag, dem 29. März 1945, überschritten schließlich um 11.05 Uhr Einheiten der 6. Garde-Panzerarmee der 3. Ukrainischen Front den „Südost-wall“ bei Klostermarienberg nördlich des Geschriebensteins und drangen auf burgenländisches Gebiet vor.288 Österreich wurde bis zur totalen Niederlage des Deutschen Reiches zum Kampfgebiet.

Die von der NS-Propaganda aufgebauschte „Reichsschutzstellung“ (oder

„Südostwall“) – eine Verteidigungslinie, die laut Planung von Bratislava über den Neusiedler See, den Geschriebenstein, Radkersburg, Marburg und Lai-bach bis an die Adria reichen sollte – stellte an den meisten Abschnitten nicht viel mehr als eine improvisierte letzte Auffanglinie und jedenfalls kein beson-deres Hindernis für die rasch vordringenden sowjetischen Einheiten dar. Von Oktober 1944 bis März 1945 waren beim Bau des „Südostwalls“ Zehntausen-de Zwangsarbeiter – vor allem ungarische JuZehntausen-den – und TausenZehntausen-de Arbeiter des Reichsarbeitsdienstes (RAD) im Einsatz gestanden. Teilweise hatten die-selben „Schanzer“, nachdem die Front über sie hinweggerollt war, abermals an den Schutzstellungen zu bauen, diesmal jedoch unter sowjetischem Kom-mando und gegen die Deutsche Wehrmacht.289

Im Dokument sowjetischen Besatzung 1945–1955 (Seite 129-132)