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1.10 Materialeigenschaften

1.10.2 Magnesium

In unsere Erw¨agungen zu m¨oglichen Abrasivstoffen bezogen wir nicht nur ver-schiedene Zucker, sondern auch andere Materialien ein, wie z. B. Magnesium, welches mit seinen Legierungen als resorbierbarer biokompatibler Implantatwerk-stoff in letzter Zeit vermehrt Gegenstand verschiedener Studien geworden ist567 [41]. Der Vorteil von resorbierbaren Implantaten besteht in der Einsparung

ei-5Niemeyer et al.:Magnesium alloys as biodegradable metallic implant materials for cardio-vascularic and orthopaedic surgery“, 7th European Conference on Advanced Materials and Processes, Rimini, 2001

6Niemeyer et al.:

Magnesium als resorbierbarer Implantatwerkstoff“, 2. Tagung des DVM-Arbeitskreises Biowerkstoffe, Implantologie: Mechanische und klinische Aspekte von Im-plantaten, Mainz, 2000

7Witte et al.:

Characterization of Degradable Magnesium Alloys as Orthopaedic Implant Material by Synchrotron-Radiation-Based Microtomography“,http://www-hasylab.desy.

de/science/annual_reports/2001_report/part1/contrib/47/5461.pdf

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ner weiteren Operation, da das Implantat nicht entfernt werden muss, sondern sich nach einiger Zeit aufl¨ost. Die mechanischen Eigenschaften des Magnesiums kommen denen des Knochens sehr nahe, so dass es sich in dieser Hinsicht f¨ur orthop¨adische Implantate wie N¨agel und Schrauben eignet 7. Besonders g¨unstig sind Kennwerte wie Elastizit¨atsmodul und Festigkeit, die sehr nah an den Werten der Kortikalis des humanen Knochens liegen [3]. Aber auch Stents aus Magnesi-um k¨onnen beim Dilatieren von Gef¨aßen Vorteile gegen¨uber den bisher ¨ublichen Stents bringen, da sie zun¨achst das Gef¨aß offen halten und sich dann mit der Zeit aufl¨osen [24]. Ein wichtiger Faktor f¨ur die Biokompatibilit¨at von Implantatmate-rialien sind die elektrochemischen Eigenschaften. Da Magnesium elektronegativer als die meisten anderen Implantatmaterialien ist, hat es eine geringere thrombo-gene Wirkung bei Kontakt mit Blut [45].

Magnesium ist ein Leichtmetall (Dichte: 1,738) der 2. Hauptgruppe des Perioden-systems (Ordnungszahl 12, rel. Atommasse 24,305). Es kommt in der Natur nicht in reiner Form vor, sondern nur gebunden, vor allem in Form von Silicaten, wie z. B. Serpentin, Olivin u. Asbest. Die wichtigste Quelle f¨ur der Magnesiumgewin-nung ist das Magnesit (MgCO3), es kommt aber auch im Dolomit (CaMg(CO3)2), Carnallit (KMgCl3 ·6 H2O), Kieserit (Mg(SO4) ·H2O) und im Meerwasser zu 0,13 % vor.

Magnesium wurde erstmals 1808 von Sir Humphrey Davy durch Schmelzflusselek-trolyse isoliert. In Deutschland wurde 1866 mit der industriellen Erzeugung von Magnesium durch Elektrolyse aus Karnallit begonnen. Ab 1875 fand Magnesium als Blitzlicht bei der Fotografie Verwendung. 1909 wird das erste Patent f¨ur eine Magnesium-Legierung als Konstruktionswerkstoff vergeben. 1922 sorgte in einem Motorrad von Opel ein Magnesiumkolben und -kurbelgeh¨ause f¨ur Aufsehen. In den dreißiger Jahren wurden der Motorblock und das Getriebegeh¨ause des VW-K¨afer aus Magnesium gefertigt. Nach den siebziger Jahren verringerte sich wieder der Anteil der Maschinenelemente aus Magnesium und erst in den letzten Jahren

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wird es wieder vermehrt eingesetzt, beispielsweise als Geh¨ause von Mobiltelefonen oder Notebooks, aber vor allem auch von der Autoindustrie.

Durch sein niedriges elektrochemischen Potential von E0H = -2,36 V wird es leicht oxidiert (starkes Reduktionsmittel). Es wird durch S¨auren aller Art unter Salzbil-dung und Wasserstoffentwicklung gel¨ost. Auch viele Salzl¨osungen zersetzen das Metall. Kaltes Wasser greift es wegen Ausbildung einer Mg(OH)2–Schutzschicht nur sehr langsam, warmes Wasser schneller an (Mg + H2O → MgO + H2) [28]

[43].

Durch das niedrige elektrochemische Potential ist Magnesium fast immer das un-edlere Element und l¨ost sich daher durch Korrosion auf. Außerdem bilden Elektro-lyte wie z. B. NaCl-L¨osung mit Magnesium hydrolyseunbest¨andige Verbindungen und verursachen so eine L¨osung des Metalls [3].

Die hohe chemische Reaktionsfreudigkeit, besonders mit Sauerstoff, macht eine gewisse Vorsicht beim Umgang mit dem Material notwendig. Gr¨oßere Magnesium-st¨ucke entz¨unden sich nur, wenn sie durch eine hohe W¨armezufuhr zum Schmelzen gebracht werden. Feine Magnesiumsp¨ane und -staub sind dagegen leicht entz¨und-lich, da die W¨arme nicht fortgeleitet werden kann. Die Entz¨undung feiner Magne-siumsp¨ane erfolgt ab einer Temperatur von ca. 450 – 500➦C. Funkenschlag beim Aufeinandertreffen von Werkzeugen reicht, um die Initialz¨undung zu verursachen.

Magnesiumstaub kann explosionsartig verbrennen, die Gefahr ist allerdings nicht h¨oher als z. B. bei Holz-, Kohlen- oder Aluminiumstaub. In Verbindung mit Was-ser kann es zu Reaktionen mit Bildung von Magnesiumhydroxid und WasWas-serstoff kommen, was ab einer gewissen Konzentration die Gefahr einer Wasserstoffex-plosion mit sich bringt, weshalb Magnesiumemulsionen nicht in geschlossenen Gef¨aßen aufbewahrt werden d¨urfen. Magnesiumbr¨ande k¨onnen weder mit Was-ser, noch mit ABC – Pulver, CO2 oder Stickstoff gel¨oscht werden. Geeignet sind hierf¨ur z. B. Spezialsand oder Eisensp¨ane. Der Schmelzpunkt des Metalls liegt bei 650➦C, der Siedepunkt bei 1107➦C. Die mechanischen Eigenschaften des Ma-gnesiums k¨onnen durch die Legierung mit verschiedenen anderen Elementen

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einflusst werden. Bei der Bezeichnung der Legierung wird das Legierungselement durch einen Kurzbuchstaben und den gerundeten prozentualen Anteil gekenn-zeichnet. Die Legierung AZ31 z. B. besteht also etwa aus 3 % Aluminium, 1 % Zink und 96 % Magnesium.

Aluminium ist das am h¨aufigsten verwendete Legierungselement f¨ur Magnesi-um. Es bewirkt u.a. eine h¨ohere H¨arte und Zugfestigkeit der Legierung. ¨ Ahn-lich verh¨alt sich Zink. Alle Seltenen Erden erh¨ohen die Warmfestigkeit und die Kriechfestigkeit. Beryllium, Zirkon und in besonderem Maße Mangan erh¨ohen die Korrosionsbest¨andigkeit89 [5].

Im Hinblick auf die Korrosionsbest¨andigkeit ist die Reinheit der Legierung von großer Bedeutung. Steigt z. B. der Eisengehalt von AZ91 auf Werte oberhalb von ca. 100µg/g, nimmt die Korrosionsgeschwindigkeit drastisch zu10. Das Zink hat keinen nennenswerten Einfluss auf die Korrosion der Legierung. In besonderem Maße f¨uhren auch Chlorid-, Nickel- und Kupfereinschl¨usse zu einer starken Er-h¨ohung der Korrosion [5].

In der Industrie wird wegen seiner guten Gießeigenschaften die Legierung AZ91 am h¨aufigsten verwendet. Das von uns f¨ur die Versuche verwandte AZ31 dage-gen eignet sich eher f¨ur Knetlegierundage-gen, die sich aber bisher nicht etablieren konnten. Legierungen der Reihe AE (Aluminium + Seltene Erden) bieten sich f¨ur Anwendungen, bei denen hohe Warm- und Kriechfestigkeit wichtig ist, an.

Wegen der sehr teuren Legierungselemente (Seltene Erden, Silber, Yttrium) sind sie aber bisher haupts¨achlich in der Luft- und Raumfahrt zu finden.

8Kleiner S:

Magnesium und seine Legierungen“. Institut f¨ur Metallforschung, ETH Z¨urich.

In: Feinstbearbeitung technischer Oberfl¨achen - 6. Internationales IWF-Kolloquium, Eger-kingen, Schweiz, 2002

9Nowicki L: Magnesium – Werkstoffeigenschaften.http://elanoinfo.mkl.uni-karlsruhe.

de/elanoportal/Dokumente/werkstoffe_magnesium.pdf

10Beffort und Hausmann:

Das Leichtmetall Magnesium und seine Legierungen“. In: Seminar Magnesium Aktuelle Entwicklungen und Trends. EMPA Thun, 1999

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F¨ur den K¨orper ist Magnesium ein essentielles Element. In der Nahrung ist es besonders reichhaltig in Getreideprodukten (besonders in Vollkornerzeugnissen), Milchprodukten, Fleisch und vielen Gem¨usesorten enthalten. Auch Tee und Kaf-fee sind gute Magnesiumquellen. Der Tagesbedarf liegt bei 200 – 300 mg (WHO).

Die Gesamtmenge im K¨orper betr¨agt ca. 950 – 1150 mmol (ca. 23 – 28 g), weit mehr als z. B. Eisen. Davon finden sich 67 % im Knochen, 31 % im Intrazellu-larraum (haupts¨achlich in der Muskulatur) und ca. 1 % im ExtrazelluIntrazellu-larraum [15]. Der Referenzbereich f¨ur die Magnesiumkonzentration im Serum liegt bei 0,66 bis 1,1 mmol/l, wovon 50 % in freier oder ionisierter (biologisch aktiver) Form, 30 % gebunden an Albumin und 10 % komplexgebunden an Phosphat und Zitrat vorliegt [52]. Magnesium ist Cofaktor bei allen durch ATP katalysierten Enzymreationen. Dadurch sind der gesamte Energiestoffwechsel, die neuromus-kul¨are Erregbarkeit, die Proteinsynthese und die Regulation der Membranper-meabilit¨at von Magnesium abh¨angig. Bei Magnesiummangel kann es zu Sensibili-t¨atsst¨orungen, Kribbelgef¨uhl, Muskelzittern und Muskelkr¨ampfen kommen. Auch Herzrhythmusst¨orungen und Herzinsuffizienz k¨onnen resultieren. Verst¨arkt wird ein eventueller Magnesiummangel durch verschiedene Medikamente und durch Faktoren, die die Magnesiumresorption im Darm hemmen. Dazu z¨ahlen Thiamin-mangel (Vitamin B1), RiboflavinThiamin-mangel (Vitamin B2) und alkohol- und protein-reiche Ern¨ahrung. Eine eventuelle ¨Uberdosis kann ¨uber die Niere ausgeschieden werden (bis zu 5 g/d) [52]. Magnesium wird im Glomerulum frei filtriert und wie Natrium und Kalzium in der Henleschleife r¨uckresorbiert. Die maximale Dosis f¨ur eine Kurzinfusion liegt beim Erwachsenen bei 6 mg. Von einer Hypermagnesi¨amie spricht man bei einer Magnesiumkonzentration im Serum von ¨uber 1,6 mmol/l.

Symptomatisch wird die Hypermagnesi¨amie aber erst, wenn die Normalwerte zwei- bis dreifach ¨uberschritten werden (s. Tab. 5). Solch hohe Serumspiegel tre-ten in der Regel nur bei fortgeschrittre-tener Niereninsuffizienz (GFR < 1/4 des Normalwertes) auf. Weitere Ursachen f¨ur eine Hypermagnesi¨amie sind

Hyperkal-1.10 Materialeigenschaften 32

Mg-konzentration Symptome

2 – 2,5 mmol/l Schwindel, Gef¨aßerweiterung, Hypotonie

2 – 3,5 mmol/l Sedierung, Muskelschw¨ache, abgeschw¨achte Sehnenreflexe 2,5 – 5 mmol/l arterielle Hypotonie, Bradykardie, diffuse Vasodilatation 5 – 7,5 mmol/l Koma, Atemstillstand, Areflexie

6 – 9 mmol/l Herzstillstand

Tabelle 5: Symptome bei Hypermagnesi¨amie in Abh¨angigkeit von der Serumkonzentra-tion [52]

z¨amie (z. B. bei Hyperparathyreoidismus oder Skelettmetastasen), Hypothyreose, Nebenniereninsuffizienz und eine Lithiumintoxikation.

Durch Magnesiumsalz in hohen Dosen kann das zentrale Nervensystem vollst¨an-dig gel¨ahmt werden. Magnesium kann durch Kalziumionen antagonisiert werden.

Außerdem steht Furosemid bei Magnesiumintoxikationen als Notfallmedikament zur Verf¨ugung, welches die Ausscheidung erh¨oht und schließlich kann Magnesium auch mittels H¨amodialyse aus dem K¨orper entfernt werden [43] [52]. Medizinisch wird Magnesium u.a. bei Tachykardien, Obstipation (Magnesiumsulfat) und als Antazida (Mg2+-hydroxid, Mg2+-trisilikat) angewendet. Des Weiteren hat Ma-gnesium verschiedene positive Effekte auf den Organismus. Es wirkt z. B. kardio-protektiv, antiarrythmisch, antihypertensiv und festigend auf Z¨ahne und Kno-chen [28] [43] [42]. Bei parenteraler Gabe von Magnesium kann es zu Wechselwir-kungen mit anderen Medikamenten kommen: Bei Barbituraten, Hypnotika und Narkotika besteht das Risiko einer Atemdepression. Die Wirkung von nichtdepo-larisierenden Muskelrelaxanzien (Curare) und Kalziumantagonisten wird durch Magnesium verst¨arkt. Gegenanzeigen f¨ur eine parenterale Magnesiumgabe sind Myasthenia gravis und ein AV-Block.

Abbildung 10 zeigt das rasterelektronenmikroskopische Bild von Magnesium-Granulat, wie es zum Wasserabrasivstrahlschneiden verwendet wird.