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2   Literaturübersicht

2.4   Leptospira spp

Die Leptospirose ist eine weltweit endemisch auftretende Zoonose bakteriellen Ursprungs und wird durch pathogene Leptospira spp. verursacht (ADLER et al.

2011). Nach HARTSKEERL et al. (2011) bildet sie den Prototyp einer vernachlässigten Infektionskrankheit mit unbekannten, aber wahrscheinlich erheblichen Auswirkungen auf die Tierwelt sowie die öffentliche Gesundheit.

2.4.1 Taxonomie, Klassifizierung und Biologie

Die Gattung Leptospira gehört innerhalb der Familie Leptospiraceae zur Ordnung Spirochaetales (SCHÖNBERG 1992). Die komplexe Klassifizierung der Leptospira spp. erfolgt nach zwei unterschiedlichen Systemen, welche nebeneinander existieren (BHARTI et al. 2003).

Nach der serologischen Klassifizierung werden annähernd 300 Serovaren unterschieden, welche Serogruppen zugeteilt sind (SELBITZ 2007, S. 400;

HARTSKEERL et al. 2011). Wie VALVERDE et al. (2013) demonstrierten, unterliegt die Anzahl durch die stete Detektion neuer Serovaren einem Anstieg. Grundsätzlich

existieren nach der serologischen Klassifizierung zwei Leptospirenspezies (LEVETT 2001). Hierbei werden in die Spezies Leptospira (L.) interrogans alle pathogenen und in die Spezies L. biflexa alle apathogenen Serovaren eingegliedert (SELBITZ 2007, S. 400). Aufgrund ähnlicher Antigenstrukturen werden Serovaren in Serogruppen zusammengefasst (LEVETT 2001). Nach SELBITZ (2007, S. 400) umfasst L. interrogans über 200 Serovaren in 23 Serogruppen und L. biflexa repräsentiert 65 Serovaren in 38 Serogruppen.

Die serologische und die molekulargenetische Klassifizierung sind nicht kongruent.

So zeigt die molekulargenetische Klassifizierung beispielsweise, dass Stämme der gleichen Serovar verschiedenen Genospezies zugeordnet werden können (ZÖLLER 2009). Basierend auf genetischen Verwandtschaftsverhältnissen können 17 Leptospirenspezies unterschieden werden (BHARTI et al. 2003). Hiervon gelten die folgenden acht Leptospirenarten als pathogen: L. interrogans, L. noguchii, L. weilii, L. santarosai, L. borgpetersenii, L. inadai, L. fainei, L. kirschneri (SELBITZ 2007, S. 400).

Leptospiren sind bei einem Durchmesser von rund 0,1 µm 20-24 µm lang. Die beiden Enden des schraubenförmigen Bakteriums sind gebogen, was zu einem kleiderbügel- oder hakenformähnlich Aussehen führt. Zwei um den Protoplasmazylinder gewundene Endoflagellen ermöglichen eine rotierende Bewegung des Erregers. Leptospiren sind nicht gut anfärbbar. Im histologischen Schnitt ist eine Beurteilung nach einer Silberimprägnation des Erregers möglich.

Ferner kann die Begutachtung eines Nativpräparates im Dunkelfeld eines Lichtmikroskops erfolgen (SELBITZ 2007, S. 399). Als optimale Bedingung für das Wachstum des obligat aeroben Erregers bei der Kultivierung wird eine Temperatur zwischen 28 und 30°C angegeben (LEVETT 2001).

Abhängig von den Umgebungsbedingungen können Leptospiren mehrere Monate außerhalb des Wirts überleben. Da warmes und feuchtes Substrat gute Umweltbedingungen darstellt, wird die Leptospirose häufig in feuchten subtropischen und tropischen Regionen beschrieben (HARTSKEERL et al. 2011). Bei pH-Werten von 7,2-7,6 bleiben pathogene Leptospiren in Regenwasser bis zu 18 Tage und in Flüssen bis zu 100 Tage infektiös. Gegenüber Austrocknung sowie pH-Werten über

8,0 und unter 6,8 sind die sie empfindlich. Dies erklärt warum die Infektionsgefahr durch Leptospiren im sauren Urin der Carnivoren als geringer gegenüber Leptospiren im leicht alkalischen Urin der Herbivoren eingeschätzt wird (THEODORIDIS 2004).

2.4.2 Reservoir und Übertragung

Weltweit gelten Wild- sowie Haus- und Nutztiere als Reservoir pathogener Leptospiren (SCHÖNBERG 1992). Auch Waschbären sind als Erregerreservoir bekannt (BELTRÁN-BECK 2012). Die meisten Säugetiere fungieren als natürliche Träger, wobei der Mensch einen Fehlwirt darstellt. Jede Serovar zeigt eine Wirtspräferenz, besitzt aber die Fähigkeit sich auch an verschiedene andere Wirte anzupassen. Dies sorgt für einen komplexen und dynamischen Zyklus (HARTSKEERL et al. 2011). Infizierte Tiere können in Haupt- und Gelegenheitswirte eingeteilt werden. Bei einem Hauptwirt tritt die Infektion endemisch auf und wird über direkten Kontakt von Tier zu Tier übertragen (LEVETT 2001). Leptospira spp.

persistieren in den proximalen Nierentubuli chronisch infizierter Tiere. Während die Trägertiere symptomfrei bleiben können, scheiden sie lebenslang infektiösen Erreger mit dem Urin aus (BHARTI et al. 2003). Durch indirekten Kontakt mit Hauptwirten können weitere Tiere infiziert werden (LEVETT 2001). Die humane Infektion kann sich über Kontakt mit infektiösem Urin, dem der Mensch entweder direkt oder indirekt via kontaminiertem Wasser oder Boden ausgesetzt ist, zutragen (BHARTI et al.

2003). Infektionen erfolgen vornehmlich über Hautabrasionen und -wunden sowie die Konjunktiven. Ein Erregereintrag ist über den Respirationstrakt nach Inhalation von kontaminiertem Wasser oder Aerosol sowie über von Wasser erweichte Haut möglich (LEVETT 2001). Der Mensch selber stellt keine wichtige Infektionsquelle dar, obwohl eine humane Erregerausscheidung möglich ist (BHARTI et al. 2003). Der niedrige pH-Wert des menschlichen Urins begrenzt jedoch die Lebensdauer der Leptospiren nach der Ausscheidung. Die venerische Übertragung durch einen rekonvaleszenten Patienten wurde dokumentiert (LEVETT 2001).

2.4.3 Prävalenzen

Zu dem Vorkommen von pathogenen Leptospiren in den Waschbärpopulationen Nordamerikas liegen zahlreiche serologische Studien vor. JUNGE et al. (2007) haben 159 Waschbären aus dem Zoo sowie dem den Zoo umgebenden Park von St. Louis, Missouri untersucht. Hierbei konnte bei 6,5% der Tiere eine Infektion mit L. interrogans Serovar Grippotyphosa und bei 8,9% eine Infektion mit L. interrogans Serovar Icterohemorrhagiae festgestellt werden. Im Bundesstaat Washington konnte eine Seroprävalenz von 19,1% bei 115 Waschbären dokumentiert werden (DAVIS et al. 2008). RICHARDSON u. GAUTHIER (2003) stellten bei 36% (n=31) der Waschbären aus Connecticut Antikörper gegen pathogene Leptospiren fest, wobei die dominierende Serovar L. interrogans Icterohemorrhagiae war. Bei 459 untersuchten Tieren aus Illinois konnte eine 48%ige Prävalenz von L. interrogans nachgewiesen werden (MITCHELL et al. 1999). Im Bundesstaat Indiana imponierte eine Seroprävalenz von 47% (n=459) bei der Detektion der Serovaren Grippotyphosa, Autumnalis und Hardjo (RAIZMAN et al. 2009).

KOIZUMI et al. (2009) dokumentierten eine Seroprävalenz von 12,9% (n=124) in Kanagawa und 62,3% (n=53) in Nagasaki, Japan. Hierbei konnten die Serovaren Copenhageni, Icterohaemorrhagiae sowie Autumnalis ermittelt werden.

Bislang gibt es keine Erkenntnisse zum Vorkommen von Leptospira spp. in den Waschbärpopulationen Europas.

In Deutschland liegen jedoch Prävalenzstudien zu pathogenen Leptospiren bei Haus- und Nutz- sowie Wildtieren vor. SCHÖNBERG et al. (1987) haben bei Untersuchungen in Westdeutschland insgesamt 30.963 Tiere auf Antikörper gegen L. interrogans getestet. Hierbei zeigten sich 1,6% (n=23.093) der Rinder, 1,2%

(n=1.835) der Schweine, 14,4% (n=3.040) der Schafe, 0,3% (n=694) der Ziegen, 4,5% (n=2.002) der Pferde sowie 8,4% (n=299) der Hunde positiv. In Thüringen betrug die durchschnittliche Seroprävalenz 1,9% bei 1.253 untersuchten Füchsen (MÜLLER u. WINKLER 1994). In Berlin wiesen 18% der Wildschweine (n=141) Antikörper gegen Leptospiren auf (JANSEN et al. 2007). PAYSEN (2008) detektierte eine serologische Prävalenz von 85% bei 354 Proben von 128 Wildschweinen aus Niedersachsen. Nach RUNGE et al. (2013) lag die durchschnittliche Prävalenz bei

Wanderratten aus Niedersachsen bei direktem Erregernachweis mittels PCR bei 21,3% (n=586).

Für den Erkrankungs- sowie Erregernachweis bei Schweinen und Schafen gilt die deutschlandweite Meldepflicht (Anlage zu §1, Verordnung über meldepflichtige Tierkrankheiten).

2.4.4 Humane Leptospirose

Die Leptospirose gilt als die global am weitesten verbreitete Zoonose und tritt in Entwicklungsländern und Industriestaaten auf (CACHAY u. VINETZ 2005). Das Spektrum des Erkrankungsausmaßes ist sehr groß und reicht von einer asymptomatischen Infektion bis hin zu einer Multiorganinfektion mit Todesfolge (LEVETT 2001). Nach CACHAY u. VINETZ (2005) bildet die asymptomatische Serokonversation bei einer Infektion mit pathogenen Leptospiren die häufigste Form.

So konnten beispielsweise nur 25 von 85 seropositiven Personen aus Nicaragua retrospektiv von einer fieberhaften Erkrankung berichten. Dies lässt den Schluss zu, dass die anderen seropositiven Personen eine asymptomatische Infektion aufwiesen (ASHFORD et al. 2000). Mild verlaufende Erkrankungen imponieren mit erkältungsähnlichen Symptomen (SCHÖNBERG 1992). Das Ausmaß dieser Infektionsform ist völlig unbekannt (HARTSKEERL et al. 2011). Bei der klinischen Leptospirose ist zumeist ein biphasischer Verlauf erkennbar (LEVETT 2001). Nach einer Inkubationszeit von 7-14 (3-30) Tagen präsentiert sich die erste Phase als septisches Stadium mit plötzlich auftretendem hohen Fieber (SCHÖNBERG 1992).

In dieser akuten Phase können sich weitere Symptome wie Myalgien, Konjunktivitis, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Nausea, Vomitus und Ikterus entwickeln. Nach einer Remission von drei bis vier Tagen kommt es zu einem erneuten Fieberschub (BHARTI et al. 2003). Die zweite Phase ist durch eine Organmanifestation gekennzeichnet. Das Auftreten einer zumeist serösen Meningitis, Nephritis, Lymphadenitis und Anämie sowie einer Milzvergrößerung sind möglich (SCHÖNBERG 1992). Nach BHARTI et al. (2003) lässt sich aus klinischer Sicht die akute biphasische Leptospirose nicht von anderen mit Fieber einhergehenden Erkrankungen unterscheiden. Die Weil-Krankheit stellt die schwerste Ausprägung der

humanen Leptospirose dar und entwickelt sich entweder innerhalb des zweiten Intervalls eines biphasischen Krankheitsverlaufes oder als progressive Erkrankungsform (BHARTI et al. 2003). Etwa zehn Prozent der Patienten entwickeln diese schwere Form, welche durch Ikterus, akute Nierenschädigung sowie pulmonale Hämorrhagien gekennzeichnet ist (SEGURU u. ANDRADE 2013).

LEBLEBICIOGLU et al. (1996) zeigten anhand von Fallberichten auf, dass trotz intensiver medizinischer Behandlung die Mortalitätsrate hoch ist.

Während in den westlichen Ländern die Leptospirose zu den eher seltenen Erkrankungen zählt, kommt sie in tropischen Regionen wie Hawaii, Barbados oder den Seychellen bis zu tausendmal häufiger vor (BOVET et al. 1999). Auf Hawaii wurde beispielsweise eine jährliche Inzidenz von 128 Fällen pro 100.000 Personen ermittelt (SASAKI et al. 1993).

Der Waschbär stellt als Reservoir von pathogenen Leptospiren eine potentielle Infektionsquelle für den Mensch dar (BELTRÁN-BECK et al. 2012). So konnten WARSHAWSKY et al. (2000) Leptospirose bei Trappern aus Ontario nach der Fallenjagd auf Waschbären dokumentieren.

In Deutschland ist nach dem 3. Abschnitt §7 Absatz 1 Nummer 28 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz) ein indirekter oder direkter Nachweis von humanpathogenen Leptospira spp. meldepflichtig, insofern dieser auf ein akutes Krankheitsgeschehen hindeutet.

In den Jahren von 1962 bis 2003 wurden insgesamt 2.694 Fälle bei einer neunprozentigen Mortalitätsrate in Deutschland dokumentiert. Bis 1997 ist ein kontinuierlicher Rückgang der Erkrankungsfälle zu verzeichnen. Seit der niedrigen Fallzahl von 25 erkrankten Personen im Jahr 1997 steigt die Inzidenz jedoch wieder an. Während zwischen 1962 und 2003 die durchschnittliche jährliche Fallzahl bei 66 erkrankten Personen mit einem Peak von 147 Patienten im Jahr 1974 lag (JANSEN et al. 2005), stellte sich zwischen 2004 und 2012 die durchschnittliche jährliche Leptospirose-Fallzahl mit 77 Erkrankten bei der höchsten gemeldetem Fallzahl von 166 Erkrankten im Jahr 2007 dar. In 2013 sind bislang 54 Erkrankte gemeldet (Robert Koch-Institut: SurvStat@RKI, http://www3.rki.de/SurvStat, Datenstand:

20.9.2013). Die berichteten Erkrankungsätiologien sind vielfältig. So wurden beispielsweise 13 Erdbeerpflücker (DESAI et al. 2009) sowie fünf Triathlonteilnehmer (BROCKMANN et al. 2010) dokumentiert, welche an Leptospirose erkrankten.

JANSEN et al. (2006) berichteten von einem Patienten, der sich vermutlich über von Wildschweinen kontaminiertes Wasser infiziert hat.