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Männer in die Kita – ein Projekt

Im Dokument OPUS 4 | Was brauchen die Kleinen? (Seite 72-77)

Tätigkeitsbegleitende Qualifizierung arbeits-loser Männer als Fachkräfte im Kita-Bereich Christiane Ehmann,Dipl.-Päd., Berliner In-stitut für Frühpädagogik (BIfF), Berlin, Christian Bethke,Geschäftsführendes Vor-standsmitglied, Berliner Institut für Frühpäda-gogik (BlfF), Berlin

Detlef Diskowski setzte sich mit der Qualifizie-rung langzeitarbeitsloser Männer zum Erzieher in Kindertagesstätten des Landes Brandenburg in der Oktoberausgabe vor einem fachpolitischen Hintergrund auseinander. In diesem Artikel möch-ten wir das Projekt aus Sicht des Bildungsträgers in seiner Struktur und Methodik kurz vorstellen.

Im Oktober 2005 begann für 20 arbeitslose Män-ner aus der Stadt Cottbus und dem Kreis Spree-Neiße eine Qualifizierung zum Erzieher in Kinder-tagesstätten des Landes Brandenburg. Doch wie kann es gelingen, innerhalb von zwei Jahren Menschen, die vor allem aus technischen Beru-fen kommen, für die Tätigkeit in Kindertagesstät-ten zu qualifizieren? Was macht eine Qualifizie-rung aus, die den Teilnehmern nachhaltige Bil-dungsprozesse ermöglicht? Und was braucht es, damit in persönlichen Bildungsprozessen Grund-gedanken innovativer Frühpädagogik spürbar werden und die eigenen Erfahrungen als Modell für die professionelle, pä dagogische Begleitung von Kinder dienen können?

Um es vorwegzunehmen, diese und viele andere Fragen sind mit Abschluss des Projekts keines-wegs erschöpfend beantwortet. Die vorliegenden

Erfahrungen können jedoch Anhaltspunkte für weiterführende Diskussionen im Bereich der Aus-und Weiterbildung Aus-und das Nachdenken über weitere Projekte dieser Art bieten.

Offenes curriculum

Der Qualifizierungsmaßnahme wurde ein offenes Curriculum zugrunde gelegt. Offen, weil ALLE Beteiligten des Projekts als Lernende begriffen wurden, die im Rahmen eines ständigen Aus-tauschs und der Erprobung neuer Wege an dem Gelingen des Vorhabens arbeiteten. Offen aber auch deshalb, weil die in den Praxis- und Semi-narzeiten zu bearbeitenden Inhalte nicht von An-fang an unverrückbar festlagen.

Christiane Ehmann und Christian Bethke, beide tätig im Berliner Institut für Früh pädagogik e. V.

(BlfF), entwickelten für dieses Modellprojekt das Curriculum. Das BlfF führte als verantwortlicher Bildungsträger die 1.200 Stunden umfassende Qualifizierung durch.

Die zu bearbeitenden (Bildung-)Themen und In-halte der Qualifizierungsmaßnahme wurden in einem ersten Schritt der Curriculumsentwicklung auf der Grundlage gesetzlicher Vorgaben, öffent-licher Richtlinien, der Diskussionen um das Lern-feldkonzept, einer Analyse des Handlungsfeldes Kita und der Fachliteratur konkretisiert.

Im weiteren Verlauf der Maßnahme wurden die Themen und Inhalte zum einen durch Rückmel-dungen und Empfehlungen der Mentorinnen, Do-zent(inn)en und die fachlich zuständigen Stellen

des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport im Land Brandenburg und des Sozialpädagogi-schen Fortbildungswerks Berlin-Brandenburg immer wieder verändert. Zum anderen ging es darum, von den Teilnehmern aufgeworfene Fra-gestellungen, die sich nicht sofort in der Seminar-phase klären ließen, möglichst zeitnah zu bear-beiten – was bedeutete, kurzfristig die inhaltliche Planung den neuen Gegebenheiten anzupassen.

War dies nicht möglich, wurden die entsprechen-den Themen in die längerfristige Konzeption der Qualifizierung aufgenommen.

In der Folge war das Curriculum zu keinem Zeit-punkt abgeschlossen und spiegelte in seiner je-weils vorliegenden Form den augenblicklichen Stand der Diskussion und Erfahrung wider.

Die Teilnehmer

Die Auswahl der Teilnehmer erfolgte über den Initiator und Maßnahmeträger, die Berlin-Bran-denburger Väterinitiative e. V., über ein dreistufi-ges Verfahren. Die Männer im Alter von Anfang 20 bis Anfang 40 stammen alle aus der Region Cottbus und dem Kreis Spree-Neiße. Die meis ten Teilnehmer verfügten über einen mittleren Bil-dungsabschluss und Berufserfahrungen aus dem technischen und handwerklichen Bereich. Über verschiedene Praktika und ABM-Maßnahmen in Kindertagesstätten und Freizeiteinrichtungen hat-ten einige der Teilnehmer zuvor einen Einblick in das sozialpädagogische Feld erhalten.

Die Struktur des Projekts

Bei der Planung der zeitlichen Struktur spielten für uns neben organisatorischen Aspekten unter anderem folgende Überlegungen eine Rolle:

1. Um sich ein möglichst umfassendes Bild von

Strukturen und Abläufen in Kindertagesstät-ten bilden zu können, bedarf es der Integrati-on der Teilnehmer in (zumindest) mittelfristige Zeitabläufe in der Kita.

2. Kinder, Eltern und Kolleg(inn)en brauchen zeitliche Kontinuität zum Aufbau von tragfähi-gen Beziehuntragfähi-gen.

3. Teilnehmer und Kinder brauchen die Möglich-keit, gemeinsam Vorhaben zu realisieren, für die es einen längeren Zeitraum bedarf.

4. Da es im Rahmen der geplanten Seminare darum gehen sollte, zum einen eine Prozess-begleitung und zum anderen eine inhaltliche weiterführende Arbeit sicherzustellen, er-schienen Blöcke von mindestens einer Woche als notwendig.

Aufgrund dieser Überlegungen entwarfen wir eine zeitliche Struktur, bei der die Teilnehmer während des Qualifizierungszeitraums in der Regel in einen Zwei-zu-eins-Wochenrhythmus zwischen Praxisphasen in der Kita und Seminar-phasen außerhalb der Kita wechselten.

Aus unserer Sicht bot diese Struktur eine gute Grundlage für das prozessorientierte Er- und Be-arbeiten von Themen und das Erweitern von Kompetenzen in bedeutsamen Handlungssitua-tionen. Verdeutlichen ließ sich das am Beispiel entwicklungspsychologischer Erkenntnisse. In dem wechselseitigen Verhältnis von Seminar-und Praxisphasen konnten entwicklungspsycho-logische Grundlagen erarbeitet, in Beobach-tungssituationen in der Kita praktisch angewen-det, ihre Einsetzbarkeit in der Praxis reflektiert und auf dieser Grundlage, Schlussfolgerungen für die Gestaltung des pädagogischen Alltags ge-zogen werden.

Rahmentage und Expert(innen)kon -sultationen

Die einwöchigen Seminarphasen waren in Rahmentage (Montag und Freitag) und Exper -t (innen) konsul-ta-tionen (Diens-tag bis Donners-tag) untergliedert. Die Gestaltung der Rahmen-tage lag über den gesamten Qualifizierungszeit-raum hinweg in den Händen des Ausbildungs-begleiters. Seine Aufgaben lagen im Schwer-punkt darin, die Reflexion von Praxiserfahrun-gen in der Gruppe kontinuierlich über die zwei Jahre hinweg zu begleiten, Themen aus der Gruppe situationsorientiert aufzunehmen und zu bearbeiten und jedem Teilnehmer als vertrau-ensvoller Ansprechpartner zur Verfügung zu ste-hen.

Darüber hinaus reflektierte der Ausbildungsbegleiter gemeinsam mit der Gruppe die Ex -pert(inn)enkonsultationen. In diesem Rahmen erarbeiteten die Teilnehmer mit ihm Wege des Transfers „von neu Erworbenem“ in die Praxis.

Für die Expert(innen)konsultationen wurden Do-zent(inn)en eingeladen, die sich durch besonde-re Kenntnisse in einem bestimmten Themenge-biet (wie z. B. Psychomotorik, kreatives Gestal-ten) auszeichnen, mit dem Arbeitsfeld von Kin-dertagesstätten vertraut sind und über langjähri-ge Erfahrunlangjähri-gen in der Erwachsenenbildung ver-fügen. Die Auswahl dieser Dozent(inn)en erfolg-te in Abstimmung zwischen der pädagogischen Leitung der Maßnahme und dem Ausbildungs-begleiter. Damit die Arbeit in den Rahmentagen und den Expert(innen)konsultationen gut an die Prozesse in der Gruppe anschließen konnte, fand jeden Montag und Donnerstag eine Über-gabe zwischen Dozent(inn)en und Ausbildungs-begleiter statt.

Die Praxisphasen

Nach jeweils einer Woche Seminar folgten für die Teilnehmer zweiwöchige Praxisphasen. Die Tä-tigkeit in der Kindertagesstätte sollte ihnen er-möglichen, das Arbeitsfeld und die konkreten Ar-beitsbedingungen der jeweiligen Einrichtung umfassend kennenzulernen. Dies schloss die Ta -ges- und Wochenabläufe sowie kalendarische und kitaspezifische Besonderheiten mit ein. In den Einrichtungen, die durch die Berlin-Branden-burger Väterinitiative e. V. für das Projekt gewon-nen wurden, sollten die Teilnehmer die Gelegen-heit erhalten, die Gestaltung des Kita-Alltags mit Kindern, Kolleginnen und Eltern als zunehmend aktives und (mit)gestaltendes Teammitglied wirk-lich zu erleben. Dabei galt es, Kenntnisse, Fähig-keiten und FertigFähig-keiten zu erlernen und zu erwei-tern, die den pädagogischen Alltag als ständigen Bezugspunkt brauchen. Allen Teilnehmern stand täglich eine Stunde Vor- und Nachbereitungszeit zu.

Die Mentorinnen

Jedem Teilnehmer stand in der Kindertagesstätte eine erfahrene Erzieherin als Mentorin zur Seite, die seinen fortlaufenden Prozess des Lernens fachlich-reflexiv begleitete. Die Mentorin war in der Regel in demselben Arbeitsbereich wie der Teilnehmer tätig. Sie unterstützte und förderte ihn bei seiner Auseinandersetzung mit der Berufsrol-le und in seinem Handeln in der Kita. Bestandteil der Begleitung waren wöchentliche Reflexions-gespräche, in denen die Arbeit besprochen, Pra-xisaufgaben aus den Seminarphasen diskutiert, nach persönlichen Entwicklungs- und Themenfel-dern gesucht und Zielvereinbarungen getroffen wurden.

Darüber hinaus trafen sich alle Mentorinnen in re-gelmäßigen Abständen, um mit dem Bildungsträ-ger über ihre Erfahrungen zu sprechen, sich ge-genseitig auszutauschen und gemeinsam über Seminarinhalte zu diskutieren, die aus Sicht der Praxis notwendig waren.

Im zweiten Qualifizierungsjahr wünschten sich die Mentorinnen einen größeren Austausch mit allen Teilnehmern und konkretere Einblicke in die Seminarphasen. Aus diesem Grunde wurden sie vierteljährlich in die Seminarphase zum gemein-samen Gespräch eingeladen.

Hospitationen

Im Laufe des Qualifizierungszeitraums wurden bei allen Teilnehmern fünf Praxisbesuche durch den Ausbildungsbegleiter realisiert. Mit diesen Praxisbesuchen war das Ziel verbunden, vor Ort und in gemeinsamer Absprache mit dem Teilneh-mer und seiner Mentorin Perspektiven für den weiteren Qualifizierungsverlauf zu ent wickeln.

Für jeden Praxisbesuch waren ca. drei Zeitstun-den vorgesehen, die sich in eine Beobachtungs-zeit, ein Reflexionsgespräch sowie ein Entwick-lungs-/Auswertungsgespräch unterteilten.

Im Rahmen der Hospitation standen der bisheri-ge Entwicklungsprozess des Teilnehmers und die Frage, welche Unterstützung er auf fachlicher, methodischer und persönlicher Ebene durch die Mentorin und den Ausbildungsbegleiter für den weiteren Qualifizierungsverlauf braucht, im Vor-dergrund. In diesem Zusammenhang nahmen die Beteiligten den bisherigen Qualifizierungsver-lauf kritisch in den Blick, tauschten sich über bis-her bearbeitete Inhalte aus und verständigten sich über Themen, die in der folgenden Zeit in der Kita und den Seminarphasen Berücksichtigung finden sollten.

Leistungsnachweise und Entwicklungs ge -spräche

Mit Blick auf die oben genannten Fragestellungen galt es, Bedingungen zu schaffen, unter denen sich fachspezifische Kompetenzen güns tig entfal-ten und erweitern können. Hier ergaben sich ei-nerseits Konsequenzen für die methodische Aus-richtung der Seminarphasen im Sinne einer Er-möglichungsdidaktik (Arnold/Schüßler). Anderer-seits stellte sich die Frage, wie Rückmeldungen zu dem individuellen Stand des einzelnen Teil-nehmers und der gesamten Gruppe gestaltet werden können.

Forschungen zur Sinnhaftigkeit von Schulnoten in den letzten dreißig Jahren weisen darauf hin, dass Noten dem Anspruch von Objektivität, Reliabilität und Validität nicht gerecht werden.

Zudem können über Noten keine differenzierten Leistungsrückmeldungen gegeben oder individu-elle Kompetenzanalysen geleistet werden. Auch scheint eine Motivation über Notengebung mehr als fragwürdig. Aus diesen Gründen entschieden wir uns für motivierende und dialogisch angeleg-te, verbale Einzelrückmeldungen und individuelle schriftliche Rückmeldungen. Die verbalen Einzel-rückmeldungen fanden mehrmals im Jahr in Form von Entwicklungsgesprächen statt. Schriftli-che Rückmeldungen erhielten die Teilnehmer nach jeder schriftlichen Hausarbeit und in Form von Entwicklungsberichten, die die Mentorinnen zweimal jährlich verfassten.

Neben der Begleitung individueller Entwicklungs-prozesse orientierten sich die Rückmeldungen immer an der übergeordneten Zielstellung, mit Projektende die Aufgaben eines Erziehers pro-fessionell wahrnehmen zu können.

Ein kleines Resümee ...

Das Projekt wurde von 19 Teilnehmern abge-schlossen, 18 davon haben an einer Abschluss-prüfung teilgenommen und eine Gleichwertig-keitsfeststellung zum staatlich anerkannten Er-zieher in Kindertagesstätten des Landes Bran-denburg erhalten.

Und das trotz anfänglicher Irritationen und einiger Schwierigkeiten: Kaum ein Teilnehmer und nur wenige Mentorinnen kannten aus Schule oder Aus- und Weiterbildung Lernformen, die sich an Prinzipien wie Selbststeuerung und Selbstbe-stimmung orientierten. Das führte an vielen Stel-len zu Verunsicherungen. So formulierte ein Teil-nehmer zum Abschluss des Projekts: „Ich hätte vor zwei Jahren nie gedacht, dass man ohne Noten lernt.“

Doch alle Beteiligten hatten sich auf den Prozess eingelassen, engagiert und motiviert neue Lern-formen erprobt und neue Ideen auf fachlich hohem Niveau bewegt.

Dies war in und mit den vorhandenen Strukturen gerade auch in den Kindertagesstätten nicht immer einfach, und das Gelingen des Projekts ist deshalb auch dem hohen Engagement vieler Mentorinnen und Dozent (inn)en zu verdanken.

Dass die Qualifizierung auch fachlich als ein Er-folg zu werten ist, zeigen die positiven Rückmel-dungen derer, die an der Abschlussprüfung betei-ligt waren. Darüber hinaus haben bis zum jetzi-gen Zeitpunkt neun Teilnehmer eine Arbeitsstelle gefunden; trotz des bestimmt vorhandenen „Män-nerbonus“ können die Teilnehmer in den Bewer-bungsgesprächen offenbar überzeugen.

Festzuhalten bleibt ebenfalls, dass sich aus un-serer Sicht die Struktur und Anlage der Qualifizie-rungsmaßnahme bewährt haben. Die (allerdings aufwendigen) Rollen des Ausbildungsbegleiters und der Mentorin sind mit Sicherheit Modelle, die man weiterverfolgen sollte, ebenfalls den Rhyth-mus von Seminar- und Praxisphasen sowie die Struktur der Seminarwochen, die von allen Betei-ligten als sehr arbeitsförderlich empfunden wor-den sind.

Abschließend zwei unserer wichtigsten Erfahrun-gen: Aus unserer Sicht ist der Versuch, die Idee eines ermöglichungsdidaktischen Handelns um-zusetzen, nicht nur gelungen, sondern hat maß-geblich zum Erfolg des Projekts und zu vielen überraschenden und eindrücklichen Momenten beigetragen. Und: Das Projekt war für die Teil-nehmer vor allem in jenen Zusammenhängen ge-winnbringend, in denen alle Beteiligten eng ko-operierten und in einem regen Austausch stan-den.

Kontakt:

Berliner Institut für Frühpädagogik Christiane Ehrmann, Christian Bethke Marchlewskistraße 101

10243 Berlin Tel.: 030/7 43 58 66 E-Mail: bethke@biff.eu Internet: www.biff.eu

Die Beiträge „Männer in der Kita“ und „Män-ner in die Kita – ein Projekt“ drucken wir mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift KiTa MO ab.

Im Dokument OPUS 4 | Was brauchen die Kleinen? (Seite 72-77)