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2 Literaturübersicht

2.3 Implantatmaterialien für die Osteosynthese sowie deren Vor- und Nachteile

2.3.2 Resorbierbare Implantate

2.3.2.2 Magnesium und Magnesiumlegierungen

Die Entwicklung innovativer biodegradabler Implantatmaterialien ist derzeit eines der interessantesten Forschungsthemen auf dem Gebiet der Biomaterialien (SONG 2007).

Jüngste Untersuchungen zeigten, dass resorbierbare, metallische Implantate auf Magnesiumbasis eine Alternative zu konventionellen Werkstoffen darstellen können (KAESE 2002; MEYER-LINDENBERG et al. 2003; WITTE et al. 2004; SWITZER 2005;

SONG 2007).

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Magnesium ist ein Leichtmetall mit einer Dichte von 1,74 g/cm3. Damit ist es 1,6 bzw.

4,5mal weniger dicht als Aluminium bzw. Stahl (KAMMER 2000). Die Bruchzähigkeit ist größer als die von keramischen Biomaterialien wie z.B. Hydroxylapatit (STAIGER et al.

2006). Magnesium und seine Legierungen besitzen einen der Knochenkortikalis ähnlichen Elastizitätsmodul und eine günstige Druck- und Zugfestigkeit (Tab. 1) im Vergleich zu anderen metallischen Implantaten (KAMMER 2000; KAESE 2002; STAIGER et al. 2006).

Tabelle 1: Zusammenfassung der physikalischen und mechanischen Eigenschaften verschiedener Implantatmaterialien im Vergleich zu Knochen (modifiziert nach Staiger et al. 2006)

Eigenschaften Knochen Magnesium Titanlegierung Medizinischer

Stahl Synthetisches Hydroxylapatit

Dichte (g/cm3) 1,8–2,1 1,74–2,0 4,4–4,5 7,9–8,1 3,1

E-Modul (GPa) 3–20 41–45 110–117 189–205 73–117

Druckfestigkeit

(MPa) 130–180 65–100 758–1117 170–310 600

Bruchzähigkeit

(MPam0,5) 3–6 15–40 55–115 50–200 0,7

Bei der Degradation bzw. Korrosion von Magnesium und seinen Legierungen in wässrigen Medien entsteht immer festes Magnesiumhydroxid und gasförmiger Wasserstoff (MAKAR u. KRUGER 1993; SONG u. ATRENS 1999). Als allgemeingültige Reaktionsgleichung für die Korrosion gilt (MAKAR u. KRUGER 1993):

Mg + 2H2O → Mg(OH)2 + H2

Das Magnesiumhydroxid legt sich als weiße kristalline Deckschicht auf die Oberfläche (SONG u. ATRENS 1999) und sorgt für eine gewisse Korrosionsbeständigkeit (MAKAR u.

KRUGER 1993). Zu den Legierungselementen, die die Korrosionsresistenz erhöhen können, gehört Kalzium in Abhängigkeit der Massenprozente in der Legierung (HASSEL et al. 2006), Aluminium, Mangan, Zink (SONG 2007) und Seltene Erden (WITTE et al.

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2006). Durch diese Elemente wird die mechanische Festigkeit erhöht, wohingegen durch Lithium die Duktilität gesteigert werden kann (KAMMER 2000).

Magnesium ist ein essentielles Element für den menschlichen und tierischen Organismus (v. ENGELHARDT u. BREVES 2000; SARIS et al. 2000). Es gehört zu den Mengenelementen und erfüllt eine Vielzahl von Aufgaben im Organismus. Das Metall ist an mehr als 300 enzymatischen Reaktionen als Enzymbestandteil oder Coenzym beteiligt (Glykolyse und des Zitratzyklus, die Synthese von DNA und RNA sowie die Transphosphorilierung des ATP und ADP) und für die neuromuskuläre Reiz- und Erregungsübertragung notwendig (WACKER 1980; ANDERS 1986). Etwa die Hälfte des gesamten Magnesiumbestandes ist im Knochen eingelagert (WACKER 1980; TOPF u.

MURRAY 2003); beim Tier sind es sogar 70 % (v. ENGELHARDT u. BREVES 2000). Dort dient es aufgrund seiner raschen Verfügbarkeit als Reservoir für den Körper. Der Rest des Magnesiums wird in der Muskulatur und anderen Organen, v.a. der Leber, gespeichert.

Ein nur geringer Anteil (ca. 1%) des Elementes befindet sich im Blutplasma (WACKER 1980). Die Gesamtmenge an Magnesium existiert im Körper in drei verschiedenen Formen: ionisiert (60 %), proteingebunden (30 %) und an Serumanionen gebunden (10 %) (TOPF u. MURRAY 2003). Die Regulation des Magnesiumspiegels im Körper erfolgt über die Nieren, durch welche überflüssiges Magnesium wieder ausgeschieden wird (WACKER 1980). Magnesium spielt eine große Rolle in der Knochen- und Mineralhomöostase (FROST 1993). Es kann direkt die Knochenzellfunktion und die Hydroxylapatit-Kristallbildung beeinflussen (COHEN 1988). Sowohl eine mangelhafte als auch übermäßige alimentäre Magnesiumzufuhr stört die Knochenbildung oder verhindert sie ganz (KÜHR 1986). CLARK (1968) berichtete von einer Verschmälerung der Epiphysenfuge, geringerer Trabekelbildung und vermehrten Osteolysen durch einen Magnesiummangel. HUNT (1971) konnte durch Magnesiumgabe ein durch Mangel hervorgerufenes generalisiertes und verstärktes medulläres Knochenwachstum wieder völlig normalisieren. Bei einem Magnesiumüberschuss stellte CLARK (1968) starke Osteolysen wie beim Magnesiummangel und außerdem unreife Knochenbildung fest.

Die Untersuchungen zu Magnesium als Implantatmaterial gehen bis zum Anfang des 20.

Jahrhunderts zurück (ROSTOCK 1937). ROSTOCK (1937) berichtete, dass Payr das

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Metall hinsichtlich verschiedener Indikationen: z.B. als Draht zur Knochennaht, zur Behandlung kavernöser Tumoren und zur Herstellung von Darmknöpfen untersuchte und den Einsatz als Implantatmaterial in Form von Stiften, Nägeln, Bolzen und Drähten zur Frakturbehandlung anregte. Payr fand in seinen eigenen Untersuchungen heraus, dass Magnesium schnell vom Körper resorbiert wird und sich schon nach 24 Stunden erste Anzeichen des Abbaus auf der Metalloberfläche finden lassen. Außerdem stellte er fest, dass dabei Wasserstoff und Sauerstoff gebildet wird, welche im Gewebe mitunter in größeren „Gaszysten“ nachweisbar waren. Er beobachtete, dass das Gas vom Körper aufgenommen wird, ohne dass eine Gasembolie auftrat (ROSTOCK 1937). ROSTOCK (1937) beschrieb in seiner Veröffentlichung seine in vielen Jahren zusammengetragenen Ergebnisse zum Magnesium. Er konnte nachweisen, dass das Metall eine erhebliche Wirkung auf das umliegende Gewebe ausübte, denn er stellte eine starke Ansammlung von Rundzellen und Granulationsgewebe sowie Riesenzellen und Leukozyten mit zahlreichen Fremdkörpereinschlüssen fest. Der Einfluss von Magnesium speziell auf Knochengewebe wurde schon 1900 von CHLUMSKY im Tierexperiment überprüft. Er zeigte, dass Magnesiumplatten als Interpositionsmaterial nach Gelenkresektion innerhalb weniger Tage bis einigen Wochen zerfielen. LAMBOTTE beschrieb 1932 erstmals die Verwendung einer Magnesiumschiene mit Stahlnägeln zur Osteosynthese in der Humanmedizin. Da diese erste Operation jedoch aufgrund aufgetretener Kontaktkorrosion nicht erfolgreich war, führte er weitere Untersuchungen zum Resorptionsverhalten von reinem Magnesium in Knochen von Kaninchen und Hunden durch. Die Studie verlief viel versprechend; nach sechs bis sieben Monaten war das Implantat vollständig aufgelöst, obwohl es nach drei Monaten noch keine Korrosionserscheinungen zeigte. Daraufhin setzte er erneut Magnesium als Osteosynthesematerial beim Menschen ein (LAMBOTTE 1932). Er beobachtete in allen Fällen seiner Untersuchungen eine Gasentwicklung mit gleichzeitig vollständiger Implantatauflösung. Daraus folgerte er, dass reines Magnesium als Implantatmaterial kritisch anzusehen ist und hinsichtlich des Abbaus bzw. der Gasbildung stabilere Legierungen für die Osteosynthese benötigt werden. Wenig später beschrieb VERBRUGGE (1934) die Verwendung einer Magnesiumlegierung mit 8 %igem Aluminiumanteil und stellte wie LAMBOTTE (1932) während des Heilungsvorganges in allen untersuchten Fällen eine vollständige Implantatresorption mit Gasproduktion fest. Er

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konnte durch diese Gasbildung jedoch keine schädigenden Wirkungen auf den Organismus nachweisen; das Gas wurde vollständig resorbiert. Sowohl LAMBOTTE (1932) als auch VERBRUGGE (1934) vermuteten, dass es sich bei dem entstandenen Gas um Wasserstoff handelte. ROSTOCK (1937) schrieb eine umfassende Abhandlung über die bis dahin erfolgten Untersuchungen zu Magnesiumimplantaten und schlussfolgerte aus den „für die chirurgische Praxis negativen Ergebnissen“, dass sich dieses Material nicht eignet, eine Fraktur zu versorgen.

MCBRIDE (1938) setzte ebenfalls eine Magnesium-Aluminium-Legierung (Aluminiumanteil 4%) beim Menschen in nicht näher benannten Knochen ein und berichtete neben der Gasbildung und Implantatresorption von einer starken Stimulation der periostalen Proliferation. Dass es sich bei dem Gas tatsächlich um Wasserstoff handelt, wie es LAMBOTTE (1932) und VERBRUGGE (1934) angenommen hatten, zweifelte MCBRIDE (1938) an. Er analysierte das Gas, welches er durch Punktion der Blasen erhielt, und konnte ein Gemisch aus 80,6 % Stickstoff, 7,3 % Wasserstoff, 6,5 % Sauerstoff und 5,6 % Kohlendioxid nachweisen. Systemischen Nebenwirkungen durch die Magnesiumimplantate wurden weder durch LAMBOTTE (1932), VERBRUGGE (1934) noch MCBRIDE (1938) festgestellt.

Spätere Berichte zur Anwendung von Magnesium stammten aus dem Ende der 40er Jahre. NICOLE (1947) untersuchte das Auftreten einer Metallose im Tierexperiment an Kaninchen und Hunden. Er brachte Metallstaub von Reinmagnesium unter die Haut, in die Tibia und in die Muskulatur und stellte in allen genannten Lokalisationen eine reaktive Entzündung mit nachfolgender bindegewebiger Abkapselung fest. Metallose fand er im Weichteilgewebe, aber nicht im Knochen. Auch er beobachtete eine Gasbildung, welche im Weichgewebe, jedoch nicht im Knochen eine Auflockerung mit Höhlenbildung verursachte. Er bezeichnete den gebildeten Wasserstoff und das Magnesiumhydroxid als stark gewebstoxische Komponenten. Beim Einbringen von Magnesiumstiften unter die Haut, in die Tibia und die Muskulatur beobachtete er stärkere Gasentwicklung als bei dem Metallstaub. Die Pins waren nach zwei Monaten überwiegend zerfallen. Auffallend war für ihn, dass die Wirkung von Magnesium im Knochen, bis auf eine leichte Verdickung des Periosts, im Vergleich zu den anderen Testlokalisationen sehr gering war (NICOLE 1947).

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1971 setzten STROGANOV et al. cadmiumhaltige Magnesiumlegierungen in der Knochenchirurgie ein, die zwar wenig Wasserstoffentwicklung zeigten, aber hohe toxische Cadmiumanteile freisetzten.

Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden Magnesium und seine Legierungen als Osteosynthesematerial wieder aufgegriffen.

Zahlreiche In-vitro-Untersuchungen im Hinblick auf die Verwendbarkeit von Magnesiumlegierungen in der Biomedizintechnik wurden in den letzten Jahren durchgeführt. WITTE et al. (2006) untersuchten die Legierungen AZ91 (9 mas%

Aluminium, 1 mas% Zink) und LAE442 (4 mas% Lithium, 4 mas% Aluminium, 2 mas%

Seltene Erden) in Kochsalzlösung auf ihr Degradationsverhalten und verglichen die Ergebnisse mit den Resultaten aus In-vivo-Untersuchungen. Sie fanden heraus, dass die In-vivo-Korrosion vier Zehnerpotenzen kleiner war als die In-vitro-Korrosion und die Tendenzen der Korrosionsraten sich gegenläufig verhielten. LAE442 zeigte in vitro eine schwächere Korrosionsbeständigkeit als AZ91, dagegen war die Seltene Erden-Legierung in vivo korrosionsbeständiger. Daraus schlussfolgerten sie, dass mit In-vitro-Untersuchungen keine Voraussagen zu In-vivo-Korrosionsraten getroffen werden können.

LAE442 und Az91 zeigten als Korrosionsmorphologie lokalen Lochfraß.

LI et al. (2008) untersuchten MgCa-Legierungen mit Kalziumanteilen von 1 mas% bis 3 mas% hinsichtlich der Korrosion in simulierten Körperflüssigkeiten (SBF- simulated body fluid), in Zytotoxizitätstests aber auch bezüglich der mechanischen Eigenschaften. Die Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass durch den Kalziumgehalt und den Herstellungsprozess die mechanischen Eigenschaften eingestellt werden können. Ein Kalziumgehalt von 1 mas% (MgCa1,0) in der Legierung und der Strangpressprozess stellten sich diesbezüglich als vorteilhaft heraus. MgCa1,0 erwies sich auch in den Zytotoxizitätstests als die beste Legierung. Zusätzlich fanden Li et al. (2008) heraus, dass sich sowohl in vitro als auch in vivo mit zunehmender Immersions- bzw. Implantationszeit eine Schicht auf der von ihnen favorisierten Legierung ausbildete, welche sich aus Mg(OH)2 und Hydroxylapatit zusammensetzte. Diese Schicht hatte in den rasterelektronenmikroskopischen Bildern eine rissige Oberfläche und wies Mikroporen auf (LI et al. 2008).

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SONG (2007) überprüfte Magnesium und verschiedene Legierungen (z.B. AZ91, MgZn2Mn0,2 (2 mas% Zink, 0,2 mas% Mangan) und oberflächenbehandeltes Magnesium (Anodisierung) in SBF-Lösung hinsichtlich der Korrosionsrate und der gebildeten Menge an Wasserstoff. Durch letztere schloss er darauf, dass diese die lokale Degradationsrate von Magnesiumlegierungen widerspiegelt. Er postulierte aus seinen Ergebnissen und Berechnungen zur legierungsspezifischen Wasserstoffbildungsrate einen tolerierbaren Wert (0,01 ml/cm2/Tag) für die Menge an täglich freigesetztem Wasserstoff im Körper.

Diesem Wert kam die Legierung MgZn2Mn0,2 am nächsten. Damit bezeichnete er diese als die potentielle Magnesiumlegierung für den Einsatz als degradables Osteosynthesematerial (SONG 2007). Durch die Anodisierung der Probenoberfläche erreichte er eine Verzögerung des Degradationsbeginns.

RETTIG und VIRTANEN (2007) untersuchten die stranggepresste Seltene Erden-haltige Magnesiumlegierung WE43 (4 mas% Yttrium und 3 mas% Seltene Erden) in vitro in SBF-Lösung und isotonischer Kochsalzlösung. Das getestete Material zeigte eine geringere Korrosionsresistenz in SBF als in Kochsalzlösung. In beiden Fällen bildete sich eine Korrosionsschicht auf der Probenoberfläche aus, welche aus amorphem Apatit bestand.

Diese Schicht bezeichnete die Arbeitsgruppe als geringen Schutz gegen die Korrosion.

PARDO et al. (2007) fanden ebenfalls in ihren In-vitro-Untersuchungen der Legierungen AZ31 (3 mas% Aluminium und 1 mas% Zink), AZ80 (8 mas% Aluminium, 0,5 mas% Zink) und AZ91 in Kochsalzlösung heraus, dass sich eine Mg(OH)2-haltige Korrosionsschicht ausbildet. AZ80 und AZ91 erwiesen sich korrosionsbeständiger als AZ31. Eine Anreicherung von Aluminium in der Korrosionsschicht stellten sie in rasterelektronenmikroskopischen und EDX-Untersuchungen (EDX- Energie-dispersive Röntgenstrahlanalyse) fest.

XU et al. (2007b) analysierten die Legierungen MgMn1,2 (1,2 mas% Mangan) und MgZn1Mn1,2 (1 mas% Zink, 1,2 mas% Mangan) im Vergleich zu WE43 in SBF-Lösung.

Sie konnten ebenso zeigen, dass sich eine hauptsächlich aus Magnesium, Kalzium und Phosphat bestehende Reaktionsschicht schnell auf der Oberfläche bildet.

Zusammenfassend zeigten die beschriebenen In-vitro-Untersuchungen, dass Magnesium durch Zulegieren von Kalzium, Lithium, Aluminium, Seltene Erden, Mangan und Zink korrosionsbeständiger ist (KAESE 2002; WITTE et al. 2006; PARDO et al. 2007; SONG

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2007; XU et al. 2007b; LI et al. 2008) und das Strangpressen der Materialien zusätzlich einen Korrosionsschutz und eine Verbesserung der mechanischen Eigenschaften bieten kann (KAESE 2002; LASS 2005; LI et al. 2008). Außerdem wurde in allen Analysen die Ausbildung einer apatithaltigen Oberflächenschicht festgestellt.

In den zeitgleich durchgeführten In-vivo-Untersuchungen wurden unterschiedliche Magnesiumlegierungen an verschiedenen Tiermodellen getestet.

Zum einen wurden die vier Legierungen AZ31, AZ91, WE43 und LAE442 im Vergleich zu PLA in Stiftform intramedullär im Meerschweinchenfemur mit Versuchszeiten von sechs und 18 Wochen eingesetzt. Die Implantate zeigten hinsichtlich ihres Degradationsverhaltens Unterschiede. Sowohl in radiologischen Untersuchungen als auch metallographischen Längsschliffen konnte für LAE442 gefolgt von WE43 die langsamste und gleichmäßigste Degradation festgestellt werden. AZ31 und AZ91 degradierten schneller und ungleichmäßiger (MEYER-LINDENBERG et al. 2003, SWITZER 2005;

WITTE et al. 2005b; WITTE et al. 2006). Auf allen Magnesiumimplantaten bildete sich direkt auf der Implantatoberfläche eine Degradationsschicht aus, welche sich in den rasterelektronenmikroskopischen und XRD (Röntgendiffraktometrie)-Untersuchungen als amorphe kalzium- und phosphatreiche Schicht zeigte. Seltene Erden-Elemente verteilten sich homogen in dieser Schicht und im Implantat selbst. Im umliegenden Knochen konnten keine Seltenen Erden detektiert werden, woraus die Autoren schlossen, dass diese während der Magnesiumdegradation in Lösung gehen und nicht im Körper akkumulieren (WITTE et al. 2002). Zusätzlich wurde in der gleichen Studie die Biokompatibilität analysiert (SWITZER 2005; WITTE et al. 2005b). Es traten ebenfalls die schon aus früheren Untersuchungen beschriebenen Gasbildungen auf, wobei die Seltenen Erden-haltigen Magnesiumlegierungen LAE442 und WE43 vergleichsweise die wenigste Gasbildung zeigten. Auch wurde eine Stimulation der Knochenneubildung vor allem im periostalen und endostalen Bereich festgestellt (SWITZER 2005; WITTE et al. 2005b). Es wurde außerdem in µ-computertomographischen Analysen eine Verdickung der Femura durch die Magnesiumlegierungen beobachtet. Die histologischen Untersuchungen ließen weiterhin keine oder nur geringe Bindegewebsansammlungen im periimplantären Bereich erkennen. Neu gebildetes Knochengewebe war in der Markhöhle mit direktem Kontakt

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zum Magnesiumimplantat feststellbar (SWITZER 2005, WITTE et al. 2005b). In verschiedenen getesteten Geweben konnte keine Erhöhung des Magnesiumgehaltes festgestellt werden (SWITZER 2005).

Außerdem wurden Untersuchungen im Hinblick auf das allergene Verhalten (Intrakutantest) der vier Magnesiumlegierungen AZ31, AZ91, WE43 und LAE442 im Vergleich zu Titan und PLA am Meerschweinchen durchgeführt. Keines der Materialien zeigte eine Allergieinduktion (MEYER-LINDENBERG et al. 2003; WITTE et al. 2007a).

Des Weiteren wurde AZ91 als subchondral im Kaninchenfemur eingebrachte Magnesiumschwämme in künstlichen Knorpel-Knochen-Defekten eingesetzt und mit Leerdefekten bzw. osteochondralen Umkehrplastiken hinsichtlich der biomechanischen Stabilität und Biokompatibilität verglichen (REIFENRATH 2005; REIFENRATH et al. 2007, WITTE et al. 2007b, WITTE et al. 2007c). Bei dieser Untersuchung zeigte sich, dass die Degradation zu schnell einsetzte und durch die Korrosionsprodukte zu einer Behinderung der knöchernen und knorpeligen Regeneration im Defektbereich führte. Die erwartete biomechanische Stabilität wurde ebenfalls nicht erfüllt (REIFENRATH 2005;

REIFENRATH et al. 2007; WITTE et al. 2007b; WITTE et al. 2007c).

WITTE et al. (2007b/2007c) führten ebenfalls In-vivo-Untersuchungen an zylindrischen Schwämmen aus AZ91 durch. Diese wurden in die distale Femurkondyle von Kaninchen für drei bzw. sechs Monate implantiert und mit autologen Knochentransplantaten hinsichtlich der Entzündungsreaktionen und des Knochenremodelings histologisch analysiert. Dabei zeigte sich AZ91 als sehr schnell degradierendes Material, welches in den ersten zwei Wochen nach der Implantation Gashöhlen im Kniebereich verursacht, jedoch klinisch gut vertragen wurde. Trotz seiner hohen Degradationsgeschwindigkeit wies AZ91 eine gute Biokompatibilität auf und löste keine signifikanten Entzündungsreaktionen im Knochen aus. Um den verbliebenen Implantatrest bildete sich eine fibröse Kapsel.

Außerdem konnte ein erweitertes periimplantäres Knochenremodeling festgestellt werden.

Es war eine erhöhte Mineralappositionsrate und ein Anstieg der osteoklastischen Knochenoberfläche zu beobachten, welche in einer erhöhten Knochenmasse und der Tendenz stärker ausgereifter trabekulärer Knochenstruktur im Vergleich zur Kontrollgruppe führte (WITTE et al. 2007b; WITTE et al. 2007c).

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Im Gegensatz dazu konnte in einer Studie an kompakten Magnesiumzylindern, welche im Gelenkbereich der medialen Femurkondyle in artifizielle Knorpel-Knochen-Defekte beim Kaninchen eingesetzt wurden, viel versprechende Ergebnisse für den Einsatz von Magnesium als Implantatmaterial erlangt werden. Die Knorpelregeneration verlief durch den Magnesiumeinfluss schneller und der knöcherne Defekt wurde zügiger unterbaut als bei Kontrolltieren mit Leerdefekten (Witte et al. 2005a).

Von der HÖH et al. (2006) untersuchten den Einfluss der Oberflächenbearbeitung von unterschiedlichen Magnesium-Kalzium-Legierungen auf die Degradation. Dafür implantierten sie für sechs Wochen zylindrische Magnesiumproben unterschiedlicher Rauheiten (glatt, rau, gestrahlt) und Kalziumgehalte (0,2 %, 0,8 %, 1,2 %, 2,0 %) in die distale Femurkondyle von Kaninchen. Dabei konnten sie feststellen, dass alle Materialien trotz einer in einigen Fällen klinisch und radiologisch feststellbaren Gasbildung eine gute Verträglichkeit aufwiesen. Ein Einfluss der unterschiedlichen Kalziumgehalte auf das Degradationsverhalten konnte diese Arbeitsgruppe nicht nachweisen. Dagegen zeigte sich, dass gestrahlte Zylinder den stärksten und glatte Implantate den geringsten Degradationsgrad aufwiesen (von der HÖH et al. 2006).

XU et al. (2007a) analysierten das In-vivo-Degradationsverhalten von MgZn1Mn1,2-Legierungen in Form kleiner Nägel in Rattenfemura mit einer Implantationszeit von neun und 18 Wochen. Sie konnten bei der Sektion keine Gasblasen im Gewebe finden, jedoch nicht ausschließen, dass während der Versuchsdauer trotzdem Gas gebildet wurde. In beiden Zeitgruppen konnte histologisch keine Entzündungsreaktion festgestellt werden.

Die durchschnittliche Degradation betrug nach neun Wochen 10-17 % und stieg nach 18 Wochen auf 54 % an. Um die Implantate herum konnte eine Knochenneubildung sowie die schon in anderen Untersuchungen beschriebene Degradationsschicht beobachtet werden.

Diese bestand hauptsächlich aus Magnesium, Kalzium und Phosphor. Die Legierungsbestandteile Mangan und Zink verteilten sich homogen im Implantat selbst, in der Schicht und im umliegenden Knochen. Daraus folgerten XU et al. (2007a), dass diese beiden Elemente leicht vom Körper resorbiert werden.

LI et al. (2008) führten mit der aus ihren In-vitro-Untersuchungen favorisierten MgCa1,0-Legierung eine In-vivo-Studie durch. Die Magnesiumpins wurden in den Femurschaft von Kaninchen für ein, zwei und drei Monate implantiert und mit Titanpins verglichen. Die

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Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass im Vergleich zu Titan eine hohe Osteoblasten- und Osteozyten-Aktivität um das Implantat herum auftrat. Die Magnesiumpins degradierten zunehmend innerhalb der drei Monate unter Ausbildung einer aus Mg(OH)2 und Hydroxylapatit bestehenden Degradationsschicht. Außerdem wurde im ersten Monat radiologisch eine Gasbildung im Weichgewebe und periimplantär in der Markhöhle festgestellt. Eine deutliche Knochenneubildung war nach drei Monaten erkennbar. Eine Änderung des Serummagnesiumspiegels während der Implantationszeit konnten sie nicht feststellen.

Unterschiedliche Legierungselemente haben einen Einfluss auf das Degradationsverhalten und/ oder die mechanischen Eigenschaften (SONG 2007, PARDO et al. 2008). Für den Einsatz von Magnesium als Implantatmaterial wird von einigen Autoren die toxikologische Unbedenklichkeit der Legierungsbestandteile besonders hervorgehoben (STAIGER et al. 2006; SONG 2007; LI et al. 2008).

Die Biokompatibilität von Aluminium wird von SONG (2007) als gering angesehen. Nach FISHER (1973) verursacht es in der Allgemeinbevölkerung selten eine Kontaktallergie. Als Legierungselement verhält es sich nach UNGETHUEM und WINKLER-GNIEWEK (1984) selbst nach Einnahme großer Mengen physiologisch neutral und wird von Gewebe außerordentlich wenig absorbiert. Interaktionen mit dem Phosphat- und Kalziumstoffwechsel sind jedoch beim Menschen sowie tierexperimentell belegt (BUNDESINSTITUT FÜR RISIKOBEWERTUNG 2005). In Tierversuchen, in denen Aluminium verfüttert wurde, konnte gezeigt werden, dass Aluminium in hohen Dosen Nervenschädigungen verursacht. In reproduktionstoxikologischen Studien traten embryotoxische Effekte auf, wobei teratogene Wirkungen nicht beobachtet wurden (SCHMIDT u. GRUNOW 1991). Ein direkter Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit wurde bisher vermutet, aber nicht nachgewiesen (BUNDESINSTITUT FÜR RISIKOBEWERTUNG 2005). Kalzium ist ein essentielles Mengenelement und mit einem Körperbestand von 1–1,1 kg der mengenmäßig am stärksten vertretene Mineralstoff im menschlichen Organismus. 99 % des im Körper vorkommenden Kalziums befinden sich in Knochen und Zähnen. Es ist an der Blutgerinnung, der Erregung von Muskeln und Nerven sowie der Aktivierung einiger Enzyme und Hormone beteiligt (v. ENGELHARDT u.

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BREVES 2000). Lithium ist im menschlichen Organismus in geringen Mengen vorhanden;

das Element ist jedoch nicht essentiell und hat keine bekannte biologische Funktion.

Trotzdem haben einige Lithiumsalze eine medizinische Wirkung und werden im Bereich der Psychiatrie z.B. bei Depressionen eingesetzt. Bei zu hohem Lithiumspiegel können Übelkeit, Erbrechen, Tremor Herzrhythmusstörungen bis zum Herzstillstand auftreten (MCINTYRE et al. 2001). WITTE (Internetbeitrag) konnte für lithiumhaltige Legierungen nachweisen, dass im Vergleich zu Versuchstieren ohne Implantat in einigen Organen erhöhte Gehalte dieses Elements auftraten, die jedoch innerhalb des physiologisch unbedenklichen Bereichs lagen. Gleiches konnte er für die Seltenen Erden feststellen. In anderen Untersuchungen zur Toxizität der Seltenen Erden wurden sowohl in Tierversuchen aber auch in Fallberichten beim Menschen Toxizitäten und Kanzerogenität in Organen wie Lunge und Leber beobachtet (NAKAMURA et al. 1997; BINGHAM et al.

2001). Mangan und Zink sind essentielle Elemente für den Körper. Mangan spielt eine große Rolle in der Aktivierung zahlreicher Enzymsysteme. Zink ist Bestandteil von über 200 Enzymen im Körper (v. ENGELHARDT u. BREVES 2000). Beide Elemente sind in höheren Mengen tolerierbar (SONG 2007).

Aufgrund der vorangegangenen Betrachtungen stellen sich nach SONG (2007) folgende Elemente zur Verwendung als Legierungskomponenten, welche gut vom Körper toleriert

Aufgrund der vorangegangenen Betrachtungen stellen sich nach SONG (2007) folgende Elemente zur Verwendung als Legierungskomponenten, welche gut vom Körper toleriert