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Leont'evs Assoziationstest und Perzeptualität

Schicht 5: Vorherige Kenntnis des Lokalisationsstatus (Kotext und Kontext)

5.2. Der freie Assoziationstest bei Leont'ev 1. Auswertung

5.2.2. Leont'evs Assoziationstest und Perzeptualität

In diesem Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden, wie nun die bisher intuitiv verwendeten Begriffe ,abstrakte' bzw. 'konkrete' Bedeutung aufzu- fassen sind. Zu diesem Zwecke wird untersucht, ob die von mir aufgezeigten Tendenzen zu bestimmten Referenzdefaults mit der Wahrnehmbarkeit bzw.

P e r z e p t u a l i t ä t der versprachlichten Entität zu tun haben. Spielt hier eine Rolle, was in der Psychologie als 'Imagery' (Bildhaftigkeit) bezeichnet wird? Dafür soll ein kurzer Blick in diese in Paivio (1971) entwickelte Theorie geworfen werden.

Nach Paivio gibt es zwei für Sprache zuständige Gedächtnissysteme: das bildhafte und das verbale System. Von ersterem wird angenommen, daß es

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In Ožegov ( 1990)23 als die erste Bedeutungsvariante aufgeführt.

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spezialisiert ist auf die symbolische Repräsentation konkreter Situationen und Ereignisse. Das verbale System hingegen wird durch das Vermögen charak- terisiert, abstrakte Probleme zu lösen. Zwischen beiden Systemen gibt es eine Funktionsaufteilung der folgenden Art: Verbale Beschreibungen konkreter Situationen und Ereignisse aus dem Gedächtnis sowie verbale Ausdrücke der Handhabung räumlicher Konzepte werden vermutlich durch nonverbales ,imagery' vermittelt, während der abstrakte Diskurs sowie verbale Ausdrücke• • abstrakter Überlegung wahrscheinlich gänzlich vom Verbalsystem vermittelt werden. Die Theorie basiert im wesentlichen auf der Tatsache, daß Lexeme mit einer Bedeutung, welche leicht bildhaft vorstellbar ist, einfacher erlernt werden als solche, bei denen dies nicht der Fall ist. So hat ein Lemer des Deutschen als Fremdsprache mit Wörtern des Typs Tisch oder Hand weniger Probleme als mit Abstrakta wie Anlaß oder Ehre. In verschiedenen Unter- suchungen wurden für das Englische, das Niederländische sowie das Deutsche Skalen erstellt, die den Grad des ,imagery’ bestimmen sollen. Dabei wurde im wesentlichen nach einem von Paivio und seinen Mitarbeitern entwickelten Befragungsverfahren vorgegangen. In der Untersuchung zum 'imagery' im Deutschen wurde den Probanden eine Liste mit Substantiven vorgelegt und diese Anweisung gegeben:

״ [...] Im folgenden sollen Substantive danach eingestuft werden, wie leicht oder schwer sie bildhafte Vorstellungen hervorrufen können. Jedes Wort, das Ihrer Meinung nach sehr schnell und leicht eine bildhafte Vorstellung oder einen Klang hervorruft, sollte einen hohen Wert erhalten. Diejenigen Wörter, die bildhafte Vorstellungen überhaupt nicht oder nur sehr schwer auslösen können, sollen einen niedrigen Wert bekommen.

[...] Das Ausmaß, mit dem Wörter bildhafte Vorstellungen auslösen, soll auf einer 7- Punkte-Skala eingeschätzt werden. Hierbei bedeutet der Skalenwert 1, daß ein Wort bildhafte Vorstellungen überhaupt nicht oder nur mit großer Anstrengung hervor- zurufen vermag. Der Skalenwert 7 kennzeichnet das Vermögen eines Wortes, bildhafte Vorstellungen sehr leicht und schnell hervorzurufen.“ (Baschek et alii 1977,357)

Im Zusammenhang mit den hier untersuchten Referenzdefaults könnte man nun die These aufstellen, daß Nomen mit einem hohen Imagerywert (5-7) zu lokalisierten und solche mit niedrigem Wert (1-4) zu delokalisierten Kon- texten tendieren. Um diese These für das Russische zu überprüfen, muß man zu einem indirekten Vergleich mit einer anderen Sprache, dem Deutschen, greifen, da die für das Russische entwickelten Listen Petrenko (1988) und Kovalevskaja & Šorina (1984) einen nur sehr geringen Umfang haben: 87 bzw. 51 Nomen, von denen nur einzelne bei Leont'ev auftreten.

Demgegenüber enthält die Liste der Untersuchung zum Deutschen

• •

(Baschek et alii) Äquivalente von 21 Substantiven, die in Leont'evs Wör- terbuch Verbalassoziationen aufweisen (s.o.). In der unten stehenden Tabelle habe ich die russischen Lexeme mit folgenden Angaben aufgeführt:

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Lo k a l i s a t i o n in e i n e r As s o z i a t i v e n Gr a m m a t i k

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1. Episodizitäts- und Referenzstatus, die sich aus der Verbindung mit dem nach Leont'ev am häufigsten assoziierten Verb ergeben;

• « __

2. das deutsche Äquivalent aus der Baschek-Liste;

• «

3. der Imagery wert des deutschen Äquivalents auf der Skala 1 (minimal bildhaft) bis 7 (maximal bildhaft).

Bei dem hier vorgenommenen Vergleich bin ich mir des Problems der Äquivalenz in zwei Sprachen durchaus bewußt. Als Entsprechungen wurden nur diejenigen deutschen Lexeme akzeptiert, die in dem zweisprachigen

• •

Wörterbuch Lejn (1991)11 als erste Übersetzung angegeben wurden.

Lokalisation und Im agery Imagerywertes an. Danach weisen die deutschen Äquivalente der Lexeme мат ь "Mutter" und лес "Wald" den höchsten Grad an Bildhaftigkeit auf: 6,8 bzw. 6,68 auf der bis 7 gehenden Skala. Am anderen Ende finden wir die Nomen дело "Sache" und повод "Anlaß" mit den Werten 3,28 bzw. 3,24.

Schauen wir uns jetzt die Korrelation zwischen dem Referenzstatus und den angegebenen Imagerywerten an. In jedem Falle ist in dem Bereich schwacher

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Bildhaftigkeit (Wert < 5) eine gewisse Häufung des Defaults 'delokalisiert' festzustellen. Von den 8 Belegen weisen 3 allgemeine und 5 spezifische Referenz auf:

a) allgemeine Referenz: история "Geschichte", слава "Ruhm", время

"Zeit";

b) spezifische Referenz: результ а т "Resultat", м н ен и е "Meinung", впечатление "Eindruck", дело "Sache", повод "Anlaß".

Bei den Nomen mit höherer Bildhaftigkeit (Wert > 5) hingegen findet sich unter 13 Belegen nur ein einziger Fall allgemeiner Referenz, welcher vermutlich, wie oben bereits erwähnt, auf Phraseologisierung zurückzuführen ist. Alle anderen Fälle sind spezifisch referierend.

a) allgemeine Referenz: бумага "Papier";

b) spezifische Referenz: мать "Mutter", лес "Wald", земля "Erde", 6a- бушка "Großmutter", кн и ж ка "Buch", ребенок "Kind", девочка

"Mädchen", угол "Ecke", карт ина "Bild", э к за м е н "Examen", километр "Kilometer", группа "Gruppe".

Trotz dieser Tendenz ist es erstaunlich, daß doch die Mehrheit der minimal bildhaften Substantive (5 von 8 Belegen) mit spezifischen Kontexten assozi- iert wird. So verhalten sich die maximal {мать, лес) und die minimal bildhaften Lexeme (дело, повод) gleich.

Obwohl es sich hier um eine sehr geringe Anzahl von Belegen handelt, kann man aus den genannten Fakten unter Vorbehalt folgende Schluß- folgerung ziehen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, daß der Imagerywert für den Lokalisationsdefault relevant ist, ihn jedoch nicht allein bestimmen kann.

In jedem Falle haben wir dennoch mit dem Kriterium der Perzeptualität ein für uns wichtiges Merkmal gefunden. Allerdings können Nomen mit sehr niedrigen Imagerywerten durchaus spezifisch referierende Defaults aufweisen.

Die Tendenz zu bestimmten Referenzstatus scheint somit noch durch andere semantische Eigenschaften bedingt zu sein. Dieser Frage soll im nächsten Kapitel nachgegangen werden.

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