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Korpus und Testaufbau

Schicht 5: Vorherige Kenntnis des Lokalisationsstatus (Kotext und Kontext)

6.1. Korpus und Testaufbau

Zunächst möchte ich einige Ausführungen über die Auswahl der untersuchten Lexeme machen. Als Korpus wurde nicht das Leont'ev-Korpus übernommen, sondern ein eigenes zusammengestellt. Das Hauptproblem bei der Verwendung des Leont'ev-Korpus besteht darin, daß viele Nomen eine sehr weite Polysemie und dadurch eine gewisse semantische Diffusität aufweisen.

So führt das einsprachige Wörterbuch Ožegov (19 9 0 23, 137) für das Wort ГОЛОВА "KOPF" neun Bedeutungen auf:

1. Körperteil 2. Hirnschale 3. Verstand

4. Person als Träger irgendwelcher Ideen

5. Bezeichnung einiger militärischer Dienststellungen 6. Leiter

7. vorderer Teil von etwas sich Bewegendem 8. Lebensmittel in Form einer Kugel

9. Zähleinheit beim Vieh

Die einzelnen Bedeutungen variieren erheblich in ihrem Abstraktheitsgrad und damit vermutlich auch in ihrem Referenzdefault. In der Bedeutung 'Körper- teil' denotiert es einen wahrnehmbaren Gegenstand, während die metony- mische Variante ,Verstand' eine abstrakte Eigenschaft bezeichnet. Bei dieser weit gefächerten Polysemie handelt es sich um eine Eigenschaft, die bekannt- lieh vor allem häufigen Wörtern eigen ist.

Aus diesem Grunde sollen im Kombinatoriktest weniger häufige, relativ monoseme Nomen untersucht werden. Zur Auswahl dieser Lexeme wurde das Häufigkeitswörterbuch Zasorinas verwendet. Diesmal wurden jedoch nicht wie bei der Frequenzauszählung die häufigsten, sondern im Gegenteil

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124 DER ASSOZIATIVE KOMBINATORIKTEST

seltenere Nomen herausgesucht. Zu diesen habe ich solche gezählt, die in dem von Zasorina zugrundegelegten, ausgesprochen großen Korpus nicht häufiger als in 20 Belegen auftreten; zum Vergleich: für das häufigste Nomen des Russischen год "Jahr" fanden sich 2167 Belege. Aus dieser Gruppe von Wörtern wurden für den Assoziationstest 40 Nomen ausgewählt, die in dem Wörterbuch Ožegovs als monosem angesehen werden. Diese 40 Lexeme verteilen sich auf vier semantische Gruppen, die sich aus der Kombination der beiden weiter oben entwickelten Merkmale +/-perzeptuell und -»-/-diskret ergeben. Als Bezeichnungen dieser Gruppen schlage ich vor: O b j e k t i v a ,

3. S em iab strak ta (-perzeptuell +diskret) 4.

КЛЯТВА - "Schwur"

Diesen Terminus verdanke ich einem mündlichen Hinweis von Claudia Hansen.

Kumyß = gegorene Stutenmilch

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Wie wir sehen, handelt es sich trotz der geringen Vorkommensfrequenz um Wörter, die jedem Muttersprachler durchaus geläufig sind. Dies ist eine Voraussetzung zur spontanen Bildung von Assoziationen.

Durch die monoseme Bedeutungsstruktur können wir die einzelnen semantischen Merkmale in ihrer direkten Auswirkung auf den unmittelbaren bzw. mittelbaren Lokalisationsdefault untersuchen. In der Frequenzauszählung war hingegen häufig das Problem der Polysemie aufgetreten. Dort wurde als ein Vertreter der semantischen Klasse der Kontinuativa das Nomen БУМАГА

"PAPIER” verwendet. Das Merkmal der Kontinuität konnte dabei nicht richtig untersucht werden, da dieses Lexem ausgesprochen häufig eine nicht-kontinuative Bedeutung annimmt (im Sinne ,Dokument'). Dieses Problem ist in dem neuen Korpus gelöst.

Bevor ich zu den Einzelheiten des Versuchsdesigns übergehe, möchte ich einige grundlegende Probleme ansprechen. Zunächst einmal möchte ich klären, warum im Gegensatz zu anderen Untersuchungen die schriftliche Form der Befragung gewählt wurde.

Oben wurde bereits gesagt, daß wir bestrebt sein müssen, möglichst viele homogene Reaktionen, die unsere Bedingungen erfüllen, zu elizitieren. Je homogener die Antworten, desto signifikanter sind die Ergebnisse. Die Homogenität der Reaktionen hängt nun mit der Art der Testdurchführung zusammen. Diese Korrelation wird von Ilizarova (1981) postuliert, die den gleichen freien Assoziationstest einmal mündlich und einmal schriftlich durchgeführt hat. Die Probandengruppen waren in beiden Tests nach gleichen Kriterien zusammengestellt worden. Die Ergebnisse beider Tests weichen recht stark voneinander ab. Besonders auffällig ist die Diskrepanz bei der Homogenität der Reaktionen bzw. Anzahl der Einzelnennungen. Ihre Ergeb-nisse zusammenfassend schreibt Ilizarova:1

״ Zum einen stellte sich heraus, daß die Befragten der mündlichen Gruppe im ganzen mit einer doppelt so hohen Anzahl verschiedener Wörter antworteten; d.h. ihre Reaktionen waren wesentlich weniger stereotyp als diejenigen der schriftlichen Gruppe. Zum anderen befanden sich unter ihren Antworten fast doppelt so viele absolut nicht stereotype, einmalige Reaktionen.“ (a.a.O., 185)

Mündliche und schriftliche Assoziationstests divergieren insofern, als die Reaktionen bei ersteren weiter gestreut sind; d.h. es treten viele einmalige Nennungen auf, die für eine systemlinguistische Fragestellung wenig relevant sind. Aus der Untersuchung geht hervor, daß sich eine schriftliche

Test-Ko r p u s u n d Te s t a u f b a u 125

«Таким образом оказалось, что, во-первых, испытуемые 2. подгруппы [устно]

в целом ответили почти вдвое больш им числом разных слов, т.е. их реакции бы ли значительно менее стереотипны , чем у испы туемы х 1. группы [пись- менно], а во-вторых, среди их ответов присутствует почти вдвое больш е абсолю тно не стереотипных, единичных реакций.»

De r a s s o z i a t i v e Ko m b i n a t o r i k t e s t

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durchführung positiv auf die Homogenität der Reaktionen auswirkt. Es finden sich zwischen den Nennungen mehr Gemeinsamkeiten, und einmalige Nen- nungen sind seltener.1

Daneben berichtet Ilizarova von einer weiteren interessanten Differenz beider Experimentarten. Sie zeigt, daß in schriftlich durchgeführten freien Assoziationstests syntagmatische Reaktionen wesentlich häufiger anzutreffen sind als in mündlichen (a.a.O., 190). Da wir uns mit syntagmatischen Beziehungen zwischen Wörtern beschäftigen, benötigen wir einen Versuchs- aufbau, der die Bildung syntagmatischer Assoziationen begünstigt. Aus diesen Gründen wird der ASKO-Test schriftlich durchgeführt.

Im Gegensatz zum freien Assoziationstest möchte ich die Auswahl der zu nennenden Assoziationen einschränken und damit in eine bestimmte Richtung lenken. Ein solcher Versuchsaufbau wird als g e l e n k t e r A s s o z i a - t i о n s t e s t bezeichnet. Wie bereits mehrfach angedeutet wurde, zeichnen sich die von den Probanden gegebenen Assoziationen durch einen recht hohen Grad an Instabilität und Individualität aus. Da uns aber nur das über- individuell Systemhafte interessiert, müssen wir Wege finden, häufig auftretende Kombinationen aufzuspüren. Der Test muß so gestaltet werden, daß eine möglichst große Anzahl grammatisch-syntagmatischer Antworten gegeben wird. In dem Fragebogen sollen die Probanden deswegen ganze Sätze bilden, damit wir eine größere Anzahl von finiten Verben erhalten. Wie bereits oben erwähnt, verlaufen die Reaktionen zu Nomen im freien Assoziationstest zumeist paradigmatisch. In dem von mir entworfenen Test sind die Probanden hingegen gezwungen, einen vollständigen Satz zu bilden.

Somit entfallen die weiter oben genannten Assoziationen paradigmatischer und thematischer Art.

Ein schwerwiegendes Problem, das bei der Anwendung des Tests auf syntagmatische Assoziationen entsteht, ist die Tatsache, daß viele Asso- ziationen auf idiomatischen Elementen wie Phraseologismen beruhen;2 z.B.

gaben viele Probanden bei Leont'ev für das Stimuluswort Б У М А Г А

"PAPIER" die Assoziation все стерпит "ist geduldig" an. Solche Wort- kombinationen taugen nicht zur Untersuchung des Referenzdefaults, da z.B.

Sprichwörter in ihrem Gebrauch grundsätzlich als nichtlokalisiert anzusehen sind, unabhängig von ihrer sprachlichen Ausformung. Durch die Auswahl relativ seltener Lexeme kann die Wahrscheinlichkeit der Nennung solcher

In der experimentellen Psychologie herrscht in diesem Punkt jedoch keine Einigkeit.

Andere Untersuchungen deuten darauf hin, daß sich der Faktor 'mündlich' vs. 'schrift- lich' kaum auf die Reaktionen auswirkt; zu dieser Diskussion siehe Cramer (1968).

Zu einem ähnlichen Schluß kommt auch Levickij (1992).

KORPUS UND TESTAUFBAU 127

Elemente etwas gesenkt, jedoch nicht ausgeschaltet werden. Das gleiche gilt für Textreminiszenzen wie geflügelte Worte und Zitate.

In der Abbildung sind nun diejenigen Reaktionen aufgeführt, die bei unserem Versuchsaufbau auftreten können. Die Pfeile zu den idiomatischen Kombinationen wie auch zu den Textreminiszenzen sind aus den eben genannten Gründen dünn, während der Pfeil zu den grammatischen Defaults dick eingezeichnet ist. Mit dem Test können sämtliche Kombinationen grammatischer Kategorien untersucht werden, z.B. der Zusammenhang von Nominalsemantik und Genus verbi oder von Numerus und Aspekt usw.

A ssoziativ-V erbales-N etz im A SK O -Test

6.2. Die P robanden

Als Probanden wurden russische Muttersprachler im Alter von 17 bis 50 Jahren ausgewählt. In diesem Zusammenhang möchte ich kurz auf die Frage eingehen, warum Erwachsene und nicht Kinder als Probanden ausgewählt wurden. In der Forschung ist bekannt, daß sich das Assoziationsverhalten von Kindern wesentlich von dem erwachsener Sprecher unterscheidet.1 Im Alter von 5 bis 7 Jahren überwiegen bei weitem syntagmatische Reaktionen, während paradigmatische Assoziationen nur vereinzelt auftauchen. Die Kinder bilden zumeist vollständige Phrasen. Erst im Laufe der Zeit treten immer mehr paradigmatische Bindungen des Typs С О БА К А > кошка "HUND >

Katze" auf, die dann später beim Erwachsenen klar dominieren. Lurija (1979,

Vgl. Ervin (1961); für das Russische Dubrovskaja & Ovčinnikova (1989) und Lurija (1979)

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152 f.) erklärt diese Entwicklungslinie damit, daß die syntagmatische Strukturierung, die die Basis der linearen Aussage ausmacht, die natürlichere Redeform darstellt. Paradigmatische Organisationsstrukturen sind hingegen weniger Redestrukturen als vielmehr logische Einheiten der Sprache, die in der Ontogenese später erworben werden.

Da hier aber gerade syntagmatische Assoziationen von Interesse sind, würde alles dafür sprechen, als Probanden Kinder auszuwählen. Warum dies nicht geschehen ist, hat mehrere Gründe. Zum einen stehen dem selbst- verständlich praktische Schwierigkeiten im Wege. So ist bekannt, daß Kinder, besonders im jungen Alter, dazu neigen, weniger auf das vorgegebene Stimu- luswort, als auf die konkrete Versuchssituation zu reagieren. Nach Dubrovskaja & Ovčinnikova (1989, 28) treten außerdem häufig modellhafte Reaktionen auf; d.h. das Kind wendet eine bestimmte Reaktion auf alle Stimuli ohne Rücksicht auf die jeweiligen Eigenschaften der gegebenen Wörter an. Diese Gefahr existiert, wie ich bei der Datenauswertung feststellen mußte, auch bei Erwachsenen, jedoch nicht in diesem Ausmaße.

Neben den genannten Problemen gibt es jedoch noch einen aus- gesprochen wichtigen Faktor, der gegen Kinder als Probanden spricht. Dieser Faktor betrifft die oben bereits angesprochene Homogenität der genannten Assoziationen und damit um die Systemhaftigkeit der AVN. Wir sind in unserer Untersuchung an möglichst stabilen assoziativen Beziehungen und damit an einer geringen Streuung der Reaktionen interessiert. Wie nun aus einer von Kamenskaja (1994) vorgestellten Untersuchung hervorgeht, unterscheiden sich kindliche Assoziationen in bezug auf Homogenität von denjenigen der Erwachsenen. In diesem Experiment wurden Kinder aus drei verschiedenen sozialen Gruppen befragt. Die Auswertung ergab, daß es sich bei 45 bis 55% aller Assoziationen um einmalige Nennungen handelt und nur 7% der Assoziationen in allen drei Probandengruppen auftreten. Die von Erwachsenen gegebenen Reaktionen sind hingegen homogener, d.h. der Anteil der einmaligen Reaktionen ist geringer. Eine von mir am Material des Wörterbuchs Leont'evs durchgeführte Stichprobe bestätigt dies. Bei den fünf ausgezählten Stimuli К И Л О М ЕТР "KILOMETER", ДРУГ "FREUND", В РЕМ Я "ZEIT", Д ЕН Ь "TAG" und МАТЬ "MUTTER" schwankt der Anteil einmaliger Nennungen zwischen 11 und 19%. Die Ergebnisse im einzelnen:

12 8 De r a s s o z i a t i v e Ko m b i n a t o r i k t e s t

DIE PROBANDEN 129

Anteil einm aliger Nennungen

КИЛОМЕТР 11,2%

ДРУГ 18,7%

ВРЕМ Я 19,4%

ДЕНЬ 17,8%

МАТЬ 11,8%

Somit haben wir es bei den assoziativen Netzen erwachsener Sprecher mit einer geringeren Streuung und damit einer größeren Systemhaftigkeit zu tun.

Als Probanden für den Kombinatoriktest wurden 100 Muttersprachler zwischen 17 und 50 Jahren befragt. Es handelt sich um folgende Gruppen:

a) 21 Studenten und Dozenten der Philologischen Fakultät der St. Peters- burger Universität (Филологический факультет)

b) 18 Schüler der 11. Klasse einer St. Petersburger Schule (Ш к о л а специализированная английская № 397)

c) 31 Studenten des zweiten Kurses einer St. Petersburger Pädagogischen Hochschule (Санкт Петербургское Высшее Педагогическое учи- лищ е № 2)

d) 30 Studenten des fünften Kurses der gleichen Hochschule.