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4.4 Prädiktion der funktionellen Effekte der Mutationen

4.4.2 Beeinflussung von Spleißstellen

Für die nähere Betrachtung einer Variante in Bezug auf ihre Auswirkungen auf Spleiß-vorgänge gibt es unterschiedliche Möglichkeiten: Zum einen lassen sich die Entropie-Werte der potentiellen Spleißstellen vergleichen, zum anderen die Wahrscheinlichkeiten der Bindung von Splice-Enhancern an die prä-mRNA.

Das Programm MaxEntScan geht nach der erstgenannten Methode vor. Es schlüsselt die Orte innerhalb einer Gensequenz nach ihrer Wahrscheinlichkeit, eine Spleißstelle zu bil-den, anhand des Vergleichs von Entropie-Werten auf. Hierfür wird für jede potentielle Spleißstelle ein Score gebildet, welcher mit dem der ursprünglichen Grenze zwischen Intron und Exon verglichen wird. Übersteigt der Score eines Abschnitts im Exon den der regulären Spleißstelle, kann man von einem Spleißvorgang abseits dieser Stelle ausgehen (131). Die folgende Tabelle gibt Aufschluss über das Ergebnis der Analyse.

Tabelle 4.1: Scores der MaxEntScan-Analyse (131)

5’-Spleißstelle 3’-Spleißstelle

Reguläre Spleißstellen 7,65 5,25

c.452A>G -48,01 -19,88

c.492G>A -6,19 -10,15

Folglich übersteigt keiner der exonständigen Scores die der natürlichen Spleißstellen. So-mit ist laut MaxEntScan nicht So-mit alternativem Spleißen durch die vorliegenden Mutati-onen zu rechnen.

(BRCA1*5382insC, BRCA1*4153delA, BRCA1*C61G oder BRCA2*6174delT). Die Pa-tientin lebte zum Zeitpunkt der Diagnose in einer Zone mit einer radioaktiven Belastung von 30 mSv als kumulative Ganzkörperdosis.

Die Trägerin der anderen durch die Sequenzierung entdeckten Mutation g.492G>A litt hingegen unter einem Adenokarzinom vom Grad G1 (T2N1M0). Die Testung auf Östro-genrezeptoren war positiv. Die Patientin war 52 Jahre alt, als die Diagnose gestellt wurde und wusste von keinen Verwandten ersten, zweiten oder dritten Grades, die unter Brust- oder einer anderen Form von Krebs litten. Oben genannte Mutationen in den Genen BRCA1 oder BCRA2 wurden ebenfalls nicht entdeckt. Ebenso wie bei der obig beschrie-benen Frau ging man bei dieser Patientin aufgrund ihres Wohnortes von einer kumulati-ven Ganzkörperdosis von 30 mSv aus.

5 Diskussion

5.1 Einführung

Da das Protein TCTP während der letzten Jahre Gegenstand intensiver naturwissenschaft-licher Forschung war, traten mehr und mehr seine bemerkenswerten Eigenschaften und Funktionen zutage. So ist es an unterschiedlichsten Signalwegen, sowohl intra- als auch extrazellulär, beteiligt: Unter anderem spielt es eine Rolle in der Vermittlung von Ent-zündungsreaktionen, ist sowohl in embryonalen als auch in adulten Organismen an Wachstums- und Differenzierungsprozessen der Zelle beteiligt und reguliert den Zellzyk-lus. Ebenso fungiert es als antiapoptotisches Protein und scheint sogar in den Vorgang der Nukleären Neuprogrammierung involviert zu sein (88,94,108,112). Die Tabelle 5.1 gibt einen Überblick der in Kapitel 1.3.3 ausführlich beschriebenen Funktionen TCTPs.

Tabelle 5.1: Übersicht der Funktionen TCTPs (78,94,98,99,101,108-110,112,114)

Bereich Funktion

Zellwachstum und -entwicklung Embryonalentwicklung: Zellprolifera-tion, Zellteilung, Organwachstum Zellzyklus Zellproliferation, Beschleunigung des

Zellzyklus

Apoptose Reduktion zellulärer Stressoren, Hem-mung proapoptotischer Proteine Immunsystem und

Entzündungsreak-tion

Histamin- und Interleukin-Freisetzung, T-Zell-Stimulation

Nukleäres Reprogramming Aktivierung von Stammzellproteinen Strahlungsbedingte DNA-Schäden und

ihre Reparatur

Verlangsamung des Zellzyklus, Induk-tion der Apoptose, DNA-Reparatur

Die in Tabelle 5.1 genannten Funktionen von TCTP sowie seine bekannten Interaktionen beispielsweise mit p53 oder MDM2 ließen es als gutes Kandidatengen für Brustkrebs erscheinen (107,116). Die für diese Arbeit relevanteste Eigenschaft von TCTP ist jedoch seine von der Gruppe Zhang et al. entdeckte Fähigkeit, durch ionisierende Strahlung be-dingte Schäden zu vermeiden. Dies geschieht offenbar durch vielfältige Interaktionen mit

verschiedenen Proteinen, die Einfluss auf den Zellzyklus nehmen oder DNA-Reparatur-prozesse initiieren (114).

Auf dieser Erkenntnis basierend erfolgte die Auswahl des Probenkollektivs, welches aus-schließlich aus Brustkrebs-Patientinnen aus Weißrussland bestand. Für den ersten Teil der Experimente wurden 200 DNA-Proben von weißrussischen Frauen ausgewählt, die zum Zeitpunkt ihrer Brustkrebs-Diagnose in einem durch den Reaktorunfall 1986 strah-lungsbelasteten Gebiet lebten. In diesem Probenkollektiv sollte nach Genvarianten von TCTP gesucht werden, die seine Funktion, das Erbgut vor Strahlungsschäden zu schüt-zen, beeinträchtigt und somit den Weg für eine strahleninduzierte Neoplasie geebnet hät-ten. Als Methode zur Detektion solcher Veränderungen wurde die Sequenzierung ge-wählt. Die hierbei gefundenen Mutationen c.452A>G und c.492G>A wurden in einem erweiterten weißrussischen Kollektiv von 500 Brustkrebspatientinnen auf ihre Häufigkeit hin untersucht.

5.2 Mögliche Auswirkungen der ermittelten Varianten

5.2.1 Mögliche Auswirkungen der Variante c.452A>G

Die Mutation c.452A>G findet an zweiter Stelle des 151. Basentripletts statt und bewirkt durch den Basenaustausch von Adenin zu Guanin eine Substitution der Aminosäure Ty-rosin durch Cystein (p.151Y>C). Diese Variation wurde bei einer weißrussischen Patien-tin in heterozygoter Form gefunden. Bei 200 untersuchten Proben liegt die Trägerfre-quenz somit bei 0,5%. Im erweiterten, per HRM untersuchten Kollektiv von 500 Brust-krebspatientinnen konnte keine weitere Probe mit dieser Mutation identifiziert werden.

Für das Gesamtkollektiv der 700 untersuchten weißrussischen Patientinnen ergibt sich so eine Trägerfrequenz von 0,14%.

Zum Zeitpunkt dieser Arbeit war die Variante c.452A>G weder in der NCBI-Datenbank noch in der Datenbank des Exome Aggregation Consortium beschrieben, sodass keine Aussage über Mutationsfrequenzen in anderen Populationen gemacht werden kann.

Bei Tyrosin handelt es sich um eine nicht-essentielle, aromatische Aminosäure. Des Wei-teren ist Tyrosin ein teilweise polares Molekül. Die nicht-essentielle Aminosäure Cystein verfügt über eine schwefelhaltige Kette und ist zumindest im dissoziierten Zustand polar.

Weitere Eigenschaften der beiden Aminosäuren sind Tabelle 5.2 zu entnehmen (135).

Tabelle 5.2: Vergleich der Eigenschaften von Tyrosin und Cystein (135)

Tyrosin Cystein

Untergruppe Aromatische Aminosäuren Aliphatische Aminosäuren

Polarität teilweise polar teilweise polar

Isoelektrischer Punkt 5,7 5,0

Hydrophobizität 0,714 0,721

Funktionelle Gruppe Hydroxylgruppe Thiolgruppe Molekulares Gewicht der

funktionellen Gruppe

163 103

Es kann also gesagt werden, dass es sich bei Tyrosin und Cystein um zwei Aminosäuren handelt, die über ähnliche Eigenschaften verfügen, was gegen eine negative Auswirkung der Aminosäuren-Substitution spräche.

Zur weiteren Klärung dieser Frage wurden die Online-Tools SIFT, PROVEAN, Mutati-onTaster und Polyphen-2 hinzugezogen, die jedoch unterschiedliche Prädiktionen bezüg-lich der Malignität der Mutation abgaben: Laut SIFT, PROVEAN und MutationTaster handelt es sich um eine schädliche Variante, während Polyphen-2 keine negativen Aus-wirkungen voraussagt (siehe Kapitel 4.4.1). Auf den ersten Blick erscheinen diese unter-schiedlichen Prognosen widersprüchlich, bei genauerer Betrachtung der jeweiligen Ar-beitsweisen der Programme lassen sich diese Unterschiede jedoch erklären. Der Prädik-tions-Algorithmus von SIFT basiert beispielsweise auf dem Grad der Konservierung un-terschiedlicher, aber ähnlicher Sequenzen, während Polyphen-2 in seine Analyse auch die Struktur des Proteins einbezieht, um durch die Position der veränderten Aminosäure die möglichen Auswirkungen dieses Austauschs zu bestimmen. PROVEAN arbeitet ähnlich wie SIFT mit dem Abgleich strukturell verwandter Sequenzen. In die Prädiktion des Mu-tationTasters gehen hingegen mehrere Determinanten ein, so zum Beispiel die Beeinflus-sung von Bindungs- oder Spleißstellen. Somit handelt es sich um mehrere unterschiedli-che bioinformatisunterschiedli-che Herangehensweisen, deren Ergebnisse folglich differieren können, ohne sich zwangsläufig zu widersprechen.

Es drängt sich die Frage auf, welche Methode gemeinhin die zuverlässigsten Ergebnisse liefert. Die Anbieter vom Tool MutationTaster testeten ihr Programm im Vergleich mit anderen Prädiktionswerkzeugen, indem sie die unterschiedlichen Online-Tools die schon

bekannte Pathogenität von insgesamt 7200 Polymorphismen berechnen ließen und an-schließend deren Treffsicherheit verglichen. Die Tabelle 5.3 zeigt einen Ausschnitt der hierbei erhobenen Daten (136).

Tabelle 5.3: Vergleich der verwendeten Prädiktions-Programme (136)

Sensitivität in % Spezifität in % Treffsicherheit in

%

MutationTaster 88,7 87,4 88,0

Polyphen-2 85,8 82,1 84,0

PROVEAN 77,8 87,8 82,8

SIFT 82,7 85,8 84,3

Wie aus der Tabelle 5.3 ersichtlich wird, liefert die Software MutationTaster etwas ge-nauere Prognosen als die restlichen verwendeten Tools. Dies gilt selbstverständlich nur unter der Annahme, dass die Entwickler des MutationTasters bei dieser Analyse objektiv vorgegangen sind. Demnach würde die Auswertung der Prädiktionsergebnisse eher dafür sprechen, dass die Variante c.452A>G einen Krankheitswert hat, da Polyphen-2 als ein-ziges der vier Programme ein gegenteiliges Ergebnis errechnet hatte.

Eine der Determinanten für die von Polyphen-2 abgegebene Prognose ist der Abgleich der humanen Proteinsequenz mit anderen Spezies. Ist der Bereich, in dem die Mutation liegt, hoch konserviert, ist eine negative Auswirkung der Mutation wahrscheinlicher. Der hierfür ausgewählte Score reicht von 0 (sehr niedrige Konservierung) bis 10 (sehr hohe Konservierung). Für das 452. Nukleotid des TCTP-Proteins ist ein Score von 2 angege-ben, während die Bindungsdomäne des Proteins Score-Werte bis 9 erzielt. Der niedrige Konservierungsgrad trägt zur Polyphen-2-Prognose bei, welche besagt, dass die Mutation c.452A>G keine negativen Auswirkungen auf die Funktion des Proteins hat. Dies wider-spricht allerdings den Ergebnissen der MutationTaster-Analyse, nach denen es sich bei dem 452. Nukleotid um einen hoch konservierten DNA-Baustein handelt.

Polyphen-2 ist außerdem in der Lage, eine 3D-Grafik des Proteins TCTP zu erstellen und die veränderte Aminosäure darin zu markieren. Die folgenden Grafiken geben Aufschluss über die Lokalisation der Mutation innerhalb des Proteins.

Abbildung 5.1: Darstellung der Mutation durch Polyphen-2 (130)

So wird verdeutlicht, dass die veränderte Aminosäure Teil einer Beta-Faltblatt-Struktur ist. Dies wird durch die Website Predictprotein.org bestätigt, welche angibt, dass die Aminosäuren 145 bis 152 des TCTP-Proteins einen Beta-Strang bilden. Die veränderte Aminosäure trägt die Nummer 151 und ist somit Teil dieser Sekundärstruktur (133).

Diesem Abschnitt des Proteins konnte bis jetzt keine spezifische Funktion zugewiesen werden. Sie liegt allerdings in relativer Nähe zur Bindungsdomäne, welche durch die Aminosäuren 80 bis 133 gebildet wird, folglich beträgt der Abstand 28 Aminosäuren (107). Dort findet die Bindung TCTPs an Tubulin, Calcium, MDM2, die Natrium-Ka-lium-ATPase sowie p53 statt. Eine Beeinträchtigung dieser Domäne könnte also weitrei-chende Folgen für unterschiedliche Funktionen von TCTP haben. Eine veränderte Bin-dung an Tubulin würde beispielsweise den Ablauf des Zellzyklus beeinflussen, während der Verlust der calciumbindenden Funktion TCTPs die Kompensation des zellulären Stresses vermindern und zur Apoptose führen könnte. Wird die Bindung von TCTP an die Na+-K+-ATPase verhindert, würde dies zu einer Reduktion der Zellproliferation füh-ren. Ebenso hätte der Verlust der Bindung zu MDM2 und p53 eine Veränderung des zel-lulären Gleichgewichts zugunsten der proapoptotischen Proteine zur Folge. Allerdings bleibt unklar, inwiefern die relative Nähe der Mutation p.151Y>C zur Bindungsstelle tat-sächlich deren Funktion verändern könnte.

Das Online-Tool ScanSite3 liefert dazu ergänzende Informationen. Es dient dazu, hypo-thetische Bindungsmotive an Proteinen zu identifizieren. Die vom Programm gelieferten Ergebnisse beinhalten außerdem einen Score, der angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit

das betreffende Motiv tatsächlich an beschriebener Stelle existiert. Während mit der Ein-stellung „High Stringency“ keinerlei Bindungsstellen identifiziert werden, liefert die Analyse unter der Voreinstellung „Medium Stringency“ ein potentielles Motiv in unmit-telbarer Nähe beider Varianten c.452A>G und c.492G>A: An die Aminosäure Tyrosin im 159. Codon soll demnach der Insulin-Rezeptor mit seiner Kinasedomäne binden, mög-licherweise unter Phosphorylierung. In Fibroblasten wurde Tyr159 als Phosphorylie-rungsstelle von TCTP ermittelt (137). Die Ergebnisse der ScanSite3-Analyse sind in Ab-bildung 5.2 dargestellt. Allerdings rät der Herausgeber von ScanSite3, die Resultate dieser Analyse nur mit großer Vorsicht zu verwenden, da diese rein spekulativ seien. Der diesem Motiv zugeteilte Score von 0.605 liegt über dem angestrebten Wert von ≤0,2, was die Existenz dieses Bindungsmotivs zusätzlich unwahrscheinlich macht. Außerdem liegt das Codon Tyr151 außerhalb dieses hypothetischen Bindungsmotivs. Nach den Ergebnissen der ScanSite3-Analyse ist also eher nicht mit einer Beeinträchtigung von Bindungsstellen durch die identifizierte Variante c.452A>G zu rechnen (134).

Werden durch eine Mutation die natürlichen Spleißstellen verändert oder verschoben, kann dies ebenso wie ein Aminosäurenaustausch gravierende Folgen für den Organismus haben, da das Proteinprodukt seine Erscheinung dadurch gänzlich ändern kann. Die Soft-ware MaxEntScan liefert Ergebnisse, welche deutlich gegen die Beeinflussung von Spleißstellen durch die Mutation c.452A>G sprechen, wohingegen die Resultate einer

Abbildung 5.2: Ergebnis der ScanSite3-Analyse (134)

Analyse mit dem Programm ESEfinder 3.0 eine Veränderung der Bindungsaffinität von Splice-Enhancer-Proteinen möglich erscheinen lassen ( siehe Kapitel 4.4.2).

Insgesamt liefern die für diese Arbeit genutzten Programme also uneinheitliche Ergeb-nisse bezüglich des Krankheitswertes der Mutation c.452A>G. Einerseits sind sich die Prädiktions-Tools MutationTaster, PROVEAN und SIFT einig in ihrem Ergebnis, dass die Variante schädliche Auswirkungen auf die Proteinfunktion hat. Darüberhinaus könnte die strukturelle Nähe der veränderten Aminosäure zur Bindungsdomäne von TCTP die Bin-dungen des Proteins beeinträchtigen. Veränderungen der Bindungswahrscheinlichkeit von Proteinen, welche Spleißprozesse initiieren sind laut ESEfinder 3.0 durchaus denk-bar, sodass es zu veränderten Spleißstellen kommen könnte, die wiederum das Protein in seiner Funktion hemmen könnten. Außerdem sagt die Software Scansite3 aus, dass nahe der mutierten Aminosäure eine Bindungsstelle für die Insulin-Rezeptor-Kinase liegt, die-ses Ergebnis ist aber unter Umständen nicht als valide zu betrachten.

Andererseits sprechen die von Polyphen-2 abgegeben Resultate gegen eine Pathogenität der Variante c.452A>G. Auch die von diesem Tool errechnete geringe Konservierung in dem betreffenden Bereich des Proteins ließe vermuten, dass dortige Veränderungen keine negativen Konsequenzen nach sich ziehen, wobei dieses Ergebnis im Widerspruch zum vom MutationTaster angegebenen, hohen Konservierungsgrad steht. Die strukturellen Ähnlichkeiten der substituierten Aminosäure Cystein zur ursprünglichen Aminosäure Ty-rosin geben Anlass zu der Annahme, es handle sich hier um eine gut zu kompensierende Veränderung.

Vergleicht man allerdings diese Ergebnisse sowohl bezüglich ihrer Quantität als auch ih-rer Qualität, scheinen die für einen Krankheitswert der Mutation sprechenden Faktoren zu überwiegen. Dieser Krankheitswert könnte sich auf die vielfältigen Funktionen aus-wirken, die das Protein TCTP innehat. Für diese Arbeit speziell relevant wäre der Verlust der Schutzfunktion vor strahleninduzierten DNA-Schäden, da dieser das Auftreten der Brustkrebs-Erkrankung bei der Mutationsträgerin hätte verantworten können. Gesetzt den Fall, die Patientin hätte als Folge des Unfalls in Tschernobyl radioaktive Strahlungsschä-den erlitten, die durch ein nicht komplett funktionsfähiges Protein TCTP nicht wie im Normalfall repariert werden konnten, so hätte die Mutation c.452A>G die Entstehung ihres Mammakarzinoms fördern können.

5.2.2 Mögliche Auswirkungen der Variante c.492G>A

Die Mutation c.492G>A verändert die dritte Base im 164. Codon des TCTP-Gens, hat aber keine Auswirkung auf die Aminosäurekodierung, welche sowohl beim Wildtyp als auch bei der Mutante Lysin ergibt. Eine weißrussische Brustkrebspatientin besaß diese Variante. Für das strahlenbelastete Kollektiv ergibt sich somit eine Frequenz von 0,5%

Im weißrussischen Kollektiv ohne besondere Berücksichtigung der Strahlenbelastung, welches mithilfe des „High-Resolution Melting“ einem Screeningverfahren unterzogen wurde, konnte keine weitere Variante dieser Art gefunden werden. Analog zum Polymor-phismus c.452A>G ergibt sich somit auch für c.492G>A eine Gesamtfrequenz von 0,14%

für das gesamte untersuchte Kollektiv.

Die Variante c.492G>A ist bereits Bestandteil der NCBI-Datenbank. Sie wurde in meh-reren Populationen beschrieben, beispielsweise in einer umfangreichen US-amerikani-schen Studie im Rahmen des NHLBI GO Exome Sequencing Project (National Heart, Lung and Blood Institute Grand Opportunity), sowie in einem europäischen Kollektiv, welches für das ClinSeq Project (A Large-Scale Medical Sequencing Clinical Research Pilot Study) untersucht wurde. Auch das 1000 Genomes Project und das ExAc (Exome Aggregation Consortium) haben Mutationsfrequenzen für die Variante c.492G>A ermit-telt. Die nachfolgende Tabelle zeigt die in diesen Gruppen zusammengetragenen Ergeb-nisse.

Tabelle 5.4.: Im NCBI hinterlegte Mutationsfrequenzen für c.492G>A (138)

Population

Alle Studien zeigten folglich eine sehr geringe Mutationsfrequenz für heterozygote Ge-notypen, homozygote Träger wurden nicht beobachtet. Die Frequenz, welche sich im weißrussischen, strahlenbelasteten Kollektiv ergab, erscheint mit 0,5% vergleichsweise hoch. Allerdings ist das Auffinden einer singulären Mutation statistisch nicht repräsenta-tiv. Das weißrussische Kollektiv ohne besondere Strahlenbelastung wies keine der beiden untersuchten Varianten auf. Dieses Ergebnis liegt nahe an denen der untersuchten Popu-lationen in Tabelle 5.4. Leider lassen sich keine näheren Informationen zu den Proben-kollektiven dieser Studien finden, sodass unklar ist, ob es sich um einen Bevölkerungs-querschnitt oder um reine Patientenstudien handelt.

Bei der Mutation c.492G>A kommt es zu keiner Aminosäuresubstitution. Dennoch kön-nen Abweichungen in der Basenabfolge eines Proteins Veränderungen während der Spleißvorgänge bewirken. Laut der Software MaxEntScan werden die natürlichen Spleiß-stellen durch diese Variante jedoch nicht beeinflusst. Das Programm ESEfinder 3.0 zeigt zwar eine geringfügige Variation bezüglich der Bindungswahrscheinlichkeit von Splice-Enhancern, welche allerdings nicht die Beziehung zum Schwellenwert ändert.

In seltenen Fällen kann eine synonyme Mutation auch ohne Beeinflussung der Spleißvor-gänge Auswirkungen auf das Protein haben. Die Arbeitsgruppe Kimchi-Sarfaty et al. ver-mutet, dass der Austausch eines häufig vorkommenden Codons durch ein seltenes Codon die Translationsrate und Proteinfaltung beeinflusst (139). Im Falle der Variante c.492G>A kommt es zu einem Ersatz des Codons AAG durch AAA. Das Codon des Wildtyps kommt beim Menschen pro 1000 Basenpaare durchschnittlich 31,9 Mal vor, während das Codon AAA nur 24,4 Mal verwendet wird. Folglich ersetzt ein seltener auf-tretendes Codon ein häufiger vorkommendes. Allerdings liegen die beiden Verwendungs-häufigkeiten näher beeinander als die der von Kimchi-Sarfaty et al. untersuchten Codon-paare, sodass eine starke Beeinflussung der Translationseffizienz unwahrscheinlich ist.

Aufgrund dieser Ergebnisse und der Tatsache, dass es sich um eine stille Mutation han-delt, welche die Aminosäuresynthese nicht abwanhan-delt, ist nicht davon auszugehen, dass diese Mutation einen negativen oder anders gearteten Einfluss auf die Proteinfunktion von TCTP ausübt.

5.2.3 Assoziation der Varianten mit anderen Merkmalen

Leider wurden beide detektierten Varianten nur jeweils einmal im gesamten Kollektiv entdeckt, was eine Aussage über eventuelle Verknüpfungen mit Risikofaktoren oder an-deren Parametern erschwert. Statistische Aufschlüsselungen bezüglich dieser Assoziati-onen erübrigen sich demnach. Dennoch sind im Folgenden einige Zusammenhänge der Vollständigkeit halber erwähnt.

Es sei gesagt, dass beide Mutationsträgerinnen in Gebieten lebten, die selbst im Vergleich zum durchschnittlichen Wohngebiet des ohnehin strahlenbelasteten Kollektivs stark vom Reaktorunfall in Tschernobyl betroffen waren. Die geschätzte und kumulierte Ganzkör-perdosis radioaktiver Strahlung betrug für beide Wohnorte 30mSv. Geht man also von Keimbahn-Mutationen im TCTP-Gen aus, so ist der Gedanke, dass diese durch eine ver-minderte Integrität des zugehörigen Proteins eine Neoplasie ausgelöst haben, durchaus plausibel.

Das Erkrankungsalter der Trägerin der Variante c.492G>A von 33 Jahren sowie die Tat-sache, dass zwei ihrer Verwandten (eine Verwandte ersten Grades, eine Verwandte zwei-ten Grades) ebenfalls an Brustkrebs erkrankt sind, legen nahe, dass es sich hier um Brust-krebs mit einer familiären Komponente handelt. Allerdings wurden keine der untersuch-ten Gründer-Mutationen in den BCRA1- oder BCRA2-Genen gefunden (BRCA1*5382insC, BRCA1*4153delA, BRCA1*C61G oder BRCA2*6174delT). Eventu-ell liegt diesem Erkrankungsmuster also entweder eine noch nicht untersuchte genetische Mutation zugrunde oder es handelt sich bei dieser familiären genetischen Anomalität tat-sächlich um die Mutation c.452A>G. Der Tumor der Trägerin der c.452A>G-Mutation wurde außerdem positiv auf Östrogenrezeptoren getestet, vielleicht besteht hier ein noch nicht erkannter Zusammenhang. Ansonsten wurden keine besonderen Merkmale bei den beiden Mutationsträgerinnen festgestellt.

5.3 Fazit

Trotz eines mit 200 Patientinnen vergleichsweise großen Kollektivs wurden im Rahmen dieser Arbeit nur zwei Varianten des TCTP-Gens gefunden, nämlich c.452A>G und c.492G>A. Für die Mutation c.492G>A gibt es keine Evidenz, dass Auswirkungen auf das Protein TCTP und seine Funktion zu erwarten sind. Bei der Mutation c.452A>G hin-gegen waren sich die hier verwendeten Programme für die Vorhersage der Auswirkungen