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Mögliche Auswirkungen der Variante c.452A>G

5.2 Mögliche Auswirkungen der ermittelten Varianten

5.2.1 Mögliche Auswirkungen der Variante c.452A>G

Die Mutation c.452A>G findet an zweiter Stelle des 151. Basentripletts statt und bewirkt durch den Basenaustausch von Adenin zu Guanin eine Substitution der Aminosäure Ty-rosin durch Cystein (p.151Y>C). Diese Variation wurde bei einer weißrussischen Patien-tin in heterozygoter Form gefunden. Bei 200 untersuchten Proben liegt die Trägerfre-quenz somit bei 0,5%. Im erweiterten, per HRM untersuchten Kollektiv von 500 Brust-krebspatientinnen konnte keine weitere Probe mit dieser Mutation identifiziert werden.

Für das Gesamtkollektiv der 700 untersuchten weißrussischen Patientinnen ergibt sich so eine Trägerfrequenz von 0,14%.

Zum Zeitpunkt dieser Arbeit war die Variante c.452A>G weder in der NCBI-Datenbank noch in der Datenbank des Exome Aggregation Consortium beschrieben, sodass keine Aussage über Mutationsfrequenzen in anderen Populationen gemacht werden kann.

Bei Tyrosin handelt es sich um eine nicht-essentielle, aromatische Aminosäure. Des Wei-teren ist Tyrosin ein teilweise polares Molekül. Die nicht-essentielle Aminosäure Cystein verfügt über eine schwefelhaltige Kette und ist zumindest im dissoziierten Zustand polar.

Weitere Eigenschaften der beiden Aminosäuren sind Tabelle 5.2 zu entnehmen (135).

Tabelle 5.2: Vergleich der Eigenschaften von Tyrosin und Cystein (135)

Tyrosin Cystein

Untergruppe Aromatische Aminosäuren Aliphatische Aminosäuren

Polarität teilweise polar teilweise polar

Isoelektrischer Punkt 5,7 5,0

Hydrophobizität 0,714 0,721

Funktionelle Gruppe Hydroxylgruppe Thiolgruppe Molekulares Gewicht der

funktionellen Gruppe

163 103

Es kann also gesagt werden, dass es sich bei Tyrosin und Cystein um zwei Aminosäuren handelt, die über ähnliche Eigenschaften verfügen, was gegen eine negative Auswirkung der Aminosäuren-Substitution spräche.

Zur weiteren Klärung dieser Frage wurden die Online-Tools SIFT, PROVEAN, Mutati-onTaster und Polyphen-2 hinzugezogen, die jedoch unterschiedliche Prädiktionen bezüg-lich der Malignität der Mutation abgaben: Laut SIFT, PROVEAN und MutationTaster handelt es sich um eine schädliche Variante, während Polyphen-2 keine negativen Aus-wirkungen voraussagt (siehe Kapitel 4.4.1). Auf den ersten Blick erscheinen diese unter-schiedlichen Prognosen widersprüchlich, bei genauerer Betrachtung der jeweiligen Ar-beitsweisen der Programme lassen sich diese Unterschiede jedoch erklären. Der Prädik-tions-Algorithmus von SIFT basiert beispielsweise auf dem Grad der Konservierung un-terschiedlicher, aber ähnlicher Sequenzen, während Polyphen-2 in seine Analyse auch die Struktur des Proteins einbezieht, um durch die Position der veränderten Aminosäure die möglichen Auswirkungen dieses Austauschs zu bestimmen. PROVEAN arbeitet ähnlich wie SIFT mit dem Abgleich strukturell verwandter Sequenzen. In die Prädiktion des Mu-tationTasters gehen hingegen mehrere Determinanten ein, so zum Beispiel die Beeinflus-sung von Bindungs- oder Spleißstellen. Somit handelt es sich um mehrere unterschiedli-che bioinformatisunterschiedli-che Herangehensweisen, deren Ergebnisse folglich differieren können, ohne sich zwangsläufig zu widersprechen.

Es drängt sich die Frage auf, welche Methode gemeinhin die zuverlässigsten Ergebnisse liefert. Die Anbieter vom Tool MutationTaster testeten ihr Programm im Vergleich mit anderen Prädiktionswerkzeugen, indem sie die unterschiedlichen Online-Tools die schon

bekannte Pathogenität von insgesamt 7200 Polymorphismen berechnen ließen und an-schließend deren Treffsicherheit verglichen. Die Tabelle 5.3 zeigt einen Ausschnitt der hierbei erhobenen Daten (136).

Tabelle 5.3: Vergleich der verwendeten Prädiktions-Programme (136)

Sensitivität in % Spezifität in % Treffsicherheit in

%

MutationTaster 88,7 87,4 88,0

Polyphen-2 85,8 82,1 84,0

PROVEAN 77,8 87,8 82,8

SIFT 82,7 85,8 84,3

Wie aus der Tabelle 5.3 ersichtlich wird, liefert die Software MutationTaster etwas ge-nauere Prognosen als die restlichen verwendeten Tools. Dies gilt selbstverständlich nur unter der Annahme, dass die Entwickler des MutationTasters bei dieser Analyse objektiv vorgegangen sind. Demnach würde die Auswertung der Prädiktionsergebnisse eher dafür sprechen, dass die Variante c.452A>G einen Krankheitswert hat, da Polyphen-2 als ein-ziges der vier Programme ein gegenteiliges Ergebnis errechnet hatte.

Eine der Determinanten für die von Polyphen-2 abgegebene Prognose ist der Abgleich der humanen Proteinsequenz mit anderen Spezies. Ist der Bereich, in dem die Mutation liegt, hoch konserviert, ist eine negative Auswirkung der Mutation wahrscheinlicher. Der hierfür ausgewählte Score reicht von 0 (sehr niedrige Konservierung) bis 10 (sehr hohe Konservierung). Für das 452. Nukleotid des TCTP-Proteins ist ein Score von 2 angege-ben, während die Bindungsdomäne des Proteins Score-Werte bis 9 erzielt. Der niedrige Konservierungsgrad trägt zur Polyphen-2-Prognose bei, welche besagt, dass die Mutation c.452A>G keine negativen Auswirkungen auf die Funktion des Proteins hat. Dies wider-spricht allerdings den Ergebnissen der MutationTaster-Analyse, nach denen es sich bei dem 452. Nukleotid um einen hoch konservierten DNA-Baustein handelt.

Polyphen-2 ist außerdem in der Lage, eine 3D-Grafik des Proteins TCTP zu erstellen und die veränderte Aminosäure darin zu markieren. Die folgenden Grafiken geben Aufschluss über die Lokalisation der Mutation innerhalb des Proteins.

Abbildung 5.1: Darstellung der Mutation durch Polyphen-2 (130)

So wird verdeutlicht, dass die veränderte Aminosäure Teil einer Beta-Faltblatt-Struktur ist. Dies wird durch die Website Predictprotein.org bestätigt, welche angibt, dass die Aminosäuren 145 bis 152 des TCTP-Proteins einen Beta-Strang bilden. Die veränderte Aminosäure trägt die Nummer 151 und ist somit Teil dieser Sekundärstruktur (133).

Diesem Abschnitt des Proteins konnte bis jetzt keine spezifische Funktion zugewiesen werden. Sie liegt allerdings in relativer Nähe zur Bindungsdomäne, welche durch die Aminosäuren 80 bis 133 gebildet wird, folglich beträgt der Abstand 28 Aminosäuren (107). Dort findet die Bindung TCTPs an Tubulin, Calcium, MDM2, die Natrium-Ka-lium-ATPase sowie p53 statt. Eine Beeinträchtigung dieser Domäne könnte also weitrei-chende Folgen für unterschiedliche Funktionen von TCTP haben. Eine veränderte Bin-dung an Tubulin würde beispielsweise den Ablauf des Zellzyklus beeinflussen, während der Verlust der calciumbindenden Funktion TCTPs die Kompensation des zellulären Stresses vermindern und zur Apoptose führen könnte. Wird die Bindung von TCTP an die Na+-K+-ATPase verhindert, würde dies zu einer Reduktion der Zellproliferation füh-ren. Ebenso hätte der Verlust der Bindung zu MDM2 und p53 eine Veränderung des zel-lulären Gleichgewichts zugunsten der proapoptotischen Proteine zur Folge. Allerdings bleibt unklar, inwiefern die relative Nähe der Mutation p.151Y>C zur Bindungsstelle tat-sächlich deren Funktion verändern könnte.

Das Online-Tool ScanSite3 liefert dazu ergänzende Informationen. Es dient dazu, hypo-thetische Bindungsmotive an Proteinen zu identifizieren. Die vom Programm gelieferten Ergebnisse beinhalten außerdem einen Score, der angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit

das betreffende Motiv tatsächlich an beschriebener Stelle existiert. Während mit der Ein-stellung „High Stringency“ keinerlei Bindungsstellen identifiziert werden, liefert die Analyse unter der Voreinstellung „Medium Stringency“ ein potentielles Motiv in unmit-telbarer Nähe beider Varianten c.452A>G und c.492G>A: An die Aminosäure Tyrosin im 159. Codon soll demnach der Insulin-Rezeptor mit seiner Kinasedomäne binden, mög-licherweise unter Phosphorylierung. In Fibroblasten wurde Tyr159 als Phosphorylie-rungsstelle von TCTP ermittelt (137). Die Ergebnisse der ScanSite3-Analyse sind in Ab-bildung 5.2 dargestellt. Allerdings rät der Herausgeber von ScanSite3, die Resultate dieser Analyse nur mit großer Vorsicht zu verwenden, da diese rein spekulativ seien. Der diesem Motiv zugeteilte Score von 0.605 liegt über dem angestrebten Wert von ≤0,2, was die Existenz dieses Bindungsmotivs zusätzlich unwahrscheinlich macht. Außerdem liegt das Codon Tyr151 außerhalb dieses hypothetischen Bindungsmotivs. Nach den Ergebnissen der ScanSite3-Analyse ist also eher nicht mit einer Beeinträchtigung von Bindungsstellen durch die identifizierte Variante c.452A>G zu rechnen (134).

Werden durch eine Mutation die natürlichen Spleißstellen verändert oder verschoben, kann dies ebenso wie ein Aminosäurenaustausch gravierende Folgen für den Organismus haben, da das Proteinprodukt seine Erscheinung dadurch gänzlich ändern kann. Die Soft-ware MaxEntScan liefert Ergebnisse, welche deutlich gegen die Beeinflussung von Spleißstellen durch die Mutation c.452A>G sprechen, wohingegen die Resultate einer

Abbildung 5.2: Ergebnis der ScanSite3-Analyse (134)

Analyse mit dem Programm ESEfinder 3.0 eine Veränderung der Bindungsaffinität von Splice-Enhancer-Proteinen möglich erscheinen lassen ( siehe Kapitel 4.4.2).

Insgesamt liefern die für diese Arbeit genutzten Programme also uneinheitliche Ergeb-nisse bezüglich des Krankheitswertes der Mutation c.452A>G. Einerseits sind sich die Prädiktions-Tools MutationTaster, PROVEAN und SIFT einig in ihrem Ergebnis, dass die Variante schädliche Auswirkungen auf die Proteinfunktion hat. Darüberhinaus könnte die strukturelle Nähe der veränderten Aminosäure zur Bindungsdomäne von TCTP die Bin-dungen des Proteins beeinträchtigen. Veränderungen der Bindungswahrscheinlichkeit von Proteinen, welche Spleißprozesse initiieren sind laut ESEfinder 3.0 durchaus denk-bar, sodass es zu veränderten Spleißstellen kommen könnte, die wiederum das Protein in seiner Funktion hemmen könnten. Außerdem sagt die Software Scansite3 aus, dass nahe der mutierten Aminosäure eine Bindungsstelle für die Insulin-Rezeptor-Kinase liegt, die-ses Ergebnis ist aber unter Umständen nicht als valide zu betrachten.

Andererseits sprechen die von Polyphen-2 abgegeben Resultate gegen eine Pathogenität der Variante c.452A>G. Auch die von diesem Tool errechnete geringe Konservierung in dem betreffenden Bereich des Proteins ließe vermuten, dass dortige Veränderungen keine negativen Konsequenzen nach sich ziehen, wobei dieses Ergebnis im Widerspruch zum vom MutationTaster angegebenen, hohen Konservierungsgrad steht. Die strukturellen Ähnlichkeiten der substituierten Aminosäure Cystein zur ursprünglichen Aminosäure Ty-rosin geben Anlass zu der Annahme, es handle sich hier um eine gut zu kompensierende Veränderung.

Vergleicht man allerdings diese Ergebnisse sowohl bezüglich ihrer Quantität als auch ih-rer Qualität, scheinen die für einen Krankheitswert der Mutation sprechenden Faktoren zu überwiegen. Dieser Krankheitswert könnte sich auf die vielfältigen Funktionen aus-wirken, die das Protein TCTP innehat. Für diese Arbeit speziell relevant wäre der Verlust der Schutzfunktion vor strahleninduzierten DNA-Schäden, da dieser das Auftreten der Brustkrebs-Erkrankung bei der Mutationsträgerin hätte verantworten können. Gesetzt den Fall, die Patientin hätte als Folge des Unfalls in Tschernobyl radioaktive Strahlungsschä-den erlitten, die durch ein nicht komplett funktionsfähiges Protein TCTP nicht wie im Normalfall repariert werden konnten, so hätte die Mutation c.452A>G die Entstehung ihres Mammakarzinoms fördern können.