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lexeminhärente implizite Lokalisationsdefaults

Vom Faktor der impliziten Lokalisationsdefaults spreche ich, wenn die Semantik des Verbs oder des Nomens einen bestimmten Lokalisationsstatus vorgibt bzw. bevorzugt. So können wir sagen, daß dieser Faktor in den Lexemstamm eingebettet ist. Da er in der Literatur recht wenig behandelt wurde, bildet er den Hauptgegenstand meiner eigenen Untersuchungen. Aus diesem Grunde werde ich in den Kapiteln 4 bis 7 ausführlicher auf ihn eingehen. Es gibt sowohl verb- als auch nomengerichtete Defaults. Beginnen wir mit ersteren.

a. Verbgerichtete Defaults

Она любила мороженое. "Sie mochte Eis." (Stufe 3) Она ела мороженое. "Sie aß ein Eis." (Stufe 0 )

Q Handlung 0

n

Handlung = ©

In den beiden Sätzen, die sich ausschließlich in der Semantik des Verbs unterscheiden, liegen zwei Episodizitätsstatus vor. Das stative Verb лю бит ь versteht man inhärent immer nichtepisodisch; das Verlaufsverb есть hingegen episodisch. Wie wir sehen, wirkt dieser unmittelbare Default des Verbs mittelbar auch auf die referentielle Interpretation des Objekts ein. Im Satz она лю била мороженое referiert das Objektnomen allgemein. Im zweiten Satz hingegen versteht man мороженое spezifisch (vgl. Ausführungen zu Givón in 2.3.) In diesem Beispiel enthält der inhärent implizite Default des Lexems любить die Charakteristika Schicht 1, delokalisierend, verbgerichtet, mittel- bar, äquipollent.1

Es sind diese impliziten Defaults, die die Lokalisationsstufen 2 (epi.+

allg./spez.) und 4 (epi.+allg.) ermöglichen. Es handelt sich um episodische Verben in Verbindung mit allgemein referierenden Nomen wie in Диносавры вымерли "Die Dinosaurier sind ausgestorben". Diese Gruppe der Verben, die sich wie вымереть "aussterben", подорожать "sich verteuern", войти в упот ребление "in Gebrauch kommen" (epi.+allg.) u.a. auf ganze Klassen

S. Ausführungen zu den Episodizitätsdefaults bei Bulygina & Šmelev (1989), 2.4.5.

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beziehen, ist jedoch recht begrenzt. Das gleiche gilt für Verben, die einen spezifischen und einen allgemeinen Aktanten aufweisen (epi+allg/spez) wie изобрести "erfinden", внедрить "einführen", рекламировать "werben für".

Zu diesen zählen auch Verben, die in ihrem Skopus die Existenz des vom Objekt genannten Referenten offen lassen.1 Während das Objekt in В а н я искал книгу "Vanja suchte ein Buch" sowohl spezifisch als auch allgemein verstanden werden kann, impliziert das Verb найти in Ваня нашел книгу

"Vanja fand ein Buch" eine spezifische Lesart des Objektnomens. In der logischen Semantik sagt man von Verben des Typs искать "suchen" oder хот ет ь "wollen", daß sie Welten schaffen und somit einen modalen Wirkungsbereich haben.

b. Nomengerichtete Defaults

Auch Nomen können inhärente Lokalisationsvoreinstellungen aufweisen, wie folgendes Beispiel zeigt:

Время бежит. "Die Zeit läuft." (Stufe 5) М альчик бежит. "Der Junge läuft." (Stufe 0 )

Gt=

Handlung

uz©

и

Handlung 0 ב כ

Ein Nomen, das eine wahrnehmbare, mit Grenzen versehene Entität bezeichnet, scheint - dieser Frage werde ich in den Kapiteln 4 bis 7 nachgehen - per Default spezifisch zu referieren und in lokalisierten Kontexten aufzutreten. Da dieser Faktor in meiner Arbeit einen größeren Raum einehmen wird, möchte ich an dieser Stelle Zusammentragen, was in der Forschung bereits bekannt ist. Ausgesprochen wenige Autoren haben sich mit der Frage beschäftigt, inwiefern sich die Semantik auf die Fähigkeit zur Besetzung bestimmter Referenzstatus auswirkt. Dazu zählen die Arbeiten Wierzbicka (1969) und Šmelev (1983, 1984), die ich kurz vorstellen möchte.

Wierzbicka beschäftigt sich mit den referentiellen Eigenschaften von Personenbezeichnungen im Polnischen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung,

Nach Givón ( 1984), 393ff: “поп-implicative verbs”; vgl. auch Padučeva (1985), 104

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daß bestimmte Nomen zu prädikativem Gebrauch neigen bzw. überhaupt nicht in Subjektposition auftreten können; vgl. folgende Sätze:

Jan je st dobrym narciarzem. "Jan ist ein guter Skiläufer."

*Dobry narciarz wywrócił się. "*Der gute Skiläufer ist gestürzt."

In ähnlicher Weise verhalten sich andere, mit bewertenden Attributen versehene Nominalgruppen des Typs prawdziwy uczony "echter Gelehrter", wielki spryciarz "schlauer Fuchs" u.a. Die Autorin weist darauf hin, daß Konstruktionen dieser Art sehr wohl auch in Subjektposition auftreten können. In diesem Fall haben wir es jedoch mit einem ״ maskierten Zitat“ zu tun, das in der Tiefenstruktur ebenfalls auf ein Prädikat zurückgeht. Der Satz Ten idiota wszystko przekręcił! "Dieser Idiot hat alles verdreht!" geht demnach auf folgende zwei Informationseinheiten zurück: Wiedz, że ten człowiek wszystko przekręcił "Nimm zur Kenntnis, daß dieser Mensch alles verdreht hat" und Uważam, że to idiota "Ich denke, daß er ein Idiot ist". Bei dieser Tendenz zum prädikativen Gebrauch handelt es sich um einen Referenz-default; d.h. Personenbezeichnungen, die eine bewertende Komponente enthalten, weisen als innere Voreinstellung den Referenzstatus 'allgemreferierend' auf. Für diese Erscheinung gibt Wierzbicka folgende sehr ein-leuchtende, funktionale Erklärung:1

״ Das Subjekt ist eine Instruktion, mit deren Hilfe der Hörer den Teil der Wirklichkeit finden soll, über den der Sprecher etwas mitteilen möchte. Nicht als Subjekt eignen sich alle dem Objekt vom Sprecher zugeordneten Eigenschaften, die an dem Objekt nicht empirisch beobachtbar sind. Emotionen, die das Objekt beim Sprecher hervorruft, Bewertungen sowie sämtliche subjektiven Elemente und Einstellungen des Sprechers dem Objekt gegenüber [...] können vom Sprecher entdeckt werden, aber nicht dem Hörer als operative Identifikationsinstruktion dienen.“ (a.a.O., 184)

Der Hörer muß vom Sprecher Informationen erhalten, die ihn befähigen, das Objekt zu identifizieren, über das der Sprecher eine Aussage treffen möchte.

Nach Wierzbicka enthalten bewertende Personenbezeichnungen nicht die notwendige, dem Hörer zugängliche Information, die die Identifikation des Objekts ermöglicht. Aus diesem Sachverhalt leitet die Autorin die allgemeine These ab, daß nur Wissen im Gegensatz zu Meinungen als Basis zur operativen Instruktion zum Finden des Subjekts dienen kann (a.a.O., 190).

Aus kognitiver Sicht kann man diese Erscheinung folgendermaßen

beschrei-7 2 Da s p r o z e s s o r i e n t i e r t e Lo k a l i s a t i o n s m o d e l l

״ Podmiot - to instrukcja, wedle której słuchacz ma odnaleźć tę porcję rzeczywistości, o której mówiący chce coś zakomunikować. A więc zapewne nie nadają się na podmiot wszystkie te cechy przypisywane przez mówiącego obiektowi, które nie są empirycznie obserwowalne na owym obiekcie. Emocje, jakie budzi w mówiącym dany obiekt, oceny, wszelkie elementy subiektywne, wszelkie postawy mówiącego wobec przed- miotu [...] mogą być przez tego mówiącego ujawnione (w postaci predykatu), ale nie mogą służyć słuchaczowi jako operacyjne instrukcje identyfikujące.“

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ben: Um ein Objekt zu identifizieren, muß es beobachtbar sein. Dies sind Wertungen nicht.

In bezug auf unser Thema können wir somit sagen, daß Nomen, die ein bewertendes Element enthalten, zum prädikativen Gebrauch neigen. Für den spezifisch referierenden Gebrauch sind - wie die Beispielsätze zeigen - spezielle referenzherstellende sprachliche Mittel ־ explizite Faktoren anderer Schichten - notwendig. Dies sind vor allem Deiktika wie Demonstrativ- pronomen (ten idiota). Hierbei scheint es sich um ein sprachübergreifendes Phänomen zu handeln, was folgende Beispiele aus dem Russischen und Deutschen zeigen:

?Вошел дурак. ”?Es kam ein Schwachkopf herein.”

Als weitere Arbeit in diesem Gebiet ist die Dissertation Šmelevs aus dem Jahre 1984 zu nennen, in der es ausschließlich um die referentiellen Eigenschaften von Personenbezeichnungen geht. Es handelt sich um eine umfassende Untersuchung zum Problem des referentiellen vs. attributiven Gebrauchs von Nomen, das von Donnellan (1966) aufgezeigt worden ist (s.

2.3.1). Dabei ergibt sich ein recht komplexes Bild. Der Autor zählt sieben verschiedene Arten von Personenbezeichnungen auf, die sich sowohl in bezug auf ihre Semantik als auch ihre referentiellen Eigenschaften unterscheiden.

1. Qualitative Nomina agentis

Sie enthalten ein Merkmal aufgrund subjektiver Wertung. Für sie ist prädikativer Gebrauch typisch (s. Wierzbicka); Вы хитрец, хвастун и болтун. "Sie sind ein Schlaumeier, Angeber und Schwätzer" Anders als Šmelev möchte ich hier jedoch nicht ,prädikativ', sondern 'allge- meinreferierend' als Referenzdefault ansetzen, da die genannte Gruppe

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von Substantiven in allgemeinen Äußerungen wie Sprichwörtern ohne weitere sprachliche Mittel auch in Aktantenposition auftreten können;

z.B.: Дураку везде хорошо "Einem Narr geht es überall gut".

2. Funktionale Nomina agentis

Sie beruhen wie die qualitativen Nomina agentis auf einem zeitlich nichtlokalisierten Merkmal. Dieses ist jedoch objektiv und damit unabhängig von den Eigenschaften des Subjekts. Diese Nomen neigen zum definiten Gebrauch; aus diesem Grunde können sie im Gegensatz zu 1 in spezifischer Verwendung auch ohne Deiktikum auftreten:

Д ирект ор/?Д урак посетил рабочих "Der Direktor/?Der Idiot besuchte die Arbeiter".

3. Resultative Nomina agentis

Sie bezeichnen den Verursacher einer Handlung, deren Resultat bis zum Sprechzeitpunkt anhält. Sie sind logisch definit und treten nur

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selten im Prädikat auf: Автор этой книги живет в Ш т ат ах "Der Autor dieses Buches lebt in den USA".

4. Träger eines aktuellen Merkmals

Diese Nomen neigen zum spezifisch referierenden Gebrauch, da das charakterisierende Merkmal zeitlich lokalisiert ist. Die prädikative Verwendung ist hier gänzlich ausgeschlossen: Мы увидели всадника

"Wir sahen einen Reiter", vs. *Мой брат - всадник. "*Mein Bruder ist Reiter".

5. Relationale Nomina

Diese sind inhärent definit spezifisch referierend: Он встретился с братом "Er traf sich mit seinem Bruder", vs. * O h встретился с каким-т о сыном Ивана "*Er traf sich mit irgendeinem Sohn von Ivan".

6. Pronominale Nomen

Diese kommen in undeterminierter Form nicht vor. Sie enthalten immer einen expliziten Referenzmarker der Schicht 3; d.h. sie allein sind nicht zu spezifischem Gebrauch in der Lage: Он вчера ветре- тился с этим типом "Er traf sich gestern mit diesem Typ", vs.

*Пришел тип "*Es kam ein Typ".

7. Eigennamen

Da sie das Vorhandensein eines ״ gedanklichen Dossiers“ beim Hörer voraussetzen, sind sie immer pragmatisch definit: Он видел Вадима

"Er sah Vadim".

Wie wir sehen, ergibt sich ein ausgesprochen differenziertes Bild, so daß klare Wechselbeziehungen zwischen Nominalsemantik und referentiellem Status relativiert werden müssen. In einer anderen Arbeit drückt Šmelev dies folgendermaßen aus:1

״ Obwohl es keine eindeutige Abhängigkeit gibt zwischen der Bedeutung eines Nomens und des Referenztyps, existieren doch gewisse Abhängigkeiten. Die eine oder andere Bedeutung erweist sich als besser geeignet für den einen und schlechter für den anderen Referenztyp. Umgekehrt wählt der eine oder andere Referenztyp die einen Bedeutungen agentiver Nomen häufiger als andere.“ (Šmelev 1983,45)

Daß es sich bei den jeweiligen Verwendungsweisen der Nomina agentis nur um Tendenzen handelt, ist aus der von mir vorgeschlagenen Faktorenliste erklärbar. Wie auch bei der Verbsemantik handelt es sich bei den Referenz- defaults um rezessive Faktoren, die im Satzzusammenhang anderen

«Х отя од н озн ачн ой зави си м ости м еж ду зн ач ен и ем су щ естви тел ьн о го и ти п ом реф еренции нет, определенны е зависимости все ж е им ею тся. То или иное зн ач ен и е о к азы в ается хор о ш о п р и сп о со б л ен н ы м к о д н и м т и п а м реф ернции и хуже к другим, а то т или иной тип реф ернции вы бирает одни значения агентивны х сущ ествительны х чащ е чем другие.»

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dominanten unterliegen. Dies ist klar erkennbar bei den Personen- bezeichnungen, die auf einer Bewertung beruhen. Wie wir oben gesehen haben, kann ein Wort wie дурак "Idiot”, das sich einem spezifisch referieren- dem Gebrauch widersetzt, in genau dieser Funktion auftreten, wenn es von einem dominanten Referenzmarker deiktischer Art begleitet wird. Dieser Faktor schaltet sozusagen den recht stark ausgeprägten Default aus (Э т от дурак еще все испортит! - "Dieser Idiot wird noch alles ruinieren!").

Die von Šmelev untersuchten semantischen Gruppen habe ich zu folgender Referenzskala zusammengetragen:

Skala zum Referenzdefault bei Personenbezeichnungen

allgemein ref. spezifisch ref.

« ...»

дурак директор автор брат Вадим

всадник

Diesen Ansatz weiterverfolgend gehe ich in meinen empirischen Unter- suchungen der Frage nach, wie sich verschiedene semantische Gruppen von Nomen in bezug auf Lokalisationsdefaults verhalten. Es wird untersucht, ob sich diese Defaults nur auf die Referenz beschränken oder sich auch auf die Satzebene auswirken und den Episodizitätsstatus des Prädikats bestimmen.

Schicht 2: Faktoren in der Wortform